Beratung und Information zu neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen
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Erfahrungsbericht: Mein Weg der spirituellen Suche

Zuerst möchte ich über meinen eigenen Weg sprechen. Ich habe mich damals viel mit spirituellen Lehren beschäftigt, ob es das Christentum gewesen ist, Mystizismus oder der muslimische Glaube. Ich habe mich viel mit Buddhismus und Hinduismus beschäftigt. Aufgrund meiner spirituellen Suche habe ich Reisen gemacht und bin in verschiedenen Klöstern gewesen. Ich war dann eine Zeit lang selbst ordinierter Mönch und habe einen sehr strengen Buddhismus gelebt. Die Essenz von den ganzen Schriften, die ich studiert habe, war, das Ego zu vernichten. In vielen spirituellen Lehren wird das auch ausdrücklich so gesagt. Es waren verschiedene Gründe, warum ich meine Aufgabe als Mönch aufgegeben habe. Der Hauptgrund war, dass ein extremer Fundamentalismus dort herrschte. Es wurde mit ganz viel Überheblichkeit darauf gepocht, die einzig wahre Religion zu vertreten und alle andersdenkenden Menschen würden in die Hölle kommen. Solche Sachen waren für mich einfach absolut inakzeptabel.

Ich bin dann wieder nach Deutschland zurückgekommen und erkannte, dass ich in eine Gesellschaft zurückgekehrt bin, in der meine spirituelle Suche absolut kein Verständnis gefunden hat. Das war echt hart für mich, denn ich fühlte mich überall allein. Auch als Mönch fühlte ich mich allein. Die Leute haben mich zwar geschätzt. Sie hatten sogar großen Respekt vor mir, weil ich sehr streng mit mir selbst und ein guter Schüler war. Trotzdem bin ich aber religiös immer sehr offen und neugierig geblieben und fand auch weiterhin viele Aspekte anderer Religionen anziehend.

Ich habe dann Arbeit in einer sozialen Einrichtung gefunden. Dort hatte ich den ersten Kontakt zu meinem späteren spirituellen Führer, der dort als Hilfskraft angestellt war. Mein erster Eindruck war, dass er ein echt arroganter Typ ist und ich war dadurch zunächst ein bisschen abgeschreckt. Scheinbar nebenbei hat er spirituelle Äußerungen gemacht, die mich neugierig gemacht haben. Im Endeffekt möchte ich schon behaupten, dass er aktiv versucht hat, mich zu beeinflussen, von Anfang an. Er hat Seminare veranstaltet und die Werbung für diese Seminare zur Arbeit mitgebracht. Er hat versucht, mich in seine Gruppe zu involvieren, indem er mich bei Seite genommen und Gespräche über religiöse Themen mit mir geführt hat.

Ich war beeindruckt davon, wie er mit den Patienten umgegangen ist. Er war gegenüber den betreuungsbedürftigen Menschen wirklich vorurteilsfrei, ist für deren Rechte eingetreten, z.B. hat er vernünftiges Essen gekocht, während die anderen Mitarbeiter verbrannte Tiefkühlpizzen den Bewohnern hingestellt haben, und er hat sich dafür eingesetzt, dass Bewohner, die schwierig waren, nicht sofort mit Medikamenten ruhig gestellt wurden. Dadurch habe ich mich irgendwann entschlossen, mir das mal anzuschauen, was da so passiert in seinen Seminaren. Was da stattgefunden hat, war absolutes Neuland für mich und hat mich sehr beeindruckt. Es wurde „Energiearbeit“ oder „Familienaufstellung“ gemacht. Das war für mich interessant, weil das sehr, sehr fern von dem war, was ich zu der Zeit kannte. Irgendwie hat es mir das Gefühl gegeben, dass da unbewusste Themen, die auch mich beschäftigt haben, eine Rolle spielen würden.

