Beratung und Information zu neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen
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Die Esoterisierung der Gesellschaft - von Abhängigkeiten und anderen Gefahren

„Heilung durch Handauflegen“, so lautet eine Schlagzeile in der WAZ vom 28. Januar 2011. An der Uniklinik Bochum arbeitet ein Professor der Chirurgie mit einem Heiler zusammen, um Bauchspeicheldrüsenkrebs, eine besonders aggressive Krebsart, zu behandeln. Nach der medizinischen Versorgung, welche die Chemotherapie mit einschließt, gehen die Patienten zur Meditation in ein Kloster. „Es geht darum, die innere Kraft zu aktivieren“, so der Heiler Wolfgang Maly. Professor Dr. Waldemar Uhl, ein Chirurg der Uniklinik Bochum, berichtet, durch diese Zusammenarbeit seien schon mehrere seiner Patienten von Krebs befreit worden.

52% aller Deutschen glauben, dass „ganzheitliche Heilverfahren“ eine Alternative zur Schulmedizin darstellen. „Alternative Heilmethoden“ werden von 80% der Frauen und 60% der Männer angewandt. In einer EMNID-Umfrage glaubten 48% der Befragten, dass körperliches und seelisches Wohlbefinden vom Stand der Sterne oder vom Mond beeinflusst werden (Straube, 2005). Nur noch eine Minderheit der Gesellschaft kann als Esoterikverweigerer bezeichnet werden. Inzwischen wird bereits von einer kulturellen Etablierung der Esoterik gesprochen.

Eine einheitliche Begriffdefinition steht bisher noch aus. Unter den Bezeichnungen „alternative Heilmethoden“, „ganzheitliche Heilverfahren“ und auch „Esoterik“ verstehen sowohl Experten als auch Anwender oft unterschiedliche Dinge. Gemeinsam ist den Angeboten wohl nur, dass sie sich abgrenzen wollen von der konventionellen Schulmedizin. Sie gelten als sanfter und menschenfreundlicher als die kalte und nüchterne „Apparatemedizin“. Gefährlich wird es dann, wenn diese Methoden nicht zusätzlich (komplementär) zur Medizin angewandt werden, wie im Beispiel oben, sondern sie sich selbst als bessere Alternative zur Medizin sehen. Im Folgenden sollen die Verfahren näher beleuchtet werden, die aus unserer Sicht der Esoterik zuzuordnen sind.

Der Begriff „esoterisch“ stammt vom griechischen „esoterikós“, mit der Bedeutung „zum inneren Kreis gehörig“. In der Antike wurden damit geheime Lehren bezeichnet, die nur einem inneren philosophischen Kreis zugänglich waren (Ruppert, 2005). Der Begriff „Esoterik“ stammt aus der Neuzeit und steht seit dem 19. Jahrhundert als Sammelbegriff für verschiedene überlieferte okkulte und magische Praktiken. Gemeinsam ist diesen, dass die spirituelle oder intuitive Erfahrung über wissenschaftlichen Methoden des Erkenntnisgewinns steht. Gott wird nicht als persönliches Gegenüber gedacht, sondern als „höchste Schwingung“, „fließende“ oder „kosmische Energie“. Neben der sichtbaren Welt gibt es eine geistige, höher entwickelte Welt, zu der Kontakt aufgenommen werden kann. Ziel ist es, die eigene Göttlichkeit zum Erwachen zu bringen. Damit verbunden sind Erleuchtung, Glück, Zufriedenheit und Erfolg.

Aus religionswissenschaftlicher Sicht wird die Esoterik als Versuch der Anpassung der vormodernen esoterischen bzw. okkulten Tradition an die entzauberte moderne Welt gesehen. Anleihen werden bei archaischen Religionen und östlichen Hochreligionen gemacht. Durch die Aufklärung hatten Aberglaube und Magie keinen Platz mehr in der Gesellschaft. Die Esoterik betreibt eine Wiederverzauberung der Zivilisation als Gegenströmung zur Aufklärung (a.a.O., 2005).

