Beratung und Information zu neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen
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Verschwörungstheorien am Arbeitsplatz – Herausforderung für Arbeitgeber und Kollegen

Einleitung

Verschwörungstheorien rückten in der Corona-Pandemie verstärkt in das öffentliche Interesse. Für Verwunderung sorgte dabei nicht die Tatsache, dass gegen einige der coronabedingten Einschränkungen protestiert wurde, sondern die in diesem Zusammenhang vorgebrachten „Sichtweisen“: die Existenz oder die Gefährlichkeit des Corona-Virus wurde geleugnet; die Pandemie sei nur ein Vorwand von ominösen Mächten im Hintergrund, um den Menschen zu schaden. Konnte dies anfangs noch als abstruses Gedankengebilde einzelner Personen oder kleiner Grüppchen abgetan werden, zeigte sich im Laufe der Zeit, dass es sich um ein Phäno­men mit großer Reichweite und erheblichem Konfliktpotential handelt.

Einige Berufsgruppen, wie Politiker[*] , Wissenschaftler oder Journalisten berichteten über massive Anfeindungen und öffentliche Verunglimpfungen.[1] Nicht mehr der sachliche Diskurs stand im Vordergrund, sondern die Abwertung der Person. Facebook sperrte im September des letzten Jahres etwa 150 Konten der deutschen „Querdenker-Bewegung“ und sieht in den veröffentlichten Inhalten die Gefahr, zu Gewalt zu führen und auch in anderer Form gesell­schaftlichen Schaden anzurichten. Die Bewegung konzentriere sich in erster Linie darauf, die Verschwörungstheorie zu fördern, dass die Covid-19 Beschränkungen der deutschen Regie­rung, Teil eines größeren Plans seien, um Bürger ihrer Freiheiten und Rechte zu berauben. Gewalt würde als probates Mittel dargestellt, um die Maßnahmen der Regierung zur Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte im Namen der Pandemie zu kippen.[2]

Das Innenministerium NRW beschreibt in einem Sonderbericht zum Thema „Verschwörungs­mythen und Corona-Leugnern“ die Akteure der Protestbewegung als sehr heterogen (u.a. Leug­ner einer Corona-Pandemie, Impfgegner, Esoteriker, Reichsbürger, Rechtspopulisten, Verschwörungsmystiker und Menschen aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft, die sich keinem Bereich zuordnen lassen). Aus dieser „Gemengelage“ heraus, sei eine „Corona-Leugner-Szene“ entstanden, die sich aus verschiedenen Strömungen zusammensetze.[3] Ein Teil der Szene wird inzwischen vom Verfassungsschutz beobachtet. Neben den Einflüssen aus dem Rechtsextremismus habe sich innerhalb der Bewegung ein eigener Typus herausge­bildet, der selbst verfassungsfeindliche Botschaften formuliere und staatsgefährdend agiere. Abstruse, zum Teil antisemitische und volksverhetzende Verschwörungsmythen würden weite Verbreitung und Akzeptanz finden. Es wird davon ausgegangen, dass sich der Verfassungs­schutz auch nach Ende der Pandemie mit den Gefahren durch verfassungsfeindliche Diskurse in Verbindung mit Verschwörungstheorien beschäftigen muss.[4]

Verschwörungstheorien sind seit langem ein wichtiges Themenfeld unserer Arbeit. Mit Beginn der Pandemie stiegen die Anfragen in diesem Bereich. Neben Konflikten im privaten Lebens­umfeld, zeigten sich im letzten Jahr zunehmend auch Konflikte im beruflichen Kontext. Das starke Sendungsbewusstsein der Anhänger und Anhängerinnen, die eigenen Überzeugungen mitzuteilen, wurde von den Kollegen oftmals als grenzüberschreitend und „missionarisch“ erlebt. Auch für Arbeitgeber ergaben sich neue Herausforderungen, z.B. wenn mit der Leug­nung des Corona-Virus auch innerbetriebliche Schutzmaßnahmen in Frage gestellt wurden.

Hier einige Fallbeispiele aus der Beratungspraxis [5]

Eine Mitarbeiterin aus dem pädagogischen Bereich berichtet, dass ein Kollege sich seit Beginn der Pandemie verstärkt Verschwörungstheorien zuwende und in seinen Äußerungen und Verhaltensweisen immer massiver werde. In der WhatsApp-Gruppe des Teams folgten mehr­mals täglich Nachrichten (Bilder, Videos…etc) mit verschwörungstheoretischen Inhalten. Auch in persönlichen Gesprächen lenke er die Unterhaltung immer wieder auf entsprechende Themen. Da er so offensiv mit seinen Ansichten umgehe, befürchten die Kollegen inzwischen auch, dass er die zu betreuenden Jugendlichen im Sinne seiner abstrusen Theorien zu beein­flussen versuche.

Die Ehefrau eines in leitender Position angestellten Mannes sorgt sich um ihren Mann - bedingt durch eine OP und längere Krankschreibung, habe er viel Zeit im Internet verbracht. Inzwischen informiere er sich ausschließlich über ungesicherte Quellen aus dem Internet und lehne öffentlich-rechtliche Medien ab. Er vertrete die Ansicht, dass der Staat unfähig sei und die eigentlichen „Strippenzieher“ im Hintergrund das Geschehen lenken. Sein Misstrauen gegenüber dem Staat sei so groß, dass er sich mit einem Protestplakat in die Innenstadt des kleinen Ortes gestellt habe. Er rief dazu auf, die coronabedingte Maskenpflicht zu verweigern. Seine Ehefrau befürchtet mögliche berufliche Konsequenzen, wenn Kollegen oder der Arbeitgeber dies mitbekommen.

Die Geschäftsführerin eines Betriebs beschreibt, dass ein Mitarbeiter sowohl in den Pausen als auch während der Arbeitszeit versucht, seine Kollegen von den coronabedingten Maßnahmen, insbesondere vom freiwilligen Impfangebot des Betriebs, abzubringen. Es würde durch das Impfen ein Chip implantiert. Die Kollegen fühlten sich dadurch zunehmend belästigt. Mehrfach kam es bereits zu Streitigkeiten der Mitarbeiter untereinander. Ein ermahnendes Gespräch mit dem Mitarbeiter habe keinerlei Wirkung gehabt. Er berief sich gegenüber der Betriebsleitung auf seine Meinungsfreiheit.

