Beratung und Information zu neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen
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Schulverweigerung aufgrund konfliktträchtiger Weltanschauungen und Verschwörungsglaubens

Relevanz der Thematik für die Beratungsstelle des Sekten-Info NRW

In unserer Beratungsarbeit spielen Fälle, in denen ein Verdacht auf Kindeswohlgefährdung im Raum steht, eine wichtige Rolle. Im Jahr 2024 gab es 66 Fälle in diesem Zusammenhang, darunter auch solche, bei denen es um die Gefährdung der Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen ging.

Beratungssuchende mit ganz verschiedenen Hintergründen wandten sich an uns, von besorgten Eltern und Großeltern über Lehrende, in der Sozialen Arbeit Tätige und auch Mitarbeitende der Jugendämter, die in ihrem Umfeld oder in ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt kommen. Dabei kommen immer wieder Fälle vor, in denen der Bildungserfolg der betroffenen Kinder und Jugendlichen durch mangelnde Kooperationsbereitschaft und Feindlichkeit gegenüber dem staatlichen Bildungssystem gefährdet wird.

Insbesondere im Zug der Proteste während der Corona Pandemie hat sich ein neues Bündnis mit eigenen Strukturen gebildet, das staatliche Bildungsvorschriften ablehnt, sich darüber austauscht wie man die Kinder dem Staat und dem Bildungswesen möglichst effektiv und lange entzieht und stattdessen eigene vermeintlich bessere Alternativen anbietet. Dieser Artikel soll aufzeigen welche Argumente von Anhänger*innen konfliktträchtiger Weltanschauungen und verschwörungsideologisch denkenden Personen genutzt werden, um gegen die Schulbildung zu agitieren. Er soll somit dazu beitragen, auf das Problem aufmerksam zu machen und ein grundlegendes Verständnis für die Problematik zu entwickeln.

 

Bildungsbestimmungen in Deutschland

In Deutschland gilt nach Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes das elterliche Erziehungsrecht. Es gibt den Erziehungsberechtigten unter anderem auch das Recht, Entscheidungen über die Bildung ihrer Kinder zu treffen. Es verpflichtet aber auch dazu, als Entscheidungsgrundlage das Wohl des Kindes und die Ermöglichung seiner Entwicklung zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit zu verwenden. Der Staat hingegen hat eine Aufsichtspflicht, um sicherzustellen, dass die Eltern ihrer Verantwortung gerecht werden, und sie, wenn nötig, zu unterstützen, um: „jedem Kind die Erziehung und Bildung zu verschaffen, die es zur gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen und beruflichen Leben benötigt“ (Art 7 GG). Auch in Artikel 26 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 wird das Recht des Kindes auf gesellschaftliche Teilhabe durch Bildung anerkannt. Nur wenn vom Familiengericht festgestellt wird, dass die Eltern ihren Aufgaben nicht nachgehen können oder wollen, greift der Staat in die Bildungs­entscheidungen ein. Einen besonders wichtigen Punkt bildet hier auch die Einhaltung der Schulpflicht.

 

Schulpflicht

In Deutschland gilt die allgemeine Schulpflicht. Der Besuch einer staatlichen oder einer staatlich anerkannten Schule in freier Trägerschaft ist in Deutschland, je nach Bundesland, in der Regel bis zum Absolvieren der neunten Schulklasse, Pflicht. Die Regelung der Schulpflicht unterliegt, aufgrund der Kulturhoheit der Länder, den einzelnen Bundesländern und wird über die jeweiligen Landesverfassungen und Schulgesetze der Länder geregelt. In der Regel beginnt die Schulpflicht für alle Kinder, die zum Stichtag eines Jahres das sechste Lebensjahr vollenden, zum folgenden Schuljahr. Unterteilt ist die Schulpflicht in die Vollzeitschulpflicht (neun bis zehn Schulbesuchsjahre) und die daran anschließende Berufsschulpflicht. Die Berufsschulpflicht endet in der Regel mit dem Abschluss einer Berufsausbildung bzw. mit dem Ablauf des zwölften Schulbesuchsjahres, sie kann demnach auch für Volljährige noch bestehen.[1] Für das Land Nordrhein-Westfalen gelten 10 Jahre Vollzeitschulpflicht und danach die Pflicht zum Besuch eines Berufskollegs für Jugendliche ohne Ausbildungsverhältnis bis zum Ende des Schuljahres, in dem die Schüler*innen 18 Jahre alt werden.[2]

Deutschland ist damit eines der wenigen Länder in denen eine ausnahmslose Schulpflicht gesetzlich verankert ist. In vielen anderen Staaten gilt statt der Schulpflicht eine Unterrichtspflicht. Neben dem Besuch einer staatlichen oder freien Schule können somit auch andere Unterrichtsformen wie beispielsweise Haus- oder Onlineunterricht erlaubt sein. Die Gründe dafür sind von Land zu Land verschieden. In Flächenländern mit extrem geringer Populationsdichte wie Australien beispielsweise wäre eine strenge Schulpflicht für Kinder auf dem Land nur schwer umzusetzen.

