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Scientology - Religionsgemeinschaft oder nicht?

Eine zusammenfassende Darstellung der bisherigen Rechtsprechung

Anfang des Jahres 2008 startete die Scientology-Organisation eine bundesweite PR-Kampagne. Diese umfasste neben einem Flugblatt auch eine Broschüre: „30 Jahre Anerkennung nach Artikel 4 Grundgesetz Religionsfreiheit der Scientology Kirche in Deutschland 1978 - 2008“. In dieser über 20 Seiten umfassenden Broschüre heißt es: „Scientology wird weltweit als Religionsgemeinschaft anerkannt. Auch in Deutschland gibt es über 50 Gerichtsurteile, die die Religionseigenschaft der Scientology bestätigen“. Im Anschluss daran werden die gerichtlichen Entscheidungen angeführt, welche angeblich bestätigen, dass es sich bei der Scientology-Organisation um eine Religionsgemeinschaft handelt. Diese Entscheidungen verdienen eine genauere Betrachtung. Denn so werden einige dieser Entscheidungen zu Gunsten von Scientology nicht richtig oder nicht vollständig zitiert. Es werden Urteile angeführt, welche die Frage, ob es sich bei der Scientology-Organisation um eine Religionsgemeinschaft handelt, ausdrücklich offen gelassen haben. Auch fehlt bei einigen Entscheidungen der Hinweis darauf, dass diese in der nächsten Instanz aufgehoben wurden. Dadurch wird der Eindruck erweckt, dass die Scientology-Organisation von den deutschen Gerichten überwiegend als Religionsgemeinschaft anerkannt wird. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr wird die Frage, ob die Scientology-Organisation den Charakter einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft erfüllt, in der Rechtsprechung nach wie vor nicht einheitlich beantwortet. Die höchsten deutschen Gerichte haben die Frage bisher überwiegend offen gelassen. Insbesondere das Bundesverfassungsgericht hat – entgegen der Aussage der Scientology-Organisation – bisher nicht angenommen, dass es sich bei Scientology um eine Religionsgemeinschaft handelt. Die Kampagne der Scientology-Organisation soll daher zum Anlass genommen werden, einen zusammenfassenden Überblick der Rechtsprechung zu dieser Frage zu geben.


Der Schutz des Art. 4 Grundgesetz

Das Grundgesetz garantiert in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die Glaubens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Diese Freiheit umfasst das Recht eines jeden Menschen, eine subjektive Überzeugung in Bezug auf Glauben, Religion und Weltanschauung zu haben und diese auch nach außen zu bekennen und danach zu handeln.(1) Das Grundrecht schützt nicht nur den Einzelnen, sondern in seiner kollektiven Schutzrichtung auch die religiösen und weltanschaulichen Tätigkeiten von Vereinigungen.(2)

Die Religionsfreiheit findet ihre Schranken in den Grundrechten anderer Menschen und sonstigen elementaren Grundwerten der Verfassung.

Der Schutz von Art. 4 GG bedeutet, dass sowohl der Einzelne als auch die jeweilige Gemeinschaft gegen unberechtigte staatliche Eingriffe geschützt wird. Dabei entfaltet Art. 4 GG auch eine Ausstrahlungswirkung auf die übrige Rechtsordnung und kann daher z.B. bei der Auslegung einer einfachgesetzlichen Norm eine Rolle spielen. Dies heißt jedoch im Umkehrschluss nicht, dass die Religionsgemeinschaften oder ihre Mitglieder nicht mehr an das geltende Gesetz gebunden sind. Insofern kommt es oftmals bei der Beurteilung rechtlicher Sachverhalte – was die Darstellung der Rechtsprechung im Hinblick auf die Scientology-Organisation verdeutlichen wird – gar nicht auf die Eigenschaft einer Vereinigung als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft an.

