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Autor: Christoph Grotepass 15.03.2005
Das deutsche Wort Kirche wie das englische Church entstammen dem altgriechischen kyriakos aus dem Urtext des Neuen Testamentes der Bibel. Es bedeutet etwa "dem Herrn gehörend". Als Begriff ist Kirche die Übersetzung für eklesia (Herausrufung). Dieses Wort bezeichnete die antike, griechische Bürgerversammlung und wurde für das hebräische qahal (Gemeinde, versammeltes Gottesvolk) verwendet.
Im deutschen Sprachgebrauch ist zu unterscheiden die institutionelle Organisation der Kirche von der Gemeinschaft der Gläubigen einer Kirche, dem Gebäude der Kirche sowie der Bezeichnung für den Gottesdienst. Oft ist mit Kirche eine Institution, meist in Gestalt der großen katholischen oder evangelischen Volkskirche, gemeint. Selten geworden ist Kirche als Synonym oder Kurzwort für Religion bzw. religiöse Themen.
Volkskirchliche Strukturen mit besonderem Rechtsstatus und Zugehörigkeitsregelung sind in den USA unbekannt. Daher meint das Wort church jede Gemeinschaft, die sich selbst so versteht. Die Vielfalt der religiösen Gemeinschaften lässt eine einheitliche Definition nicht zu. Aber es gibt eine Art nationales Verständnis von Religion.
In Deutschland hat die kulturelle Gestaltungsmacht der Volkskirchen zugunsten de-institutionalisierter Formen (u.a. Freikirchen, Sinnangebote des Weltanschauungsmarktes) abgenommen. Der fortschreitenden Säkularisierung folgt der Megatrend Religion. Der Ausdruck religiöser Themen im privaten wie öffentlichen Leben zeugt vom grundlegenden gesellschaftlichen Wandel, einer fortschreitenden Pluralisierung und Individualisierung: Spiritualität, verkaufsoffener Sonntag, Meditation, Wertewandel, Kruzifix-Urteil, Satanismus, Kopftuchstreit, gleichgeschlechtliche Ehe, Feng Shui, muslimischer Religionsunterricht, moderne Hexen, Stammzellenforschung, Fundamentalismus, Dalai-Lama, Selbstmordattentäter, Holocaust-Denkmal, Sterbehilfe, Esoterik, Scientology, Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft öffentlichen Rechts. Die Bürger fordern ihr von "Kirche" unabhängiges Mitsprache- und Mitgestaltungs-Recht, für sich persönlich und auch in der Gesellschaft - also im Verhältnis von Staat und Religion. Staatlicherseits hat die Auseinandersetzung mit der Church of Scientology beträchtliches Gewicht gewonnen und sogar zu diplomatischen Spannungen mit den USA geführt. Deutschland wurde (und wird) vorgeworfen, religiöse Minderheiten zu verfolgen. Die Scientology-Organisation betont stets, in den USA als Religionsgemeinschaft anerkannt zu sein. Genau hier lohnt sich zum besseren Verständnis der genauere Blick auf den Unterschied von Church und Kirche, bzw. die zugrunde liegenden Verhältnisse von Staat und Religion.
Die sich entwickelnden Konfessionsspaltungen des 16. Jahrhunderts bescherten Europa konkurrierende religiöse Wahrheitsansprüche. Sie führten mit weiteren sozialen und politischen Faktoren zu den konfessionellen Bürgerkriegen. Insbesondere in Deutschland, Frankreich und England hatten sie durch blutige Schlachten und große Migrationen die Verwüstung und Entvölkerung ganzer Landstriche zur Folge. Nur die sich entwickelnde Souveränität und religions-neutralisierende Säkularität des Staates konnte den bürgerlichen Frieden wieder sichern: "auctoritas, non veritas facit legem" - die (staatliche) Autorität, nicht die Wahrheit macht das Gesetz (Thomas Hobbes). Die Religion wurde damit stetig fortschreitend in den Bereich des Privaten und Persönlichen gedrängt.
Zuvor jedoch hatte der Westfälische Friede 1648 - mit der Unterordnung der Religion gegenüber dem Staat - die Territorialisierung der Religion zur Folge. Die Fürsten entschieden nun darüber, welche Religion in ihrem Herrschaftsbereich die zumeist einzig geltende sei. Toleranz war Mangelware und folglich hatte das Volk sich zu beugen oder zu gehen. Diejenigen, deren religiöse Werte und Selbstverständnis nicht mehr passend waren, wanderten nach und nach aus und verließen Europa in Scharen - in Richtung "Neue Welt"!
In Europa entwickelten sich im Folgenden sehr unterschiedliche Modelle des Verhältnisses von Staat und Kirche. Die heutigen Staaten haben Religionsverfassungen, die von einer Staatskirche wie in England bis zu einem laizistischen System wie in Frankreich reichen. Deutschland geht mit seinem System der Religionsfreiheit und Kooperation einen mittleren Weg. Die Europäische Union achtet den Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften in den Mitgliedstaaten, den sie dort nach deren Rechtsvorschriften genießen. Es besteht daher kein Anpassungsdruck zur Verfassungsänderung seitens der EU.
In den Vereinigten Staaten hat die bestehende strikte Trennung zwischen Staat und Kirche historisch gesehen nicht den Sinn, den Staat vor religiösen Einflüssen zu schützen, wie dies in Europa der Fall ist. Vielmehr geht es hier umgekehrt darum, das Religiöse vor staatlichem Einfluss zu bewahren.
