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Zahlen und Fakten
ZAHLEN & FAKTEN
Mit den für das Jahr
2024
registrierten
972
Anfragen beim Sekten-Info Nordrhein-Westfalen bewegen sich die Zahlen wieder auf dem langjährigen Niveau von den Jahren vor 2021 (jeweils um die 1000 Anfragen). Dieses war im Zuge der Corona-Krise 2021 und 2022 erhöht. Insbesondere die in diesen Jahren hohe Zahl an Anfragen zu Verschwörungstheorien ist wieder zurückgegangen. Im Vergleich zu der Zeit davor ist sie jedoch immer noch hoch. Auffällig ist der gestiegene Anteil an Anfragen zum christlichen Fundamentalismus.
Bei den 972 Anfragen an unsere Beratungsstelle konnten wir 414 Personen mit kürzeren, aufklärenden Gesprächen und Informationsmaterial ausreichend unterstützen. Gegenüber der rückläufigen Zahl an Informationsanfragen ist die Zahl der Beratungen mit intensiveren und längeren Gesprächsverläufen auf 558 Fälle gestiegen. Schulen, Jugendämter, Therapeut*innen und Psychotherapiepraxen suchten fachlichen Kontakt zu uns in 24 Fällen. Die 414 Informationsanfragen und die 558 Beratungsfälle wurden in der folgenden Übersicht - wie stets - in zehn Kategorien zusammengefasst. Insgesamt erreichten uns Anfragen zu etwa 450 verschiedenen Gruppierungen und Anbieter*innen (vgl. Diagramm 1). Ab S.10 werden die Kategorien im Einzelnen betrachtet.
Diagramm 1: Summe Beratungsfälle und Informationsanfragen
Der überwiegende Teil der Anfragen bezieht sich auf viele kleinere Gruppen - etwa freikirchliche Gemeinden, spirituelle Meditations- und Yogagruppen, sowie Einzelanbieter*innen problematischer esoterischer Lebenshilfe, unseriöse Heilpraktiker*innen, Geistheiler*innen und Coachinganbieter*innen. Die Grenzen zwischen den Kategorien sind fließend.
Der Trend zum Rückzug aus den großen institutionalisierten Religionsgemeinschaften geht weiter und so gehört eine Mehrheit der Bevölkerung mittlerweile keiner der beiden großen Kirchen mehr an. Deren Mitglieder kommen gemeinsam auf 45%, Konfessionslose auf 47% der Gesamtbevölkerung.
Werden die Mitglieder anderer Religionen dazugezählt und bedenkt man die konfessions- und institutionsungebundenen Formen von Religiosität, geht mit dem Verlust an Kirchenmitgliedern keineswegs eine generelle Säkularisierung einher. Werteorientierung, Sinnfragen und Lebenshilfe werden zunehmend abseits offizieller Institutionen über soziale Netzwerke angeboten und verhandelt. Individuelle Bedürfnisse werden zielgruppengenau und schnell über Algorithmen anhand des Nutzerverhaltens bei der Mediennutzung im Internet erfasst und mittels Videoclips mit Lebenshilfe, esoterischem Angebot, Predigten und Coaching beantwortet.
Der Siegeszug der
sozialen Medien
weist auch Schattenseiten und ein Gefährdungspotential im weltanschaulichen Bereich auf.
TicToc-Terrorismus
und
TicToc Radikalisierung
, bzw.
Terrorgram
in Anlehnung an
Telegram
bezeichnen eine Radikalisierung allein über den Kontakt in den sozialen Medien. Und die setzt bereits bei jungen Teenagern an. Auch die Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BaMF) sieht einen seit Jahren verfestigten Trend, „dass islamistische Propaganda zunehmend sehr junge Zielgruppen erreicht“. Influencer auf Kanälen wie "Generation Islam", "Realität Islam" oder "Muslim-Interaktiv" behaupten in deutscher Sprache, den wahren – aber in Deutschland unterdrückten - Islam zu repräsentieren. Radikalisierte Jugendliche sehen sich leichter zu Anschlägen aufgerufen. Gemäßigte deutsche Moscheegemeinden kommen bisher nur wenig mit eigenen Inhalten und entsprechendem Korrektiv auf
TicToc
vor.