 

Rechtliche Anforderungen an eine Religionsgemeinschaft


Entgegen der weit verbreiteten Ansicht ist eine formelle Anerkennung einer Gruppierung als Religionsgemeinschaft im deutschen Recht nicht vorgesehen. Es gibt aber einige rechtliche Bestimmungen, die „Religionsgemeinschaften“ besondere Rechte einräumen. Die sich daraus ergebende Frage, wie man eine Religionsgemeinschaft definiert, wird im Gesetz allerdings nicht beantwortet. Nach herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung versteht man unter einer Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft, einen Zusammenschluss von Personen mit einem gemeinsamen religiösen bzw. weltanschaulichen Konsens, die ihren einer Religion oder Weltanschauung zugeordneten Konsens in umfassender Weise bezeugen.(3)

Maßstab für die Beurteilung, ob es sich bei einer betrachteten Organisation um eine Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft handelt ist dabei zunächst ihr Selbstverständnis.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Beschluss aus dem Jahr 1968 (4)  die Bedeutung des religiösen Selbstverständnisses hervorgehoben und festgehalten, dass bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung der Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, das Selbstverständnis der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft nicht außer Acht bleiben dürfe.

Allerdings genügt das alleinige Abstellen auf das jeweilige Selbstverständnis oder die Eigendefinition einer Vereinigung nicht, um den Charakter als Religionsgemeinschaft anzunehmen. Hinzukommen müssen auch objektive Kriterien.

Es reicht also nicht aus, dass die Scientology-Organisation sich selbst als „Kirche“ oder „Religionsgemeinschaft“ bezeichnet. So stellte das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1991 (5)  klar, dass allein die Behauptung und das Selbstverständnis einer Gemeinschaft, sie bekenne sich zu einer Religion, den Schutz von Art. 4 GG nicht rechtfertigen kann. Vielmehr müsse es sich auch tatsächlich, „nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild“, um Religion und eine Religionsgemeinschaft handeln. Dies im Streitfall zu prüfen und zu entscheiden, liege als Anwendung einer Regelung der staatlichen Rechtsordnung - beim Staat, letztlich bei den Gerichten. Dabei - so stellte das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich heraus - üben die Gerichte keine freie Bestimmungsmacht aus, sondern haben den von der Verfassung gemeinten oder vorausgesetzten Begriff der Religion zugrunde zu legen. Maßgebend dabei sei die aktuelle Lebenswirklichkeit, Kulturtradition und allgemeines wie auch religionswissenschaftliches Verständnis.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1992 explizit darauf hingewiesen, dass diese Grundsätze auch bei der Beurteilung der Scientology-Organisation anzuwenden sind.(6)

Ob es sich bei den scientologischen Lehren um eine Religion bzw. Weltanschauung handelt, wird von den Gerichten unterschiedlich beurteilt. Der Hauptstreitpunkt ist die allerdings die Frage, ob diese Lehren von der Organisation nur als Vorwand für eine ausschließlich wirtschaftliche Zielsetzung benutzt werden. Dies würde nach überwiegender Auffassung zum Ausschluss des Schutzes von Art. 4 GG führen.

 

Rechtsprechung zur Frage der Religionsgemeinschaft bei Scientology


Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1995 (7) die Auffassung vertreten, dass die Scientology-Organisation keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft, sondern eine „Institution zur Vermarktung bestimmter Erzeugnisse“ sei. Dabei diene die religiöse oder weltanschauliche Lehre lediglich als Vorwand für die Verfolgung von wirtschaftlichen Zielen. Das Gericht sah in der Erzielung von Gewinn einen Hauptzweck von Scientology und stützte dies u.a. auf folgende Aspekte: Betreibung eines Gewerbes und Erzielung von Gewinnen, Eintragung von Scientology als Marke/Warenzeichen, Erhebung von Lizenzgebühren, Verwendung von Copyright-Vermerken sowie interne „Ethik“ - Richtlinien, wonach „Nachlässigkeit oder Unterlassungen im Hinblick auf den Schutz der Urheberrechte, Schutzmarken, Warenzeichen oder eingetragenen Namen von Scientology“ ein „Verbrechen“ darstellt. Das Bundesarbeitsgericht führte dazu aus „Eine solche Kommerzialisierung, die auch interne „Kirchen“ - Anordnungen betreffe, ist für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften höchst ungewöhnlich“. Darüber hinaus seien sämtliche religiösen Dienste und die Mitgliedschaft vollständig „kommerzialisiert“ und es finde eine „intensive geschäftliche Werbung“ statt. Des Weiteren hat das Gericht einige Anschauungen der Organisation als menschenverachtend eingestuft, wie die völlige Abwertung leistungsschwacher Mitarbeiter oder die Art und Weise, in der Mitarbeiter zu immer neuen Höchstleistungen getrieben werden. Elemente der „Ethik“ der Scientology, etwa einige interne Straftatbestände oder die Lehre von „unterdrückerischen Handlungen“, weisen nach Einschätzung des Bundesarbeitsgerichts totalitäre Tendenzen auf.

