Beratung und Information zu neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen
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Auf der Suche nach Heilung – Ein Erfahrungsbericht

Ich möchte hier den Weg der Suche meines Mannes Eric (Name geändert) beschreiben, wie er verlief und wie er für ihn nach über 15 Jahren endete. Das, was ich schildere, ist mein Erleben mit meinem Mann. Einige Ausführungen entnahm ich seinen Tagebuchaufzeichnungen.

Eric, wie ich ihn kennen lernte:

Mein Mann Eric wurde in einer großen Familie mit mehreren Geschwistern groß. Solange ich denken kann, war Eric musikalisch und künstlerisch interessiert. Er arbeitete auch in diesem Bereich, wodurch ich ihn dann auch kennen- und lieben lernte. Nach gut einem Jahr des „Zusammenseins“ heirateten wir, kauften ein Haus, was wir dann gemeinsam umbauten. Da wir beide selbstständig waren, arbeiteten wir von Zuhause und verbrachten daher sehr viel Zeit gemeinsam.

Als Naturliebhaber gestaltete er mit seiner Schwester unseren Garten und hatte in der Gartenarbeit viel Freude. Unsere gemeinsame „Liebe“ galt Skandinavien. So verbrachten wir unsere Urlaube dort und Eric fand in der schönen Landschaft und dem faszinierenden Licht viele Motive für seine Malerei. Er hatte dort sogar verschiedene Malereiausstellungen.

Unser Leben war recht vielgestaltig. Wir musizierten beide und sangen gemeinsam zunächst im Kammerchor und dann in einem kleinen Vokalensemble. An den Wochenenden besuchten wir Freunde und Familie (oder umgekehrt), gingen in Konzerte oder Ausstellungen. Doch auch die ruhige gemeinsame Zeit zu Hause genossen wir. Die Abende waren oft angefüllt mit langen Gesprächen oder dem Hören von Musik.

Im Laufe der Jahre zeigte sich, dass unsere Ehe kinderlos bleiben sollte. Der Schmerz darüber war ein Thema, das uns über längere Zeit immer mal wieder beschäftigte.

Naturheilkunde

Im Jahr 1997 nahm ich, auf Empfehlung einer Freundin, mit einer Ärztin für Naturheilkunde Kontakt auf. Bei mir war eine Darmentzündung diagnostiziert worden und ich war auf der Suche nach möglicher naturheilkundlicher Behandlung. Nach einiger Zeit ist mein Mann dann auch mit zu ihr gefahren. Er hatte Heuschnupfen und leicht erhöhten Blutdruck, da versprach er sich Unterstützung. Auch als ich schon nicht mehr zu dieser Ärztin fuhr (sie hatte bei mir eine Vertrauensgrenze überschritten), fuhr Eric weiterhin regelmäßig zu ihr.

Sie zeigte für ihn ganz neue Wege auf, gab ihm, „spirituelle“ und „energetische“ Übungen mit, mit denen er selber alles in der Hand habe. So erklärte sie seinen Heuschnupfen als ungelöste Konflikte und Aggressionen aus der Kindheit. Wenn er diese lösen könne, dann wäre sein Heuschnupfen auch gelöst.

Ein wesentlicher Ansatz, den Eric schnell verinnerlichte, war: Nur wer spirituell-energetisch gut arbeitet, kann gesund werden. Hat man noch gesundheitliche Schwierigkeiten, dann hat man noch nicht ausreichend gearbeitet. Plötzlich besorgte er sich verschiedenste „medizinisch-therapeutische“ Hilfsmittel zur Unterstützung seiner energetischen Arbeit, so z.B. eine Kosmonautendecke und -schuhe gegen negative Strahlung, eine Magnetauflage für seine Matratze, ein Qi-Gerät und ein Magnet-Tablett auf dem Nahrungsmittel „gereinigt werden könnten“. Eric vertraute diesen Hilfsmitteln und ließ sich nicht davon überzeugen, sie nicht zu kaufen.

Lichtarbeit

Diese Ärztin hat ihn dann im Jahr 2002 eingeladen zu ihren „Lichtmeditationsabenden“ zu kommen und führte ihn auf der Grundlage einer vorwiegend esoterisch geprägten Lehre in die Arbeit eines Lichtarbeiters ein. Die Ärztin war eingebunden in eine spirituell ausgerichtete, überregionale Organisation. Ein erklärtes Anliegen dieser Organisation ist die Förderung der persönlichen und gemeinschaftlichen spirituellen Transformation.