Ab 1620 begründeten puritanische Einwanderer erste theokratisch (!) konzipierte Staaten. Mehrere Staaten hatten ihre Staatskirche oder waren von einer Glaubensgemeinschaft dominiert: Kongregationalisten in Neu-England, Puritaner in Massachussetts, Anglikaner in Virginia, Baptisten in Rhode Island. Reformierte (neben Katholiken, Anglikanern, Puritanern, Lutheranern, Mennoniten und Juden) in Nieuw Amsterdam, dem späteren New York. Die Pilgerväter schufen in der jungen Gesellschaft eine Vielzahl vor allem evangelischer Freikirchen und prägten in Amerika das Verständnis der Nation. Diese Bekenntnisvielfalt verstärkte sich durch immer neue Einwanderungswellen, aber auch durch inneramerikanische Konflikte, ethnisch-kulturelle und soziale Abgrenzungen und nicht zuletzt durch Bildung neuer religiöser Gemeinschaften wie z.B. "Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage" (Mormonen). Gerade sie sind oft als prototypische Amerikaner beschrieben worden. Nach dem langen Weg, dem "Mormon Trail" in die Wildnis von Utah in ihr gelobtes Land, scheinen sie für sich ihre "city upon the hill" - ihr himmlisches Jerusalem auf Erden am großen Salz-See mit Salt Lake City errichtet zu haben.
Der spätere Einfluss östlicher Religionen und Kulte führte zu zahllosen kleinen und größeren Gruppierungen. Verschiedenste Traditionen vermengen sich und finden milieuspezifische Ausdrucksformen. Die Konvertierungsbereitschaft ist hoch und die religiösen Gemeinschaften reagieren als effiziente, kundennahe Religionsdienstleister.
Viele Prominente leben diese Pluralität und Wandelbarkeit vor: Cat Stevens konvertierte zum Islam und heißt seitdem Yussuf Islam. Richard Gere, Harrison Ford, Uma Thurman und Keanu Reeves sind Buddhisten. Mel Gibson und Vater zählen sich der reaktionären katholischen Holy Family zu. David Lynch ist Anhänger der transzendentalen Meditation. Prince wurde Zeuge Jehovas; der ehemalige Zeuge Jehova Michael Jackson sympathisierte mit der radikalen "Nation of Islam", zu der schon Cassius Clay, alias Muhammad Ali übertrat. Britney Spears, Winona Ryder, Gwyneth Paltrow, Elizabeth Taylor, Paul Newman, Jeff Goldblum, Demi Moore, Naomi Campbell, Mick Jagger, Barbra Streisand und Donna Karan folgten der Pop-Ikone Madonna/ Esther, in das esoterisch-pseudojüdische Kabbalah-Center. Der Church of Scientology fühlen sich John Travolta, Lisa Marie Presley, Chick Corea, Al Jarreau, Julia Migenes und Tom Cruise verbunden. Ex-Präsident Ronald Reagan legte seine Geschicke und die der Nation in die Hände der Astrologin Joan Quigley. Und der amtierende Präsident George W. Bush versteht sich als "born-again" Christ.
Die Gründe für die Entwicklung der religiösen Weite und Toleranz der US-amerikanischen Gesellschaft liegen in der Geschichte ihrer Gründung. Die freiheitlichen Bedingungen und die sie garantierende Verfassung genießen selbst geradezu religiöse Verehrung. Hier lohnt es sich, nochmals einen Blick zurückzuwerfen.
Der Volksmund gab ihnen den bekannteren Namen Quäker (Zitterer) aufgrund der heftigen Zuckungen unmittelbar vor göttlichen Offenbarungen. Die konsequente Befolgung wörtlich ausgelegter Bibelstellen brachte die Quäker oft in Konflikt mit der Obrigkeit (Eid- und Kriegsdienstverweigerung, Ablehnung der Staatskirche) und führte zu Verfolgungen. Im 17. Jahrhundert setzte eine massive Auswanderungswelle der Quäker nach Amerika ein. Dreizehn fromme Auswandererfamilien aus Krefeld gründeten z.B. den Ort Germantown.
Als der englische König 1681 gegenüber der Familie Penn eine große Schuld durch ein riesiges Waldgebiet in Nordamerika ablöste, startete der Quäker William Penn ein heiliges Experiment und gründete die Kolonie Pennsylvania (silva = Wald) mit Philadelphia (Bruderliebe) als Hauptstadt. Alle wegen ihres Glaubens Verfolgten durften dort siedeln. Er stellte die Gewissensfreiheit an die erste Stelle bürgerlicher Freiheiten (als Naturrecht auch der Indianer und Sklaven). Seine Gedanken gehen in die US-Verfassung mit ein:
"Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das eine Vorherrschaft einer Religion duldet oder die freie Ausübung dieser Religion verbietet, oder das die Freiheit der Rede oder der Presse, oder das Recht der Menschen sich friedlich zu versammeln, und eine Petition an die Regierung zu richten, um Missstände abzustellen, begrenzt."
Die Verfassung statuiert auch "das Streben nach dem eigenen Glück" als Menschenrecht. Sie wurde von Menschen geschrieben, die aus religiösen Gründen, aus Armut, Not oder schlichtem Abenteurertum eine neue Heimat suchten, um dort ihr Glück zu machen. Sie brachten die Erfahrung mit, dass Freiheit und Glück nur in gegenseitigem Respekt möglich sind. Ihr Mut, die Hoffnung und die Flexibilität, im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" ein neues Leben anzufangen, formten den "american way of life" und sind Grund für den Optimismus, das Unabhängigkeitsstreben und ein gewisses Sendungsbewusstsein.