Die beschriebenen Fragestellungen werden in dem vorliegenden Fachartikel aufgegriffen und der Umgang mit verschwörungstheoretischen Ansichten am Arbeitsplatz thematisiert. Wie kann der Arbeitgeber reagieren, wenn ein Mitarbeiter plötzlich völlig irrational denkt, agiert und handelt? Wie weit reicht die Meinungsfreiheit im Arbeitsverhältnis? Unter welchen Umständen kann das Arbeitsverhältnis gekündigt werden? Der Schwerpunkt der Ausführungen liegt dabei auf dem „normalen“ Arbeitsverhältnis in der Privatwirtschaft. Eine andere Situation ergibt sich beim öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis, da hier die Mitarbeiter einer zusätzlichen Verfas­sungstreuepflicht unterliegen. Die diesbezüglichen Besonderheiten werden zum Ende der Ausführungen beleuchtet.

 

Meinungsfreiheit versus schutzwürdige Interessen der anderen Betriebs­angehörigen

Die im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) räumt grundsätzlich jedem das Recht ein, seine Meinung frei zu äußern. Umfasst sind Äußerungen, die durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden.[6] „Meinung“ ist daher grundsätzlich weit zu verstehen. Äußerungen, die sich kritisch mit Regie­rungshandeln (z.B. mit der Verhältnismäßigkeit der pandemiebedingten Schutzmaßnahmen) auseinandersetzen, sind zweifelsfrei vom Recht der freien Meinungsäußerung geschützt. Dies gilt selbst für nicht mehr nachvollziehbare und realitätsferne Äußerungen, wie der Leugnung des Corona-Virus oder den bösen Mächten, die im Hintergrund das Geschehen lenken - denn auch Realitätsverweigerung ist als ein Teil der Meinungsäußerung im öffentlichen Diskurs zu dulden.[7] In der Diskussion mit Anhängern von Verschwörungstheorien werden häufig auch Tatsachenbehauptungen angeführt, die der Stützung des Werturteils dienen sollen - die Tatsachenbehauptungen stehen dann wegen dieses Zusammenhangs ebenfalls unter dem Schutz der Meinungsfreiheit.[8] Nicht vom Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit umfasst ist dagegen die Verbreitung von „Fake-News“, also die bewusst unwahre Tatsachenbehauptung, die im Interesse einer Meinungsbeeinflussung – zumeist politischer Art – verbreitet wird.[9]

Es ist daher nicht zutreffend, wenn Akteure von umstrittenen Bewegungen, wie auch der „Corona-Leugner Szene“ vortragen, ihre Meinung würde nicht ausreichend respektiert. Das Gegenteil ist in Deutschland der Fall. Selbst extremistische Meinungen fallen unter den Schutz von Art. 5 GG. Dies besagt nicht, dass solche Äußerungen als inhaltlich akzeptabel anzuneh­men sind. Die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes setzt vielmehr darauf, dass Äußerun­gen, die für eine demokratische Öffentlichkeit mitunter schwer erträglich sein können, grund­sätzlich nicht durch Verbote, sondern in der öffentlichen Auseinandersetzung entgegenge­treten wird.[10] Die Grenze liegt in Ehrverletzungen und den allgemeinen Gesetzen.[11] Bis dahin gilt: Jede noch so unerwünschte Meinung muss hingenommen werden.[12]

 

Das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt grundsätzlich auch im Betrieb. Es wäre mit der elementaren Bedeutung des Grundrechts unvereinbar, wenn die Meinungs­äußerung dem Bereich der Arbeitswelt, die die Lebensgestaltung vieler Menschen wesentlich bestimmt, ferngehalten würde.[13]  Die Meinungsfreiheit muss im Betrieb jedoch in einen ange­messenen Ausgleich gebracht werden mit den schützenswerten Interessen des Arbeitgebers und den der übrigen Mitarbeiter.[14] Der Arbeitgeber kann sich bei störenden Meinungsäuße­rungen einzelner Arbeitnehmer vor allem auf seine durch Artikel 2 Absatz 1 GG, 12 und 14 GG geschützte unternehmerische Freiheit berufen. Er hat ein schutzwürdiges Interesse an der Funktionsfähigkeit seines Betriebes und damit auch ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse, dass innerhalb der Belegschaft keine Konflikte entstehen. Der Betrieb ist daher zwar keine politische Enklave, aber auch kein „Diskussionsforum“. Im Vordergrund steht die Verrichtung der Arbeit.

Auch die anderen Arbeitnehmer haben das Recht auf eine eigene - vom „Störenfried“ abwei­chende - Meinung aus Art. 5 GG und zudem schützenswerte Rechte an einem friedlichen Betriebsklima. Werden sie zu sehr bedrängt, hat der Arbeitgeber die Pflicht, die belästigten Arbeitnehmer zu schützen.

Daraus ergibt sich, dass die Äußerung einer politischen Meinung gegenüber Arbeitskollegen im Betrieb grundsätzlich von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.[15] Sowohl der Arbeitgeber als auch die Kollegen müssen es aushalten, wenn ein Mitarbeiter krude Verschwörungstheorien und extreme Ansichten vertritt. Allerdings müssen während der Arbeitszeit klare Grenzen beachtet werden. Diskussionen, die in der Pause geführt werden, dürfen sich nicht negativ auf das Arbeitsverhalten auswirken, z.B. durch Überziehen der Pausen oder fehlende Konzentration bei der Arbeit infolge zuvor geführter hitziger Diskussionen. Unzulässig ist in jedem Fall, die ständige Kundgabe der eigenen politischen oder ideologischen Überzeugung im Betrieb entweder mündlich oder in anderer Form, z.B. durch Aufhängen von Plakaten oder durch Verteilen von Flugblättern.[16]

 

Verschwörungstheorien als „Weltanschauung“?