Von da an nahm er regelmäßig an den Gruppentreffen teil. Der Einstieg in diese Gruppe erfolgte bei Eric über das Gefühl der Wertschätzung und das Entdecken eines neuen Sinns in seinem Leben, der Aussicht, sich und die gesamte Menschheit retten zu können und vor allem der klaren Botschaft, dass er einer der wenigen sei, die zu solchen Dingen berufen sei.

Veränderungen

Er hat mit mir darüber zunächst nicht gesprochen. Er sagte mir nur, dass er zu der Ärztin fuhr. Durch eine berufliche Veränderung war ich in der Zeit nicht mehr den ganzen Tag zu Hause wie in den Jahren davor. Durch Zufall entdeckte ich, nachdem er schon ein Jahr in dieser Gruppe war, seine Bücher, die noch im Wohnzimmer lagen. Als ich ihn ansprach reagierte er heftig, ich solle ihm nicht nachspionieren.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon Veränderungen bei ihm bemerkt, habe dies aber auf meine veränderte Arbeitssituation geschoben. So hat er z.B. im Sommerurlaub nur noch gelesen, äußerte ständig, dass es ihm dort zu eng sei, er seine Freiheit nicht habe. Ich hatte damals versucht, mich ganz zurück zu nehmen, wusste aber eigentlich nicht mehr, wo ich noch hingehen sollte, damit er nicht gestört war im Urlaub.

Neue Gruppe

In der Zeit danach lernte er eine weitere Gruppe dieser Organisation kennen. Diese und vor allem ihr Leiter, der ebenfalls Arzt war, erschien ihm kompetenter, gründlicher, mache es richtiger und ernsthafter. Insofern hatte sich für ihn ein Weg dargeboten. Er suchte Heilung von körperlichen Beschwerden (Heuschnupfen und auch Bluthochdruck), fand Erklärungsmuster und vermeintliche Lösungswege, die in seiner Hand lägen. Und wurde auch noch eingeladen, als Lichtarbeiter an höheren Zielen für die Welt mitzuarbeiten. So fand Eric für sich neue spirituelle Ressourcen, die aber vergiftet waren, die nicht frei waren und nicht in die Weite führten, sondern in eine immer größer werdende Enge. In seiner Freiheit war er deutlich eingeschränkt:

  • Die Gruppentreffen hatten für ihn oberste Priorität. Die Gruppe traf sich an jedem Wochenende, meist am Sonntagnachmittag, 1x im Monat auch einen ganzen Tag. In den ersten Jahren wurden diese Termine immer erst relativ kurzfristig bekannt gegeben, eine Planung im familiären Umfeld war da oft nicht möglich.

  • Im täglichen Ablauf (auf die Minute festgelegte) Gebets- und Meditationszeiten. Es sollten im Rhythmus von drei Stunden immer verlässlich bestimmte Meditationen und Gebete verrichtet werden. Die Uhrzeiten waren auf alle Gruppenmitglieder aufgeteilt. Es gab Zeiten, da war Eric morgens um 6 Uhr und abends um 21 Uhr eingeteilt. Oft verließ er dann schlagartig den Raum, zog sich zurück und kam erst nach einer Stunde oder später wieder.

  • Immer wieder besondere Gebetsaufträge zu besonderen Anlässen. Die Gebete, und Meditationen waren klar vorgegeben. So sollte z.B. nach Naturkatastrophen den verstorbenen Seelen durch die Gebete der Gruppenmitglieder der Weg ins Licht gezeigt werden. Dies hatte sogar Vorrang vor einem gemeinsamen Beisammensein an meinem Geburtstag.

  • Mit dem Ziel der körperlichen und seelischen Reinheit verbunden war der Verzicht auf Fleisch, Alkohol und Sexualität.

Der eigene Wille

Der eigene Wille wurde von ihm massiv unterdrückt. „Ich will gar nichts, das ist nur „Ego“ und das ist nicht gut. Das unterbindet den göttlichen Willen“, war immer wieder seine Antwort auf die Frage von mir, was er denn selber wolle, was ihm wichtig sei.

Seine eigenen Bedürfnisse und Wahrnehmungen bekamen eine negative Deutung. So sei man schwach, wenn man seinen Bedürfnissen nachgibt und sein Denken nicht kontrollieren könne. Viele „normale“ Begebenheiten wurden umgedeutet in „höhere“ Zeichen. Der Wind in Skandinavien war eine Störung der dunklen Mächte, um ihn zu prüfen.

