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Autor: Anja Gollan 20.03.2014
Der Erfahrungsbericht unserer Klientin dokumentiert sehr eindrucksvoll, welche schwerwiegenden Folgen die Behandlung von Krankheiten durch selbsternannte Heiler haben kann. Solche Erfahrungen sind kein Einzelfall. In unserer praktischen Arbeit beobachten wir immer wieder, dass Geistheiler ihre heilerischen Fähigkeiten überschätzen. In der Regel haben diese Heiler keine medizinische Ausbildung. Stattdessen berufen sie sich auf spirituelle Fähigkeiten, die sie zur Gesundung eines Menschen einsetzen können. Diese sich selbst zugeschriebene, beinahe göttliche Befähigung kann eine enorme emotionale Wirkung im Behandlungsverhältnis haben und einen Menschen stark beeinflussen. Auf der Suche nach Heilung und Zuwendung kann es dazu kommen, dass kranke Menschen bereit sind, dem Heiler blind zu vertrauen. Gefährlich wird es vor allem dann, wenn der Heiler sich über die Schulmedizin stellt und vom Arztbesuch abrät.Als sich die Klientin Ende des Jahres 2012 an uns wandte, bereute sie sehr, dass sie der Heilerin so lange vertraute. Aus Scham und Unsicherheit über die rechtliche Situation hatte sie lange geschwiegen. Nach und nach meldeten sich auch weitere Personen in unserer Beratungsstelle, die teilweise über mehrere Jahre von der Heilerin behandelt worden waren. Bis zum Sommer 2013 meldeten sich insgesamt acht betroffene Personen. Sie wandten sich mit unterschiedlichsten Krankheiten und Beschwerden, wie z.B. Bluthochdruck, chronischen Schmerzen oder Rückenleiden an die Heilerin. Auch sie berichteten, dass die Behandlungsaufnahme unter der Bedingung stand, dass jegliche schulmedizinische Behandlung (Konsultation von Ärzten, Einnahme von Medikamenten, Durchführung bildgebender Verfahren) zuvor abgebrochen wird. Der beschriebene Ablauf der Behandlungen ähnelte den Schilderungen der ersten Klientin:
• Erstellung von Diagnosen, • Verabreichung von Injektionen, • manuelle Behandlung des Körpers auf einer Behandlungsliege, • Durchführung von Akupunkturbehandlungen sowie die • Verordnung von homöopathischen Arzneimitteln.
Die Sitzungen dauerten zwischen 45 Minuten bis 90 Minuten und kosteten zwischen 50 und 120 €. Einige der behandelten Personen merkten bereits nach relativ kurzer Zeit, dass ihre Beschwerden sich nicht besserten und wandten sich - ohne nachhaltige körperliche Schädigungen - wieder ab. Andere, vor allem diejenigen, die sich über mehrere Jahre behandeln ließen, berichteten über Kreislaufprobleme infolge der Injektionen oder über starke Schmerzen infolge der manuellen Körperbehandlung. Eine lebensgefährliche Situation, wie bei der ersten Klienten, trat glücklicherweise in keinem weiteren Fall ein.
Bei einer solchen Fallgestaltung ist zunächst zu klären, ob eine medizinische Qualifikation des Heilers vorliegt. Im Internet findet sich diesbezüglich lediglich ein veralteter Eintrag der Heilerin, in welchem sie sich als „Lebensberaterin“ bezeichnet. Weitere Recherchen ergaben, dass sie weder eine Approbation als Ärztin noch eine Zulassung als Heilpraktikerin besitzt. Im Zentrum der rechtlichen Beurteilung steht daher die Frage: Dürfen medizinische Laien die beschriebenen Methoden zur Behandlung eines kranken Menschen vornehmen? Die entscheidenden Vorschriften zur Klärung dieser Frage enthält das Heilpraktikergesetz. Dieses sieht vor, dass eine Person, die Heilkunde ausüben will und keine Approbation als Arzt hat, eine Heilpraktikererlaubnis braucht.(1) Die Bevölkerung soll dadurch vor unqualifizierter Ausübung der Heilkunde geschützt werden. Heilkunde ohne Zulassung zu praktizieren ist strafbar und wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.(2)