Die Angebote auf dem Esoterikmarkt sind vielfältig. Aus Sicht unserer Beratungsstelle hat sich folgende Dreiteilung der Darstellung esoterischer Angebote bewährt:

  1. Lebensberatung bzw. Heilung von psychischen Krankheiten

  2. Zukunftsdeutung als „praktische“ Entscheidungshilfe für die Lebensplanung

  3. Heilung von körperlichen Beschwerden

1. Lebensberatung bzw. Heilung von psychischen Krankheiten

Die esoterischen Anbieter bezeichnen sich als spiritueller Berater, Energie- oder Reinkarnationstherapeut oder Medium. Angeboten werden Familienstellen nach Hellinger, Channeling und Rebirthing. „Der Weg ins Licht“ oder „Strahlenzirkel St. Michael“ sind Bezeichnungen für esoterische Gruppierungen, die sich um einen Guru gebildet haben. Ihr Wissen stammt von Gott, Maria, Erzengel Michael, Geistern und auch Außerirdischen. In der Reinkarnationstherapie beispielsweise werden mit Hilfe von Entspannungstechniken und Visualisierungen angebliche frühere Leben aufgesucht. Dort wird nach den Ursachen für heutige Probleme gesucht. Wer z. B. im Mittelalter als Hexe verbrannt wurde, leidet bis heute unter Traumatisierungen und hat möglicherweise Probleme sein Leben aktiv zu gestalten. Kryon vom magnetischen Dienst, ein Engelwesen des Universums, spricht durch das Medium Sabine Sangitar und lehrt in 48 Schritten die eigene göttliche Kraft zu leben (www.kryonschule.de). All diese Anbieter und Gruppen bieten Lebenshilfe an und nutzen dazu angeblich spirituelle Quellen. Oftmals wird den Suchenden suggeriert, selbst besondere göttliche Kräfte zu besitzen. Diese können durch entsprechende Techniken zum Leben erweckt werden. Menschen, die mit ihrem Leben nicht zurecht kommen, erfahren bei esoterischen Anbietern, dass sie etwas ganz besonderes sind. Es entsteht ein Gefühl des Auserwähltseins, der Verbundenheit und der Geborgenheit. Beim „Weg ins Licht“ von Frank Eickermann, der Reinkarnation des Feuergottes Agni,“ kennen“ sich die Schüler schon seit Jahrtausenden und kämpfen seitdem den ewigen Kampf des Lichts gegen das Dunkel.

Frau R. sucht aufgrund von Eheproblemen eine Heilpraktikerin auf. Bald kommt das Gespräch auf die Trennung der Eltern zu sprechen, und wie sehr sie als Kind darunter gelitten hat. Von der mütterlichen Therapeutin fühlt sich die Klientin verstanden. Zum ersten Mal nimmt sich jemand die Zeit, ihr zuzuhören. Nach einigen Wochen stellt die Therapeutin in den Raum, die Klientin könne als Kind Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sein. Frau R. selbst hat keinerlei Erinnerungen daran. Doch ab diesem Zeitpunkt ist sie misstrauisch den Eltern gegenüber. Die Heilpraktikerin vertritt die Ansicht, jeder Mensch sei entweder Täter oder Opfer sexuellen Missbrauchs. Nach vielen Gesprächen ist die Klientin bereit, Strafanzeige gegen ihre Eltern zu stellen. Der Kontakt ist seitdem abgebrochen.

Als Frau R. nach einigen Jahren das Umfeld der Heilpraktikerin verlässt, meldet sie sich in unserer Beratungsstelle. Nach all den Jahren ist sie sich sicher, dass die damaligen Vorwürfe haltlos sind. Vor allem schämt sie sich, dass sie sich hat manipulieren lassen. Große Schuldgefühle gegenüber den Eltern machen ihr zu schaffen. In den Beratungsgesprächen werden die damalige Lebenssituation sowie lebensgeschichtliche Aspekte zu einem Erklärungsmodell herangezogen, warum die Klientin zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens für diesen Weg offen war. Langsam bringt Frau R. Verständnis für ihre damalige Notlage auf. Die Wut verlagert sich weg von sich selbst hin zu der unseriösen Beraterin. Diese hat die Bedürftigkeit der Klientin ausgenutzt für ihre Zwecke. Hinsichtlich der Zukunftsplanung wurden Überlegungen angestellt, wie Frau R. wieder Kontakt zu ihrer Familie aufnehmen kann.