Im Laufe der Jahre hatte er diese Denkweisen immer mehr verinnerlicht. So war es für ihn kaum noch möglich, ohne tiefgreifenden Sinn etwas zu tun. Genuss an sich war nicht mehr möglich und seine Lebensfreude ging immer mehr verloren. Alles in seinem Leben war Auftrag oder Prüfung, die erfüllt und bestanden werden musste. Seine alten Ressourcen (Musik und Malerei) wurden umgewandelt (Musik) oder gänzlich zerstört (Malerei).

In seinen Aufzeichnungen fand ich den Eintrag, dass die dunklen Mächte versuchen würden, den Lichtarbeiter über die Nahrungsaufnahme anzugreifen. Diesbezüglich habe ihm der Gruppenleiter den Hinweis gegeben, beim Essen „Heilige Namen“ zu rezitieren, um diese abzuweisen. Eric pendelte sein Essen immer aus, im weiteren Verlauf versuchte er auf das Pendel zu verzichten, da er meinte, er könne die positiven und negativen Schwingungen fühlen. Immer wieder aß er dann nicht, was er sich zubereitet hatte mit den Worten: „Ich habe mich wohl verfühlt“. Der Besuch eines Restaurants oder auch Einladungen bei Freunden zum Essen waren für ihn nicht mehr möglich.

Gruppentreffen

Die regelmäßigen Gruppentreffen hatten einen hohen Stellenwert. Nach einer gewissen Zeit hatte er die Aufgabe, sich vorbereitend mit einzubringen und Gebete zu formulieren. Zu diesem Zeitpunkt stand immer wieder die Angst im Raum, ob er es auch richtig mache. Denn so seien - bedingt durch „falsch formulierte“ Gebete - bereits Mitglieder aus der Gruppe ausgeschlossen worden.

Wichtig war es zudem, dass die Gruppenmitglieder einen emotionalen Tarnmantel tragen, um die eigenen Emotionen und die anderer Menschen abzuschirmen. Denn Emotionen seien nicht gut. Zudem sollte das Denken kontrolliert werden, um keine negativen Gedanken zuzulassen. So äußerte er immer wieder, dass er zu schwach sei, seine Gedanken zu kontrollieren, dass er falsch denken würde.
Es wurden auch Ratschläge zum Privatleben und zur Familiengestaltung gegeben, u.a. wurde ich, vom Leiter der Gruppe als störend, meinem Mann von den dunklen Mächten zur Prüfung an die Seite gegeben, bezeichnet.

Inhaltliche Aspekte

In der gesamten Zeit war Eric mit „Forschung“ beschäftigt, so nannte er es im Sinne der Gruppe. Dazu gehörte, dass er sich mit vielen spirituellen Bücher und Artikel bzw. Beiträgen im Internet auseinandersetzte. So war er teilweise mehrere Stunden am Tag damit beschäftigt, zu lesen und zu schreiben. Er hat u.a. die hebräischen Schriftzeichen erlernt, sich intensiv mit kabbalistischer Zahlenmystik beschäftigt und auch immer wieder Texte des Gruppenleiters überarbeitet.

Einmal im Jahr veranstaltet die bereits erwähnte spirituelle Organisation eine große Tagung. Darauf bereitete sich die Gruppe immer sehr intensiv vor. Ein Teil der Gruppe, Eric war dabei, bereitete auch immer einen Musikbeitrag dazu vor. Einmal war es so, dass dieser Beitrag kurzfristig abgesagt wurde. Dies hat Eric sehr getroffen, wurde doch seine viele Arbeit an diesem Projekt einfach vom Tisch gewischt.

Eric nahm auch an internationalen „Forschungsreisen“ teil. Er hatte sich bis dahin immer geweigert zu fliegen, doch für diese Reisen hat er dies revidiert. Über das genaue „Forschungsziel“ hat Eric nicht gesprochen. Nach der letzten Reise berichtete er nur, dass sie einen Auftrag, den die Gruppe gehabt hätte, nicht hätten ausführen können: Sie hätten einen wichtigen öffentlichen Ort nicht energetisch reinigen können, da dort zu viele Menschen gewesen wären. Mehr hat er über diese Reise nicht erzählt.