Die Unterrichtspflicht bietet somit etwas mehr Spielraum bei der Gestaltung der Lernumgebung, verlangt aber dennoch, dass bestimmte Inhalte eines Lehrplans vermittelt werden. Häufig wird der Lernfortschritt regelmäßig, mindestens einmal pro Schuljahr geprüft, um sicherzustellen, dass das Unterrichtsniveau den staatlichen Schulen mindestens ebenbürtig ist.

Als Beispiel kann hier Österreich herangezogen werden: Während dort im Gegensatz zu Deutschland statt der Schulpflicht eine Unterrichtspflicht gilt, gibt es dort klare Vorschriften, die beim Hausunterricht eingehalten werden müssen. So muss dieser "mindestens gleichwertig" sein, und am Ende des Schuljahres muss in einer Schule eine "Externistenprüfung" bestanden werden. Sie umfasst den Lehrstoff der Pflichtgegenstände der entsprechenden Schulart und Schulstufe. Außerdem schreibt das Gesetz jährlich ein "Reflexionsgespräch" gemeinsam mit dem Kind und den Erziehungsberechtigten über den Leistungsstand des Kindes vor.

 

Wichtigkeit von formal anerkannter Bildung / Schule

Der Besuch der Schule stellt sicher, dass alle Kinder eine Bildung erhalten, die später einen berufsqualifizierenden Abschluss, und damit auch ein eigenständiges Leben ermöglicht. Ohne einen anerkannten Abschluss lassen sich nur wenige, meistens schlechter bezahlte, Berufs­chancen verwirklichen. Die Schule nimmt zudem auch eine Rolle als Korrektiv gegenüber der Umgebung des Elternhauses ein. Kinder kommen in der Schule mit anderen sozialen Normen in Kontakt, als sie sie von zu Hause kennen. Damit dient die allgemeine Schulpflicht der Erfüllung des staatlichen Bildungsauftrags. Das Bundesverfassungsgericht begründete die Notwendigkeit des Schulbesuchs daher in einem Urteil aus dem Jahr 2006 wie folgt:

 "Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten ,Parallelgesellschaften' entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Integration setzt dabei nicht nur voraus, dass die Mehrheit der Bevölkerung religiöse oder weltanschauliche Minderheiten nicht ausgrenzt; sie verlangt auch, dass diese sich selbst nicht abgrenzen und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen nicht verschließen (…). Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren, ist eine wichtige Aufgabe der öffentlichen Schule.“

Schulen seien laut dem Verfassungsgericht dafür besser geeignet, da „Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind“. Für Eltern sei daher "[…]die mit dem Besuch der Schule verbundene Konfrontation ihrer Kinder mit den Auffassungen und Wertvorstellungen einer überwiegend säkular geprägten pluralistischen Gesellschaft trotz des Widerspruchs zu ihren eigenen religiösen Überzeugungen grundsätzlich zuzumuten".[3] Insbesondere konfliktträchtige Gemeinschaften versuchen dies zu unterbinden, indem sie Kinder nicht auf staatliche Schulen schicken, son­dern eigene Schulen zu etablieren versuchen, in denen nur das Weltbild der Gruppe gelehrt wird. Sind diese Schulen darüber hinaus nicht offiziell anerkannt, ist es für die Schüler*innen später sehr schwer, Arbeit außerhalb der Gemeinschaft zu finden, wodurch ihre Existenz auch nach der Schule abhängig von der Mitgliedschaft in der Gemeinschaft bleibt. Auch in staatlich anerkannten Schulen in freier Trägerschaft kann es vorkommen, dass einzelne Personen oder Teile der Belegschaft ideologische Werte vor die Einhaltung der staatlichen Richtlinien stellen. Insbesondere bei Schulformen mit einem weltanschaulichen Hintergrund wie den konfessio­nellen Schulen oder den Waldorfschulen kann diese Gefahr bestehen.[4] [5]

 

Umgang mit Bildung in geschlossenen weltanschaulichen Gemeinschaften

Geschlossene konfliktträchtige weltanschauliche Gemeinschaften versuchen häufig das Leben in der Gemeinschaft soweit wie möglich von der Außenwelt zu trennen. Als Begründung der Notwendigkeit hierfür, wird oft die Verkommenheit der Welt außerhalb der Gemeinschaft und die daraus resultierenden negativen Folgen, z.B. für die spirituelle Entwicklung der Mitglieder beim Kontakt mit eben dieser negativen Außenwelt, angegeben. Auch Unterrichtsinhalte wie die Evolutionstheorie oder Sexualkundeunterricht werden manchmal bei fundamentalistischen Gemeinden als Gründe genannt, keinen staatlichen Unterricht zu akzeptieren, da sie der wörtlichen Auslegung der heiligen Schriften widersprächen. Die Bildung der Kinder soll möglichst in der Gemeinschaft und durch andere Mitglieder stattfinden. In Deutschland ist das aufgrund der Schulpflicht nicht möglich, weshalb einige sehr konfliktträchtige Gemeinschaften, wie zum Beispiel die „Zwölf Stämme“, in der Vergangenheit mit den Behörden in Konflikt kamen[6] (Mayr, 2012). Nachdem Kinder in der Gemeinschaft lange Zeit gar keine Schule besuchten, wurde den „Zwölf Stämmen“ 2006 zeitweise die Genehmigung für eine eigene Schule erteilt. Diese musste aber 2013 wieder entzogen werden, nachdem Recherchen aufzeigten, dass Kinder in der Gemeinschaft und auch in der eigenen Schule regelmäßig mit Rutenschlägen bestraft wurden. Dies führte zu mehreren Gerichtsverfahren und endete damit, dass ein Großteil der „Zwölf Stämme“ Mitglieder schließlich nach Tschechien auswanderte. Auch hierzu gab es 2014 einen ausführlichen Bericht des Sekten-Info NRW e.V..[7]