Personen, die die Existenz des Corona-Virus leugnen, hängen unterschiedlichsten Begrün­dungen und Verschwörungstheorien an, wie z.B. die Corona-Pandemie sei von den „Eliten“ (u.a. Bill Gates) geplant worden, die Pandemie sei eine lang erwartete Gelegenheit der „Eliten“, um einen großen Umbruch von Wirtschaft und Gesellschaft zu Lasten der Gesamt­bevölkerung vorzunehmen („Great Reset“), die Pandemie diene lediglich als Vorwand, um die Interessen der Pharmaindustrie zu erfüllen oder zur Injektion von „Überwachungschips“. [17]

Eine interessante juristische Frage in diesem Zusammenhang ist daher, ob diese Ansichten eine von Art. 4 GG und § 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützte Weltan­schauung darstellen. Das AGG verbietet eine Benachteiligung von Beschäftigten aufgrund ihrer Religion oder Weltanschauung und ist vom Arbeitgeber u.a. bei der Erteilung von inner­betrieblichen Weisungen zu berücksichtigen. Das Bundesverwaltungsgericht versteht unter Weltanschauung eine „Gesamtsicht der Welt“, in welcher es um die „Stellung des Menschen in der Welt, seine Herkunft, sein Ziel und seine Beziehung zu höheren Mächten oder tieferen Seinsschichten“ geht - eine rein politische Überzeugung fällt nicht darunter.[18] Dement­sprechend werden die verschiedenen Begründungsmuster der „Querdenker“ und der „Impf­verweigerer“ in juristischen Fachveröffentlichungen nicht als „Weltanschauung“ bewertet. Denn die Bewegungen bzw. deren Begründungen befassen sich nur mit einem (kleinen) Ausschnitt des Weltgeschehens und betrachten diesen aus ihrem eigenen Blickwinkel. Ein umfassendes System lässt sich diesbezüglich nicht in der Form erkennen, als dass hierin eine Weltanschauung im Sinne von Artikel 4 GG und damit auch des §1 AGG festgestellt werden könnte.[19]

 

Letzte Konsequenz: Abmahnung und Kündigung

Zum arbeitsrechtlichen Umgang mit Arbeitnehmern, die extreme politische oder ideologische Ansichten vertreten oder konfliktträchtigen Bewegungen angehören, sind bereits eine Reihe gerichtlicher Entscheidungen ergangen. Vor allem zum Bereich Rechtsextremismus, aber auch bei Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zur Scientology Organisation oder der islamis­tischen Szene liegen inzwischen einige arbeitsgerichtliche Entscheidungen vor. Die Auseinan­dersetzung mit diesem Themenfeld findet in der arbeitsgerichtlichen Praxis meistens im Zusammenhang mit Abmahnungen und Kündigungen statt. Im letzten Jahr beschäftigten sich die Arbeitsgerichte vermehrt auch mit Angehörigen oder Sympathisanten der „Corona-Leugner-Szene“ und dadurch veranlassten Konflikten am Arbeitsplatz. Ob die Verbreitung eines entsprechenden Gedankenguts und damit zusammenhängender Aktionen zur Abmah­nung oder Kündigung berechtigt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Insbesondere davon, ob es sich um ein dienstliches oder außerdienstliches Verhalten handelt.

 

Dienstliches Verhalten

Zunächst einmal gilt, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, seine geschuldete Arbeitsleistung ordnungsgemäß zu erbringen. Das Arbeitsverhältnis ist - nüchtern betrachtet - ein schuld­rechtliches Austauschverhältnis: Arbeitsleistung gegen Lohnzahlung. Neben dieser Hauptleis­tungspflicht, verpflichten sich die Vertragspartner auch zur gegenseitigen Rücksichtnahme.

Die politische oder ideologische Überzeugung des Arbeitnehmers oder seine Betätigung in umstrittenen Parteien oder Bewegungen ist grundsätzlich seine Privatangelegenheit und stellt für sich genommen keinen Kündigungsgrund dar. Ausnahmen gelten nur für Mitarbeiter, die besonders vertrauensvolle Positionen ausüben, wie z.B. leitende Angestellte mit Zugang zu unternehmensinternen wichtigen Daten[20], (sozial-)pädagogisch tätige Mitarbeiter, denen die Unterstützung hilfsbedürftiger Menschen anvertraut ist[21] oder Mitarbeiter in besonders sensib­len Sicherheitsbereichen, wie der Atomtechnik.[22] Hier kann bereits die Zugehörigkeit zu einer umstrittenen Bewegung oder außerdienstliche „Berührungspunkte“ zum extremistischen Milieu, die Eignung in Frage stellen und eine personenbezogene Kündigung rechtfertigen.

Für die anderen Arbeitnehmer gilt jedoch der Grundsatz: Nur dann, wenn sich aus der politi­schen oder ideologischen Orientierung eine konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhält­nisses ergibt, kann dies zu einer Abmahnung und bei Nichtabstellen des fraglichen Verhaltens auch zu einer Kündigung führen. Im Zusammenhang mit Mitarbeitern, die in ihren Anschauun­gen sehr stark verhaftet sind, kann es zu „Störungen des Betriebsfriedens“ und zur „Verwei­gerung von Arbeitsanweisungen“ kommen.

 

Störung des Betriebsfriedens

Unter Betriebsfrieden versteht man die störungsfreie Zusammenarbeit sowohl zwischen den Mitarbeitern untereinander als auch zwischen der Firmenleitung und den Mitarbeitern. Der Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass der Betriebsfrieden nicht ernstlich und schwer gefährdet wird. Wird eine Kündigung auf die Störung des Betriebsfriedens gestützt, reicht es nicht, wenn der Arbeitgeber nur auf eine mögliche abstrakte Gefährdung verweisen kann, z.B. weil er herausgefunden hat, dass ein Mitarbeiter einer konfliktträchtigen Szene an­gehört. Vielmehr muss er eine konkrete Störung im Betrieb nachweisen. Bejaht wird dies u.a. bei provozierenden und radikalen Meinungsäußerungen im Betrieb oder der ständigen Kund­gabe der eigenen politischen oder ideologischen Überzeugungen während der Arbeitszeit.[23]

So wurde vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz festgestellt, dass innerhalb eines Unter­nehmens betriebene Werbeaktivitäten für die Scientology Organisation geeignet sind den Betriebsfrieden zu stören.[24] Wenn diese auch auf mehrfache Aufforderung nicht abgestellt werden, kann dieses Verhalten als schwerer Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten angesehen werden und sogar eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Der Mitarbeiter hatte während der Arbeitszeit andere Arbeitnehmer in langanhaltende Diskussionen verwickelt und Werkseinrichtungen, wie Werkstelefon, Werkspost und Kopierer für seine privaten Werbe­zwecke genutzt. Das Gericht hielt dazu fest, dass der Arbeitgeber ein schützenswertes Interesse an einer weitgehendst ideologie- und politischneutralen betrieblichen Atmosphäre hat, womit sich das nachhaltige und permanente Werben für eine umstrittene Organisation gerade nicht in Einklang bringen lasse.