Herr W. meldet sich in unserer Beratungsstelle, da seine Ehefrau seit einigen Monaten regelmäßig Engelseminare besucht. Esoterisch interessiert sei sie seit vielen Jahren. So habe sie bereits Reiki, Rebirthing und Schamanismus ausprobiert. Da er selbst durch seinen Beruf als Manager sehr viel unterwegs sei, habe er die schleichenden Veränderungen erst spät wahrgenommen. Materiell gehe es der Familie sehr gut. Das Paar hat drei Kinder im Alter von 8, 5 und 3 Jahren. Ihren Beruf als Krankenschwester habe die Ehefrau seit der Geburt der Kinder nicht mehr ausgeübt. In den letzten Monaten habe sie sich sehr verändert. Ihre Rolle als Ehefrau und Mutter fülle sie nicht mehr aus. In den Engelseminaren habe sie erfahren, dass sie heilende Kräfte habe. Inzwischen habe sie sich spirituell weiterentwickelt und befinde sich auf einer höheren Geistebene als der Partner. Sie könne sich eine Beziehung mit ihm für die Zukunft nicht mehr vorstellen.

In den Beratungsgesprächen wurde deutlich, dass das Paar seit einigen Jahren bereits aneinander vorbeigelebt hat. Die Ehefrau lebte mit den Kindern mehr oder weniger ihr eigenes Leben. Da auch keine Gespräche mehr stattfanden, wusste der Ehemann wenig von der Unzufriedenheit seiner Partnerin. Durch die jetzige Krise kam es wieder zu Gesprächen. Beide Ehepartner zeigten sich bereit, in einer Eheberatung über ihre jeweiligen Bedürfnisse und Wünsche zu sprechen. Ob eine gemeinsame Zukunft noch möglich ist, muss geklärt werden.


2. Zukunftsdeutung als „praktische“ Entscheidungshilfe für die Lebensplanung

Zur Zukunftsdeutung zählen Astrologie, Wahrsagen, Hellsehen, Pendeln und Karten legen. Die Astrologie geht davon aus, dass der Stand von Planeten und Tierkreiszeichen zur Zeit der Geburt einen Einfluss auf die Persönlichkeit und das Schicksal der Menschen hat. Wahrsager glauben, mit Hilfe von Kartenlegen, Glaskugelschau oder Pendeln, einen Blick in die Zukunft werfen zu können. Viele von ihnen verfügen über eine gute Intuition und versuchen verborgene Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen der Klienten wiederzuspiegeln. Manche beziehen ihr Wissen angeblich aus der jenseitigen Welt, andere verlassen sich ganz auf ihre Intuition. Die Menschen, die sich an Wahrsager wenden, suchen keine umfangreiche Analyse ihrer Lebenssituation. Sie wünschen klare, konkrete und praktikable Ratschläge. Sie gehen davon aus, dass die Wahrsager tatsächlich über parapsychologische Fähigkeiten verfügen. Da Wahrsager in der Regel über keinerlei psychologische oder beraterische Ausbildung verfügen und die Klienten ihnen unkritisch großes Vertrauen aufbringen, bestehen auch hier große Risiken.


In unserer Beratungsstelle hatten wir im letzten Jahr mehrere Klienten, die die Dienste von Astro-Hotlines in Anspruch genommen haben. Astro-TV bietet im Minutentakt Lebens- und Zukunftsberatung mit Hilfe von Karten legen, Tarot, Hellsehen, Wahrsagen, Astrologie und Channeling an. „Astrologin und Kartenlegerin Iris berät sie präzise und treffsicher“. Sie sagt die Zukunft mit „nachweislich exakten Zeitangaben“ voraus. Christiane ist Kartenlegerin und Channel-Medium in 4. Generation. Sie stellt „einfühlsam Jenseitskontakte her und löst Blockaden“ (www.astrotv.de).

Vor allem einsame und verzweifelte Menschen rufen bei Hotlines dieser Art an. Sie fühlen sich alleingelassen mit ihren Problemen und suchen auf diese Art Hilfe. Im günstigen Fall wird Ihnen von den Beratern eine neue Liebe prognostiziert, Erfolg am Arbeitsplatz oder Gesundheit in der Zukunft. Wenn es nicht so gut läuft, erfährt der verzweifelte Anrufer, dass er in der Zukunft an AIDS erkranken wird, wie es einer unserer Klienten geschildert hat. Ziel dieser Angebote ist eine möglichst langfristige Anbindung der Ratsuchenden. In unserer Beratungsstelle melden sich Menschen, die dabei Beträge von mehreren tausend Euro verloren haben.

