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When Satan lives . . . - Anmerkungen zur Diagnostik und Therapie. Zum "Satanisten-Mord" von Witten

Anmerkungen zur Diagnostik und Therapie

Bluttat in Witten:
Satanskult oder Schwarze Messe?

Westline Aktuell vom 09.07.2001

  Satans-Paar gefasst

Hamburger Morgenpost vom 13.07.2001

Ritualmord – Verdächtiges Paar noch auf der Flucht

Kölner Stadt-Anzeiger, vom 12.07.2001

  Satanisten-Ehepaar wegen Mordes vor Gericht

WDR-online vom 10.01.2002

Satanistenpaar:
Einweisung in Psychiatrie und lange Haft

Westdeutsche Zeitung, Vermischtes vom 31.1.20

 
Allein die Überschriften aus der Presse über den schrecklichen Mord an einem 33-jährigen Mann in Witten am 6. Juli vergangenen Jahres lesen sich wie eine grausame Chronik des Schreckens. Das Opfer Frank H. aus Datteln wird als aufgeschlossener, freundlicher, friedfertiger und lebens­bejahender Mensch beschrieben.
 
Das verabscheuungswürdige Verbrechen zweier zutiefst gestörter Persönlichkeiten zerstört ein hoffnungsvolles Leben und nimmt den fassungslosen Eltern ihren Sohn. Der geplante und vorbereitete Mord sei "aus Wut des Gestörten auf das Gesunde" begangen worden, so der Vorsitzende Richter Arnjo Kerstingtombroke.
 

Und die Angeklagten berufen sich auf den Befehl Satans, ihm ein Menschenopfer bringen zu müssen und zeigen weder Reue noch Schuldeinsicht. Entsetzen und Verständnislosigkeit aber auch Zorn und Wut sind mehr als erklärliche Reaktionen auf die Selbstinszenierungen von Manuela und Daniel Ruda. Und doch sind die beiden Satanisten „keine Monster, sondern Menschen vor dem Gericht“.

Beide leiden unter einer "narzisstischen Persönlichkeitsstörung". Durch ihre satanistischen Rituale hätten sie versucht, sich selbst ein Gefühl von Einmaligkeit und Größe zu verschaffen.

Das Gericht entscheidet unter Berücksichtigung des psychiatrischen Gutachtens. Der bundesweit renommierte Gerichtspsychiater Norbert Leygraf und sein Gutachterteam kommen zu dem Urteil, dass die Angeklagten aufgrund ihrer Störung nur vermindert schuldfähig sind, zugleich aber so gefährlich, dass sie in eine geschlossene psychiatrische Anstalt gehören. Eine Wiederholung der verabscheuungswürdigen Tat wird nicht ausgeschlossen. Die Einweisung in eine psychiatrische Klinik wird als Maßregelvollzug bezeichnet. Im Gegensatz zu den zusätzlich verhängten Freiheitsstrafen ist der Aufenthalt nicht zeitlich begrenzt.

 
 

Was bedeutet der Terminus „Vermindert Schuldfähig“ ?

 

Zur gutachterlichen Entscheidungsfindung über die Schuldfähigkeit der Täter zählen zwei Paragraphen. Im § 20 und in § 21 des Strafgesetzbuch (StGB) werden folgende Definitionen angegeben:

 

§ 20 StGB       Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen tiefgreifender Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

 

§ 21 StGB       Verminderte Schuldfähigkeit

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

 

§ 63 StGB       Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit(§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit(§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. (Vgl. Strafgesetzbuch. München: C.H. Beck)

Manuela und Daniel Ruda wurde eine narzisstische Persönlichkeitsstörung bescheinigt. Diese schwere psychische Störung oder auch seelische Abartigkeit zählt nach den vorangestellten Ausführungen zu den Gründen, die eine Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) bzw. verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) nach sich ziehen können.

 

Was bedeutet der diagnostische Begriff der Persönlichkeitsstörung ?