Im Zusammenhang mit Personen, die beispielsweise die Existenz des Corona-Virus leugnen, sind ebenfalls Fallgestaltungen denkbar, in denen ein überzeugter Anhänger versucht, den Arbeitsplatz als Plattform für die Kundgabe der eigenen Ansichten zu nutzen. Der Betriebs­frieden kann z.B. dadurch gestört werden, dass coronabedingte Schutzmaßnahmen im Betrieb in Frage gestellt und verweigert werden und zugleich versucht wird, die Kollegen von der Umsetzung der Schutzmaßnahmen abzubringen.[25] Selbstverständlich gilt die Pflicht, sich mit der Kundgabe von provozierenden politischen oder ideologischen Auffassungen im Betrieb zurückzuhalten, auch für Vorgesetzte oder leitende Angestellte. Wenn z.B. eine Führungskraft leugnet, dass es eine Corona-Erkrankung gibt und hiervon aufgrund ihrer Vorgesetztenstellung untergebene Mitarbeiter zu überzeugen versucht, kann dies einen Kündigungsgrund darstel­len.[26] Es ist grundsätzlich unstatthaft, das Arbeitsverhältnis zu nutzen, um Arbeitnehmer im Sinne der privaten politischen oder ideologischen Überzeugung „missionieren“ zu wollen.

Verweigerung von Arbeitsanweisungen

Der Arbeitnehmer hat die Pflicht, Anweisungen, die der Arbeitgeber auf der Grundlage seines Weisungsrechts[27] erteilt, umzusetzen. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers erstreckt sich auf die Ordnung und das Verhalten im Betrieb und damit auch auf die aufgrund öffentlich-rechtli­cher Arbeitsschutzvorschriften gebotenen Schutzmaßnahmen.[28] Lässt sich daher ein Mitar­beiter, der die Gefährlichkeit des Corona-Virus in Abrede stellt und stattdessen von einer großen Verschwörung ausgeht, nicht belehren und weigert sich, aufgrund seiner Einstellung hartnäckig Maßnahmen zum Infektionsschutz im Betrieb umzusetzen, kann dies zu einer ver­haltensbedingten Kündigung führen. Inzwischen liegt eine Reihe von Entscheidungen der Arbeitsgerichte vor, in welchen sich die Gerichte mit fragwürdigen Begründungen und dubio­sen Attesten zur Entledigung der Maskenpflicht am Arbeitsplatz auseinandersetzen mussten.[29]

Die Vehemenz, mit der Arbeitnehmer ihre Position in solchen Fällen vertreten können, sei durch folgenden Fall des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen[30] verdeutlicht: Ein langjäh­riger Mitarbeiter eines Unternehmens stützte seine Weigerung, die vom Arbeitgeber angeord­neten pandemiebedingten Schutzmaßnahmen (u.a. Mund-Nasen-Schutz) umzusetzen, auf mehrere Gründe. Zunächst legte er ein ärztliches Attest vor, aus welchem sich ergab, dass er aus „medizinischen Gründen“ von der Maskenpflicht im Zusammenhang mit der COVID-Pandemie befreit sei. Weitere Angaben enthielt das Attest nicht. Außerdem führte er in einer schriftlichen Erklärung an den Arbeitgeber neben gesundheitlichen Gründen, u.a. Atembe­schwerden, auch politische Gründe an: So sei das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung mit seiner politischen Aktivität bei QUERDENKEN-711 nicht vereinbar, da die sog. „Maskenpflicht" für ihn ein Symbol politischer Unterdrückung darstelle. Der Arbeitgeber hatte ihn mehrfach abgemahnt und angeboten, zur Vermeidung der Atembeschwerden ein Gesichtsvisier zu tragen oder im Homeoffice zu arbeiten, was der Arbeitnehmer ablehnte. Schließlich wurde ihm sogar eine Freistellung mit Vergütungsfortzahlung angeboten, was er ebenfalls ausschlug. Es folgte die fristlose Kündigung. Die dagegen eingereichte Kündigungsschutzklage des Arbeit­nehmers blieb erfolglos. Das Arbeitsgericht hob hervor, dass die Kündigung nicht erfolgte, weil der Arbeitnehmer ein abweichendes Werturteil etwa in Fragen der „Corona-Politik“ getroffen hätte. Auch seine politische Überzeugung und sein Mitwirken bei der sog. Querdenker-Bewe­gung seien weder Anlass noch Ursache für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Kündi­gungsgrund sei vielmehr die Nichtbefolgung der Weisung des Arbeitgebers. Das Gericht hielt den Arbeitgeber für berechtigt, sowohl eine Mund-Nasen-Bedeckung während der Arbeitszeit vorzuschreiben als auch alternativ ein Gesichtsvisier, Homeoffice oder den Arbeit­nehmer freizustellen. Der Arbeitnehmer müsse gut begründete Arbeitsanweisungen befolgen – unabhängig von seinen persönlichen Ansichten. Als weitere Gründe für die Wirksamkeit der Weisung wurde sowohl der Gesundheitsschutz der Kollegen als auch die Wahrung des Betriebsfriedens benannt. Das vorgelegte Attest war nach Ansicht des Gerichts nicht geeignet, um sich der arbeitsrechtlichen Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu entledigen. Allein die Aussage, dass der Arbeitnehmer aus „medizinischen Gründen“ befreit sei, habe kaum einen Aussagewert. Im Zusammenhang mit der ablehnenden Haltung gegenüber einer Maskenpflicht (auch) aus politischen Gründen und seiner dazu vorgetragenen „Begründung“, verliere das Attest jede weitere Aussagekraft. Das Gericht wies abschließend darauf hin, dass aufgrund der bisher an den Tag gelegten „Resistenz“ des Arbeitnehmers nicht zu erwarten sei, dass er sein Verhalten ändere, so dass eine außerordentliche Kündigung als „ultima ratio“ gerechtfertigt sei.

 

Außerdienstliches Verhalten

Verständlicherweise wollen Arbeitgeber ihre Reputation schützen und haben ein großes Inte­resse daran, dass ihre Arbeitnehmer sich in der Öffentlichkeit zur „Unternehmenskultur“ pas­send präsentieren. Die arbeitsrechtlichen Hürden für Arbeitgeber sind aber bei Äußerun­gen und Verhaltensweisen, die den reinen Privatbereich des Arbeitnehmers betreffen, sehr hoch.[31]

Das Recht des Arbeitnehmers auf Meinungsfreiheit und politische Betätigung ist zu respek­tie­ren. Insofern ist auch die Zugehörigkeit zu umstrittenen Bewegungen, wie der „Querdenken“- Bewegung oder „QAnon“ erst dann kündigungsrelevant, wenn es sich - wie zuvor dargestellt - auf die vertraglichen Beziehungen der Arbeitsvertragsparteien konkret innerbetrieblich aus­wirkt.[32]