Vermischung Gruppenleiter und Arzt

Schon zu Beginn seines Weges wurde mein Mann durch die Ärztin in eine esoterisch geprägte Sicht auf Krankheiten eingeführt mit all ihren Fallstricken. Und auch in der weiteren Gruppe kam es für meinen Mann zu der Vermischung von Gruppenleiter und Arzt in einer Person. Es stand wieder der innere Konflikt im Raum, der durch die Leitlinie entstand, dass nur der krank würde, der nicht ausreichend spirituell arbeiten würde. Ein „Zugeben“ von Erkrankung war immer ein Schuldeingeständnis, nicht richtig oder ausreichend gearbeitet zu haben. Die Frage „Habe ich denn wohl falsch gebetet?“ war immer präsent und wurde häufig auch mir gegenüber verbalisiert.

Durch diese Tatsache und das stark beeinflusste Denken hatte Eric die Wahrnehmung und Fürsorge für seinen eigenen Körper nicht mehr selber in der Hand. Er versuchte auf jede Regung seines Körpers zu reagieren. So hatte er zwei große Schubladen mit homöopathischen Mitteln, Schüssler Salzen und Nahrungsergänzungsmitteln. Diese vornehmlich deswegen, weil unsere Nahrung keine ausreichenden Nährstoffe mehr enthalten würde.

In der Gruppe gab es ganz besondere Ansichten darüber, welches Mineralwasser gut sei und welches nicht. Waren in den ersten Jahren Mineralwasser in Plastikflaschen schädlich, so änderte sich dies plötzlich. Eric kaufte zwei verschiedene Mineralwassersorten (ohne Kohlensäure) in Plastikflaschen. Dieses Wasser nahm er dann auch mit in den Urlaub, ausreichend für zwei Wochen. Wenn ich ihn darauf ansprach, antwortete er meist ausweichend, erklärte dann aber nach einiger Zeit, dass die Gitterstrukturen dieses Wassers besonders gut seien. Noch besser sei es, wenn das Wasser einmal gefroren und dann wieder aufgetaut sei. Ich beobachtete im Verlauf, dass er dieses Wasser nicht nur trank, sondern auch seinen Tee damit zubereitete und auch seine Speisen darin kochte.

Gesundheitliche Krise

Im November 2015 hatte mein Mann sich dazu entschlossen, all diese Mittel wegzulassen. Auch das Pendeln wollte er lassen. Er selber beschrieb dies wie eine Befreiung. Er warf alle Mittel weg.

An dem darauffolgenden Wochenende war ich nicht zu Hause, bekam am Samstagnachmittag nur eine Textnachricht, dass er den Notarzt gerufen habe wegen extrem hohen Blutdrucks. Ich fuhr nach Hause. Mein Mann war im Krankenhaus. Er hatte im Laufe des Tages einen extrem hohen Blutdruck bekommen (über 210/160). Er blieb eine Woche im Krankenhaus, bis der Blutdruck soweit eingestellt war, dass er entlassen werden konnte. Er berichtete mir später, dass er – noch bevor er den Notarzt rief – seinen Gruppenleiter angerufen habe und ihn um Rat bzgl. seines hohen Blutdrucks gefragt hatte.

Ab Dezember 2015 begab er sich bei seinem Gruppenleiter ganz offiziell in ärztliche Behandlung. Ab diesem Zeitpunkt liegen mir Arztrechnungen vor. Es war eine homöopathische Behandlung, mein Mann sollte ihm regelmäßig über E-Mails beschreiben, wie es ihm gesundheitlich ginge. Dies machte er auch sehr gewissenhaft und teilweise täglich. Ich fand auf seinem Rechner ca. 200 Mails zu diesem Thema. So beschrieb er ihm über fast zwei Jahre neben den immer wiederkehrenden „Transformationen“ des Körpers (Kribbeln, Brennen, Hitzegefühl) ganz deutlich seine Beschwerden: dass es beim Atmen rasselt, er röchelt, er nicht mehr tief durchatmen könne, das Husten falle ihm schwer. Er schilderte, dass er sich schwächer fühle und das Schlucken schwieriger würde. Im Sommer 2017 schrieb er ihm, dass es ihm so schlecht ginge, wie schon lange nicht mehr.