Herr S. wurde von seiner Ehefrau verlassen. In den letzten Jahren hatte der Klient sich ganz auf seine Arbeit und die Ehe konzentriert. Freundschaften und Hobbys hat er nicht gepflegt. So tat sich nach der Trennung eine große Leere auf. In dieser Situation rief er bei einer Astro-Hotline an. Die Gespräche mit der Kartenlegerin taten ihm zunächst sehr gut. Sie zeigte sich einfühlsam und aufmerksam und vermittelte ihm das Gefühl, sympathisch und wichtig zu sein. Als er sich einmal einige Zeit nicht meldete, rief sie selbst bei ihm an. So wurde ein freundschaftliches Verhältnis vorgespielt und der Klient bekam das Gefühl, die Beraterin habe auch privat Interesse an ihm. Als er sich allerdings mit ihr verabreden wollte, brach sie den Kontakt ab. Für die telefonischen Beratungen zahlte Herr S. insgesamt 10.000 Euro. Neben der Enttäuschung über die Beraterin bekam der Klient auch finanzielle Probleme. Sein ursprüngliches Problem bestand natürlich nach wie vor.

Durch die Gespräche in unserer Einrichtung wurde dem Klienten klar, dass seine Einsamkeit ausgenutzt worden war. Eine Abhängigkeit von der Beraterin war systematisch aufgebaut worden. Herr S. machte sich bewusst, dass er professionelle Hilfe braucht. Er entschloss sich zu einem psychosomatischen Klinikaufenthalt und einer anschließenden ambulanten Psychotherapie.


3. Heilung von körperlichen Beschwerden

Geistheiler, Heilergruppen oder Schamanen bieten Hilfe zur Heilung von körperlichen Krankheiten an. Reiki, Bachblüten, Homöopathie oder Kinesiologie sind beliebte Verfahren, die auf dem Esoterikmarkt angeboten werden. Immer häufiger werden Angebote dieser Art allerdings auch von Ärzten und Apotheken angeboten. Gemeinsam ist ihnen der Glaube an besondere Heilkräfte oder universelle Energiequellen. Angesprochen fühlen sich vor allem Menschen mit oft schweren körperlichen Krankheiten. Manche von ihnen sind von der konventionellen Schulmedizin bereits austherapiert oder müssen lernen mit chronischen Beschwerden zu leben.

Leider sind die Ergebnisse dieser Heilverfahren nicht immer positiv, wie einige Fälle unserer Beratungsstelle zeigen. In der Kinesiologie soll es möglich sein, mit Hilfe eines Muskeltests, Diagnosen stellen zu können. Eine aufgeregte Dame rief bei uns an, nachdem ihre erwachsene Tochter bei einer Kinesiologin in Behandlung war. Mit Hilfe des Muskeltests war ihr mitgeteilt worden, dass sie von ihrem Vater sexuell missbraucht worden sei. Als Beraterin des Sekten-Infos kann ich nicht wissen, was in dieser Familie passiert ist. Aber mit Sicherheit kann ich verneinen, dass der kinesiologische Muskeltest das diagnostische Mittel der Wahl ist, um einen Missbrauchsfall aufzudecken.

In unserer Beratungsstelle hatten wir im vergangenen Jahr mehrere Fälle, in denen Geistheiler konsultiert wurden. Diese gehen davon aus, dass Menschen von einer universalen, kosmischen Energie beeinflusst werden. Energieflüsse, die durcheinander geraten sind, können Krankheiten auslösen. Durch geistiges Heilen soll der Energiestrom aktiviert und harmonisiert werden. Gleichzeitig sollen die Selbstheilungskräfte des Menschen aktiviert werden. Es gibt hier keine sicheren Qualitätsmerkmale.