Ablehnung des staatlichen Bildungswesens bei „Verschwörungs-ideologen, Querdenkern und Reichsbürgern

Bei Personen, die den Milieus der Verschwörungsideologen, Reichsbürger*innen und Querdenker*innen zuzurechnen sind, finden sich ebenso ablehnende Positionen gegenüber staatlichen Bildungseinrichtungen, sonstigen staatlichen Institutionen sowie auch gegen wissenschaftliche Institutionen und gegen die öffentlich-rechtlichen Medien. Um zu verstehen, wie diese zustande kommen, ist es hilfreich, einen Blick auf die Weltsicht dieser Personengruppen zu werfen.

Grundannahmen eines verschwörungsideologischen Weltbildes

Beim Glauben an Verschwörungstheorien handelt es sich um ein kohärentes Weltbild – die Verschwörungsmentalität. Konkret heißt das: Wer an eine Verschwörungserzählung glaubt, stimmt auch meistens weiteren Erklärungen dieser Art zu. Bezeichnend für eine stark ausgeprägte Verschwörungsmentalität sind geringes Vertrauen Anderen gegenüber, Selbstzweifel und Gefühle von Machtlosigkeit sowie eine niedrige Ausprägung von Verträglichkeit gegenüber Ambiguität. Personen mit einer stark ausgeprägten Verschwörungsmentalität sind eher geneigt, weiteren Verschwörungstheorien zu glauben, wenn sie bereits an eine beliebige Verschwörungstheorie glauben. Dieses Muster lässt sich selbst dann beobachten, wenn sich der Inhalt der beiden widerspricht[8].

Das lässt sich dadurch erklären, dass bei beiden konspirativen Erklärungsansätzen davon ausgegangen wird, dass die offizielle Version eines Ereignisses nur als Tarnung für die „wahre Version“ dient. „Man glaubt zwar zu wissen, dass die »offizielle Version« falsch ist, was genau in Wirklichkeit passiert ist, kann man aber auch nicht mit Gewissheit sagen“[9]. Verschwörungsideologen würden eher einer andere Verschwörungstheorie als Erklärung eines Phänomens heranziehen, als einer offiziellen Version als Erklärung zu akzeptieren. In einem konspirativen Weltbild existieren keine Zufälle. Ein von Verschwörungserzählungen geprägtes Weltbild kann beschrieben werden als: „[…] ein Universum, dass nicht durch Zufälle, sondern durch Absichten bestimmt ist“.[10] Drei Prinzipien liegen nahezu jeder Ver­schwörungserzählung zugrunde:   

  • Nichts geschieht aus Zufall. Überall an Verschwörungen zu glauben, impliziert eine Weltsicht, die nicht auf Zufall, sondern auf intentionellem Handeln fußt. Für Zufälle und unbeabsichtigte Wirkungen ist damit kein Platz. Alles passiert, weil jemand es so gewollt hat. Auf die Spitze getrieben ergibt sich daraus eine Welt, die deutlich einfacher gestrickt ist als die Realität.        

  • Nichts ist, wie es scheint. Der Schein trügt, denn die Verschwörer versuchen immer, ihre Identität und ihre Absichten zu tarnen. Daher werden sogar wohltätige Organisationen verdächtigt, als Deckmantel für finstere Machenschaften zu dienen.

  • Alles hängt miteinander zusammen. Da in einem konspirativen Weltbild kein Platz für den Zufall existiert werden überall verborgene Muster gesucht. Daher ist es für Verschwörungsgläubige wichtig, ständig nach neuen Verbindungen und Korrelati­onen zu suchen, um die verborgenen wahren Hintergründe aufzudecken.[11]         

 

Wissenschaftsablehnung

Verschwörungsgläubige Menschen neigen dazu, besonders misstrauisch gegenüber jeder Form von anerkannter Autorität zu sein. Sie sind deshalb renommierten Wissenschaftler*innen gegenüber von vorneherein misstrauischer und werten deren Aussagen nicht als glaubhafter als die von Laien, die keine Expert*innen auf einem Gebiet sind. Vielmehr werden Wissenschaftler*innen häufig beschuldigt, selbst Teil einer Verschwörung zu sein. Dem gegenüber stehen eigene Expert*innen. Diese lassen sich recht gut in zwei Gruppen einteilen. Bei der ersten Gruppe handelt es sich um einzelne Wissenschaftler*innen, die dem wissenschaftlichen Fachkonsens widersprechen und sich häufig als Opfer einer „korrupten Akademikerelite“ darstellen. Sie werfen dieser vor, neue Erkenntnisse unterdrücken zu wollen, um den Status Quo zu erhalten. Die zweite Gruppe besteht aus selbsternannten Expert*innen ohne professionellen Hintergrund.

