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Autor: Anonym 09.05.2025
AnonymIch berichte hier von meinen Erfahrungen mit einer esoterischen Reiki-Gruppe und vermeint-lichen Hilfsangeboten mit einem fundamentalistischen, christlichen Hintergrund. Ich habe mich schon vor einiger Zeit von all dem gelöst. Warum noch davon erzählen, wenn es doch schon so lange her ist? Ein Ausstieg aus einer sektenartigen Gruppe ist nicht einfach erledigt, man geht nicht zum vorherigen, normalen Leben zurück. Ängste oder depressive Verstimmungen bestehen oft noch lange Zeit danach und fallen von außen betrachtet nicht auf, wenn man als Mensch normal funktioniert. Aus der Gruppe, die ich in den 90er Jahren fand, war ich bereits um das Jahr 2000 ausgestiegen. Ich hatte diese Reiki-Gruppe einer Meisterin regelmäßig besucht, nachdem ich einige Male bei dieser zur Behandlung war. Angelockt durch eines ihrer Zeitungsinserate, in welchem sie von geistigem Heilen sprach, und in der Hoffnung, endlich Hilfe bei der Heilung meiner Autoimmunerkrankung zu finden, vertraute ich mich ihr an. Davor war mein Vater, nach langer, schwerer Krankheit, verstorben. Ich fiel wirklich in ein Loch. Ich konnte mich niemandem anvertrauen. Damals, als 22-Jährige, vertraute ich eher Menschen, die der Esoterik zugetan waren. Psychotherapie wäre nie in Betracht gekommen, denn davon wurde immer abgeraten, auch in der katholischen Gemeinde, in welcher ich von klein auf Mitglied war.Auch esoterische Literatur hatte ich als Jugendliche kennengelernt. Meine Eltern hatten ihr erstes Kind bei einem Verkehrsunfall verloren und sie suchten immer wieder nach einer Bestätigung für ihren Glauben, dass sie eines Tages geliebte Verstorbene wiedersehen würden. Ich nahm diese Hoffnung spendenden Geschichten und die Botschaft „Leben nach dem Tod“ (ob in christlicher oder in esoterischer Vorstellung) ebenfalls gerne an. Ich habe mir ebenfalls – wie mein Vater – in esoterischer Literatur diese Bestätigungen gesucht. In esoterischen Kreisen erschien mir die immer wiederkehrende Erklärung einleuchtend, dass man mithilfe positiver Gedanken sein Leben in die richtigen Bahnen lenken könnte, es selbst im Griff habe. Alles würde einem eigens kreierten Plan folgen. Krankheit sei dabei nur Teil eines Lehrplans und man müsse diesen bearbeiten, sich befreien und „aufsteigen“. Darin läge die Aufgabe auf diesem „Schulungsplaneten“. Von esoterischen Heilern oder Heilpraktikern hörte ich zudem sehr oft:„Lass dir das kranke Organ nicht einfach von den Schulmedizinern entfernen/operieren, sondern nimm die wahre Ursache ins Visier und bearbeite diese. Das ist das Einzige, was zur wirklichen Heilung führt. Ansonsten wirst du einen Rückfall erleiden, oder der Körper findet ein anderes Sprachrohr. Du musst die Aufgabe [oft auch Karma genannt] annehmen. Schulmediziner geben nur Medikamente und versuchen Symptome zu bekämpfen.“In esoterischen Kreisen ist es vollkommen in Ordnung, demjenigen, der ein Problem oder eine Krankheit hat, ein Eigenverschulden zuzuschreiben: „Du hast es so gewollt und manifestiert, also klage jetzt nicht darüber, sondern bearbeite das.“ An der sog. wahren Ursache arbeiten, mich ins Zeug legen, das tat ich dann auch. Insbesondere in dieser Reiki-Gruppe. Schon nach den ersten Behandlungen und Gesprächen war ich beeindruckt von den vermeintlichen Fähigkeiten der Reiki-Meisterin. Sie teilte mir mit, dass sie mir einen Weg zeigen könne, wie ich mir selbst helfen und mich selbst heilen könne.Ich arbeitete jeden Tag an meiner Selbsterkenntnis, behandelte andere Mitglieder, meditierte oft, interpretierte innere Bilder, auch wenn dies nicht immer ein gutes Gefühl und sogar Angst hervorrief. Bei den Interpretationen wurde an dramatischen, beschuldigenden Vermutungen nicht gespart. Man wolle ja an seinem Schatten arbeiten und dies könne ja nicht immer angenehm sein. Bei unguten Empfindungen habe man die Blockaden zu überwinden und weiter zu machen. Angst sei nur ein Zeichen der Verweigerung. Die Reiki-Meisterin würde uns einen einzigartigen Weg eröffnen, so meinte sie immer wieder. Sie vermittelte allen in der Gruppe, dass sie wie eine sehr gute Freundin sei, wir redeten ja auch über die privatesten Dinge miteinander. Das brachte auch mich in eine emotionale Abhängigkeit zu ihr. Als Gegenleistung hatte sie Erwartungen an uns, wir sollten ihr zum Dank etwas zurückgeben. Wenn wir Gruppenmitglieder zeigten, dass wir keine Ahnung hatten, was