Laut CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) zeigen sich im als Terrorgram bezeichneten Netzwerk eine Vielzahl destruktiver Taktiken und Strategien. Der hierfür verwendete Begriff Militanter Akzelerationismus bezeichnet dabei Aktivitäten, die darauf abzielen, latente soziale Spaltungen durch Hasspropaganda und auch gewaltvolle Aktionen zu verschärfen, um den Zusammenbruch dieser von ihnen verhassten liberalen Gesellschaft zu beschleunigen. Etliche der dort von CeMAS untersuchten deutschen User*innen entstammen der rechtsextremen Szene und propagieren solche Aktivitäten.
Sowohl die islamistische als auch die rechtsradikale Szene lehnen die pluralistische freiheitlich demokratische Werteordnung ab und suchen Anhänger*innen gerade auch unter den Jugendlichen. Beide extremistischen Szenen teilen neben der Gewaltbereitschaft auch durchgehende antisemitische, misogyne und rassistische Überzeugungen. Es finden sich ähnliche Vorstellungen von einem gewünschten Niedergang der liberalen Gesellschaft. Diese müsse zunächst untergehen, um die Menschen zur (jeweiligen) wahren Ordnung zurückzuführen.
Diese Vorstellung von einer wiederherzustellenden und zu bewahrenden „göttlichen“ Ordnung entgegen dem als dekadent bewerteten Zeitgeist wird auch in (überwiegend gewaltfreien) fundamentalistisch christlichen Kreisen geteilt. Einige Influencer*innen dieser Szene plaudern mit biblischer Begründung – aber mit modernem Design und aktueller Technik - für z.B. die Unterordnung der Frau unter den Mann. Entsprechend inszenieren sich manche Influencerinnen als
„Tradwifes“
, also als „traditionelle“ Frauen, in ihrer biblischen Bestimmung.
Bei den jeweiligen reaktionären Vorstellungen sind Diskurs und Zweifel unerwünscht. Die perfekt im Handy-Format in Szene gesetzte Ausstrahlung von Gewissheit zieht Jugendliche bei der Suche nach der eigenen Identität und Orientierung in einer Welt voller Ungewissheiten und Krisen geradezu magisch an.
Die Weiterentwicklungen bei der
„Künstlichen Intelligenz“
finden auch im religiösen Bereich Anwendung. Chatbots, die auf individualiserte Bedürfnisse programmiert wurden, erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. In einer Schweizer Kapelle fand 2024 ein experimentelles Projekt mit der Hochschule von Luzern viel Beachtung. Zwei Monate lang konnten Besucher mit einem KI-generierten Jesus-Avatar sprechen. Die Worte der Besucher wurden aufgenommen und in einen Computer gespeist. Die Antwort wurde mit ChatGPT generiert und von dem Avatar geäußert. 60 Prozent der Menschen, die sich dazu äußerten, hätten sich religiös-spirituell angeregt gefühlt. Es gab aber auch Aussagen des Avatars, die ein veraltetes Bild von Frauen und Jesus aufwiesen. Eine kleine Tech-Firma aus Los Angeles hatte bereits 2023 eine App entwickelt, mit der Nutzer*innen mit KI-Hilfe mit biblischen Figuren plaudern können. Die App mit Jesus-Chat wurde schnell ein Hit. Beliebt war aber auch der Chat mit dem KI-Satan, der sich jedoch nur zu biblischen Themen äußert.
Auch für weitere Bereiche gibt es Anwendungen. Ein ChatBot konnte erfolgreich die Zustimmung zu Verschwörungstheorien senken. Das für eine Studie entwickelte Programm wurde vorab mit schriftlich eingereichten Glaubensaussagen zu Verschwörungen trainiert und konnte daraufhin präziser, faktenbasiert und mit freundlicher KI-Geduld auf die individuellen Vorstellungen eingehen. Die Bereitschaft zur Teilnahme an einer wissenschaftlichen Studie kann bei Verschwörungsgläubigen allerdings kaum generell vorausgesetzt werden.
Lassen diese und therapeutisch genutzte Programme ungeahntes Potenzial konstruktiver KI-Anwendungen erahnen, so ist die Vorstellung spezifisch trainierter KI-Programme zur Manipulation von Einzelpersonen und Gruppen eher besorgniserregend. Die Aussicht auf eine sich selbst weiterentwickelnde generelle KI, deren Ergebnisse nicht mehr ohne weiteres nachvollziehbar sind und die nicht mehr kontrollierbar wäre, weckt ebenfalls Unbehagen.