Aus Sicht des Arbeitgebers ist es daher ratsam, nicht übereilt gegen Anhänger und Anhänge­rinnen von Verschwörungstheorien in der Mitarbeiterschaft vorzugehen. Der Arbeitgeber muss es hinnehmen, wenn er Arbeitnehmer beschäftigt, die anerkannte wissenschaftliche Erkennt­nisse negieren und provozierende, nicht mehr nachvollziehbare Sichtweisen vertreten. Auch die private Teilnahme an einer „Querdenken“- Demonstration außerhalb der Arbeitszeit oder entsprechende private Meinungsäußerungen, die eine Gefahr durch das Corona-Virus leugnen, begründen als außerdienstliches Verhalten grundsätzlich noch keinen sanktionierbaren Pflichtenverstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten.[33]

Eine Ausnahme ist für Führungskräfte, die das Unternehmen nach außen repräsentieren, anzunehmen. Hier gilt eine gesteigerte Rücksichtnahmepflicht im Hinblick auf die Interessen des Arbeitgebers. Je höher die betriebliche Stellung des Arbeitnehmers, desto eher kann der Arbeitgeber Zurückhaltung und Mäßigung bei außerdienstlichen Äußerungen verlangen.

Eine weitere Ausnahme kommt in Betracht, wenn der Arbeitnehmer selbst einen Bezug zu seinem Arbeitgeber herstellt. Ein solcher Bezug wurde beispielsweise in der Rechtsprechung bejaht, wenn ein Arbeitnehmer in seinem „Social Media“ Profil seinen Arbeitgeber angibt und ausländerfeindliche oder volksverhetzende Beiträge postet. Denn durch die offene Benennung seiner Betriebszugehörigkeit bringt er seinen Arbeitgeber geschäftsschädigend mit dem Inhalt seiner Äußerungen in Verbindung.[34] Insbesondere durch Nutzung von sozialen Netzwerken sind Veröffentlichungen heute viel einfacher geworden und können für die Reputation des Arbeitgebers nachteilig sein. Sympathisanten oder Anhänger der „Corona-Leugner Szene“ sind häufig in sozialen Netzwerken aktiv und haben ein starkes Sendungsbewusstsein. Häufig haben ihre kontroversen Beiträge daher eine gewisse Reichweite. Hinzu kommt, dass Positi­onen teils sehr vehement vertreten werden und es zu abwertenden Werturteilen und Anfein­dungen gegenüber Andersdenkenden kommen kann.[35] Der Arbeitgeber wird in der Regel kein Interesse daran haben, mit derartigen Äußerungen in Verbindung gebracht zu werden, um Geschäftsbeziehungen mit Kunden nicht zu gefährden.

In solchen Fällen kommt daher ein Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Rücksichtnahme­pflicht aus § 241 Absatz 2 BGB in Betracht. Danach sind die Vertragsparteien verpflichtet, den Interessen des jeweils anderen nicht zu schaden. Die Interessen des Arbeitgebers an der Wahrung seiner Geschäftsbeziehungen müssen daher im Einzelfall mit dem Recht des Arbeit­nehmers auf Meinungsfreiheit abgewogen werden.  Bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde anderer antasten oder die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung erweisen, tritt die Meinungsfreiheit allerdings regelmäßig zurück. Es ist daher in solchen Fällen ratsam, dass der Arbeitgeber das Gespräch mit dem Arbeitnehmer sucht und ihn auf seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme aufmerksam macht. Wird das Verhalten darauf­hin nicht abgestellt, ist zu prüfen, ob das Verhalten im Einzelfall eine Abmahnung und Kündi­gung rechtfertigen kann. Dabei sind folgende Aspekte zu berücksichtigen[36]:

  • Inhalt der Äußerung (lediglich provokante, überspitzte und wissenschaftlich haltlose Äußerung oder schwerwiegende Diffamierung)
  • Empfängerkreis und Reichweite („geschlossene“ Gruppe oder öffentlich einsehbar in sozialen Netzwerken)
  • Stellung des Arbeitnehmers (einfacher Mitarbeiter oder Führungskraft: je höher sein betrieblicher Rang, desto mehr Zurückhaltung kann der Arbeitgeber erwarten)
  • Intensität der Äußerung (einmaliges „Liken“ einer diskreditierenden Äußerung oder proaktives Handeln über einen längeren Zeitraum)
  • Folgen der Äußerung (Distanzierung von Kunden/öffentliche Berichterstattung, die sich nachteilig auf den Ruf des Arbeitgebers auswirkt).

Im Hinblick auf den Inhalt der Äußerung ist anzufügen, dass die bisher veröffentlichte Recht­sprechung nur bei sehr „drastischen“ Aussagen eine Kündigung als gerechtfertigt ansah. Daraus ergibt sich, dass lediglich polarisierende Äußerungen oder „schräge“ Verschwörungs­theorien, wie z.B. Chemtrails, Reptiloide und Co. bei dem normalen Mitarbeiter - ohne Führungsfunktion - sicherlich keine Kündigung rechtfertigen können. Anders ist die Verbrei­tung von antisemitischen und volksverhetzenden Verschwörungstheorien einzuordnen.[37] Insofern ist jedenfalls dann, wenn ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber offen benennt und gleichzeitig volksverhetzende und menschenverachtende Äußerungen oder massive Beleidi­gungen in sozialen Netzwerken kundtut, davon auszugehen, dass der Arbeitgeber aufgrund der zu befürchtenden Rufschädigung, zu einer Abmahnung und Kündigung berechtigt ist.[38]

 

Besonderheiten im öffentlichen Dienst

Besondere Grundsätze gelten im öffentlichen Dienst. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst unterliegen einer politischen Treuepflicht. Sie müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen. Dabei gilt für Beschäftigte mit einem weniger hohen Verantwortungsbereich eine „einfache“ Treuepflicht, während bei Beamten sogar eine „gesteigerte“ Treuepflicht besteht.[39] Die Pflicht zur Verfassungstreue gilt sowohl für das dienstliche als auch für das außerdienstliche Verhalten. Insofern kann auch ein außer­dienstliches Fehlverhalten - eher als in der Privatwirtschaft - kündigungsrechtlich bedeutsam sein. Wenn ein Beamter mit der Reichsbürgerbewegung sympathisiert und ein Gedankengut vertritt, welches die Geltung des Grundgesetzes und die verfassungsmäßigen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland in Frage stellt, kann dies zu Beendigung des Beamtenverhält­nisses führen.[40]