Was genau unter dem Begriff „Heilkunde“ zu verstehen ist, wird in § 1 Absatz 2 des Heilpraktikergesetzes definiert. Heilkunde im Sinne des Gesetzes ist danach jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden beim Menschen. Diese Definition ist sehr weit gefasst. Wegen der mit dem Erlaubniszwang verbundenen Beschränkung des Grundrechts der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) wird der Begriff vom Bundesverwaltungsgericht einschränkend ausgelegt. Als erlaubnispflichtige Heilkunde gelten danach nur solche Heilbehandlungen, die medizinische Fachkenntnis erfordern und gesundheitliche Schäden verursachen können. Heilkundliche Verrichtungen, die keine nennenswerten Gesundheitsgefahren zur Folge haben können, scheiden aus. Andererseits genügt aber auch eine nur mittelbare Gesundheitsgefährdung, etwa dadurch, dass eine notwendige ärztliche Behandlung bei schwerwiegenden Erkrankungen verzögert wird.(3) Diese Auslegung des Begriffs „Heilkunde“ ist auch für die strafrechtliche Beurteilung von Heilbehandlungsfällen maßgeblich und wird seit längerem in der Rechtsprechung der Strafgerichte vertreten.(4)
Gemessen an der zuvor dargestellten Definition und dem geforderten Gefährdungspotential der Heilbehandlung sind die angewandten Behandlungen (Akupunktur, Verabreichung von Injektionen, manuelle Körperbehandlung, Verordnung homöopathischer Arzneimittel) als erlaubnispflichtige Ausübung von Heilkunde zu bewerten. Denn die Tätigkeiten sind auf die Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten gerichtet, erfordern medizinische Fachkenntnis und können gesundheitliche Schäden verursachen. Zu den einzelnen Behandlungsmethoden, wie z.B. der Akupunktur, dem Verabreichen von Injektionen oder der manuellen Behandlung des Körpers, gibt es bereits einschlägige Rechtsprechung.So hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Akupunktur als Heilkundeausübung eingestuft, weil eine (fehlerhafte) Akupunktur zu nicht unerheblichen Gesundheitsgefahren führen kann. Abgesehen von Infektionsgefahren bei Nichtbeachtung hygienischer Grundregeln, kann beispielsweise ein zu tiefer Einstich zu Nerven- und Gefäßverletzungen führen.(5) Auch die Injektion von Arzneimitteln erfordert medizinisches Fachwissen und kann bei nicht fachgerechter Durchführung zu nicht unerheblichen Gesundheitsgefahren führen. Neben Infektionsgefahren, kann es z.B. bei fehlenden Kenntnissen über die Wirkweise von Arzneimitteln zu Unverträglichkeitsreaktionen kommen. Dementsprechend hat der Verwaltungsgerichtshof Kassel festgehalten, dass Injektionen von Arzneimitteln (gleichgültig, ob rezeptpflichtig oder nicht) als heilkundliche Eingriffe in den Verantwortungsbereich von Ärzten oder Heilpraktikern fallen.(6) Desweiteren kann eine manuelle Behandlung des Körpers – ohne entsprechende Ausbildung – zu erheblichen Gesundheitsgefahren führen. Die Klienten berichteten uns, dass die Heilerin zur Therapie von Krankheiten (vor allem bei Erkrankungen des Bewegungsapparates) den gesamten Körper (auch die Wirbelsäule) derart fest mit den Händen bearbeitete, dass dies zum Teil mit erheblichen Schmerzen verbunden gewesen sei. Die Rechtsprechung hat bereits bei unterschiedlichen Grifftechniken zur Behandlung des Bewegungsapparates festgehalten, dass eine erlaubnispflichtige Ausübung der Heilkunde vorliegt.