Bei den von mir besuchten Seminaren haben dann Familienaufstellungen stattgefunden oder überhaupt Aufstellungen. Es wurden Themen, die jemanden beschäftigen, nach außen gebracht. Dazu hat er andere Teilnehmer stellvertretend aufgestellt, wie z.B. „du bist die R. von J.“ oder „du bist stellvertretend für die Vergangenheit“ oder ähnliche Sachen. Da kam dann sehr viel Persönliches zum Vorschein.

Ein interessanter Gedankengang für mich war, dass er immer betont hat, dass man die Arbeit nicht konzeptuell erfassen kann. Sie geschieht aus dem gegenwärtigen Augenblick heraus und er nimmt einfach das, was da ist und arbeitet damit. Andere können das nicht verstehen und es sei auch wirklich schwierig, das zu beschreiben.

Ein ganz anderer Aspekt war, dass er in den Seminaren von Anfang an ganz harte Methoden benutzt hat. Da hat man schon gesehen, dass eines seiner Mottos war, dass das Ego gebrochen werden muss, z.B. musste einer der Teilnehmer sich auf den Boden legen und alle haben auf ihm gelegen, so dass derjenige nicht mehr atmen konnte. Wenn ein Teilnehmer angefangen hat, zu weinen und sagte: „Ich kann nicht mehr“, wurde der spirituelle Führer ganz sanft und sagte: „Ja, jetzt kommt der ganze Scheiß hoch, bla, bla, bla“. Das war eine wichtige, vielleicht sogar die wichtigste Struktur seiner Arbeit. Er hat immer Methoden benutzt, um das Ego zu brechen. Wenn jemand dann gebrochen war, dann wurde er ganz sanft oder hat andere dazu aufgefordert: „Geh dahin, tröste ihn, leg deine Arme um ihn.“ Da hatte man dieses Gefühl von „Jetzt bin ich geborgen, jetzt hilft mir doch einer.“ Und ich gewann den Eindruck: „Ah ja, dann kann ich mich und die Vergangenheit jetzt wirklich gehen lassen.“ Dadurch entstand eine absolute Abhängigkeit. Wenn man erst einmal so unterwegs ist, wie ich unterwegs gewesen bin, mit der Überzeugung, mein Ego muss gebrochen bzw. vernichtet werden, dann ist man an diesem Punkt sehr verwundbar.

Heutzutage sehe ich das anders. Heute denke ich, das ist einfach nur eine Form von Gehirnwäsche. Das ist wirklich einfach nur – jemanden brechen – und – manipulieren.

Die dahintersteckende Struktur war, dass der spirituelle Führer selbst das Ego bereits überwunden hat und daher den anderen diesen Weg zeigen kann. Der Schüler ist komplett gefangen im Ego. Für ihn gibt es keinen Weg daraus, weil alles, was man sieht oder tut, das eigene Ego ist. Nur jemand, der draußen steht, kann dir überhaupt den Weg zeigen. Wenn irgendwas in dir hochkommt, ob es Zweifel sind oder andere Gefühle, es ist immer: Dein Ego. Und wenn der Zweifel in dir stärker wird oder sogar Angst hinzukommt, dann wird auch gesagt: Das ist das Ego, das jetzt Angst hat. Das ist ein gutes Zeichen, denn das Ego muss gehen, und natürlich hat es Angst, weil die Existenz des Egos bedroht ist. Die Bedrohung muss sein, damit man zur Freiheit gelangen kann. Auf dem Weg zur Freiheit wird das Ego sterben. Das weiß das Ego und deswegen hat es jetzt Angst. Je mehr Angst man hat, desto besser, desto näher ist man der Freiheit.

In dem Moment kann man sich selbst nicht mehr trauen. Es bleibt einfach gar nichts mehr übrig. Da ist kein eigenes Denken, da ist kein eigenes Handeln mehr möglich, es gibt keine eigene Meinung. Kein eigenes Gefühl ist mehr da, weil alles, was da ist, ist nur Ego und das Einzige, was noch zählt, ist Hingabe. Man soll sich Gott gegenüber hingeben. Und, er natürlich, als spiritueller Führer, ist ein Stellvertreter Gottes. Das heißt, der Weg zu Gott geht über ihn, weil wir nicht in der Lage sind, direkt Kontakt mit Gott aufzunehmen. Grund dafür ist unsere Dunkelheit, das ist das Wort, das er auch am liebsten benutzt hat: „Du bist total in Dunkelheit“. Aufgrund unserer Verworfenheit oder Dunkelheit, haben wir keinen direkten Zugang und müssen - wir haben keine andere Wahl - ganz stumm auf seine Anweisungen gehorchen. Hingabe ist in seiner Auslegung absoluter Gehorsam gewesen.