Aus der Geschichte erklärt sich, wie sich trotz Trennung von Staat und Kirche viele religiöse Merkmale im öffentlichen und politischen Bereich manifestieren. Für dieses Phänomen fand sich der Begriff "civil-religion". Dem säkularen Verfassungsanspruch steht eine "zivilreligiöse" Wirklichkeit entgegen. In den USA wurde und wird der Weg der eigenen Nation in biblischen Allegorien gedeutet. Die US-Verfassung wird zu einer von Gott gegebenen idealen Staatsordnung überhöht. Die Sakralisierung von "God's chosen nation" eint das "von Gott erwählte amerikanische Volk" in dem Bekenntnis: "God bless America." In Wahlkämpfen, in Antrittsreden von Präsidenten, in staatlichen Feiern wird dies mit religiöser Rhetorik und Symbolik zelebriert. Auch privat zeigt sich der Patriotismus in der demonstrativen Verehrung der Fahne. Ein perfektes Symbol dieser zivilreligiösen Verwobenheit ist die Ein-Dollar Banknote. Auf ihrer Rückseite sind die zwei Seiten des US-Siegels zu sehen. Der Weißkopfseeadler als Wappentier mit Olivenzweig und Pfeilen (Zeichen der Bereitschaft zum Frieden oder zum notwendigen Krieg) und daneben als Zeichen der Entschlossenheit und Stärke eine Pyramide mit vorhersehendem Auge und dem Schriftzug "Novus Ordo Seclorum" - "Neue Zeitordnung/ Weltordnung". In der Mitte steht über dem Zahlwort: "In God we trust" - "Wir vertrauen auf Gott". Die Integrationsideologie erstreckt sich auch auf die politisch-ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft, den Kapitalismus und die Demokratie. Als Zeichen der Auserwähltheit der USA bilden sie die neue Ordnung und sind Inhalt göttlicher Mission in der Welt.
Die Teilnahme der USA am Ersten Weltkrieg wurde als Mission zur weltweiten Verankerung der Demokratie legitimiert. In der Konfrontation mit dem "Empire of Evil" - dem Reich des Bösen - sah US-Präsident Ronald Reagan die Welt am Rande eines "nuclear armaggedon", einer mit Atomwaffen zu führenden biblischen Endschlacht zwischen Gut und Böse. George W. Bush scheint sich in besonderer Weise als Vollstrecker des göttlichen Willens zu sehen, das Gute - Demokratie, Marktwirtschaft und Glaube - in alle Welt zu exportieren und das Böse zu bekämpfen. Eine der militärischen Operationen nach dem 11. September hieß "infinite justice" -"unendliche Gerechtigkeit", was laut Jesaja 2,4 der biblische Messias am Ende der Zeiten bringen wird. Der biblische Messianismus liefert die Vorlage für den politischen:
"God told me to strike at al-Quaida and I struck them. And then he instructed me to strike at Saddam, which I did. And now I am determined to solve the problem in the Middle East." (Bush zum palestinensischen Premier Abbas, Ha'aretz 2.7.2003) "Gott trug mir auf, al-Quaida zu zerschlagen, und ich zerschlug sie. Dann beauftragte er mich, Saddam zu bekämpfen, was ich tat. Und nun bin ich dazu bestimmt, das Problem im mittleren Osten zu lösen."
Liberale Organisationen und auch christliche Gruppen kritisierten diese Vereinnahmung der Religion und warnten (und warnen) vor einer schleichenden "Talibanisierung Amerikas". Durch die gezielte religiöse Wahlmobilisierung hat die fundamentalistische religiöse Rechte ihrerseits in dem gläubigen George W. Bush ein Sprachrohr gefunden und dieser eine treue Wählerschaft bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Der zunehmende Fundamentalismus bietet einen Schutzraum in einer als unsicher empfundenen Gesellschaft, die von innen und außen, von Schulmassakern und Terroranschlägen bedroht ist.
Von einem "culture war" (Kulturkrieg) ist die Rede im Zusammenhang mit der Schulbildung. Das Schulwesen der USA ist basisdemokratisch organisiert. Die Schulen und ihre Lehrpläne werden auf Bezirksebene von School Boards verwaltet, deren Mitglieder direkt von den Bürgern gewählt werden. Laut Umfragen glauben 50% der Amerikaner, dass (laut wörtlich ausgelegter Bibel) Gott die Welt vor ca. 10.000 Jahren in sechs Tagen erschaffen hat. Die "Kreationisten" kämpfen seit Jahrzehnten um die Ersetzung der Evolutionslehre durch die biblische Schöpfungsgeschichte im Lehrplan. Nun haben die Bibeltreuen Unterstützung durch "ihren" Präsidenten bekommen. Denn auch der "wiedergeborene" Christ Bush ist erklärter Anhänger kreationistischer Theorien. In der Hälfte der Bundesstaaten wird derzeit gerichtlich um die richtige Lehre an Schulen gerungen. An manchen Schulen wird im Biologieunterricht neben der Theorie Darwins, die mit Lücken und Problemen behaftetet sei, bereits das "Intelligent Design"- Konzept gelehrt, eine "wissenschaftlichere" Version des Kreationismus.
Die europäische und deutsche Kritik angesichts der amerikanischen Vermischungen von Religion und Politik muss sich die vernichtende eigene Geschichte der Sakralisierung von Politik im 20. Jahrhundert vor Augen halten: Die Verheißungen und Erlösungsprogramme des Nationalismus, Faschismus und Kommunismus zeigten sich als totalitäre politische Religionen mit säkularreligiöser Überhöhung von Volk und Rasse, Partei und Klasse.