Da Geistheiler spirituell arbeiten und damit religiösen Praktiken dem Gesetz nach näher stehen als der Medizin, benötigen sie auch keine Zulassung nach dem Heilpraktikergesetz. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müssen sie jedoch in ausreichender Art und Weise darauf hinweisen, dass ihre Tätigkeit keine ärztliche Behandlung ersetzt, was in der Praxis leider nicht immer umgesetzt wird. (vgl. Artikel „Geistheilung aus rechtlicher Sicht“ von Anja Gollan)

Viele Geistheiler versprechen, auch schwere Krankheiten heilen zu können. Der Bruno-Gröning-Freundeskreis heilt angeblich durch einen göttlichen Heilsstrom. Dieser wird von dem verstorbenen Bruno Gröning vermittelt. Auf der Internetseite werden insgesamt 200 Heilungsberichte aufgelistet. Geheilt wurden angeblich u. a. Asthma bronchiale, Krebs, Herzerkrankungen, Diabetes mellitus, Multiple Sklerose und auch Psychosen (www.bruno-groening.org). Uns ist der Fall einer Asthmatikerin bekannt, die ihre Medikamente abgesetzt hatte, da sie auf den göttlichen Heilstrom vertraute. Während eines Asthmaanfalls rief sie nicht den Notarzt, sondern ein Mitglied des Bruno-Gröning-Freundeskreises an. Sie starb qualvoll einen Erstickungstod.

Auch die Heilerin Pia Thomas veröffentlicht auf ihrer Internetseite eine Ansammlung von Krankheiten, die sie durch ihre Kraft angeblich geheilt hat. So konnte sie ein totgesagtes Kind retten, herzkranke Menschen oder einen blinden Hund heilen. Es sei Gott, der durch sie heilt und Wunder geschehen lässt. „Es ist keine Frage ihres Glaubens, sondern meiner Kraft, ob sie geheilt werden.“ (www.piathomas.de)

Frau W. wandte sich voller Verzweifelung an Pia Thomas. Ihr Enkelsohn hatte einen Tumor, der mit schuldmedizinischen Möglichkeiten nicht geheilt werden konnte. Die Heilerin versprach, den Jungen zu heilen. Sie könne auf den Tumor einwirken und sehe, dass es dem Kind schon besser gehe. Nachdem Frau W. 15.000 Euro bezahlt hatte und es dem Kind noch immer sehr schlecht ging, wurde Frau W. misstrauisch. Als sie ihr Geld zurückverlangte, drohte die Heilerin ihr damit, persönliche Details aus der Beratung an Familienangehörige weiterzugeben. Das Geld bekam sie nicht zurück. Der Enkelsohn ist inzwischen leider gestorben.


Psychische Abhängigkeit in der Esoterik


Die Versprechungen esoterischer Anbieter sind riesig. Heilung von Krankheiten wird ebenso versprochen wie beruflicher Erfolg und Reichtum. Ein erfolgreiches und glückliches Leben, die Entdeckung des wahren Ichs und spirituelle Erleuchtung kann mit Leichtigkeit erreicht werden. Diese Versprechungen treffen auf die Sehnsüchte der Menschen, die unheilbar krank, unglücklich oder auf der Suche nach ihrer wahren Bestimmung sind. Sehr häufig besteht ein starker Wunsch nach Zugehörigkeit, Geborgenheit, Liebe, Anerkennung und jemand Besonderes zu sein. Zu Beginn der Konsultation eines Heilers, einer Wahrsagerin oder einer Lebensberaterin werden diese Bedürfnisse vermeintlich erfüllt. Oft machen Angehörige darauf aufmerksam, dass die Ehefrau oder der Ehemann, die Tochter oder der Vater vor dem Aufsuchen eines esoterischen Anbieters ganz bodenständig, familiär und verantwortungsbewusst gewesen sei. Nach einiger Zeit aber kommt es zu Persönlichkeitsveränderungen. Einige meditieren jeden Tag stundenlang oder beschäftigen sich nur noch damit, die neuen spirituellen Ideen in die Welt zu tragen. Sie fühlen sich berufen, selbst zu heilen oder auserwählt, die Erde zu transformieren. Die Familien, Freunde oder Hobbys werden unwichtiger und immer mehr vernachlässigt. Die bisherige Lebenswelt wird abgewertet und die neue Welt wird glorifiziert. Darauf angesprochen bekommen Freunde und Angehörige dann zu hören, „dass kannst du nicht verstehen, du bist spirituell noch nicht soweit“ oder „das ist meine Bestimmung, schon in früheren Leben habe ich Menschen geheilt“. Kritik wird nicht zugelassen. Mit rationalen Argumenten läuft man gegen eine Wand. Immer mehr Zeit wird mit den neuen Gleichgesinnten verbracht. Entscheidungen werden nur noch in Abstimmung mit dem neuen „Guru“ oder den Gruppenmitgliedern getroffen. Die Meisterin/Heilerin ist mehr als eine Psychologin, Ärztin oder Theologin, eben „ganzheitlich“ und göttlich und damit allen anderen überlegen (vgl. zum Thema Abhängigkeit auch Hemminger, 2011). Anders als in einer seriösen Beratung werden die Klienten nicht zu Selbstbestimmung und Eigenverantwortung angeleitet, sondern im Gegenteil dazu, sich ganz dem „Guru“ hinzugeben, um mit seiner Kraft neu aufzuerstehen. Die neuen Freunde in der Gruppe sind Seelenverwandte mit gleicher spiritueller Aufgabe. Die besondere Berufung führt zu einer enormen Aufwertung des Selbstwertgefühls. Emotionsmobilisierende Techniken und Seminare führen zu Euphorisierungen und verlangen nach Wiederholung. Zunehmend entwickelt sich eine psychische Abhängigkeit. In der Folge kommt es häufig zu massiven Konflikten in Ehe und Familie bis hin zu Trennungen.