Personen, die wissenschaftlich arbeiten oder in der Wissenschaftskommunikation tätig sind, sowie alle, die wissenschaftliches Arbeiten lehren, - auch Lehrer*innen an Schulen - müssen in einem konspirativen Weltbild also Teil der Verschwörung sein. Wenn sie das nicht sind können sie nur inkompetent oder unwichtig genug sein, die Verschwörung nicht selbst zu erkennen bzw. nicht eingeweiht worden zu sein. In beiden Fällen wird ihnen damit ihre Glaubhaftigkeit und Autorität abgesprochen.       

Die Rolle des Staates und seiner Institutionen in einem konspirativen Weltbild

Verschwörungsideologen sehen im Staat den Arm der verborgenen Strippenzieher im Hintergrund. Für sie handeln der Staat und die Regierung nicht als gewählte Vertreter*innen des Volkes und auch nicht im Interesse der Bevölkerung, sondern einzig und allein um die, als angeblich geheim bezeichneten, Pläne mächtiger Verschwörer umzusetzen. Um diese vermuteten Geheimpläne umzusetzen wird Schaden an der Bevölkerung mindestens in Kauf genommen, wahlweise sollen der Austausch oder die gezielte Reduzierung der Bevölkerung sogar das Ziel der Verschwörer sein. Diese verborgenen Strukturen werden inzwischen häufig als „Deep State“ oder auch „tiefer Staat“ bezeichnet. Als Verschwörer werden verschiedenste Personen und Gruppen genannt. Oft fließen an dieser Stelle auch rassistische und antisemitische Stereotype mit ein.

Die Rolle der Schule

Dem staatlichen Bildungswesen, insbesondere den Schulen, wird daher von Menschen mit verschwörungsideologischen Ansichten vorgeworfen, sie würden als Indoktrinationswerkzeuge des „tiefen Staates“ genutzt. Kindern soll von klein auf das „freie Denken“ aberzogen werden, um so zu verhindern, dass viele von ihnen die „Wahrheit“ im Verständnis der Verschwörungsgläubigen erkennen. Die staatlichen Schulen werden in diesem Weltbild als Propagandawerkzeug betrachtet, deren Ziel es sei, die Kinder zu hörigen Anhängern der Regierung und des „Deep State“ zu erziehen. Das alles diene dem Ziel die Entwicklung „eigenständigen und kritischen Denkens“ zu unterdrücken, um zu verhindern, dass sie die Verschwörung bemerken. Studien belegen allerdings, dass insbesondere das Trainieren tatsächlichen kritischen Denkens einer der besten Resilienzfaktoren gegen Fake News und verschwörungsideologische Argumentationsmuster ist[12].

 Insbesondere während der Covid-19 Pandemie wurden zudem Ängste geschürt, dass es in den Schulen zu Zwangsimpfungen kommen könnte, und dass die Kinder durch das Tragen von FFP2 Schutzmasken im Unterricht angeblich geschädigt würden. Für die Eltern bedeutete der Schulbesuch ihrer Kinder somit eine vermutete Gesundheitsgefährdung, der sie ihre Kinder aussetzen und damit einhergehend einen wahrgenommenen Kontrollverlust. Besonders verschwörungsideologisch denkende Menschen haben aber häufig ein höheres Bedürfnis nach wahrgenommener Kontrolle[13] weshalb sie diesen Kontrollverlust möglichst vermeiden möchten oder ihn alternativ als einen Angriff auf ihre Elternrechte empfinden.

 

Ablehnung der Legitimität der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Gesetze und Institutionen

Eine weitere Sonderform der Ablehnung des Staates und seiner Institutionen findet sich beim sogenannten Reichsbürger- und Selbstverwalter-Milieu. Sie lehnen die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich ab und betrachten wahlweise verschiedene ältere Verfassungen als weiterhin gültig oder gründen eigene vermeintlich souveräne Staaten, denen Sie sich zugehörig fühlen und in denen eigene Gesetze gelten. In beiden Fällen sehen Sie sich selbst als außerhalb der gerichtlichen Zuständigkeit der BRD und sehen daher auch keinen Grund, die in der Bundesrepublik geltenden Gesetze befolgen zu müssen.

Für ausführlichere Informationen zu dieser Thematik gibt es in unserem letzten Jahresbericht einen Artikel mit dem Titel: „Aufwachsen mit Verschwörungstheorien und Staatsablehnung – Kinderschutz im Kontext des „Reichsbürger-“, „Selbstverwalter-“ und „Delegitimierer-Milieus“.