sie von uns haben wollte, dann kam sie mit dubiosen karmischen Verbindungen aus früheren Leben an, oder sie schrieb uns lange Briefe mit ihren nächtlichen Eingebungen, Beschuldigungen und Beschimpfungen. Wir wollten nur unsere Aufgabe nicht annehmen, seien zu faul, zu verlogen, zu feige und an ihren Problemen mit verantwortlich.Ich bekam Albträume, fühlte mich auch im Alltag öfters Ängsten ausgesetzt. Die Angstzustände waren wahrscheinlich auch der Krankheit und u.a. der intensiven inneren Arbeit und dem Gruppengeschehen in der Reiki-Gruppe geschuldet. Ich hatte im Laufe der Zeit mehrere körperliche Krankheitsschübe, die sich negativ auf meine Leistungsfähigkeit und psychische Belastbarkeit auswirkten. Nachdem ich schließlich die Reiki-Gruppe verlassen hatte, weil ich das Gefühl des totalen Ausgebrannt-Seins hatte, suchte ich wieder öfter Fachärzte auf. Schließlich ließ ich mich dann doch operieren und bis heute medikamentös behandeln. Das war eine gute Entscheidung, die nun schon 20 Jahre her ist. All die negativen Prognosen sog. Heiler und Anhänger des „spirituellen Weges“ bezüglich der „Schulmedizin“ haben sich nicht bewahrheitet. Eigentlich waren diese Glaubensvorstellungen weiter kein Thema mehr für mich – dachte ich. Aber als meine Mutter in 2013 nach schwerer Krankheit und Pflegezeit verstorben war, hatte ich eine Depression und ich denke, dass ich so etwas wie einen Rückfall in eine alte Lebenskrise durchmachte. Meine „Sektenvergangenheit“ in dem Reiki-Kreis hatte damit etwas zu tun: Die alten Glaubensbilder und damit verbundene Ängste und Sorgen meldeten sich zurück. Nach dem Tod meiner Mutter suchte ich mir Hilfe bei einer Trauerbegleiterin, die zum Glück nichts Religiöses oder Esoterisches mit einfließen ließ. Auch später halfen mir eine Ergotherapeutin und Elemente aus der Logotherapie. Allerdings: Versuche einem Psychotherapeuten von meiner Sektenerfahrung zu erzählen, wurden ignoriert und andere Themen wurden besprochen. Solche Angebote, wie diese der Trauerbegleiterin, sind selten. Als Trauernde wird man oft entweder mit religiösen Vorstellungen oder esoterischen Vermutungen bezüglich dem Leben nach dem Tod konfrontiert. Ich würde mir mehr und zugängliche neutrale Beratung wünschen. Ansonsten suchen sich viele Menschen Hilfen dieser Art im Internet, mit der Gefahr an unseriöse Angebote, oder auch nicht förderliche Gemeinschaften zu geraten. Ende der 90er Jahre bis 2017 hatte ich online nach Hilfsangeboten gesucht und war auf verschiedene zweifelhafte Angebote hereingefallen. Das Internet bot vielfältige vermeintliche Hilfsangebote, meistens als Lebenshilfe angepriesen. Es waren esoterische und christliche Angebote, wo ich mit Menschen zusammenkam, online wie offline, welche sehr missionierend auf der Suche nach neuen Mitgliedern waren. So kam ich beispielsweise über eine bekannte christliche Internetseite in Chaträume, und begegnete dort Menschen aus freikirchlichen Gemeinden u.a. mit fundamentalistischen Einstellungen. Diese wiesen mich darauf hin, dass ich nach meinen Erfahrungen und dem aktiven Ausüben esoterischer Praktiken okkult belastet sei und nun die Befreiung durch den Herrn Jesus benötigen würde. Ich sollte am besten sofort ein Befreiungsgebet sprechen, mich einer ihrer evangelischen Gemeinden anschließen und bei regelmäßig stattfindenden Hauskreisen mitmachen. Ansonsten sei ich verloren. Ich bekam Hinweise auf entsprechende Internetseiten. Hier erfuhr der Leser ebenfalls von vermeintlicher okkulter Belastung und der Notwendigkeit, sich zum christlichen Glauben zu bekennen. Außerdem wurde auf die Internetseite „Achtung Lichtarbeit“ verwiesen, hinter der ein ehemaliger Esoteriker steht, welcher nun als Evangelikaler anderen Esoterikern, bzw. Ex-Esoterikern dringend den christlichen Glauben empfiehlt. Und schließlich erwähne ich den Chat von „Nightlight“, wobei die Seite sich umbenannte in „Cruz42“. Hier werden heute vor allem junge Internetnutzer adressiert. Speziell zum Thema Esoterik wird eine Schrift des Heukelbach-Verlages empfohlen, welche wieder die Aussage der okkulten Belastung und Befreiung durch Jesus anspricht. Dahinter steht die Stiftung Missionswerk Werner Heukelbach. Und es gibt leider mittlerweile sehr viele solcher Seiten und Videos im Internet.2017 fand ich letztendlich eine seriöse und weltanschaulich neutrale Selbsthilfegruppe in meiner Nähe, offen für Menschen mit schlechten Erfahrungen in esoterischen Gruppen.