Die heute in Deutschland sichtbaren, zivilreligiösen Elemente äußern sich vergleichsweise verhalten und sind zudem nicht unumstritten, wie der Gottesbezug in Grundgesetz und Länderverfassungen und der Fahneneid. Im öffentlichen Leben, etwa bei den eingangs erwähnten "religiösen" Auseinandersetzungen, fehlt das identitätsstiftende nationale Pathos.
Plakativ lässt sich zusammenfassen: In Europa herrscht nach den Religionskriegen, nach den politisch-messianischen Ideologien des 20. Jh. eine Furcht vor totalitären Gruppen - in den USA sieht man im Staat selbst den möglichen Unterdrücker freier Religionsausübung.
In den USA wird die Religionsfreiheit als sehr hohes Gut angesehen. Jeder, der glaubhaft machen kann, dass seine Gruppierung eine Religion ist, hat Anspruch auf verfassungsmäßigen Schutz. 1981 hat der Oberste Gerichtshof der USA entschieden, dass die Schutzwürdigkeit der Religionsfreiheit nicht voraussetze, dass die religiösen Grundsätze für andere annehmbar, logisch, sinnvoll oder verständlich sein müssten.
Die Scientology-Organisation beruft sich auf eine Entscheidung der amerikanischen Steuerbehörde aus dem Jahre 1993, wonach die Organisation in den USA von der Steuer freigestellt wurde. Es wird argumentiert, damit sei sie als Religionsgemeinschaft in den Vereinigten Staaten offiziell anerkannt worden. Für die Frage der Steuerbefreiung kommt es jedoch – im Gegensatz zum Schutz der Religionsfreiheit - darauf an, ob die Tätigkeit ausschließlich religiösen Zwecken dient (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages 2024 - 3000 - 041/24, Seite 24). Der entsprechenden Entscheidung des IRS (Internal Revenue Service: amerikanische Steuerbehörde) gingen im Falle der Scientology-Organisation allerdings jahrzehntelange Streitigkeiten voraus. Einer ersten Zuerkennung des Status einer gemeinnützigen Organisation im Jahr 1957 folgte 1967 die Aberkennung mit der Begründung, die Aktivitäten seien kommerziell und dienten den privaten Interessen des Gründers L. Ron Hubbard. Die starke Gewinnorientierung wird von kritischer Seite an verschiedenen internen Anweisungen und pointiert an folgenden Anweisungen Hubbard‘s festgemacht:" (…)J. Make money. K. Make more money. L. Make other people produce so as to make money." Diese drei von insgesamt 12 Punkten entstammen den Richtlinien Hubbards zum Finanzmanagement. (HCO Policy Letter vom 9.3.1972, unter dem Titel "Income flows and pools, principles of money management") Dort erklärt Hubbard, dass bei jeder ausreichend gut geführten (Scientology-) Niederlassung auch nach Deckung der eigenen Kosten viel Geld übrigbleiben sollte, um die Reserven weiter zu füllen.:
„If a management unit […] is any good, THE NEAREST SERVICE ORG WILL MAKE AMPLE MONEY TO PAY the management unit and HAVE LOTS LEFT OVER TO SWELL SO RESERVES. (ebdenda)
Es gibt zahlreiche Zitate von Hubbard und hochrangigen Scientologen, welche nahelegen, dass die Verwendung der (ungeschützten) Begriffe Kirche, Religion, Geistliche zudem taktischen Erwägungen dienten:
„Der einzige Grund, aus dem es Orgs gibt, ist die Aufgabe, Materialien und Dienstleistungen an die Öffentlichkeit zu verkaufen und zu liefern und Leute aus der Öffentlichkeit hereinzuholen, an die man verkaufen kann und liefern kann. Die Zielsetzung sind total befreite Kunden. (HCO-Policy Brief vom 31.01.1983, zitiert nach: Bundesverwaltungsamt, Die Scientology-Organisation, Gefahren, Ziele und Praktiken, 1999, S. 15.) Es wird andernorts die Notwendigkeit einer Organisation betont, da Hubbard alleine nicht 2,5 Milliarden Menschen (damalige Weltbevölkerung) ausbilden und auditieren könne. (HCO PL vom 31.01.1983: "Der Grund, aus dem es die Organisation gibt", abgedruckt in "The Auditor" Nr. 191, Jahrgang 1983).
Schon sehr früh versuchte Hubbard, seine Organisation vor Untersuchungen wegen unerlaubter Ausübung eines Heilberufes und damit zusammenhängender betrügerischer Behauptungen von Heilerfolgen zu schützen. Anhänger von Hubbard wurden in verschiedenen Staaten wegen Ausübung eines Heilberufes ohne Genehmigung verhaftet. In seinem Grundlagenwerk "Dianetik - Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit", beschrieb Hubbard nämlich die Auswirkungen seiner Techniken:
"... Arthritis wird verschwinden, Kurzsichtigkeit bessert sich, Herzkrankheiten gehen zurück, Asthma verschwindet, der Magen arbeitet richtig - alle Leiden dieser Art gehen zurück, verschwinden und bleiben verschwunden" (Dianetik 1995, S. 73).