Aber auch die übrigen Beschäftigten im öffentlichen Dienst müssen - auch in ihrer Freizeit - die politische Treuepflicht beachten. Der Dienstherr muss es nicht hinnehmen, wenn ein Beschäftigter im öffentlichen Dienst, das Handeln des Gesetzgebers im Rahmen der Bekämp­fung der Corona-Pandemie bewusst öffentlich in die Nähe der nationalsozialistischen Diktatur rückt. In einem Fall aus Baden-Württemberg hatte eine beim Land angestellte Polizeiärztin in einer kostenlosen Sonntagszeitung unter ihrem Namen eine Anzeige mit der Überschrift „Infektionsschutzgesetz = Ermächtigungsgesetz“ veröffentlicht. Weiter hieß es in der Anzeige: „Zwangsimpfung - Wegnehmen der Kinder - Schutzlos in der eigenen Wohnung - Geschlos­sene Grenzen - Arbeitsverbot - Gefängnis. Wir, die Bürger von Deutschland, sollen alle unsere Rechte verlieren. Wir müssen Widerstand leisten.“ Die Ärztin wurde daraufhin ordentlich gekündigt. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg bestätigte die Wirksamkeit der Kündigung.[41] Mit dem Begriff „Ermächtigungsgesetz“ habe die Ärztin bewusst auf das natio­nalsozialistische Ermächtigungsgesetz von 1933 Bezug genommen. Dadurch habe sie in schwerwiegendem Maß ihre politische Treuepflicht verletzt, da sie die gesetzgebenden Organe verächtlich gemacht habe.

Speziell bei Lehrern und Erziehern wird ein positives Verhältnis zu den Grundwerten der Verfassung gefordert, da sie den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen glaubwürdig die Grundwerte unserer Verfassung vermitteln müssen.[42] In diesem Zusammenhang erlangte eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin[43] große öffentliche Aufmerksamkeit. Hier ging es um einen Grundschullehrer, der den YouTube Kanal „Der Volkslehrer“ betrieb und in seiner Freizeit rechte Verschwörungstheorien verbreitete. Sein Arbeitgeber, das Land Berlin, kün­digte das Arbeitsverhältnis außerordentlich wegen fehlender persönlicher Eignung für die Tätigkeit als Lehrer im öffentlichen Dienst. Die Kündigung war nach Ansicht des Arbeits­ge­richts Berlin wirksam. Der Lehrer habe seine Videos genutzt, um den Rechtsstadt anzugrei­fen und verächtlich zu machen. Unter anderem habe er eine immerwährende „jüdische Welt­ver­schwörung“ propagiert und Aussagen seiner Interviewpartner, die dem rechtsextremen Bereich zuzuordnen seien, positiv kommentiert. Dies sei für einen Beschäftigten des öffent­li­chen Dienstes nicht hinnehmbar. Darüber hinaus, ist es einem Lehrer auch nicht erlaubt, seine natürliche Autorität gegenüber den Schülern zu nutzen, um die Schüler im Sinne der eigenen politischen Meinung zu beeinflussen. Dies ist bereits aus der älteren Rechtsprechung des Bun­desarbeitsgerichts bekannt[44] und spiegelt sich auch in aktuellen Entscheidungen wieder. So darf ein Lehrer, der die Corona-Pandemie leugnet, seine privaten Überzeugungen nicht in den Schulalltag tragen und seine Schüler verunsichern, indem er coronabedingte Schutzmaßnah­men in Zweifel zieht und die COVID-19 Pandemie als Verschwörung der Pharmaindustrie bezeichnet.[45] Definitiv zu weit geht auch ein Lehrer, der eine Elternvertreterin diffamiert, weil sie seine ablehnende Haltung zum Mund-Nasen-Schutz bei Schülern nicht teilt.[46]

Eine im letzten Jahr viel diskutierte Frage in diesem Zusammenhang war auch, ob Beamte in ihrer Freizeit an „Anti-Corona-Demos“ teilnehmen dürfen und auf dem Podium ihre kritische Meinung zu den Pandemiemaßnahmen kundtun dürfen.[47] Grundsätzlich gilt, dass sich Beamte - wie jeder andere Bürger auch - auf die Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG berufen können. Die Meinungsäußerungsfreiheit von Beamten als Privatperson unterliegt jedoch Einschränkungen, die sich aus ihrer politischen Treuepflicht ergeben. Zur Treuepflicht gehört auch die „Mäßi­gung und Zurückhaltung“ bei politischer Betätigung.[48] Grundsätzlich kann sich daher ein Beamter mit der gebotenen Sachlichkeit zu jedem rechtspolitischen Thema äußern. Er darf auch Kritik an staatlichen Entscheidungen, wie z.B. den coronabedingten Maßnahmen üben. Problema­tisch ist es aber, wenn ein Beamter einen unmittelbaren Bezug zur dienstlichen Tätigkeit herstellt. So muss er auch außerhalb des Dienstes eine klare Trennung zwischen seinem Amt und der Teilnahme am politischen Meinungskampf einhalten. Wenn z.B. ein Kriminalkom­missar auf einer Demonstration unter Nennung seiner Dienstbezeichnung, alle Polizisten zum Widerstand und Ungehorsam gegen die Pandemiemaßnahmen der Politik auf­ruft, verknüpft er seine private Meinung mit seiner beruflichen Stellung. Diese Meinungsäuße­rung ist darauf angelegt, sich im dienstlichen Bereich niederzuschlagen und verstößt damit gegen das Mäßi­gungsgebot.[49] Solche Aussagen sind dann nicht mehr vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt und können disziplinarrechtliche Maßnahmen zur Folge haben und sogar zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen. In einer aktuellen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover[50] hatte ein Polizeibeamter zunächst ohne hinreichenden Anlass einen Staatsangehörigkeitsausweis beantragt und damit ein für die Reichsbürgerszene typisches Verhalten gezeigt. Außerdem trat er auf öffentlichen Veranstaltungen der „Querdenken“-Bewegung auf, verbreitete Verschwörungstheorien und verunglimpfte staatliche Institutionen. Unter anderem berief sich das Gericht auf Aussagen des Beamten, in welchen er von „geheimen Militäroperationen“ sprach und angedeutet habe, dass sich unter dem Flughafen Berlin und dem Bahnhof Stuttgart Bunker befänden, in welchen Migranten darauf vorbereitet würden, gegen das deutsche Volk aufzubegehren. Das Gericht bewertete sein Verhalten als Verstoß gegen das Mäßigungsgebot und als schweres Dienstvergehen, so dass die Entfernung aus dem Dienst als schwerste Disziplinarmaßnahme gerechtfertigt sei.