Wenn ich heute lese, dass Anbieter alternativer Heilmethoden oder spiritueller Lebensberatung wie z.B. Reiki-Therapeuten sogar meinen, traumatisierte Menschen behandeln zu können, läuten bei mir die Alarmglocken. Hilfsmittel ist dazu die sog. Mentalbehandlung, die ein Reiki-Schüler im 2. Grad bei seiner Einweihung kennenlernt. Welche Glaubensvorstellungen vermitteln sie ihren Klienten, woher stammen diese? Welches Menschenbild wird vertreten und wie viel von ihren eigenen Vorstellungen übertragen sie auf andere Menschen? Ist das Versprechen, die „Selbstheilungskräfte“ des Klienten zu stärken oder sogar indirekt Heilung zu versprechen nicht viel zu hoch gegriffen oder schlicht eine Lüge? Was richtet man bei hilfesuchenden Menschen damit an? Habe ich als Behandelnder irgendeine Ahnung davon, wie ich psychische Erkrankungen erkennen kann und welche Hilfe notwendig ist? Und ich beziehe bewusst auch den Glauben, z.B. christlich geprägter Gemeinschaften ein, welche der Ansicht sind, mit ihren Drohbotschaften verunsicherten Menschen helfen zu wollen, in der Art: „Nur Jesus kann dich noch retten, vor den Dämonen von denen du besessen bist.“ Das Netzwerk Esoterik Ausstieg schreibt auf seiner Seite: „Im Prinzip geht es im Reiki darum, dass der Reiki-Meister eine okkulte Kraft auf Menschen überträgt. Die Ausführung solcher Praktiken (ob aktiv oder passiv) führt zu einer okkulten Belastung. Ein Reiki-Anwender, der sich zu Jesus Christus bekehrte, schreibt über seine Erfahrungen: ‚Als ich mich von der 'Meisterin' für diese Energie hatte öffnen lassen, spürte ich regelrecht, wie eine fremde Kraft in meinen Körper kam und meinen ganzen Körper heftig durchschüttelte‘. Dieses immer wiederkehrende Reiki-Schütteln hörte erst auf, als sich [N.N.] nach seiner Bekehrung in einem Gebet davon lossagte.“ (www.netzwerk-esoterik-ausstieg.de/infos/gebiete-der-esoterik/reiki)Ich wage zu bezweifeln, dass diese Leute wissen, was sie bei jemandem anrichten können, der gerade in einer psychischen Krise steckt, geschweige denn, dass sie es überhaupt als psychische Krise anerkennen würden. Vielmehr schreiben sie den Zustand der Beeinflussung Satans zu. Beispielsweise bei „AchtungLichtarbeit.de“ oder anderen missionierenden Seiten wie dem „Netzwerk-Esoterik-Ausstieg.de“ sieht man die umgeleiteten Ex-Esoteriker Zeugnis geben und Errettungsberichte verfassen, geradezu als Beweis, dass sie nun auf dem rechten Weg wandeln. Es gibt bestimmt so einige Aussteiger, die ebenfalls vorerst eher umsteigen, da sie auch weiterhin auf der Suche sind. So etwas kann ich jedoch auch nachvollziehen. Denn nach meinem Ausstieg aus einer Reiki-Gruppe hatte ich den Drang, nach ähnlichen Gruppen und später sogar auch nach Verbindungen zu meiner Herkunfts-Religion, dem Katholizismus, zu suchen. Mein Ziel dabei war es, Sicherheit und Halt zu finden. Daher finde ich es wichtig, dass Menschen, welche nach ihrem Ausstieg Probleme haben, auf neutrale, nicht wieder manipulative, Berater treffen.Heute nehme ich die damaligen Lehren nicht mehr ernst und bin froh, wieder Boden unter den Füßen zu haben. Dieses ständige Suchen, sich verbessern wollen, erkennen wollen, an sich arbeiten – zum Glück habe ich dieses Verpflichtungsgefühl nicht mehr. Auch der Gedanke „Es könnte ja vielleicht doch die Wahrheit sein, und dann erkennst du zu spät, dass du einen falschen Weg gewählt hast“ berührt mich heute nicht mehr. „Ich möchte keine Glaubensbilder mehr von irgendwem annehmen!“ ist mein Resümee aus jahrelanger Laufbahn in esoterischen Kreisen, einer Reiki-Gruppe und schließlich das Hereinfallen auf vermeintliche Hilfsangebote fundamentalistischer, christlicher Gruppierungen mit Dämonenglauben und anderem angstmachenden Unsinn. Heute mache ich einen großen Bogen um Angebote dieser Art.