 

Bei der Erforschung psychischer Störungen bei Straftätern gilt insbesondere den Persönlichkeitsstörungen große Aufmerksamkeit. Insbesondere die „Psychopathie“ im engeren Sinn (später die antisoziale bzw. dissoziale Persönlichkeitsstörung) wird in Zusammenhang mit Delinquenz und Kriminalität gesehen. Die Begriffe der „Psychopathie“ oder „Soziopathie“ waren und sind immer noch Bezeichnungen für destruktive und deviante Verhaltensweisen.

Menschen, die derart charakterisiert werden, schreibt man ausgeprägte Gefühlskälte und Gewissenlosigkeit zu. Den „Psychopathen“ kennzeichnen extreme Störungen des Beziehungslebens und Sozialverhaltens (Vgl. Fiedler, P. (1995): Persönlichkeitsstörungen. Weinheim: PVU.)

Der Begriff der „psychopathischen Persönlichkeit“ wird heutzutage in den internationalen Diagnosesystemen nicht mehr verwendet, obwohl der Begriff noch in aller Munde ist. Ersetzt wurde das Konzept durch die antisoziale Persönlichkeitsstörung im DSM-IV (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung) sowie die dissoziale Persönlichkeitsstörung in der ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen der WHO (Weltgesundheitsorganisation)).

Bei dem Konzept der Persönlichkeitsstörungen geht es um eine Konstellation von Eigenschaften bzw. Verhaltensweisen, die bestimmte Persönlichkeitstypen kennzeichnen. Im ICD-10 werden folgende Beschreibungen für den allgemeinen Begriff der Persönlichkeitsstörung benannt:

Die charakteristischen und dauerhaften inneren Erfahrungs- und Verhaltensmuster der Betroffenen weichen insgesamt deutlich von kulturell erwarteten und akzeptierten Vorgaben ("Normen") ab. Diese Abweichung äußert sich in mehr als einem der folgenden Bereiche:

 
  • Kognition (d.h. Wahrnehmung und Interpretation von Dingen, Menschen und Ereignissen; Einstellungen und Vorstellungen von sich und anderen);

  • Affektivität (Variationsbreite, Intensität und Angemessenheit der emotionalen Ansprechbarkeit und Reaktion);
  • Impulskontrolleund Bedürfnisbefriedigung;

  • Zwischenmenschliche Beziehungen und die Art des Umganges mit ihnen.
 

Die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung (F60) müssen erfüllt sein. Zunächst folgen die allgemeinen diagnostischen Leitlinien für Persönlichkeitsstörungen. Für jede Untergruppe werden dann zusätzliche Beschreibungen gegeben.

  • Deutliche Unausgeglichenheit in den Einstellungen und im Verhalten in mehreren Funktionsbereichen wie Affektivität, Antrieb, Impulskontrolle, Wahrnehmen und Denken sowie in den Beziehungen zu anderen.

  • Das auffällige Verhaltensmuster ist andauernd und gleichförmig und nicht auf Episoden psychischer Krankheiten begrenzt.

  • Das auffällige Verhaltensmuster ist tiefgreifend und in vielen persönlichen und sozialen Situationen eindeutig unpassend.

  • Die Störungen beginnen immer in der Kindheit oder Jugend und manifestieren sich auf Dauer im Erwachsenenalter.

  • Die Störung führt zu deutlichem subjektiven Leiden, manchmal jedoch erst im späteren Verlauf.

  • Die Störung ist meistens mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden.

Für die Diagnose der meisten Untergruppen müssen mindestens drei der jeweils genannten Eigenschaften oder Verhaltensweisen vorliegen.

 
 

Narzisstische Persönlichkeitsstörung

 

Mindestens fünf der folgenden Merkmale :

  • Größengefühl in Bezug auf die eigene Bedeutung (z.B. die Betroffenen übertreiben ihre Leistungen und Talente, erwarten ohne entsprechende Leistungen als bedeutend angesehen zu werden);

  • Beschäftigung mit Phantasien über unbegrenzten Erfolg, Macht, Scharfsinn, Schönheit oder idealer Liebe;

  • Überzeugung, "besonders" und einmalig zu sein und nur von anderen besonderen Menschen oder solchen mit hohen Status (oder von entsprechenden Institutionen) verstanden zu werden oder mit diesen zusammen sein zu können;

  • Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung;

  • Anspruchshaltung; unbegründete Erwartung besonders günstiger Behandlung oder automatische Erfüllung der Erwartungen;

  • Ausnutzung von zwischenmenschlichen Beziehungen, Vorteilsnahme gegenüber anderen, um eigene Ziele zu erreichen;

  • Mangel an Empathie; Ablehnung, Gefühle und Bedürfnisse anderer anzuerkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren;

  • häufiger Neid auf andere oder Überzeugung, andere seien neidisch auf die Betroffenen;

  • arrogante, hochmütige Verhaltensweisen und Attitüden.