Esoterische Konzepte

Auch einige esoterische Vorstellungen begegnen uns immer wieder, welche die Schulbildung als etwas grundlegend Schlechtes darstellen. Häufig wird dabei Bezug auf eine Art kindliches Ur-Wissen genommen, welches Kinder etwa aus früheren Leben mitbringen würden und durch welches sie eigentlich schon alles notwendige Wissen in sich tragen würden. Dem Bildungssystem wird vorgeworfen, dieses Ur-Wissen zu zerstören. Statt eines vorgegebenen, einheitlichen Lehrplans sollten die Kinder individuell ihr eigenes Wissen aus sich heraus entwickeln können. Eng damit verbunden sind auch esoterische Vorstellungen von sogenannten hochsensiblen Kindern, die in einer höheren Schwingung oder Frequenz leben würden, was sich aus Sicht von „normalen“ Menschen in niedrigeren Frequenzen als Verhaltensauffälligkeiten äußern würde.

Ganz ähnliche Vorstellungen gibt es in der Esoterik schon sehr lange. In den 1990er und 2000er Jahren wurde für dasselbe Phänomen der Begriff „Indigokinder“ populär. Ausführlicheres dazu findet man auch in einem Bericht auf unserer Internetseite.[14] Aktuell treten noch immer vor allem dann Konflikte auf, wenn auffällige Verhaltensweisen von Kindern aufgrund esoterischer Erklärungsmuster entweder von den Eltern selbst oder von schlecht bis gar nicht qualifizierten Coaching-Anbieter*innen als Zeichen von Hochbegabung, Hochsensibilität oder Ähnlichem gedeutet werden. Im Vertrauen auf die Richtigkeit dieser esoterischen Deutung, bleibt eine professionelle Begutachtung oftmals aus. Dadurch können tatsächlich neurodivergente Kinder nicht erkannt werden und ihnen bleiben entsprechende Behandlungen, die den Alltag erleichtern könnten, verwehrt.

 

Vermeintlich bessere Alternativen zum staatlichen Bildungssystem

Einige Konzepte, die sowohl in esoterischen als auch in verschwörungsideologischen Kreisen als Alternativen zum staatlichen Bildungswesen beworben werden, stellten sich zudem als problematisch heraus. Zu nennen wären hier zum Beispiel die der völkisch esoterischen Anastasia-Bewegung nahestehende Schetinin Pädagogik. Auch in Deutschland wird dafür geworben, freie Schulen nach dem Schetinin Konzept zu eröffnen (Büchner, 2024). Die Schetinin-Pädagogik ist benannt nach ihrem Gründer, dem ehemaligen russischen Musiklehrer Michail Petrowitsch Schetinin. Im Jahr 1993 gründete er das "Lyzeum-Internat für komplexe Persönlichkeitsbildung von Kindern und Jugendlichen" in der russischen Stadt Tekos, welches 2019 von den russischen Behörden geschlossen wurde. Gründe waren mangelnde Brandschutzmaßnahmen, fehlende Lehrbücher und fehlende Qualifikationen der Lehrkräfte.

Das Schulkonzept basierte nicht auf einem festen Lehrplan. Kinder aller Altersstufen von 8 bis 22 Jahren unterrichteten sich in Lerngruppen gegenseitig. Erwachsene waren nur als Aufsichtspersonen vorgesehen. Teil des Lehrkonzeptes waren auch Kampfsport und militärische Übungen, der Tagesablauf von 5 bis 21 Uhr durchgetaktet. Sowohl Schetinin selbst wie auch andere Anhänger*innen darunter auch ehemalige Schüler*innen des „Lyzeum“, sprachen von unglaublichen Bildungserfolgen und begründen diese mit einem esoterischen Konzept. Auf dem Flyer einer Schweizer Privatschule, deren Gründer sich auf die Schetinin Schule in Tekos beziehen, steht zum pädagogischen Konzept: „Offenes und freies Lernen entsteht durch den Kontakt des bioenergetischen Feldes. Wenn hier das Treffen gelingt, kann in zehn Tagen der Mathematikstoff der ganzen Mittelschule erfasst werden. Also zehn Jahre Mathematik in elf Tagen.“[15] In Epochenunterrichtseinheiten sollte angeblich der gesamte Schulstoff eines Faches von der ersten bis zur dreizehnten Klassenstufe in wenigen Wochen vollständig gelernt und im nächsten Jahr wiederholt werden. Die „bioenergetischen Felder“, die in der Erklärung des Erfolgskonzepts vorkommen, konnten wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden und werden häufig als pseudowissenschaftliche Erklärung für die angebliche Wirksamkeit esoterischer Angebote verwendet.

Der Autor der rechtsesoterischen und in Teilen rassistischen Anastasia-Buchreihe, Wladimir Megre, beschreibt in seinen Büchern die Schule in Tekos als Vorbild „natürlichen Lernens“. Schetinin selbst war seinerseits ein überzeugter Anhänger der Anastasia-Buchreihe. Im deutschsprachigen Raum ist Schetinins Schulkonzept bei Anastasia-Anhänger*innen sowie in Teilen der Anhängerschaft des „freien Lernens“ sehr beliebt. Verschie­dene Initiativen versuchten bereits freie Schulen nach Schetinins Konzept zu gründen. Hierzu können die in Österreich und der Schweiz entstandenen Lais-Schulen gezählt werden, deren Konzept sich an der Schetinin-Pädagogik orientiert. Die Schüler werden von der Regelschule abgemeldet und lernen im Hausunterricht, zum Schuljahresende muss die Externistenprüfung abgelegt werden.