Entgegen der Aussage der Scientology-Organisation ist das Bundesarbeitsgericht von seiner Ansicht nicht abgerückt, sondern hat die Frage in einem neueren Beschluss (8) lediglich offengelassen: „Einer Entscheidung, ob der Beklagte eine Religionsgemeinschaft ist oder in Wahrheit ein wirtschaftlicher Verein, bedarf es nicht.“

Dagegen kam das OVG Hamburg in einem Beschluss aus dem Jahr 1994 (9) - nach vorläufiger Einschätzung (10) - zu dem Ergebnis, dass der Scientology-Organisation zumindest der Charakter als Weltanschauungsgemeinschaft nicht abzusprechen sei. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Betätigung der Organisation folgte das Gericht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach der Schutz der Religionsfreiheit entfällt, sofern die religiösen Lehren lediglich als Vorwand für die Verfolgung rein wirtschaftlicher Ziele dienen. Das Gericht räumte zwar ein, dass diesbezüglich Anhaltspunkte bei Scientology vorhanden seien, es aber an zureichenden Gründen, die dem Gericht diese Feststellung erlauben würde, fehle. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung unterblieb wegen der eingeschränkten Möglichkeiten eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes.

Darüber hinaus gibt es einige frühere Entscheidungen, welche zu der Annahme gelangen, bei der Scientology-Organisation handele es sich um eine Religionsgemeinschaft. Diese stellen überwiegend auf das Selbstverständnis von Scientology ab. Das Landgericht Hamburg (11) lässt dafür genügen, dass in der Satzung des betreffenden Scientology-Vereins „von einem Gott und von Religion die Rede“ ist und sich der Verein darin selbst als „Kirche“ bezeichne. Zum gleichen Ergebnis gelangen das Verwaltungsgericht Berlin (12) und das Verwaltungsgericht Frankfurt (13), wobei sich diese ausdrücklich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1968 beziehen.(14)

Ohne die Frage in irgendeiner Weise zu problematisieren (aber auch nicht vor dem Hintergrund einer Prüfung des Art. 4 GG) bezeichnete der BGH (15) in einer Entscheidung aus dem Jahr 1980 im Rahmen eines Amtshaftungsverfahrens zwei zur „Scientology-Bewegung“ gehörende Vereine als „Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften“.

Überwiegend ist die Streitfrage jedoch nicht als entscheidungserheblich für den konkreten Rechtsstreit eingeordnet worden. So haben das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht diese Frage bisher offen gelassen.

Das Bundesverfassungsgericht wird in der Broschüre der Scientology-Organisation dennoch mit einem Beschluss aus dem Jahr 2002 (16) zitiert. In dieser Verfassungsbeschwerde ging es um einen CDU Parteiausschluss zweier Scientology Mitglieder. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde mangels Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen und sich lediglich dahingehend geäußert, dass selbst wenn man zugunsten der Beschwerdeführer davon ausginge, dass Scientology eine Weltanschauungsgemeinschaft sei, die Verfassungsbeschwerde nicht erfolgreich wäre.(17) Insofern war eine Entscheidung dieser Frage für den vorliegenden Sachverhalt nicht erforderlich.