Hubbard ließ 1953 in New Jersey drei Organisationen amtlich eintragen: die Church of American Science, die Church of Scientology und die Church of Spiritual Engineering. Er definierte seine Organisation also als Religionsgemeinschaft. Erst 1993 wurde schließlich eine geheime Vereinbarung durch den IRS und der Church of Scientology unterzeichnet. Lesenswert ist die ausführliche Darstellung durch das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg: "Der Kampf der ‚Scientology-Organisation' um die Anerkennung der Gemeinnützigkeit in den USA und seine Auswirkungen auf Deutschland" (Verfassungsschutz Baden-Württemberg, Der Kampf der „Scientology-Organisation“ um die Anerkennung der Gemeinnützigkeit in den USA und seine Auswirkungen auf Deutschland, 2004, S. 5. - Im Folgenden: VS BW, 2004). Hier heißt es:
"Entgegen den sonstigen Gepflogenheiten und gesetzlichen Bestimmungen wurde die Vereinbarung zwischen dem IRS und der SO geheim gehalten und somit wie steuerliche Vereinbarungen mit Privatpersonen behandelt." (VS BW, 2004, S. 6)
Aus Recherchen der Zeitung "The New York Times" (09.03.1997) geht hervor, dass Scientology viele Mitarbeiter der Obersten Steuerbehörde bis ins Privatleben hinein durch Privatdetektive bespitzeln ließ und diese, sowie die Behörde, mit zahllosen Prozessen überzog.
Nach den kollektiven Selbstmorden der Davidianer in Waco 1993, der (Selbst-) Morde der Sonnentempler 1994/95, sowie dem Giftgasanschlag der Aum-Gruppe in Tokio 1995 kam es in den europäischen Staaten zu einer neuen Auseinandersetzung mit den "neuen religiösen Gemeinschaften". Durch kritische Berichte einiger ehemaliger Scientologen wurde dabei auch die Scientology-Organisation einbezogen. Es folgten in Frankreich, Belgien, Spanien und Deutschland Verschärfungen von Strafverfolgungsbestimmungen und es wurden ministerielle Arbeitsgruppen installiert.
Ab 1987 bemüht sich die Scientology-Organisation mit der "Clear Germany"-Kampagne um eine strategisch angelegte Besetzung von entscheidungsrelevanten Stellen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Deutschland wird als Schlüsselposition für den Erfolg weltweit gewertet. Es stellte sich die Frage, ob die Scientology-Organisation mit diesem „Missionsziel“ als Religionsgemeinschaft und/oder als Wirtschaftskonzern eine Gefahr für die Demokratie darstellt.
„Scientology selbst versteht sich als Organisation ausdrücklich ohne politische Ziele. Von Kritikern wird indes das Ziel, einen „Clear Planet“ zu erreichen, d.h. eine Erde, auf der möglichst viele Menschen „Clears“ sind als politisch angesehen. (Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Zur Religionsfreiheit in Deutschland und den USA unter besonderer Berücksichtigung von Scientology, 2024, S. 16)Die Scientology-Organisation verneint das. Hubbard erklärte beispielsweise eigene frühere kritische Äußerungen für ungültig: „I hereby declare Scientology to be non-political and non-ideological“. „All statements attacking any political entity or ideology are hereby withdrawn and cancelled in any lectures or literature“(Punkt 1 und 6 der Richtlinie vom 14. Juni 1965 „Politics, Freedom from“.)
Die Scientology-Organisation argumentiert daher, dass sie sich nicht alle Äußerungen Hubbards zurechnen lassen müsse. Verschiedene, oft kritisierte Aussagen seien widerrufen worden, veraltet oder als zugespitzte Privatmeinung anzusehen. Die Organisation muss sich laut einem Urteil eines Oberverwaltungsgerichtes (OVG NRW, 2008, 5 A 130/05) dennoch auch die kritischen Äußerungen Hubbards zurechnen lassen:
„Die Kläger müssten sich die Schriften Hubbards zurechnen lassen, weil sie selbst stets deren Verbindlichkeit für sich betonten. Entsprechendes gelte für die internen und externen Verlautbarungen der Scientology-Organisation seit dem Tode Hubbards. Die Kläger seien strikt in die hierarchische Struktur der Organisation eingebunden. Alle wesentlichen Entscheidungen würden auf übergeordneter Ebene getroffen oder sanktioniert. Für die Prüfung, ob in Bezug auf die Kläger tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen, könnten auch die H(ubbard)C(Communications)O(ffice)-Richtlinienbriefe und -Bulletins herangezogen werden. Daraus ergäben sich Handlungsanweisungen nicht nur für Mitarbeiter von Scientology, sondern ebenso für die einfachen Mitglieder. Im Übrigen werde der Charakter der Organisation auch durch verwaltungsinterne Vorgaben geprägt. Von Relevanz seien ferner die frühen Werke Hubbards wie "Dianetik" und "Wissenschaft des Überlebens". Sie würden weiterhin beworben. Zudem sprächen Bezugnahmen in sonstigen Äußerungen von Scientology dagegen, dass die in den Büchern geäußerten Vorstellungen keine Gültigkeit mehr hätten oder nebensächlich seien.Entgegen dem von den Klägern vorgelegten Gutachten sei das von Scientology verfolgte Ziel einer "neuen Zivilisation" nach scientologischen Vorstellungen nicht lediglich als eine "eschatologisch-utopische" Idee zu bewerten. Es handele sich vielmehr um eine politische Zielvorstellung. Scientology beabsichtige und arbeite daran, die "neue Zivilisation" in der diesseitigen Welt zu verwirklichen.“
Bereits 1995 resümierte der Hamburger Senat in seinem Bericht an die Bürgerschaft vom 26.09.1995: „Das endgültige Ziel der Scientology ist die Scientologisierung der Gesellschaft. Würde die Strategie aufgehen und von staatlicher Seite nicht eingegriffen werden, käme dies schleichend einer Unterwanderung unseres politischen Systems gleich.“
Die Innenminister verständigten sich in einer Konferenz im Sommer 1997 schließlich darauf, die Scientology-Organisation bundesweit durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Die Behörden begründeten dies damit, dass konkrete Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Zielsetzungen der Organisation bestehen. Die Beobachtung vom Bundesamt für Verfassungsschutz und den Verfassungsschutzbehörden einiger Länder dauert bis heute an. (Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2024, S. 351 ff)
Seit der überraschenden Steuerbefreiung durch das IRS 1997 hat das US-amerikanische Außenministerium Deutschland und andere europäische Staaten immer wieder kritisiert wegen des kritischen Umgangs mit Scientology. Am 09.01.1997 erschien im "International Herald Tribune" eine ganzseitige Anzeige mit dem Titel "Ein Offener Brief an Helmut Kohl". Darin behaupteten amerikanische Künstler, darunter zahlreiche Hollywoodgrößen, dass Scientologen in der Bundesrepublik wie die Juden im Dritten Reich verfolgt würden. Unterzeichnet haben u.a. die Schauspieler Dustin Hoffman und Goldie Hawn, der Regisseur Oliver Stone sowie der Schriftsteller Gore Vidal.