Darüber hinaus sind neben den Versuchen neue pädagogische Konzepte zu etablieren verschiedene Fälle von Eltern bekannt, die große Anstrengungen unternahmen, um ihre Kinder nach der Pandemie nicht wieder auf eine deutsche Schule schicken zu müssen. Einige wanderten mit der gesamten Familie in Länder wie Russland oder Paraguay aus, andere meldeten ihre Kinder von der Schule ab mit der Begründung, sie seien auf einer Langzeitreise. Zudem wurde von einem Fall berichtet, in dem die getrenntlebenden Eltern mit hoher Regelmäßigkeit den festen Wohnort des Kindes zwischen einander wechselten, um durch den damit einhergehenden Wechsel des zuständigen Schulamtes die Anordnung von Maßnahmen erheblich zu behindern.

 

Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen durch diese Einstellungen

All die in diesem Artikel beschriebenen Einstellungen können auf verschiedene Arten zu Konflikten, und in schlimmeren Fällen zu Schulverweigerung und Kindeswohlgefährdung führen. Zum einen können Sie über Eltern, Verwandte oder weitere Respektspersonen besonders an junge Kinder herangetragen werden. Zum anderen können Sie auch von Jugendlichen genutzt werden, um vorhandene Probleme im Zusammenhang mit dem Schulalltag zu externalisieren und liefern Gründe, den Schulbesuch zu verweigern. Im Folgenden sollen daher kurz bespielhaft zwei Situationen skizziert werden, in denen sich Personen an das Sekten-Info NRW gewandt haben.[16]

Fallbeispiele

Beeinflussung durch Eltern

Exemplarisch kann hier der Fall einer getrennt lebenden Familie M. herangezogen werden, bei der die Kindesmutter, Frau M., als dem Reichsbürgerspektrum zugehörig beschrieben werden kann. Herr M. lebte geschieden von seiner Frau. Das Sorgerecht für die drei gemein­samen Kinder lag bei Herrn M., im Fall des ältesten Kindes, im frühen Teenageralter, war das Verfahren allerdings noch nicht abgeschlossen, da es der Kindeswunsch war, bei der Mutter zu wohnen. Daraus ergab sich ein Anlass zur erneuten Begutachtung dieses Falls. Während der Aufenthalte bei der Mutter bekam das Kind immer wieder vermittelt, die Schule sei nicht legitim, da dort nur das vermittelt werde, was der „böse Besatzungsstaat BRD“ erlaube. Dem Kind gegenüber sprach die Mutter den Lehrkräften ihre Kompetenz und ihre Rolle als Autori­tätsfiguren ab, was vom Kind in der Schule rezipiert wurde und so im Unterricht immer wieder zu Problemen führte. Dies zeigte sich vor allem daran, dass sich das Kind jeglichen Anwei­sungen, Aufforderungen und Bitten des Lehrpersonals verweigerte. Zeitweise blieb das betroffene Kind dem Schulbesuch sogar über mehrere Wochen fern, während es bei der Mutter wohnte.

Wichtiger als der Schulbesuch seien laut Frau M. etwa Überlebenstraining und das Erlernen des Umgangs mit Waffen. Diese Fähigkeiten wären essentiell, um sich bei einem Umbruch der gesellschaftlichen Ordnung verteidigen zu können. Dieser stehe ihrer Meinung nach in naher Zukunft bevor. Dem Kind zufolge sei das Leben bei der Mutter besser, da es dort mehr Freiheiten genieße und weniger Regeln im Alltag zu befolgen habe als beim Vater.

 

Eigenständige Übernahme der Ideologie durch Jugendliche

Ebenso gut können derartige Inhalte von Jugendlichen selbst gefunden werden und so als Rechtfertigung für bestehende Unzufriedenheiten mit der Schule genutzt werden. In solchen Fällen können sich esoterische oder spirituelle Vorstellungen und verschwörungsideologisch begründete Ablehnung des Schulsystems vermischen und ergänzen.

Die Sozialarbeiterin einer Schule wandte sich in einem Fall an unsere Beratungsstelle, da eine Schülerin nur noch unregelmäßig am Unterricht teilnahm. Durch die hohen Fehlstunden war ihre Versetzung von der Mittel- in die Oberstufe gefährdet. In weiteren Gesprächen mit den Eltern der betroffenen Schülerin berichteten auch diese von Sorgen über die Zukunft ihrer Tochter. Das Mädchen habe, nachdem sie zuvor schon sporadisch einige Religionen ausprobiert hatte, eine persönliche und sehr auf sich selbst bezogene Spiritualität entwickelt und richte ihren Alltag sehr stark nach den daraus entspringenden Regeln aus, die sie sich selbst auferlegt hatte. Ein großes Thema spielt hier die Beschäftigung mit der eigenen Gesundheit. Inspiriert sei sie sehr stark durch Inhalte auf Telegram, womit Sie sich insbesondere während der Zeit der Corona-Pandemie intensiv beschäftigt habe. Nachdem mit dem Ende der Pandemie die Rückkehr vom Online-Unterricht zum regulären Schulunterricht eintrat, kam es zunehmend zu Problemen. Der zeitliche Aufwand, den der rigorose gesundheitliche Lebensstil der Tochter erforderte, ließ sich nicht mehr ohne weiteres mit dem Schulbesuch vereinbaren. Stattdessen lebte sie nach ihren eignen rigiden Vorstellungen eines gesunden Lebens und tauschte sich in Telegram-Gruppen mit anderen darüber aus. Dort erhielt sie laut den Eltern Zuspruch und Bewunderung für ihr Auflehnen gegen das System.