Auch die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts werden in der Publikation der Scientology-Organisation nicht richtig zitiert. In der angeführten Entscheidung aus dem Jahr 1997 (18) wies das Bundesverwaltungsgericht in einer den Entzug der Rechtsfähigkeit eines Scientology Vereins betreffenden Entscheidung darauf hin, dass die Anwendbarkeit des Art. 4 GG für die Bewertung des Vereins als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb i.S. des § 43 Abs. 2 BGB ohne Belang sei. Zu dem gleichen Ergebnis kam das Bundesverwaltungsgericht in dem Verfahren aus dem Jahr 1995 (19) über die Verpflichtung von Scientology Vereinen, ihre Tätigkeit als Gewerbe nach § 14 Gewerbeordnung anzumelden.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer aktuellen Entscheidung aus dem Jahr 2005 (20) lediglich klargestellt, dass der Einzelne, welcher der scientologischen Lehre anhängt, sich auf Art. 4 GG berufen kann. Das Gericht führte dazu aus, dass selbst wenn die Scientology- Organisation mit den von ihr propagierten ideellen Zielen in Wahrheit ausschließlich wirtschaftliche Interessen verfolge, dies dem einzelnen Mitglied, welches an die Lehre glaube, nicht den Schutz von Art. 4 GG nehme. Damit wurde zwar die scientologische Lehre unter Berufung auf die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (21) dem Begriff des Glaubens und der Weltanschauung zugeordnet. Die Frage, ob die Scientology-Organisation selbst als Weltanschauungs- oder Religionsgemeinschaft anzusehen ist und deshalb den Schutz von Art. 4 GG genießt, hat das Bundesverwaltungsgericht aber auch in dieser Entscheidung offen gelassen. Im Übrigen hat auch die Vorinstanz - das OVG Hamburg - diese Frage ausdrücklich offen gelassen.

Auch in den bisherigen finanzgerichtlichen Verfahren wurde nicht festgestellt, dass es sich bei der Scientology-Organisation um eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft handelt. Trotzdem wird eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs in der Scientology Broschüre angeführt.

Hintergrund des in der Broschüre zitierten Verfahrens des Bundesfinanzhofs (22) war eine Entscheidung des Finanzgerichts Münster (23). Dieses hatte einen Scientology-Verein mangels Gemeinnützigkeit für umsatzsteuerpflichtig erklärt. Dagegen hatte der betreffende Scientology-Verein Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt, der das Urteil des Finanzgerichts Münster wegen eines Formfehlers („Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs“) aufhob und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das Finanzgericht in Münster zurückverwies. Eine materiell-rechtliche Prüfung der Frage, ob Scientology gemeinnützige (religiöse) Zwecke i. S. des § 52 Abgabenordnung (AO) verfolgt und damit berechtigt ist Steuervergünstigungen in Anspruch zu nehmen, erfolgte nicht. Zur Prüfung dieser Frage kam es auch vor dem Finanzgericht Münster nicht, da Scientology die Klage kurz vor dem geplanten Prozessbeginn im Jahr 2000 zurücknahm. Damit wurden die Umsatzsteuerbescheide unanfechtbar.(24