 

Dissoziale Persönlichkeitsstörung

 

Diese Persönlichkeitsstörung fällt durch eine große Diskrepanz zwischen dem Verhalten und den geltenden sozialen Normen auf und ist charakterisiert durch:

  • Herzloses Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen anderer.

  • Deutliche und andauernde Verantwortungslosigkeit und Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen.

  • Unvermögen zur Beibehaltung längerfristiger Beziehungen, aber keine Schwierigkeiten, Beziehungen einzugehen.

  • Sehr geringe Frustrationstoleranz und niedrige Schwelle für aggressives, auch gewalttätiges Verhalten.

  • Unfähigkeit zum Erleben von Schuldbewusstsein oder zum Lernen aus Erfahrung besonders aus Bestrafung.

  • Neigung, andere zu beschuldigen oder vordergründige Rationalisierungen für das eigene Verhalten anzubieten, durch welches die Person in einen Konflikt mit der Gesellschaft geraten ist.

(Dilling, H., Mombour, W. & Schmidt, M. H. (1991): Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V (F). Göttingen: Huber.)

 

Die dissoziale Persönlichkeitsstörung wird bei strafrechtlichen Begutachtungen am häufigsten diagnostiziert. Sie macht zwischen 40% und 90% der Gefängnispopulationen aus (Nedopil, N, (1996): Forensische Psychiatrie. Stuttgart: Thieme). Es erscheint einleuchtend, dass die mangelnde Empathiefähigkeit dieser Menschen sowie die fehlende Fähigkeit, ein Schuldbewusstsein zu entwickeln, straffälliges Verhalten erleichtern.

 

Lassen sich bei einer Person mehrere Persönlichkeitsstörungen diagnostizieren (z.B.: Narzisstische Persönlichkeitsstörung mit antisozialen Verhaltensweisen), so wird dies als Komorbidität der Persönlichkeitsstörungen untereinander bezeichnet. Der hohe Grad an Komorbidität von Persönlichkeitsstörungen legt nahe, dass zwischen verschiedenen Störungsbildern offenbar Gemeinsamkeiten bestehen.

 

Die Diagnose einer psychischen Störung bei einem Straftäter sagt als solche noch nichts darüber aus, ob die Ursache des Verbrechens in dessen Störung begründet liegt. Dennoch ist die Diagnostik zur Klärung der Entstehungsbedingungen der kriminellen Tat (Kriminogenese) von großer Bedeutung, da sie die Grundlage zur Überprüfung eines möglichen Zusammenhangs zwischen Psychopathologie und Straftat, also auch der Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Betroffenen zum Tatzeitpunkt darstellt (vgl. Mergen, A.: Die Kriminologie. München: Vahlen, 1978).

 

Das Unfassbare verstehen?

 

Nach den vorangestellten Ausführungen erscheint es mir als ausgesprochen wichtig, hier deutlich zu sagen, dass die unfassbare Grausamkeit des Mordes an einem jungen Mann nicht fassbarer oder mehr zu verstehen wird, wenn man sich die diagnostischen Kriterien für die gutachterliche Einschätzung der Täter als vermindert schuldfähig vor Augen führt.

 

Das unsagbare Leid der Hinterbliebenen des Opfers kann damit in keiner Weise gelindert werden. Das Verhalten der Täter im Gerichtssaal spricht dabei für sich.

 

Nach meiner Einschätzung ist die Tat der Rudas ein grausamer Endpunkt einer Entwicklung, die durch das menschenverachtende Denkwerk des Satanismus in seinen unterschiedlichen Ausprägungsformen (siehe hierzu Christiansen, I. (2000): Satanismus: Faszination des Bösen, Gütersloh: Quell) gesteigert, ausgereift und vollendet wurde. Die Frage ob es sich hierbei um einen Ritualmord handelte wird dabei zweitrangig.