 

Fazit

Es ist davon auszugehen, dass extreme Haltungen „jeglicher Couleur“ weiter zunehmen werden. Auch die Verbreitung von Verschwörungstheorien in Verbindung mit verfassungs­feindlichen Diskursen wird nach dem Ende der Pandemie weiter eine Rolle spielen und bleibt daher ein relevantes Thema für Arbeitgeber.

Das Arbeitsrecht gibt einen klaren Rahmen für den Umgang mit solchen Fällen vor. Die politi­sche oder ideologische Einstellung des Arbeitnehmers - genauso wie seine Zugehörigkeit zu umstrittenen Organisationen, wie den „Querdenkern“, „QAnon“ oder den „Reichsbürgern“ - ist zunächst seine Privatangelegenheit. Das Arbeitsrecht ist kein Mittel, um unerwünschte politi­sche oder verschwörungsideologische Haltungen allgemein zu sanktionieren. Ein Kündi­gungsgrund kann nur dann vorliegen, wenn auch tatsächlich betriebliche Interessen verletzt werden, z.B. durch Störungen des Betriebsfriedens oder durch Verweigerung von Arbeitsan­weisungen. Dabei hat der Arbeitgeber auch eine Fürsorgepflicht gegenüber den übrigen Mit­arbeitern - diese sind sowohl vor penetranter ideologischer Meinungskundgabe als auch durch konsequente Durchsetzung von Arbeitsschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz zu schüt­zen.

Die Betätigung des Arbeitnehmers in sozialen Netzwerken und eine damit einhergehende Ver­öffentlichung verschwörungstheoretischer Ansichten ist als außerdienstliches Verhalten grundsätzlich vom Arbeitgeber hinzunehmen - selbst wenn aus Sicht des Arbeitgebers, „untragbare“ Ansichten vertreten werden. Etwas anderes gilt, wenn der Arbeitnehmer die Betriebszugehörigkeit offen angibt und dadurch seinen Arbeitgeber mit geschäftsschädigen­den Inhalten in Verbindung bringt, insbesondere durch schwerwiegende Diffamierungen anderer Menschen oder volksverhetzende Äußerungen. In solchen Fällen verstößt der Arbeit­nehmer gegen seine Rücksichtnahmepflicht, so dass der Arbeitgeber - je nach Einzelfall - mit den bekannten arbeitsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten über Ermahnung/Abmahnung bis hin zur Kündigung des Arbeitnehmers reagieren kann.

Besondere Grundsätze gelten im öffentlichen Dienst. Die Beschäftigten unterliegen einer politischen Treuepflicht, die auch in der Freizeit zu beachten ist. Ein außerdienstliches Fehl­verhalten kann daher – schneller als in der Privatwirtschaft – kündigungsrechtlich bedeutsam sein. Auch wenn der private Arbeitgeber daher im Zweifel mehr dulden muss, bietet das Arbeitsrecht dennoch einige Möglichkeiten, um sich gegenüber fanatisierten Mitarbeitern zur Wehr zu setzen. Der Arbeitgeber ist berechtigt einzugreifen, wenn Arbeitnehmer durch ihre politischen oder ideologischen Ansichten und Aktivitäten arbeitsvertragliche Pflichten verlet­zen und dadurch für den Arbeitgeber oder für andere Arbeitnehmer unzumutbar werden. Auch eine Kündigung kann als letztes Mittel gerechtfertigt sein. Zuvor gilt jedoch, mit dem Arbeit­nehmer das Gespräch zu suchen, um ihm die Möglichkeit einer Verhaltensänderung einzuräu­men. Dies ist insbesondere bei Mitarbeitern, die verfestigten Glaubenssätzen anhängen, keine einfache Aufgabe. Hier kann jedoch möglicherweise eine spezialisierte Fachberatungsstelle im Bereich Verschwörungstheorien weiterhelfen.

 


[*] Zur besseren Lesbarkeit wurde nur das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten sind dabei ausdrücklich mitgemeint.

[1] Vgl. Gutterres: We must act now strengthen the immunity of our society against the virus of hate, abrufbar unter https://www.un.org/en/coronavirus/we-must-act-now-strengthen-immunity-our-societies-against-virus-hate (01.04.22).

[2] Vgl. Nathaniel Gleicher „Head of Security“ von Facebook, 16.09.21, abrufbar unter https://about.fb.com/de/news/2021/09/entfernung-neuer-arten-von-bedrohlichen-netzwerken/ (23.02.22).

[3] Ministerium des Innern NRW, Sonderbericht zu Verschwörungsmythen und „Corona-Leugnern“, 2021, S. 41 ff.

[4] Ministerium des Innern NRW, a.a.O., S. 5.

[5] Alle personenbezogenen Angaben wurden anonymisiert und unter Wahrung verständlicher Sinnzusammenhänge abgeändert, um unsere Schweigepflicht zu wahren.

[6] BVerfG NJW 2018, S. 2861.

[7] Vgl. Ministerium des Innern NRW, Sonderbericht zu Verschwörungsmythen und „Corona-Leugnern“, 2021, S. 7.

[8] Vgl. BVerfG NJW 1999, S. 204.

[9] Wandtke/Ostendorff, Grenzen der Meinungsfreiheit bei Hassreden aus straf- und persönlichkeitsrechtlicher Sicht, ZUM 2021, 26 (34).

[10] BVerfG NJW 2018, S. 2861.

[11] Wie z.B. die strafbewehrten Verbote der Beleidigung und Volksverhetzung.

[12] Vgl. Gusy, Die Corona der Coronaleugner und das Versammlungsrecht, 2020, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/die-corona-der-coronaleugner-und-das-versammlungsrecht/ (02.04.22).

[13] LAG Berlin Brandenburg, 07.10.21, 10 Sa 867/21, juris.

[14] Vgl. dazu ausführlich: Picker, Politischer Extremismus als Herausforderung für die Gesamtrechtsordnung und Arbeitsrecht, RdA 2021, S. 33 (35).

[15] Henssler, Kommentar Arbeitsrecht, 2020, § 626 Rn. 176.

[16] Picker, a.a.O., S. 36.

[17] Ausführlich zu den „Typischen Narrativen und Begründungsmustern“: Ministerium des Innern NRW, Sonderbericht zu Verschwörungsmythen und „Corona-Leugnern“, 2021, S. 18 ff.