In diesem Zusammenhang zu erwähnen sind auch zwei Verfahren des Finanzgerichts Köln (25). Das Gericht entschied in diesen Verfahren, dass aufgrund Art. 12 des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) zwischen Deutschland und der USA die Lizenzgebühren, welche die Lizenznehmer aus Deutschland (Scientology-Niederlassungen und die sog. „ehrenamtlichen Geistlichen“) an die jeweiligen Dachverbände der Scientology-Organisation in den USA („Scientology Mission International“ und „International Hubbard Ecclesiastical League of Pastors“) abführen, steuerfrei sind. Es handelt sich um Gebühren für die Verwendung von Markenzeichen, Kurse und Dienstleistungen der Scientology-Organisation. Nach dem DBA kann eine in einem der Vertragsstaaten (hier: USA) ansässige natürliche oder juristische Person, die Einkünfte aus einem anderen Vertragsstaat (hier: Deutschland) bezieht, Vergünstigungen nach dem DBA beanspruchen, wenn sie in einem Vertragsstaat (hier: USA) von der Einkommenssteuer freigestellt ist. Die Scientology-Organisation ist als von der amerikanischen Bundeseinkommenssteuer befreite Organisationen eingestuft.(26) Dies war letztlich entscheidend. Das Gericht legte Art. 28 DBA dahingehend aus, dass es ausreicht, wenn eine Freistellung im Ansässigkeitsstaat (hier USA) vorliegt. Nicht zu prüfen war daher die Frage, ob die jeweiligen Dachverbände die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung auch nach deutschen Steuervorschriften erfüllen. Somit wurde auch in diesen Entscheidungen nicht festgestellt, dass die Scientology-Organisation gemeinnützige (religiöse) Zwecke i. S. des § 52 AO verfolgt. Dennoch interpretiert die Scientology-Organisation das Urteil in der dazugehörenden Presseerklärung wie folgt: „Diese Entscheidung ist ein wichtiger Schritt ....., genauso wie andere Religionsgemeinschaften in Deutschland behandelt zu werden…“ Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg (27) stellte dagegen fest, dass die Entscheidungen des Finanzgerichts Köln eher in eine andere Richtung als die Selbstdarstellung der Scientology-Organisation weist. So hält das Finanzgericht Köln (28) u.a. fest: „Das Verhältnis zwischen der Klägerin und ihren Lizenznehmern war sowohl nach der Selbstdarstellung der Klägerin als auch nach der Darstellung des Beklagten ökonomisch bestimmt. Besondere Beziehungen zwischen der Klägerin und den Lizenznehmern im Hinblick auf Weltanschauungsfragen sind von der Klägerin mehrfach ausdrücklich in Abrede gestellt worden.“

Auch in aktuellen Entscheidungen setzt sich die Tendenz fort, dass die Frage, ob die Scientology-Organisation als eine Religionsgemeinschaft anzusehen ist, als nicht entscheidungserheblich angesehen wird. So hat das OVG Münster (29) in der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Beobachtung von Scientology durch das Bundesamt für Verfassungsschutz festgehalten: „Ohne Erfolg bleibt der Einwand der Kläger, als Religionsgemeinschaft sei ihr Handeln primär religiös bestimmt. Selbst wenn die Kläger, ihrem Selbstverständnis folgend, als Religionsgemeinschaft zu qualifizieren sind, hindert dies nicht, ihr in den weltlichen Bereich wirkendes tatsächliches Verhalten nach weltlichen Kriterien zu beurteilen.“

Auch der Verwaltungsgerichtshof Mannheim (30), der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (31) und zuletzt das Verwaltungsgericht Ansbach (32) haben sich in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. S. 21) dahingehend geäußert, dass die Klärung der Frage, ob die Scientology im Rechtssinne eine Religionsgemeinschaft ist, für die Entscheidung über den Entzug der Rechtsfähigkeit eines eingetragenen Vereins ohne Bedeutung ist.

Der VGH Mannheim (33) hatte jüngst darüber zu entscheiden, ob die Erhebung von Sondernutzungsgebühren für Veranstaltungen der Scientology-Organisation rechtmäßig ist. Das Gericht bejahte dies und stufte die betreffende Veranstaltung als gebührenpflichtige Werbeveranstaltung ein, welche weder ausschließlich gemeinnützigen noch überwiegend öffentlichen Interessen diene. Der werbende Charakter der Veranstaltung sei gerade vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Scientology-Organisation und ihre Untergliederungen in großem Umfang wirtschaftlich tätig seien. Die Scientology-Organisation könne der Beurteilung, dass die Veranstaltung zumindest mittelbar ökonomischen Interessen gedient habe, nicht entgegenhalten, dass sie sich selbst als Religionsgemeinschaft verstehe. Denn so führte das Gericht unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungs- und Bundesarbeitsgerichts (vgl. S. 19 ff.) aus: „Bereits an der Qualifizierung der Klägerin als Religionsgemeinschaft bestehen nicht unerhebliche Zweifel“. Letztlich könne eine Entscheidung dieser Frage aber offen bleiben, da die Scientology-Organisation selbst wenn ihr die Eigenschaft einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft zukommen sollte, dadurch nicht von der Einhaltung allgemeiner wertneutraler Normen befreit sei und daher straßenrechtliche Vorschriften beachten müsse.