 

Kein satanologisches Denkgebäude beachtet dabei den unschätzbaren Wert eines einzelnen anderen Menschen.

 

Verachtung des anderen und Selbstvergottung stehen im Vordergrund. Kalte Rücksichtslosigkeit und brutale Grausamkeit gegenüber sich selbst und anderen wird gefordert. Satanisten verrohen innerlich und stellen sich über jegliche gesellschaftlichen Normen und Werte. Das ewig prägende „Tu was Du willst, soll sein das ganze Gesetz“ zeigt sich im Denken, Fühlen und Verhalten. Verantwortungslosigkeit und die Missachtung sozialer Normen und Regeln sind Ursachen für die Konflikte mit der Justiz (Nedopil, N, (1996): Forensische Psychiatrie. Stuttgart: Thieme).

 

Und doch sind nach dem heutigen Stand der Wissenschaft monokausale Erklärungsansätze, warum Menschen straffällig werden, unzureichend. Es handelt sich dabei immer um ein sehr kompliziertes Wechselspiel verschiedener Faktoren. Die alleinige Fokussierung auf Satanismus oder auch Persönlichkeitseigenschaften von Straftätern wird dieser Komplexität sicherlich nicht gerecht.

 

Die Tat der Rudas bleibt unfassbar und wird nicht verstehbarer. Trotzdem sollten wir als Berater und Therapeuten denen, die den Weg zu uns in die Beratung finden mit Verständnis und Empathie für ihre eigene Geschichte begegnen.

 

Persönlichkeitsstörungen gelten je nach Schweregrad als äußerst schwer therapierbar. Persönlichkeitsstörungen bezeichnet man als ich-synton immer dann, wenn die auftretenden Verhaltens- und Denkmuster aus der Eigenperspektive des Klienten als zu sich selbst gehörig und weder als störend, noch als abweichend erlebt werden. Warum sollte also jemand mit dieser Störung eine Beratungsstelle oder einen Therapeuten aufsuchen?

 

Annähernd alle meine Klienten verspürten jedoch kognitive Dissonanz oder konnten die Konsequenzen ihres Verhaltens nicht mehr ertragen.

 

Trotzdem und gerade deswegen wird von den Beratern ein ausgesprochen hohes Maß an therapeutischer Kompetenz abverlangt. Hinzu kommt als intervenierende Variable ebenso das Maß an Feldkompetenz, eben das dezidierte Wissen um die satanistische Szene.

 
 

Struktur der Beratungsanfragen im Sekten-Info Essen e.V.

 

Im Verlauf des Jahres 2001 wurde ein deskriptiver Datenpool zu der Struktur der Beratungsanfragen zum Satanismus erhoben.

 

Ein bedeutungsvolles Kennzeichen dieser Gruppe von Beratungsfällen ist die Tatsache, dass sich zunächst Angehörige oder ehemalige Freunde von auffällig gewordenen Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen oder aber Mitarbeiter von Jugendhilfeeinrichtungen oder Lehrer an die Berater wenden.

 

Hierbei ergibt sich die Schwierigkeit, den eigentlich Betroffenen zu einem Erstkontakt zu motivieren. Mit den Angehörigen wird eine Form von Hilfeplan erstellt, der der besonderen Situation gerecht wird. Liegt der Wohnort außerhalb einer zumutbaren Entfernung, so wird auf ortsnahe Beratungsstellen verwiesen. In diesen Fällen fungieren die BeraterInnen des Sekten-Infos oftmals als Praxisanleiter für die Therapeuten dieser Einrichtungen.

 

Allein 10% der Klienten, die selbst Mitglied in einer satanistischen Gruppe gewesen sind, wandten sich direkt an das SektenInfo Essen. Der Anteil der weiblichen Klienten mit eigener Betroffenheit (den eigentlichen Satanisten) macht überproportional 90% aus. Das Alter der Klienten liegt in einem Range von 16 bis 27 Jahren bei einem Median von 21. Die meisten befinden sich in einem Ausbildungsverhältnis, sind arbeitslos oder auf der Suche nach einer Lehrstelle.