Während manch transhumanistische Vorstellungen vom Upload des menschlichen Bewusstseins in eine Computercloud noch Science-Fiction sind, ermöglicht die „KI“ leider aktuell immer raffiniertere Täuschungen. Entsprechende Apps, um Personen in Videoclips beliebige Botschaften unterzujubeln, sind für jeden verfügbar. „Deepfakes“ ermöglichen immer schwieriger zu erkennende Fälschungen. Das Vertrauen in das im Video festgehaltene, gesprochene Wort und sogar in wissenschaftliche Dokumentationen geht verloren. Eine eigene Einschätzung aufgrund seriöser Daten wird damit erschwert, denn welchen Quellen kann getraut und wie können Fakenews erkannt werden? Der erhöhte Aufwand mittels Faktenchecks und Methoden zur Bildanalyse von Deepfakes kann nicht von allen geleistet werden.
Problematischen Gruppierungen wird durch neue technologische Möglichkeiten ein höheres Maß an Informationskontrolle ermöglicht, was wiederum Abhängigkeiten weiter fördern kann. Die Beratungs- und Präventionsarbeit wird sich hierauf einstellen: Neue Möglichkeiten der Gefahren müssen analysiert und Hilfestellungen erarbeitet werden. Wenn die Suche nach seriösen Quellen im Internet nicht mehr ohne Mühen verlässliche Ergebnisse gewährleistet und die schnell verfügbaren Ergebnisse in den sozialen Medien beliebig manipuliert sein können, dann bleibt das persönliche vertrauliche Gespräch eine wichtige Ressource. Unsere Berater*innen bleiben entsprechend gefordert, die Entwicklungen der sich stetig verändernden weltanschaulichen Szene zu beobachten, um den Bedarf an neutraler, orientierender Information und unterstützender Beratung gewährleisten zu können.
Art der Betroffenheit
27% der Anfragen an unsere Beratungsstelle kamen von Selbstbetroffenen. Weitere 33% verteilten sich auf nahe Angehörige oder den/ die Partner*in. 9% kamen aus dem Umfeld von Bekannten und Kolleg*innen. 4% aus Schulen und Hochschulen mit Bitten um Unterstützung bei (Hoch-) Schulprojekten, sowie aus der Schulsozialarbeit. Bei 20% baten uns Personen im Rahmen eines institutionellen Arbeitsauftrages um Hilfe (z.B. andere Beratungsstellen, Jugendhilfe, Therapeut*innen, Polizei). Der Anteil an Fragen von Pressemedien betrug 7%. (vgl. Diagramm 2).
Diagramm 2: Informationsanfragen und Beratungsfälle aufgeteilt nach Art der Betroffenheit
Diagramm 3: Informationsanfragen im Vergleich der letzten fünf Jahre
Diagramm 4: Beratungsfälle im Vergleich der letzten fünf Jahre
Informationsanfragen und Beratungsfälle 2024 im Einzelnen
(...)
Weiterlesen:
Bericht über die Arbeit des Sekten-Info NRW und die Aktivitäten neuer religiöser Gemeinschaften 2024
Link zum Jahresbericht als PDF
Jahresbericht 2024 PDF
Endnoten:
https://fowid.de/meldung/religionszugehoerigkeiten-2024, abgerufen am 16.04.2025.
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/swift-anschlagsplaene-is-terror-tiktok-radikalisierung-100.html, abgerufen am 24.04.2025.
https://www.tagesspiegel.de/politik/bericht-uber-viele-minderjahrige-bei-terrorgram-hunderte-deutsche-sind-offenbar-in-rechtsextremen-telegram-chatgruppen-aktiv-13550518.html, abgerufen am 24.04.2025.
https://www.rnd.de/politik/tiktok-radikalisiert-teenager-wie-junge-maenner-zu-dschihadisten-werden-7GDREYSP5VBPBMEJX2ITL3D2IA.html, abgerufen am 24.04.2025.
https://cemas.io/publikationen/deutsche-im-terrorgram-netzwerk/, abgerufen am 24.04.2025.
https://www.br.de/nachrichten/kultur/religioese-influencer-zwischen-naechstenliebe-und-hass,Uhm4U7D, abgerufen am 24.04.2025.
https://www.spiegel.de/panorama/schweiz-ki-jesus-nimmt-beichten-ab-und-polarisiert-a-23c314ea-49b0-4cde-9c2e-58cda5423eab, abgerufen am 24.04.2025.
https://www.evangelisch.de/inhalte/221054/21-09-2023/app-text-jesus-ki-basierte-gespraeche-mit-bibelfiguren, 24.04.2025.
https://www.sciencemediacenter.de/angebote/ki-senkt-zustimmung-zu-verschwoerungstheorien-24129, abgerufen am 24.04.2025.