All diese Symptome schilderte er mir nicht. Mir fiel auf, dass sich seine Haltung veränderte, die linke Schulter war deutlich tiefer als die rechte Schulter. Auch fasste er sich immer wieder an die linke Seite. Auf meine Frage, ob er Schmerzen habe, sagte er nur: „Nein, das sind Meridiane, die blockiert sind.“

Er wurde kraftloser, dies besonders im Herbst 2016. Im Urlaub hatte er immer wieder Atemnot, konnte kaum die Düne hoch gehen. Tagsüber schlief er am Tisch während der Gespräche ein, so erschöpft war er. Er vertraute weiter auf die medizinische Behandlung durch seinen Arzt und Gruppenleiter, wollte zu keinem anderen Arzt gehen. Im weiteren Verlauf wurde er wieder ein wenig kraftvoller, die Atemprobleme wurden weniger.

Anfang Juli 2017 fragte mich mein Mann nach der Adresse meines Hausarztes. Er wolle nun doch einmal zu einem anderen Arzt gehen, was er dann auch machte. Diesem schilderte er aber nur Ernährungsprobleme (mögliche Unverträglichkeiten) und den hohen Blutdruck. Auf Atemprobleme angesprochen sagte er, dass er deswegen bei einem anderen Arzt in Behandlung sei.

Die letzten zweieinhalb Wochen

Im Sommer 2017 begab ich mich auf den deutschen Jakobsweg nach Kornelimünster bei Aachen. Mein Mann wollte mich dort nach drei Wochen abholen. An diesem Morgen, es war der 25.08.2017, rief er mich frühmorgens an, es ginge ihm gar nicht gut, er würde zum Arzt gehen. Ich suchte mir eine Zugverbindung für den Nachmittag nach Hause. Auf dem Bahnhof sitzend rief mich mein Hausarzt an, er könne Eric nicht erreichen. Seine Blutwerte seien so schlecht, er müsse sofort ins Krankenhaus. Als ich mit dem Zug zu Hause ankam, lag Eric schon auf der Intensivstation. Die Diagnose lautete zunächst „Lungenentzündung mit Wasser in der Lunge“.

Am Montag darauf, nach einer Bronchoskopie, stand die Diagnose fest: Ein riesengroßer Lungentumor, Speiseröhre, Herzmuskel, Wirbelsäule seien mit beteiligt, die Halsschlagader sei umwuchert. Die zwischenzeitliche Verbesserung der Atem Situation ca. 8 Monate zuvor, erklärte sich nun so: Der Tumor setzte den linken Lungenflügel zu, dieser war seit über einem halben Jahr nicht mehr belüftet. In dieser Zeit hat sich der Körper meines Mannes daran adaptiert und sich ganz langsam auf die Atmung mit nur einem Lungenflügel eingestellt.

Mein Mann wurde dann sofort in ein spezialisiertes Krankenhaus mit dem Schwerpunkt Toraxchirurgie verlegt. Wegen drohender Sepsis wurde er eine Woche später operiert, der gesamte linke Lungenflügel wurde entfernt. Drei Tage später kam es zu Komplikationen, es folgte eine erneute Operation. Der gesamte Zustand war extrem kritisch. Zweieinhalb Wochen nach der Diagnosestellung, am 13.09.2017, verstarb mein Mann.

Er schilderte mir in den Tagen vor und nach der ersten Operation, dass er seit 2 zwei Jahren versucht habe, sich von der Gruppe zu lösen, er habe aber keine Kraft mehr dazu gehabt. In diesen zwei Jahren ging es ihm gesundheitlich immer schlechter. Wie weit er dies mit dem inneren Wunsch, sich zu lösen verbunden hat, kann ich nicht sagen (quasi als „Strafe“). Er berichtete mir, was sein Arzt und Gruppenleiter zu den geschilderten Symptomen zu ihm gesagt habe: „Öffne dein Herzchakra, dann bekommst du auch wieder Luft“.

Er kritisierte den Gruppenleiter auch, bezeichnete ihn selber als „Guru“ und sagte, in der Gruppe würde ein enormer Druck herrschen. In diesen letzten zwei Jahren kam er plötzlich regelmäßig am Wochenende mit mir in den Gottesdienst, suchte von sich aus schon mal ganz vorsichtig das Gespräch. Wir haben uns in den zweieinhalb Wochen im Krankenhaus aussprechen können. Die vertraute Nähe war wieder da, ich durfte ihn in dieser Zeit begleiten. So konnten wir diesen Weg gemeinsam in Frieden gehen, begleitet durch gemeinsames Psalmengebet.