In mir ist damals eine große Sehnsucht gewesen. Ob man das jetzt als Sehnsucht nach Gott oder Sehnsucht nach Erleuchtung bezeichnen kann oder wie auch immer, weiß ich nicht. Außerdem spürte ich eine Sehnsucht nach Gemeinschaft und auch eine Sehnsucht, etwas Gutes für die Welt tun zu wollen. Das war auch der Punkt, wie der spirituelle Führer mich dann einwickeln konnte: „Hier, wir haben diesen Text, kannst du den ins Deutsche übersetzen für unsere Webseite“ und dann habe ich gesagt, „Ja, kann ich gerne machen.“ Dann wurde das aber immer mehr und ich sagte dann: „Nee, warte mal. Ich habe noch ein eigenes Leben.“ Dann erwiderte er: „Du willst doch was Gutes tun, jetzt ist deine Chance gekommen und wir wollen so was Tolles aufbauen. Du kannst uns helfen, du hast so viele Talente und du kannst echt was bewirken!“ Dann habe ich mir gedacht: „Stimmt, jetzt setze ich mich hin und mach nichts Sinnloses, wie Musik hören oder sowas.“

Es steigerte sich dann und es kamen Einladungen wie z.B.: „Du kannst auch zu mir kommen und mit mir daran arbeiten.“ Im Nachhinein bin ich davon überzeugt, dass es einfach nur eine ganz berechnende Masche gewesen ist. Aus der Distanz heute sehe ich, dass er meine Gutmütigkeit ausgenutzt hat.

Es passte alles zusammen, weil ich immer schon der Überzeugung war, dass ein wirklich authentischer spiritueller Pfad harte Arbeit ist. Und auch etwas mit Askese zu tun hat, und mit Entsagung, mit Überwindung der eigenen Ängste und mit Selbstkonfrontation. Und nicht so eine Freizeitspiritualität, heute gehe ich mal hierhin, morgen dort hin, keine Ahnung, vielleicht zur Aromatherapie oder zum Treffen, total in Frieden leben, und weil ich mich durchkneten lasse und einölen lasse, geht es mir jetzt so toll.

Spiritualität ist für mich kein Wellnessurlaub, sondern ein religiöser Weg, ein „Commitment“. Im Endeffekt war das bei allen Leuten, die darin gelandet sind so. Ich hatte schon sehr früh im Leben die Einstellung: „Ich will die Wahrheit und sag die Wahrheit, selbst wenn ich dafür sterben würde.“ Das hat mich dort sehr angreifbar gemacht. Ich wurde mit Halbwahrheiten gefüttert. Außerdem war der spirituelle Führer auch sehr kritisch gegenüber vielen Strömungen, die ich aufgrund meiner Erfahrungen gut nachvollziehen konnte.

Die letzte Frage, die mich immer noch beschäftigt, ist: Ob er wirklich dachte, dass er etwas Gutes tun würde? Ob er wirklich überzeugt war, dass er den rechten Weg gehen würde oder ob das wirklich alles nur Show gewesen ist?

Eigentlich gab es zwei Bindemittel. Auf der einen Seite der spirituelle Führer und auf der anderen Seite die Gemeinschaft. Wenn ich beispielsweise weggelaufen bin und mir dachte: „Du bist nicht mehr mein Guru, ich habe mein Erleben und Du hast nix damit zu tun“, war da immer noch die Gemeinschaft. Und deshalb ist es einfach ultra hart, da rauszukommen. Es gab eine enge Verbundenheit untereinander. Man hat einfach unglaublich intensive Sachen zusammen erlebt. Viele Sachen, bei denen einem viel zugemutet wurde, unter denen man einfach zusammengebrochen ist und man von jemandem aus der Gemeinschaft getröstet wurde. Da ist eine enge Bindung entstanden. Wenn man dann weggelaufen ist und von diesen Leuten gehört hat: „Ich bin immer für Dich da.“, gab es diese große Sogwirkung, wieder zurückzugehen.