(7) Ebenso ist die Verordnung von homöopathischen Arzneimitteln als heilkundliche Tätigkeit zu bewerten. Grundsätzlich liegt zwar bei der Verabreichung von homöopathischen Arzneimitteln in der sonst üblichen Hochpotenz (d.h. Verdünnungen, in denen Wirkstoffe wissenschaftlich nicht mehr nachweisbar sind) keine unmittelbare Gefahr durch das Einnehmen vor. Die Gefahr ist vielmehr darin zu sehen, dass die Heilerin die homöopathischen Arzneimittel gegen bestimmte Erkrankungen empfohlen hat. Dadurch werden die Patienten veranlasst, auf die Wirksamkeit dieser Behandlung zu vertrauen, anstatt sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Mangels medizinischer Fachkenntnis können schwerwiegende Erkrankungen nicht rechtzeitig erkannt und fachgerecht behandelt werden. Die Klientin im Erfahrungsbericht schilderte, dass ein homöopathisches Mittel gegen ihr angeblich schlechtes Lymphsystem empfohlen wurde. Wie sich im Nachhinein herausstellte, litt die Klientin an Amyloidose, einer schweren Erkrankung, die zum Nierenversagen führen kann, wenn sie nicht unverzüglich medizinisch behandelt wird. Durch die Fehlbehandlung der Heilerin, hat die Klientin wertvolle Zeit für die fachmedizinische Behandlung ihrer Erkrankung verloren.Die Tätigkeit der Heilerin wurde auch in der vom Heilpraktikergesetz geforderten Häufigkeit ausgeübt („berufs- oder gewerbsmäßig“).(8) Ausreichend ist die Absicht, die Tätigkeit in gleicher Art zu wiederholen und dadurch zu einer wiederkehrenden Beschäftigung zu machen.(9) Dies wurde von der Rechtsprechung bejaht, bei der Behandlung von mindestens sieben Fällen.(10) Dass es bei einigen Klienten nicht zu einer konkreten Gesundheitsgefährdung gekommen ist, ist unerheblich, denn der Bundesgerichtshof hat erst kürzlich entschieden, dass es ausreicht, wenn der ohne Zulassung arbeitende Heiler die Gesundheit seiner Kranken potentiell gefährdet.(11) Ebenso wenig steht der Annahme einer erlaubnispflichtigen Heilkundeausübung die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts entgegen, wonach allein das rituelle, geistige Heilen keine erlaubnispflichtige Ausübung der Heilkunde darstellt.(12) Zwar beruft sich die Heilerin auf ihre spirituellen Kräfte, aber ihre Handlungen sind ein deutliches „mehr“ gegenüber den erlaubnisfreien rituellen Handlungen, wie z.B. Handauflegen oder Beten.
Wie eingangs erläutert, ist die unerlaubte Ausübung der Heilkunde nach § 5 Heilpraktikergesetz strafbar und wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe geahndet. Zu beachten ist hier, dass eine dreijährige Verjährungsfrist gilt. Zwar hatten einige der Klienten lange gewartet bis sie sich uns anvertraut hatten - in den meisten Fällen war jedoch noch keine Verjährung eingetreten. Demzufolge haben wir die Klienten darin bestärkt, den Sachverhalt an die zuständigen Behörden weiterzuleiten und sich als Zeugen zur Verfügung zu stellen. Ende des Jahres 2012 wurde dann von unserer Beratungsstelle bei der Staatsanwaltschaft Köln Strafanzeige gegen die Heilerin gestellt. Das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde allerdings Anfang des Jahres 2014 gegen Zahlung von 2.500 € eingestellt. In der Begründung der Einstellung wurde u. a. auf ein „nicht unerhebliches Mitverschulden“ der Zeugen verwiesen, welche sich in die Hände der Heilerin begeben hätten, ohne dass die Heilerin ihnen gegenüber eine medizinische Ausbildung behauptet hätte. Das Ergebnis entspricht unserer Erfahrung, dass Behörden im Umgang mit solchen Fällen eher zurückhaltend agieren. Die erste Frage im Kontakt mit Ordnungsbehörden, Polizeibeamten oder Staatsanwälten ist häufig, warum lassen die Leute sich überhaupt auf so etwas ein?Diese Frage ist berechtigt, allerdings verleitet sie dazu, das Verhalten der Betroffenen vorschnell als „eigene Dummheit“ abzutun und dadurch das Fehlverhalten des Täters zu entschuldigen. Eine solche Sichtweise versperrt den Blick auf den Sinn und Zweck des Heilpraktikergesetzes. Denn das Heilpraktikergesetz berücksichtigt gerade die Schwächesituation eines kranken Menschen. Viele Menschen, die erkrankt sind und sich auf der Suche nach Heilung ihrer Beschwerden befinden, sind für unseriöse Heiler ein leichtes Opfer. Durch das Heilpraktikergesetz soll verhindert werden, dass unberufene Personen die Neigung vieler Leidender, jede scheinbare Hilfe anzunehmen, ausnützen, um sich auf Kosten dieser Menschen eine bequeme Einnahmequelle zu verschaffen.(13)