Beratung zur Esoterik in unserer Einrichtung


Zu Beginn der Beratungsgespräche mit Angehörigen wird unter Einbeziehung der Lebensgeschichte ein Erklärungsmodell für die intensive Beschäftigung mit der Esoterik erarbeitet. Vor allem die Lebenssituation zur Zeit des Aufsuchens einer Wahrsagerin, einer spirituellen Lehrerin oder eines Heilers wird genauer betrachtet. Oftmals zeigt sich eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben. Berufliche Probleme, Ehekonflikte oder körperliche Erkrankungen können Menschen aus der Bahn werfen. In dieser Lebensphase ist man anfällig für die vielseitigen Versprechungen der Esoterik. In den Gesprächen mit Angehörigen wird herausgearbeitet, welche Bedürfnisse und Sehnsüchte mit den esoterischen Angeboten befriedigt wurden. Es stellt sich nun die Frage, ob es auch andere Möglichkeiten gibt, zu mehr Zufriedenheit zu gelangen. Wenn die Ehepartner sich beispielsweise auseinandergelebt haben, werden Möglichkeiten erörtert, wie die Qualität der Beziehung verbessert werden kann. Häufig geht es vor allem darum, Kommunikationsstörungen zu beheben und wieder miteinander ins Gespräch zu kommen. Manchmal erscheint eine Paartherapie sinnvoll.

Klienten, die zur Beratung kommen, nachdem sie bei sich die Abhängigkeit von einem Esoterikanbieter erkannt haben, leiden häufig unter Scham- und Schuldgefühlen. „Wie konnte mir so etwas passieren?“ oder „Wie konnte ich auf diesen Guru hereinfallen?“ sind häufige Fragen, die AussteigerInnen quälen. Manchmal gab es jahrelang keinen Kontakt zur Familie. Auch hier werden die damalige Lebenssituation sowie lebensgeschichtliche Faktoren berücksichtigt, um ein Erklärungsmodell für die Vulnerabilität zu entwickeln. Die emotionale oder auch körperliche Notsituation zum Einstiegszeitpunkt wird erinnert und die Klienten werden ermuntert, Verständnis für ihr damaliges Handeln zu entwickeln. Trauer und Wut werden durchlebt und im nächsten Schritt kann es zu einer Verarbeitung und Einordnung in die Lebensgeschichte kommen. Anschließend können weiterhin bestehende Lebensthemen oder aktuell anstehende Probleme in der Beratung bearbeitet werden.


Esoterik – harmloser Zeitvertreib oder Gefahr für Leib und Seele?


Viele Menschen haben schon einmal ihr Horoskop gelesen, homöopathische Kügelchen geschluckt, zur Entspannung meditiert oder Yoga gemacht. Nicht jeder, der Angebote auf dem Esoterikmarkt wahrnimmt, ist in Gefahr, abhängig zu werden oder sonst wie Schaden zu nehmen. In den meisten Fällen stellt sich anschließend ein Wohlbefinden ein. Der Blick in die Sterne lässt uns schmunzeln und die Erkältung dauert mit der homöopathischen Medikation eine Woche und ohne sieben Tage. Die Menschen, die sich in unserer Beratungsstelle melden, haben allerdings weniger gute bis dramatische Erfahrungen mit esoterischen Anbietern gemacht.