Am 27.01.1997 verurteilte die US-Regierung offiziell die Maßnahmen Deutschlands gegen die Scientology-Organisation. Wenige Tage später veröffentlichte das US-Außenministerium den jährlichen Bericht zur Situation der Menschenrechte in aller Welt. Darin wird Deutschland massiv angegriffen und in der Liste der Länder, welche die Religionsfreiheit missachten, gleich hinter China genannt. Dazu das "Wall Street Journal" vom 25.03.1997:
"Wir fragen uns, warum das Außenministerium sich so sehr beunruhigt wegen deutscher Äußerungen, die nach amerikanischem Recht zulässig wären und wegen eines Standpunktes, welcher vor der gegenwärtigen Regierung auch der amerikanische Standpunkt war."
Im bereits erwähnten Bericht des Verfassungsschutzes wird folgender Schluss gezogen:"[…] bemüht sie [die Scientology-Organisation] sich darum, sich gegenüber der Weltöffentlichkeit als eine speziell in Deutschland diskriminierte und verfolgte religiöse Minderheit darzustellen. Dabei scheut sie noch nicht einmal den absurden und geschmacklosen Vergleich mit der Verfolgung der Juden zur Zeit des Nationalsozialismus. Die propagandistische Absicht dieser Taktik war offensichtlich: Durch das Heraufbeschwören der angeblichen Möglichkeit eines Wiederauflebens menschenverachtender staatlicher Willkür auf deutschem Boden sollten Misstrauen und Skepsis anderer Staaten - vor allem der USA - gegen Deutschland geweckt und dadurch ein wirksames Vorgehen der Behörden gegen die SO verhindert oder doch wesentlich erschwert werden. Außerdem sollte der Eindruck entstehen, dass im Hinblick auf den besonderen Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit durch den Artikel 4 des Grundgesetzes (GG) jegliches Einschreiten des Staates gegen die Praktiken von Scientology einen eklatanten Bruch der Verfassung darstelle." (VS BW, 2004, S. 5 f.)
Als der Scientology-Organisation 2002 erstmals in Deutschland eine Steuerbefreiung für einen Teil ihrer Einnahmen zugesprochen wurde, kommentierte sie diesen "Sieg" mit den Worten:"Diese Entscheidung ist ein wichtiger Schritt bei unseren Bemühungen, genauso wie andere Religionsgemeinschaften in Deutschland behandelt zu werden, wie es die deutsche Verfassung und internationale Abkommen verlangen."
Dass Scientology damit in Deutschland als Religionsgemeinschaft anerkannt sei, ist falsch. Die Freistellungsbescheinigung des Bundesamtes für Finanzen folgt dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland und bezieht sich auf Lizenzgebühren für so genannte Informations- und Ausbildungsfilme von Scientology. (Vgl. dazu Finanzgericht Köln, 24.10.2002, 2 K 6626/96).
Die Frage, ob Scientology eine Religionsgemeinschaft ist oder ein Wirtschaftsunternehmen wird in Deutschland nicht einheitlich beantwortet. So bezeichnet das Bayerische Staatsministerium des Innern, Scientology im aktuellen Verfassungsschutzbericht (2024, S. 278) als „eine international agierende Organisation, die auf finanzielles Gewinnstreben ausgerichtet ist“. Scientology selbst bestreitet dies und bezeichnet sich als Kirche. (vgl. ausführlich zum Sachstand die aktuelle Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages - 3000 – 041/24, S. 11 ff.).
Auch gerichtlich ist die Frage, ob die Scientology Organisation eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft ist, nicht abschließend geklärt. Weder das Bundesverfassungsgericht noch das Bundesverwaltungsgericht hat bisher über die Frage entschieden. Häufig wurde die Frage von den Gerichten offengelassen, da sie als nicht entscheidungserheblich angesehen wurde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können sich allerdings einzelne Personen, deren persönliche Lebensführung maßgeblich an der scientologischen Lehre ausrichtet, auf den Schutz von Art. 4 GG (Religionsfreiheit) berufen, ohne dass es darauf ankommt, ob auch der scientologischen Organisation, der sie angehören, der Status einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft zukommt (Bundesverwaltungsgericht, 06.04.2022, 8 C 9.21).
Ob es sich bei der Scientology-Organisation um eine Religionsgemeinschaft handelt oder nicht, spielt für den Umgang deutscher Verfassungsschutzbehörden mit ihr allerdings, anders als von der Organisation behauptet, gar keine Rolle: Nach den Verfassungsschutzgesetzen des Bundes und der Länder dienen die Verfassungsschutzbehörden dem Schutz der obersten Werte der Verfassung, (…). Auch Art. 4 Grundgesetz (GG) ist Teil dieser Grundordnung. Da er jedoch nur eines von mehreren Elementen der freiheitlich demokratischen Grundordnung darstellt, und daher selbst von deren Fortbestand abhängt, ergibt sich die Konsequenz, dass sich derjenige nicht oder nicht im vollen Umfang auf Artikel 4 GG berufen kann, der unter dem Vorwand der Religionsfreiheit oder auch im Zusammenhang mit religiöser Betätigung auf die Beseitigung der obersten Wertprinzipien der Verfassung hinarbeitet (VS BW, 2004, S. 5 f).