Zusammenfassend kann ich folgendes sagen:

Bedingt durch spirituelle Selbstbestimmung hat Eric sich auf eine neue Suche für sein Leben gemacht. Er fühlte sich von den offenen Angeboten einer Ärztin angesprochen, diese hat ihn in ein esoterisch geprägtes Denkmodell eingeführt. In der zweiten Gruppe wurde dies dann noch deutlich intensiver.

Ich habe ihn seinen Weg gehen lassen müssen. Im Laufe der Zeit veränderte er sich massiv, er wurde abhängig von diesem System und dadurch systematisch krank gemacht. Dies nicht nur psychisch, sondern auch in seiner physischen Erkrankung wurde er durch die ihm eingegebenen Denkmodelle von einer möglichen Behandlung und Heilung ferngehalten.

Mein Weg als Ehefrau in dieser Zeit

Ich beobachtete zu Beginn, dass Eric sich veränderte. Bis dahin hatten wir ein gutes gegenseitiges Vertrauen. Insofern war es für mich eine doppelte Herausforderung mit dem Weg meines Mannes umzugehen, zum einen die neue Gedankenwelt, die ihn beschäftigte und zum anderen die Tatsache, dass er es komplett vor mir geheim gehalten hatte. Er sagte damals immer nur, dass er zu der Ärztin fuhr.

Wollte ich mit ihm reden, bekam ich sehr oft die Antwort: „Das verstehst Du nicht. Du bist spirituell nicht so weit“ - immer wieder Argumente, die einen weiteren Austausch nicht zuließen. Für mich war es kaum möglich, zu ihm durchzudringen.

Ich habe danebengestanden und fühlte mich hilflos. Unsere Beziehung veränderte sich. Was mich in den gesamten15 Jahren immer wieder zuversichtlich sein ließ, waren kurze, kleine Momente. Momente, in denen es ihm schlecht ging, er verzweifelt war und dann die „verschütteten“ Wesenszüge zu erkennen waren. Sie waren nicht weg, der Kern meines Mannes war noch da, er selber hatte jedoch kaum noch Zugang dazu. Dies ließ mich bei ihm bleiben. Ich habe versucht, ihm die „Tür zur Welt“ offen zu halten.

Ich selber habe eine gute geistliche Heimat in der benediktinischen Spiritualität und habe seit 2011 geistliche Begleitung gehabt. In meiner Hilflosigkeit habe ich mich zusätzlich an die Sekten-Info NRW e.V. in Essen gewandt. Dort habe ich mehrmals kompetente Hilfe und Beratung bekommen. Ein wesentlicher Ratschlag war, nicht auf der inhaltlichen Ebene mit meinem Mann zu diskutieren, sondern ihn eher mit einzubinden in „normale“ Aktivitäten. Das war nicht einfach.

In seinen Tagebuchaufzeichnungen, beschrieb er immer wieder seine Ängste, nicht gut genug zu sein, die Gruppe verlassen zu müssen, seine Schuld und die Einschätzungen des Gruppenleiters im Hinblick auf die Bedrohung durch die dunklen Mächte. Aber auch die Befürchtung, dass ich ihn verlassen würde wegen „seines Glaubens“.

Nach seinem Tod habe ich gemeinsam mit der Sekten-Info NRW eine Strafanzeige gegen den Arzt und Gruppenleiter gestellt. Das ist nun gut 3 Jahre her. Ich habe in der Zeit nach dem Tod meines Mannes zunächst mit der Arbeit kurz pausiert, um dann nach 3 Monaten die Arbeit wieder aufzunehmen. Ich habe versucht zu funktionieren, wieder all dem gerecht zu werden, was auf mich zu kam.

Es gab Zeiten der Trauer um den Mann, den ich geheiratet hatte, Wut habe ich selber nicht zugelassen. Immer mehr drängte sich in mir ein Gefühl des Versagens hoch, „ich habe es nicht geschafft, meinen Mann dort herauszuholen“. Der gut gemeinte Rat, dass dies gar nicht meine Verantwortung gewesen wäre, half mir nicht.

Mir ist bewusst, dass noch ein weiter Weg vor mir liegt. Eines aber ist für mich ganz klar: Ein Verschweigen, ein Wegdrücken dieser Erfahrungen, die ich leider machen musste, hilft keinem, weder mir noch anderen. Ich möchte mit diesem Erfahrungsbericht aufzeigen, wie schnell es gehen kann, den Einstieg in solche Gruppierungen zu finden, selbst dann, wenn man dies gar nicht vordergründig sucht.