Anbieter auf dem Esoterikmarkt haben in der Regel keine medizinische oder psychologische Ausbildung absolviert. Trotzdem geben sie vor, mit Hilfe besonderer Fähigkeiten, Menschen bei ihren psychischen oder körperlichen Krankheiten heilen zu können. Es zeigt sich in vielen Beratungsfällen, dass es dabei zu massiven psychischen und medizinischen Problemen kommen kann. Familien brechen auseinander, schwere Krankheiten werden nicht adäquat behandelt, Psychosen können ausgelöst werden.

Aus irgendeinem Grund lässt sich niemand von einem Arzt operieren, der durch ein Berufungserlebnis im letzten Jahr in Indien, seinen Beruf als Fernfahrer an den Nagel hing und seit diesem Jahr Operationen am offenen Herz anbietet. Aber auf die notwendige Chemotherapie wird bereitwillig verzichtet, wenn ein Geistheiler diese als schädlich ansieht und auf seine eigenen geistigen Energien setzt. Ein Blick in die Zukunft durch eine Hellseherin kann den erwünschten Ehemann im Jahre 2012 lokalisieren und damit Hoffnung wecken oder aber auch eine schlimme Krankheit oder den Tod voraussehen, was dann zu massiven Ängsten führen kann. Eine spirituelle Lebensberaterin kann emphatisch und mütterlich sein. Aber die von ihr durchgeführte Engelmeditation kann bei einer psychisch labilen Persönlichkeit eine Psychose auslösen.

Alternative Heilmethoden sind zu einem festen Bestandteil unserer Gesundheitsversorgung geworden. Leider werden die Gefahren oft unterschätzt. Die Spreu vom Weizen zu unterscheiden ist oft nicht einfach, da auch gutgemeinte Hilfe schädlich sein kann.

Folgende Kriterien zur Beurteilung von alternativen/komplementären Heilmethoden können hilfreich sein:

  1. Alternative Heilmethoden sind hilfreich zur Vorbeugung von Krankheiten bzw. zur Erhaltung der Gesundheit
    Beispiele: Meditation, Yoga

  2. Alternative Heilmethoden sind komplementär (zusätzlich) einsetzbar zur Schulmedizin.
    Beispiele: Wirksamkeit von Akupunktur bei Zahnschmerzen, Fibromyalgie

  3. Es gibt Erkrankungen, die nur von Schulmedizinern bzw. psychologischen Psychotherapeuten behandelt werden sollten.
    Beispiele: Unfallverletzungen, Infektionserkrankungen, Psychosen, schwere Depressionen, psychische Traumatisierungen
(Hier die vollständige Checkliste alternative Heilangebote

Das anfängliche Beispiel der Zusammenarbeit zwischen der Uni-Klinik Bochum und einem Geistheiler ist aus unserer Sicht so nicht zu befürworten. Die Zusammenarbeit mit nur einem Heiler, den der Arzt und nicht der Patient auswählt, ist nicht zu verantworten und führt zu Irritationen. Das Beispiel kann aber anregen in der Zukunft eine ganzheitliche Versorgung von Patienten stärker zu berücksichtigen, als dies bisher geschieht. Alternative Heilmethoden können, je nach Wunsch und Glaube des Patienten, begleitend zur konventionellen Medizin sinnvoll eingesetzt werden, um den Patienten in seinem gesamten gesundheitlichen Wohl zu stärken.  

 

Literatur:

Hemminger, H.J.: Psychische Abhängigkeiten in Extremgruppen. In: EZW-Materialdienst. Februar 2011

Ruppert, H.-J.: Suche nach Erkenntnis und Erleuchtung – moderne esoterische Religiosität. In: Panorama der neuen Religiosität. Sinnsuche und Heilsversprechen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Hrsg.: Hempelmann, R. u.a.. Gütersloher Verlagshaus. Gütersloh 2005

Straube, E. R.: Heilsamer Zauber. Psychologie eines neuen Trends. Spektrum Akademischer Verlag. München 2005