Laut Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11.11.2004 (Az. 20 K 1882/03) darf die Scientology Organisation durch den Verfassungsschutz des Bundes observiert werden. (Pressemitteilung des VG Köln vom 11.11.2004) Die seit 1997 praktizierte nachrichtendienstliche Beobachtung des Scientology Kirche Deutschland e.V. ist rechtmäßig. Das VG Köln wies damit eine Klage von Scientology ab, mit der die Organisation ein Verbot der Observierung erreichen wollte. Aus einer Vielzahl von Quellen ergäbe sich, dass wesentliche Grund- und Menschenrechte, wie z.B. die Menschenwürde, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Gleichbehandlung, außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden sollten. Diese verfassungsfeindlichen Zielsetzungen rechtfertigten die Beobachtung durch den Verfassungsschutz auch heute noch. Dass Scientology sich als eine Kirche oder Religionsgemeinschaft verstehe, stehe dem nicht entgegen. (Pressemitteilung des VG Köln vom 11.11.2004)
Die Entscheidung wurde am 12.12.2008 durch das Oberverwaltungsgericht NRW bestätigt und die Berufungsklage der „Scientology Kirche Deutschland e. V.“ und der „Scientology Kirche Berlin e. V.“ gegen die Überwachung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz zurückgewiesen (OVG NRW -Az.- 5 A 130/05). Das OVG verwies dabei auf Aussagen von L. Ron Hubbard, die nahelegten, dass Menschen- und Bürgerrechte in einer scientologischen Gesellschaft nicht allen Menschen gleichermaßen zustehen sollen. In seinem Hauptwerk "Dianetik" entfaltet Hubbard eine Vision der künftigen, durch seine Organisation geprägten, neuen Gesellschaft:
"Vielleicht werden in ferner Zukunft nur dem Nichtaberrierten die Bürgerrechte verliehen. Vielleicht ist das Ziel irgendwann in der Zukunft erreicht, wenn nur der Nichtaberrierte die Staatsbürgerschaft erlangen und davon profitieren kann. Dies sind erstrebenswerte Ziele, deren Erreichung die Überlebensfähigkeit und das Glück der Menschheit erheblich zu steigern vermöchten". (Dianetik 1995, S. 487) (aberriert: Scientology-Ausdruck für von der Vernunft abweichend. Geschulte Scientologen sind demzufolge Nichtaberrierte mit zumindest dem Status „Clear“.)
Wenn also davon die Rede ist, dass eine Weltanschauungsgemeinschaft (etwa Scientology in den USA) als Kirche oder Religion anerkannt sei, hat das - unabhängig vom rechtlichen Sachverhalt - für deutsche Ohren einen völlig anderen Klang als für amerikanische. Es ist wichtig, genau zu fragen: Wer hat wen auf welcher Grundlage als was anerkannt und mit welchen Konsequenzen?
In Deutschland garantiert Artikel 4 des Grundgesetzes die Glaubens- und Religionsfreiheit. Die Trennung von Kirche und Staat wird in Artikel 140 in Verbindung mit den hier übernommenen Artikeln der Weimarer Verfassung bestimmt (Art. 136 -141. Hier der Art. 137 [1]: Es besteht keine Staatskirche.). Der Neutralitätsbegriff findet sich dagegen nicht im Grundgesetz. Dieses Prinzip ist von der Rechtsprechung entwickelt worden. In der Kruzifix-Entscheidung von 1995 heißt es:
"Der Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gewährleisten, wenn er selber in Glaubensfragen Neutralität bewahrt. Er darf daher den religiösen Frieden in einer Gesellschaft nicht von sich aus gefährden."
Es gibt auch in Deutschland keine generelle staatliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften. Jede Religionsgemeinschaft kann die Rechtsfähigkeit nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts erwerben (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 WRV). Das ist in den meisten Fällen der eingetragene Verein. Das deutsche, auf Freiheit und Kooperation angelegte System kommt (auch zuwandernden) Religionsgemeinschaften durchaus entgegen. Die Tatsache, dass diese sich nur ins Vereinsregister eintragen lassen, aber keine weiteren Anerkennungsverfahren durchlaufen müssen, ist ein Ausdruck von Religionsfreiheit, der nicht einmal in allen westlichen Ländern selbstverständlich ist.
Eine Besonderheit des deutschen Rechts ist der Status der "Körperschaft des öffentlichen Rechts" (KdöR). Die Verfasser der Weimarer Verfassung haben den bereits früher vorhandenen Status der großen christlichen Kirchen auch für andere Religionsgemeinschaften geöffnet. Er räumt ihnen das Recht ein, Kirchensteuern mit staatlicher Hilfe zu erheben. Außerdem besteht das Recht auf Selbstverwaltung, Gerichtsbarkeit und Disziplinargewalt. Der Körperschaftsstatus ist allerdings keine notwendige Voraussetzung für die den Religionsgemeinschaften gewährten Rechte, wie z.B. Religionsunterricht in Schulen, das Betreiben sozialer Einrichtungen oder Anstaltsseelsorge. Sie sind davon unabhängig.