 

Der Erstkontakt wird fast ausschließlich über das Telefon aufgenommen. Aufgrund der außergewöhnlichen Problemlage und der begleitenden deutlichen psychischen Belastung für die Klienten ist eine längerfristige telefonische Beratung eher kontraindiziert. Sie kann in der Anfangsphase zum Aufbau einer Vertrauensbasis dienen, in jedem Fall sollte aber nach Möglichkeit ein persönlicher Kontakt angestrebt werden.

 
 

Klinisch-diagnostische Beobachtungen bei den Klienten

 

Feste Annahmen und konsistente Angaben über wiederkehrende Begleitsymptome oder Diagnosen lassen sich aufgrund der vielfältigen Ausprägungen und verschiedenen Störungsbilder bei unterschiedlicher Prämorbidität der Patienten nicht machen.

 

Trotzdem sollen hier vorsichtige diagnostische Leiterfahrungen wiedergegeben werden.

 

Das System Satanismus zielt im wesentlichen auf die Ausprägung einer Dissozialen Persönlichkeit oder einer Narzisstischen Persönlichkeit hin („Tu was du willst, soll sein das ganze Gesetz“ A. Crowley (1981), siehe auch Crowleys Gesetz von Thelema (aus dem Liber OZ bzw. Liber LXXVII): „Es gibt keinen Gott außer dem Menschen“ op. cit. aus Ruppert, H.-J. (1998), S.15-16).

 

Es greift in die Gedanken, die Gefühle und auf die Handlungen, und damit auf den Menschen in seiner Ganzheit ein. Werthaltungen und Normen werden umgedeutet. Magisch-irrationale Glaubensvorstellungen, verbunden und verfestigt durch reichhaltige Evidenzerlebnisse, verändern die Wahrnehmung und die Bewertung aller Lebensbereiche. Es wird ein eigener „Unwertekontext“ gebildet.

 

Durch besondere rituelle Praktiken werden gezielt psychische Ausnahmezustände evoziert. Gruppendynamische Prozesse schwören den Einzelnen in die vermeintliche Gemeinschaft ein. Das ursprüngliche soziale Netz wird aufgebrochen und zerstört. Ein Austritt wird sanktioniert.

 

Häufig lassen sich nach Austritt aus einer satanistischen Gruppierung eine ganze Reihe von psychischen Störungen beobachten. Beispiele dafür sind Autoaggressionen, Angstzustände, Panikattacken, Überempfindlichkeit, Reizbarkeit, sozialer Rückzug, Interessensverlust, Schlaflosigkeit, wiederkehrende Alpträume, Drogen- und Alkoholabusus, flashbacks, etc... .

 

Diese Symptome sind aber zumeist unspezifisch und lassen nicht auf eine eindeutige Diagnose schließen. Später hinzukommende eindeutige Krankheitssymptome wie z.B. Wahngedanken, Halluzinationen und eindeutig paranoide Ängste deuten zumindest auf eine akute psychotische Dekompensation hin.

 

Im Verlauf einer längerfristigen Beratung berichten die PatientInnen häufig von traumatischen Erfahrungen vor dem Eintritt in eine satanistische Gruppierung, vor allem von Missbrauchserfahrungen oder körperlichen Misshandlungen in der Kindheit.

 

Zudem haben annähernd alle Betroffenen im Kontext von satanistischen Ritualen weitere bedeutsame traumatische Erfahrungen gemacht (rituelle Vergewaltigung während der Initiation, extreme Gewaltanwendungen). Dies impliziert natürlich ein besonderes therapeutisches Vorgehen, welches sich an den Erkenntnissen der klinisch-psychologischen Traumatherapieforschung orientieren muß.

 

In jedem Fall ist zu klären, ob ein ambulantes Setting im Rahmen der Beratung für die Klienten indiziert ist, oder ob eine intensive psychosomatische oder auch psychiatrische Behandlung in einer Fachklinik das bessere Hilfsangebot darstellt. In jedem Fall ist eine längerfristige psychotherapeutische Behandlung angezeigt.