Zusätzlich zur Entwicklung der eigenen Spiritualität hatte die Tochter durch Verschwörungstheoretische Inhalte, die in diesen Gruppen geteilt wurden, ein grundlegendes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen und wissenschaftlichen Erkenntnissen entwickelt, welches sich auch in der Betonung auf die Wichtigkeit des eigenen Erlebens in ihrer Spiritualität wiederfinden ließ. In der Schule verweigerte sie in einigen Fächern komplett die Mitarbeit sowie die Prüfungsleistungen und fehlte häufig gänzlich, sodass nach der mittleren Reife die Verset­zung in den Abiturjahrgang gefährdet war.

 

Aktuelle Problemlage nach der Pandemie

Durch die Ängste vor möglichen Zwangsimpfungen in der Schule und der befürchteten gesundheitlichen Folgen von Atemschutzmasken und Covid-19 Schnelltests in Schulen, gab es während dieser Zeit diverse Berichte über Kinder, die aus den genannten Gründen der Schule fernblieben. In einigen Fällen wurde auch medienwirksam über die Schließung von nicht genehmigten Alternativschulen berichtet[17], in denen mitunter neben regulärem Unterricht auch klar unwissenschaftliche Fächer wie etwa Astrologie unterrichtet wurden. Eltern hatten sich auf Internetplattformen wie Telegram zusammengefunden und gemeinsam mit Gleichge­sinnten diese Schulen betrieben. Als Lehrpersonen fungierten zum Teil Lehrkräfte und Pädagog*innen, die ebenfalls Maßnahmenkritiker*innen waren, häufig jedoch auch ungelernte Personen.    

In Bayern wurde bei der Schließung einer Illegalen Schule deren Leiterin festgenommen, die eigentlich als verbeamtete Lehrerin an einer oberbayerischen Grund- und Mittelschule tätig sein sollte, dort jedoch seit vielen Monaten krankgeschrieben war.

Orientiert wird sich häufig an mindestens fragwürdigen pädagogischen Konzepten wie der Schetinin-Pädagogik. Auch das Sekten-Info NRW erreichte schon Fälle in denen Eltern, deren Kinder auf eine Schule in freier Trägerschaft gingen, davon berichteten, dass einzelne Lehrbeauftragte durch verschwörungsideologische oder sehr esoterische Bemerkungen aufgefallen sein. Im Jahr 2023 wurde die Eröffnung einer freien Naturschule in Solingen vorerst auf Eis gelegt, Kritiker werfen der Schulleitung Verbindungen ins Querdenker-Milieu vor. So rief unter anderem der Betreiber eines verschwörungsideologischen Telegram-Kanals aus dem Ruhrgebiet zu Spenden für das Schulprojekt auf.[18] In dieser Zeit entstandene Netzwerke und Strukturen, die solche Schulgründungen und Lerngruppen ermöglicht haben, bestehen weiterhin und die Ressentiments gegenüber der staatlichen Bildung sind auch trotz Ende der Pandemie nicht verschwunden[19].

In neueren Berichten werden sogar weitreichendere Bemühungen thematisiert, um Kinder möglichst lange vor der Obrigkeit des Staates versteckt zu halten. Einige gehen soweit, die Geburt ohne ärztliche und manchmal sogar komplett ohne jegliche Hilfe allein zu vollziehen, damit das Kind nicht amtlich erfasst wird. Besonders bei Reichsbürgerfamilien gibt es Bemühungen, die eigenen Kinder so lange wie möglich von den Strukturen der BRD fernzuhalten[20]. Aber auch bei anderen, die in der sog. „Freigeburtsszene“ aktiv sind, finden sich Hinweise auf verschwörungsideologische Ansichten. Im Gegensatz zu Österreich sind Alleingeburten in Deutschland nicht verboten, Ärzte und Hebammen warnen aber scharf davor, eine Geburt ohne medizinisch geschultes Personal durchzuführen. Kommt das Kind bei einer Alleingeburt zu Schaden, so kann sich die Mutter strafbar gemacht haben. Wenn es für die Schwangere absehbar ist, dass es bei der Geburt zu Gefahren für Leib und Leben des Kindes kommen könnte, muss sie sich laut Bundesgerichtshof Hilfe bei der Geburt holen. Werden Kinder nach der Geburt nicht erfasst, sind sie gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Die Kinder sind in der Regel nicht versichert und auch ärztliche Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen gegen gefährliche Kinderkrankheiten finden nicht statt. Indem den Kindern der Besuch von Tagesstätten, Kindergärten, Krippen o.ä. verwehrt wird, haben sie wenig Kontakte zu anderen Kindern. Diese soziale Isolation kann die Entwicklung des Kindes beeinflussen. Hinzu kommt noch, dass die Kinder häufig schon von klein auf durch die Eltern vermittelt bekommen, der Staat und die Welt da draußen seien ihnen gegenüber grundsätzlich feindlich eingestellt und gefährlich. Durch die starke Abschirmung sind die Kinder zudem auch schlechter vor Missbrauch und Verwahrlosung geschützt. Wenn Kinder so aufwachsen kann das Familiengericht aufgrund dieser sozialen Isolation und der fehlenden Entwicklungschancen eine Kindeswohlgefährdung feststellen und Maßnahmen einleiten. Bußgeldbescheide werden allerdings häufig entweder ignoriert oder willentlich bezahlt, um die Kinder nicht zur Schule schicken zu müssen.