KdöR sind neben den großen Kirchen unter anderen: die Alt-Katholische Kirche, der Bund freikirchlicher Pfingstgemeinden, die Heilsarmee, die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage und die Neuapostolische Kirche (aber auch Einrichtungen wie die Sparkasse und die AOK).
Im Zusammenhang mit dem laufenden Verfahren der Zeugen Jehovas zur Erlangung der Körperschaftsrechte sah sich das Bundesverfassungsgericht zu grundsätzlichen Erwägungen veranlasst. Es verlangt von einer Religionsgemeinschaft, die diesen Status erwerben will, die Gewähr dafür, dass ihr Verhalten fundamentale Verfassungsprinzipien nicht gefährdet (Menschenwürde, Menschenrechte, Rechtsstaat und Demokratie).
Im Zuge der Terrorbekämpfung nach dem 11. September 2001 erfolgte in Deutschland auch eine Änderung des Vereinsgesetzes: Religiöse Vereine können nun - nach Streichung des "Vereinsprivilegs" - verboten werden, wenn ihre Zwecke oder Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten.
Aus der Notwendigkeit der Kooperation mit staatlichen und gesellschaftlichen Stellen ergeben sich für anders bzw. nicht organisierte Religionen Probleme. Der Körperschaftsstatus, aber auch der Religionsunterricht, verlangt einen Organisationsgrad, der beispielsweise dem Selbstverständnis des Islam fremd ist. All diese Fragen treten auch in anderen Rechtssystemen auf. Die Probleme der Trennung von Staat und Kirche sind keine deutsche Besonderheit. In Frankreich etwa wird zum Beispiel die Kopftuchfrage wesentlich grundlegender und heftiger ausgetragen.
Artikel 4 Grundgesetz(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
Artikel 4 GG beschreibt die Individuelle Religionsfreiheit des Einzelnen, seine Religion oder Weltanschauung selbst zu wählen, zu ändern, zu leben oder auch nicht zu haben. Damit eingeschlossen ist nach allgemeiner Rechtsauffassung auch die negative oder passive Religionsfreiheit, welche davor schützt, eine Religion aufgezwungen zu bekommen.
Unabhängig von der umstrittenen Frage, ob die Scientology Organisation als Religionsgemeinschaft anzuerkennen ist, kann das Verhalten von Einzelpersonen, die der Organisation angehören, durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützt sein (individuelle Religionsfreiheit). Gläubige Scientologen sind beispielsweise auch mit dem Verständnis des Zustands „Clear“ - etwa als einer Art individueller Entwicklungsstufe - in ihrem Glauben durch die individuelle Religionsfreiheit geschützt. Dies gilt unabhängig davon, ob das Missionsziel „Clear Germany“ oder „Clear Planet“ als politisch relevante Strategie der Scientology-Organisation gesehen wird.
„Die Aussagen in den Lehren von L. Ron Hubbard über die unsterbliche Seele als Träger von Lebensenergie, die sich durch unzählige Leben wandele, und die Lehre über den an Erlösungsstufen erinnernden Weg zu höheren Daseinsstufen als Ziel des menschlichen Daseins seien geeignet, den Begriff der Religion bzw. der Weltanschauung zu erfüllen. Die Klägerin glaube ernsthaft an diese Elemente der scientologischen Lehre und empfinde die mit ihr verbundenen Regeln als für sich bindend.“ (BVerwG, Urteil vom 15.12.2005 – 7 C 20.04, Rn. 18f)
Wenn allerdings – wie von kritischer Seite befürchtet - in einer nach scientologischen Maßstäben idealen Welt die vollen Bürgerrechte nur Mitgliedern einer Scientology-Kirche zustünden, wäre die individuelle Religionsfreiheit eingeschränkt. Nichtmitglieder könnten nicht mehr ohne Einschränkungen wählen, dieser Kirche nicht oder nicht mehr anzugehören.
Während das deutsche Wort Kirche sich zumeist auf die Volkskirchen mit ihrem besonderen Rechtsstatus bezieht, meint in den USA das Wort church jede Gemeinschaft, die sich selbst so versteht. Indem sich die Scientology-Organisation als religiöse Gemeinschaft bezeichnet, sichert sie sich deren Schutzanspruch und ist aufgrund der Vielfalt religiöser Bekenntnisse nur eine von sehr vielen Gruppen in den USA. Die Religionsfreiheit stellt in den USA wie in Deutschland ein hohes, vor staatlichem Eingriff zu schützendes Gut dar. Die jeweilige Geschichte führte aber zu einem unterschiedlichen Verständnis des Verhältnisses von Staat und Kirche. Die "missionarisch" motivierte Außenpolitik der USA lässt das zur konstruktiven Zusammenarbeit notwendige selbstkritische Maß bei der Bewertung der Verhältnisse in anderen Staaten gelegentlich vermissen. Möglicherweise lässt sie sich gar durch die Selbstdarstellung und Inszenierung der Scientology-Organisation instrumentalisieren.
Die Ideologie Hubbards und der Organisation trägt durchaus religiöse Züge. Gläubige Scientologen durch die gesetzlich verankerte individuelle Religionsfreiheit in ihrem Glauben geschützt. Der Glaubensinhalt dieser Ideologie ist dabei nicht zu bewerten. Angesichts von Operationszielen der Scientology-Organisation wie "Clear Germany" und "Clear planet" sah (und sieht) sich aber der deutsche Staat - sicher auch aufgrund seiner Geschichte - genötigt, schützende Maßnahmen zu ergreifen. Kirche hin oder her.Zur aktuellen rechtlichen Auseinandersetzung zur Frage des Status der Scientology-Organisation als Religion siehe den Artikel "Scientology - Religionsgemeinschaft oder nicht?" von Anja Gollan.