Innerhalb der Gemeinschaft gab es keine dauerhafte Hierarchie. An einem Tag war ich der Tollste, am nächsten Tag musste man mich in den Keller sperren, weil ich so besessen war. Er hatte immer die Kontrolle und es konnte ständig wechseln, wer gut und wer gerade böse war.

Je mehr Verantwortung man zugeteilt bekam, desto mehr Gewalt musste man erleiden. Der spirituelle Führer hatte unglaubliche Ängste bezüglich der Finanzen und des Geschäftes, das musste er einfach kompensieren durch Gewalt. Außerdem wurden wir verpflichtet, ungefähr alle drei Monate an den intensiveren Seminaren im Ausland teilzunehmen. Intensiver, weil im Endeffekt war man die ganze Zeit mit ihm unterwegs. Es war kein Seminar, mit geregelten Zeiten, wo Leute reingehen und dann ist um 17 Uhr Schluss, sondern man ging abends zum Abendessen usw. Dort haben dann auch mehrere, unter anderem auch ich, versucht, wegzulaufen.

Man war dann zwar aus dem eigenen Arbeitskontext raus, abgesehen von der Computerarbeit, aber er hatte dann auch mehr Freiraum mit seiner Arbeit, die immer verbunden mit Gewalt war. Selbst, wenn das keine physische Gewalt war, versuchte er, die Leute auf schmerzliche Art und Weise zu korrigieren und aus dem Ego zu führen. Mich hat auch an ihn gebunden, dass er offen über sich selbst gesprochen hat. Über Dinge aus seiner Vergangenheit, wo er Fehler gemacht hat, wie Drogenmissbrauch und solche Sachen. Das hat bei uns diesen Eindruck erzeugt, dass er diese Probleme kennt und diesen Weg schon hinter sich hat. „Jeder kann das schaffen und ich hab’s geschafft, jetzt bin ich hier, gebe Seminare und wenn du weiter zu mir kommst, dann sitzt du hier irgendwann und gibst selbst Seminare.“ Da war nicht sowas nach dem Motto „Ich bin erleuchtet geboren“, sondern den Erfolg im Leben muss man sich erarbeiten.

Nachdem jetzt alles ein Ende gefunden hat und man sich mit anderen Aussteigern aus der Gemeinschaft trifft, ist für jeden alles so klar. Ja, ich habe die ganze Zeit gezweifelt und obwohl jeder während der ganzen Zeit Zweifel gehabt hat, hat man sich nicht darüber ausgetauscht. Da waren Zeiten, in denen der spirituelle Führer drei Wochen in Indien war, aber da war das dennoch kein Thema. Man hat sich nicht getraut. Man hat sich zwar heimlich zu zweit darüber ausgetauscht, aber man hat sich nicht zusammengesetzt und gefragt, „Was machen wir hier eigentlich?“.

Man hat zwar gelegentlich Zweifel geäußert, aber innerhalb der Gruppe hat man sich gegenseitig wieder korrigiert und unterdrückt. Mehrere von uns haben mehrere Fluchtversuche gemacht. Doch genau diese Personen, sind dann diejenigen gewesen, die Fluchtversuche von Anderen unterbunden haben.

Ich schaue jetzt nach vorne und mache mir keine Vorwürfe mehr. Ab und zu wird es mich trotzdem beschäftigen und dann kann man ja mal wieder darüber nachdenken „Warum bin ich nicht eher gegangen?“ oder „warum habe ich, obwohl ich selbst Zweifel hatte, trotzdem wieder für die Sache gesprochen, wenn andere Zweifel hatten und sie am Weggehen gehindert?“