 

Fazit


Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Frage, ob die Scientology-Organisation als Religionsgemeinschaft anzusehen ist, von den Gerichten unterschiedlich beurteilt wird. Während das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung aus dem Jahr 1995 in der religiösen bzw. weltanschaulichen Lehre nur einen Vorwand für die Erreichung wirtschaftlicher Ziele sieht, erkennt das OVG Hamburg im Jahr 1994 nach vorläufiger Einschätzung, dass Scientology zumindest der Charakter als Weltanschauungsgemeinschaft nicht abzusprechen sei. Überwiegend wurde die Frage, ob die Scientology-Organisation als Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft zu qualifizieren ist, jedoch für das jeweilige Verfahren als unerheblich betrachtet. Das Bundesverfassungsgericht, das Bundesverwaltungsgericht, der Bundesfinanzhof und auch das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung aus dem Jahr 2002, haben - entgegen der Aussage der Scientology-Organisation – die Frage offengelassen.
Die Behauptung der Scientology-Organisation, es liege eine 30-jährige Anerkennung als Religionsgemeinschaft durch deutsche Gerichte vor, ist mithin irreführend und entspricht nicht der gegenwärtigen Rechtslage.

 

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte


In der Kampagne der Scientology-Organisation wird insbesondere eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (34) hervorgehoben. So heißt es „... der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied ebenfalls in einem bahnbrechenden Präzedenzfall, dass die Scientology den Schutz der Menschenrechtsgarantien als religiöse Vereinigung (Art. 9 und 11 Europäische Menschenrechtskonvention) genießt. Das Urteil wirkt sich auf alle 46 Mitgliedstaaten des Europarates aus.“ Dadurch wird suggeriert, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eine für alle Mitgliedsstaaten verbindliche „Anerkennung“ der Scientology-Organisation als Religionsgemeinschaft vorgenommen. Dies ist jedoch nicht zutreffend. Gegenstand der Entscheidung war allein die konkrete Rechtslage in Russland. Die russischen Behörden hatten es wiederholt abgelehnt, die „Church of Scientology Moscow“ als Religionsgemeinschaft zu registrieren. Diese war seit 1994 in Russland als religiöse Vereinigung anerkannt. Nach Erlass eines neuen Religionsgesetzes im Jahre 1997 bedurfte es einer neuen Registrierung aller zuvor bereits registrierten Vereinigungen. Die russischen Behörden lehnten dies gegenüber der Scientology-Organisation wiederholt ab. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat diesbezüglich entschieden, dass die konkrete Ablehnung der „Church of Scientology Moscow“ nicht in Übereinstimmung mit dem russischen Religionsgesetz und damit rechtsgrundlos erfolgt sei, was zugleich ein Verstoß gegen die in Art. 11 Europäische Menschenrechtskonvention garantierte Vereinigungsfreiheit darstelle. Der Gerichtshof befand dabei lediglich, dass die Verletzung der Vereinigungsfreiheit „im Licht der Religionsfreiheit“ zu lesen sei. Eine darüber hinausgehende Prüfung, ob es sich bei der Scientology-Organisation als solche um eine Religionsgemeinschaft im Sinne von Artikel 9 Europäischer Menschenrechtskonvention handelt, hat nicht stattgefunden. Damit wurde also nicht über die grundsätzliche Frage entschieden, ob es sich bei der Scientology-Organisation um eine Religionsgemeinschaft handelt.

Das Urteil bezieht sich allein auf die spezifische Situation in Russland und hat entgegen den Behauptungen der Scientology-Organisation keinerlei Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland.
 

 

Literatur:

Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 8. Auflage, München, 2006

Scholz, „Neue Jugendreligionen“ und Grundrechtsschutz nach Art. 4 GG, NVwZ 1992, S. 1152 - 1155

Werner/Schöch, Juristische Bewertung, in: Küfner, Nedopil, Schöch (Hrsg.), Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology. Eine Untersuchung psychologischer Beeinflussungstechniken bei Scientology, Landmark und der Behandlung von Drogenabhängigen, Lengerich, 2002, S. 367-475

 
 