[18] BVerwG NJW 2005, S. 85 (88); in diesem Sinne auch: BT-Drs. 16/2022, S.13; Grünberger/Husemann, in: Preis/Sagan, Europäisches Arbeitsrecht, 2019 Rn. 5.86; Picker, Politischer Extremismus als Herausforderung für die Gesamtrechtsordnung und Arbeitsrecht, RdA 2021, S. 33 (41 f.).

[19] Krainbring, Entgeltfortzahlung bei Corona-Infektion nach verweigerter Schutzimpfung, NZA 2021, S. 247 (250); Gräf, Der Impfstatus im Arbeitsverhältnis, NZA 2021, S. 1361 (Fußnote 80).

[20] Vgl. dazu Bauer/Baeck/Merten: Scientology - Fragerecht des Arbeitgebers und Kündigungsmöglichkeiten, DB 1997, S. 2534.

[21] LAG Hamm, 04.11.2008, 14 Sa 157/08, juris: Kündigung des Leiters eines sozialen Fußball-Fan-Projektes mit dem Ziel Jugendliche vor dem Abdriften in die rechte Szene zu bewahren wegen außerdienstlicher Nähe zu umstrittenen Musikgruppen, die der rechten Szene zugeordnet wurden.

[22] VG Aachen, 28.10.2019, 6 K 1526/19, openJur: Fehlende Zuverlässigkeit eines Reichsbürgers für Arbeit in Atomanlage.

[23] Henssler, Kommentar Arbeitsrecht, 2020, § 626 Rn. 176.

[24] LAG Rheinland-Pfalz, 12.07.1995, 9 Sa 890/93, Beck RS 1995, 30900382.

[25] Vgl. ArbG Villingen-Schwenningen, 17.02.21, 4 Ca 425/20, juris.: Hier hatte ein Arbeitnehmer den Kollegen während der Arbeitszeit aus dem Buch „Die Corona Lüge“ vorgelesen und den Kopierer des Arbeitgebers genutzt, um daraus Seiten für die Kollegen zu kopieren. Ob und inwieweit dies den Betriebsfrieden im konkreten Fall tatsächlich gestört hat, wurde in den Entscheidungsgründen nicht erörtert. Die Kündigung erfolgte wegen der beharrlichen Weigerung vom Arbeitgeber angeordnete Schutzmaßnahmen umzusetzen.

[26] Kleinebrink, Arbeitsrechtliche Sanktionen bei einem Verstoß eines Arbeitnehmers gegen Corona-Schutzvorschriften, NZA 2020, S.1361 (1367).

[27] Vgl. § 106 Gewerbeordnung (GewO).

[28] Bayer/Gsellhofer, ArbRAktuell 2020, S. 585 f.

[29] ArbG Cottbus, 22.12.21, 11 Ca 10581/20, juris: Hier vertrat die Arbeitnehmerin die Auffassung, die Maske sei ein Maulkorb und durch die Impfung werde man „gechipt“; ArbG Köln, 17.6.2021, 12 Ca 450/21, BeckRS 2021, 16225: Bezeichnung der Maske als „Rotzlappen“; LAG Berlin Brandenburg, 07.10.21, 10 Sa 867/21, juris: Maskenpflicht sei „Nötigung, Kindesmissbrauch und vorsätzliche Körperverletzung“.

[30] ArbG Villingen-Schwenningen, 17.02.21, 4 Ca 425/20, juris.

[31] Vgl. LAG Niedersachsen, 21.03.2019, 13 Sa 371/18, juris: Keine wirksame Kündigung bei Zurschaustellung rechtsextremer Gesinnung durch Ausbreiten der Reichskriegsflagge in einer Großraumdiskothek.

[32] Z.B. durch Störung des Betriebsfriedens oder Verweigerung von Arbeitsanweisungen.

[33] Vgl. Stück, Abmahnung und Kündigung im Zusammenhang mit Corona, ArbRAktuell 2021, S. 70.

[34] LAG Sachsen, 27.02.2018, 15 Sa 515/17, juris; ArbG Herne, 22.03.2016, 5 Ca 2806/15, juris.

[35] Ministerium des Innern NRW, Sonderbericht zu Verschwörungsmythen und „Corona-Leugnern“, 2021, S. 43 f., Wandtke/ Ostendorff, Grenzen der Meinungsfreiheit bei Hassreden aus straf- und persönlichkeitsrechtlicher Sicht, ZUM 2021, S. 26.

[36] Vgl. dazu ausführlich: Fuhlrott/Oltmanns: Social Media im Arbeitsverhältnis - der schmale Grat zwischen Meinungsfreiheit und Pflichtverletzung, NZA 2016, S. 785.

[37] Vgl. LAG Berlin Brandenburg NZA-RR 2020, S. 247: Fristlose Kündigung eines ranghohen Mitarbeiters wegen Verharmlosung des Holocaust bei dienstlicher Veranstaltung gegenüber potenziellen Kunden.

[38] Arbeitsrecht aktiv, Direktionsrecht: Querdenker im Job und was der Arbeitgeber tun kann, 2021, S. 103.

[39] Vgl. Ruge/Krömer/Pawlak/Rabe v. Papenheim, Lexikon Arbeitsrecht im öff. Dienst, 2021, Politische Treuepflicht.

[40] VG Ansbach, 29.11.2018, AN 13a D 18.00600, juris.

[41] LAG Baden-Württemberg, 02.02.2021, 10 Sa 66/21, openJur.

[42] BAG NJW 1990, S. 1196.

[43] ArbG Berlin NZA-RR 2019, S. 414.

[44] BAG NJW 1982, S. 2888: Tragen einer „Anti-Atomkraft-Plakette“.

[45] ArbG Darmstadt, 09.11.21, 9 Ca 163/21, zitiert nach Manhart, SPA 2022, S. 15.

[46] LAG Berlin Brandenburg, 07.10.21, 10 Sa 867/21, juris.

[47] Vgl. Der Spiegel, Heft Nr. 45, 06.11.21, S. 39: „Querdenker vom Amt“; ZDF, Demos gegen Corona-Maßnahmen - Wenn Beamte „Querdenker“ sind, abrufbar unter https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-beamte-querdenken-100.html (05.03.22).

[48] Vgl. § 60 Absatz 2 Bundesbeamtengesetz (BBG).

[49] Masuch, Vom Maß der Freiheit- der Beamte zwischen Meinungsfreiheit und Mäßigungsgebot, NVwZ 2021, S. 520.

[50] VG Hannover, 28.04.2022, 18 A 3735/21 (noch nicht rechtskräftig), zitiert nach https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/vg-hannover-polizist-wegen-identifikation-mit-reichsbuergerbewegung-aus-dienst-entfernt (01.05.22).