Für Betrugsdelikte wurde bereits höchstrichterlich entschieden, dass die Leichtgläubigkeit des potenziellen Opfers seine Schutzbedürftigkeit und damit die Strafbarkeit des Täters nicht ausschließt.(14) Etwas anderes kann nicht für derartige Heilbehandlungsfälle gelten. Vielmehr liegt in der Ausnutzung der krankheitsbedingten Schwächesituation gerade das Unrecht, welches das Heilpraktikergesetz sanktionieren will. Es erscheint daher zweifelhaft, solche Taten mit Hinweis auf das Mitverschulden der Opfer einzustellen. Würde dies gängige Rechtspraxis, wäre es ein Freibrief für unseriöse Heiler, sich auf Kosten kranker Menschen zu bereichern. Der Gesetzgeber hat gerade im Gesundheitsbereich zahlreiche Vorschriften zum Schutz der Bevölkerung erlassen. Dazu zählt nicht nur das Heilpraktikergesetz, sondern auch das Heilmittelwerbegesetz. Das Heilmittelwerbegesetz soll verhindern, dass durch eine mit Übertreibung arbeitende, suggestive oder marktschreierische Werbung kranke Menschen zu Fehlentscheidungen verleitet werden.(15) Danach ist es unzulässig, wenn Arzneimitteln, Behandlungen oder anderen Mitteln eine therapeutische Wirksamkeit beigelegt wird, die nicht wissenschaftlich erwiesen ist.(16) Auch im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb findet sich ein spezielles Irreführungsverbot für unwahre Angaben in Bezug auf die heilende Wirkung von Waren oder Dienstleistungen.(17) Hintergrund dieser gesetzlichen Regelungen ist, dass Menschen insbesondere dann eines besonderen Schutzes bedürfen, wenn sie krank und dadurch anfällig für Scharlatane und obskure Heilversprechen sind. Es wäre wünschenswert, dass diese Vorschriften konsequenter angewendet werden, um einen ausreichenden Schutz der Bevölkerung vor unseriösen Heilmethoden zu gewährleisten.
Zum Erfahrungsbericht Vorsicht "Heiler"
1 Vgl. § 1 Absatz 1 Heilpraktikergesetz.
2 Vgl. § 5 Heilpraktikergesetz.
3 Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 26.08.2010 - Az. 3 C 28.09; NVwZ-RR 2011, S. 23-24.
4 Vgl. Bundesgerichtshof, Urteil v. 22.06.2011 - Az. 2 StR 580/10; NJW 2011, S. 3591-3593 m.w.N.
5 Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss v. 15.03.2011 - Az. 8 ME 8/11 zur Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) m.w.N.; vgl. auch Amtsgericht Kassel, Urteil v. 06.12.2000 - Az. 8800/800 Js 6547/00 (272 Ds) zur Raucherentwöhnung durch Akupunktur.
6 Verwaltungsgerichtshof Kassel, Beschluss v. 02.02.2000 - Az. 8 TG 713/99; NJW 2000, S. 2760-2761.
7 Vgl. Bundesgerichtshof, Urteil v. 03.04.1981 - Az. I ZR 41/80; NJW 1981, S. 2008 zu chiropraktischen Behandlungen, Verwaltungsgericht Aachen, Beschluss v. 15.08.2012 - Az. 5 L 322/12 zur Craniosacral-Therapie und Oberverwaltungsgericht Lüneburg, a.a.O. zur Tuina-Massage.
8 Vgl. § 1 Heilpraktikergesetz.
9 Spickhoff, Medizinrecht, 2011, § 1 Heilpraktikergesetz Rn. 9.
10 Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil v. 06.03.1979 - Az. Ss 1/79; NJW 1980, S. 652.
11 Bundesgerichtshof, Urteil v. 22.06.2011 - Az. 2 StR 580/10; NJW 2011, S. 3591-3593.
12 Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 02.03.2004 - Az. 1 BvR 784/03; NJW-RR 2004, S. 705 und Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 03.06.2004 - Az. 2 BvR 1802/02; NJW 2004, S. 2890.
13 Bayerisches Oberlandesgericht, Urteil v. 21.10.1971 - Az. 4St 76/71; NJW 1972, S. 348 - 349; Bundesgerichtshof, Urteil v. 04.11.1955 - Az. 5 StR 421/55; NJW 1956, S. 313-314.
14 Bundesgerichtshof, Urteil v. 04.12.2003 - Az. 5 StR 308/03; NStZ-RR 2004, S. 110-111.
15 Bundesgerichtshof, Urteil v. 26.09.2002 - Az. I ZR 101/00; NJW-RR 2003, S. 478-479.
16 Vgl. §§ 3 Nr. 1, 15 Absatz 2 und 3 Heilmittelwerbegesetz.
17 Vgl. § 3 Absatz 3 Nr. 18 UWG.