Endnoten
1 Jarrass/Pieroth, Art. 4 GG Rn. 10 m.w.N.
2 BVerfG, Beschluss vom 26.06.2002 – 1 BvR 70/91, NJW 2002, S. 2626 (2627)
3 Scholz, NVwZ 1992, S. 1152 (1152) m.w.N.
4 BVerfG, Beschluss vom 16.10.1968 – 1 BvR 41/66, NJW 1969, S. 31 (32) - „Aktion Rumpelkammer“
5 BVerfG, Beschluss vom 05. 02.1991 – 2 BvR 63/86, NJW 1991, S. 2623 (2624) - Bahá'í“
6 BVerfG, Beschluss vom 28.08.1992 – 1 BvR 32/92, NVwZ 1993, S. 357 (358)
7 BAG, Beschluss vom 22.03.1995 – 5 AZB 21/94, NZA 1995, S. 823 (827ff.)
8 BAG, Beschluss vom 26.09.2002 – 5 AZB 19/1, NJW 2003, S. 161 (163)
9 OVG Hamburg, Beschluss vom 24.08.1994 – Bs III 326/93, NVwZ 1995, S. 498 (500)
10 Zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren ist es nach Auskunft der Hamburger Behörde für Inneres nicht gekommen, vgl. Werner, Schöch, in: Küfner/Nedopil/Schöch, 2002, S. 373
11 LG Hamburg, Beschluss vom 17.02.1988 – 71 T 79/85, NJW 1988, S. 2617 (2617)
12 VG Berlin, Urteil vom 12.10.1988 – 1 A 73/86, NJW 1989, S. 2559 (2559)
13 VG Frankfurt , Urteil vom 04.09.1990 – IV/2 – E 2234/86, NVwZ 1991, 195 (196)
14 vgl. Werner, Schöch, in: Küfner/Nedopil/Schöch, 2002, S. 372 f. m.w.N.
15 BGH, Urteil vom 25.09.1980 – Az. III ZR 74/78, NJW 1981, S. 675 (675)
16 BVerfG, Beschluss vom 28.03.2002 – 2 BvR 307/01, NJW 2002, S. 2227
17 a.a.O., S. 2228
18 BVerwG, Urteil vom 06.11.1997 – 1 C 18/95, NJW 1998, S. 1166 (1168)
19 BVerwG, Beschluss vom 16.02.1995 – 1 B 205/93, NVwZ 1995, S. 473 (475)
20 BVerwG, Urteil vom 15.12.2005 – 7 C 20/04, NJW 2006, S. 1303 (1304)
21 OVG Hamburg, Urteil vom 17.06.04  – 1 Bf 198/00
22 BFH, Urteil vom 21.08.1997 – VR 65/94
23 FG Münster, Urteil vom 25.05.1994 – 15 K 5247/87 U, EFG 1994, S. 810
24 Westfälische Rundschau, 06.06.2000
25 FG Köln, Urt. vom 24.10.2002 – 2 K 6627/96, FG Köln, Urt. vom 24.10.2002 – 2 K 6626/96, EFG 2003, S. 233
26 Die Entscheidung der US-Bundessteuerbehörde (IRS) zur Steuerfreistellung der Scientology-Organisation in den USA ist bis heute umstritten, vgl. Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, 2004, Der Kampf der „Scientology-Organisation“ um die Anerkennung der Gemeinnützigkeit in den USA und seine Auswirkungen auf Deutschland
27 Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, 2003 unter: http://www.verfassungsschutz-bw.de/so/files/so_berichte_2003_06.htm
28 FG Köln, Urteil vom 24.10.2002 – 2 K 6626/96, EFG 2003, S. 233 (238)
29 OVG Münster, Urteil vom 12.02.2008 – 5 A 130/05
30 VGH Mannheim, Urteil vom 12.12.2003 – 1S 1972/00, NVwZ-RR 2004, S. 904 (909)
31 VGH München, Urteil vom 02.11.2005 – 4 B 99.2582
32 VG Ansbach, Urteil vom 13.11.2008 – 16 K 06.03463
33 VGH Mannheim, Urteil vom 16.01.2008 – 5 S 393/06
34 EGMR, Urteil vom 05.04.2007 – 18147/02, NJW 2008, S. 495