Das Phänomen der Schulverweigerung beschränkt sich dabei nicht nur auf die Bundesrepublik Deutschland, sondern scheint auch im umliegenden deutschsprachigen Raum ein Thema zu sein. So gab es kürzlich in Österreich eine Anfrage an das Bundesministerium für Bildung[21], in der sich erkundigt wurde, ob dem Ministerium konkrete Zahlen für Kinder vorliegen, die seit dem Schuljahr 2019/20 von der Schule abgemeldet wurden und nicht zur Externistenprüfung angetreten waren. Aus der Antwort des Ministeriums ergab sich ein kontinuierlich starker Anstieg der gemeldeten Verstöße über die erfassten Jahre hinweg. Insbesondere im Schuljahr 2022/23, also mit dem Ende der Corona-Pandemie, wurde ein drastischer Anstieg von 2171 auf 4803 Fälle verzeichnet.[22] Währenddessen gibt es weiterhin Seminare und Gruppen in sozialen Netzwerken in denen Stimmung gegen das Bildungssystem und Werbung für bedenkliche Alternativen verbreitet werden. Die Antwort des österreichischen Bundesministeriums für Bildung zeigt deutlich, wie aktiv die Szene weiterhin ist. Bedenkenswert sind zudem der wachsende Einfluss von Akteuren aus völkischen und rechtsesoterischen Strukturen in der insgesamt eigentlich sehr facettenreichen Szene der Befürworter*innen alternativer Bildungsformen. Dadurch gerät auch berechtigte Kritik in Gefahr instrumentalisiert zu werden.

Es ist daher wichtig, diese Entwicklung auch bei uns in Deutschland und NRW nicht aus dem Auge zu verlieren. Eine Zusammenstellung der Zahlen der Verstöße gegen das Schulgesetz nach österreichischem Vorbild wäre eine denkbare Maßnahme, um das Ausmaß der Problematik zu erfassen. Weiterhin könnte ein zentralisiertes Monitoring der Ab- und Anmeldung an Schulen verhindern, dass dieser Graubereich missbraucht wird. Vor allem eine fokussierte Sensibilisierung von Fachkräften für diesen Phänomenbereich sollte in Betracht gezogen werden. Denn insbesondere der Umgang mit Eltern, die ihre Kinder über lange Zeit nicht zur Schule schicken, ist für Mitarbeiter*innen der Schulbehörden und des Jugendamtes besonders herausfordernd. Speziell für solche Fälle sind alternative Handlungsoptionen notwendig, da selbst Strafzahlungen willentlich in Kauf genommen werden.      

Das Recht auf eine angemessene Bildung ist ein elementares Kindesrecht, welches nicht aufgrund der Weltanschauung der Eltern gefährdet werden darf. Eine strenge Kontrolle des pädagogischen Konzepts bei der Genehmigung und der staatlichen Anerkennung von Schulen in freier Trägerschaft bleibt daher wichtig.

 


[1] Vgl. Bundeszentrale für Politische Bildung https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/185878/kurze-geschichte-der-allgemeinen-schulpflicht/ (Zugriffsdatum 18.03.2025).

[2] (§§ 37, 38 SchulG NRW).

[3] BVerfG, 2 BvR 1693/04 vom 31. 5. 2006, Abs. 16 aa.

[4] Eine Konfessionelle Schule aus NRW schreibt auf ihrer Webseite zum pädagogischen Konzept, dass sie die Grundlagen des in der Landesverfassung und den Schulgesetzen vorgegebenen Bildungs- und Erziehungsauftrages anerkenne, soweit dies den Maximen eines bibelorientierten Bekenntnisses nicht widerspreche.

[5] 2021 verbreite ein Lehrer einer Waldorfschule in Bremen ein Pamphlet, in dem vor Wassergeistern im Covid-19 Impfstoff gewarnt wurde: https://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/2021-09-15_Frage%203%20Stadtb%C3%BCrgerschaft_d1baa.pdf, (Zugriffsdatum 18.03.2025).

[6] https://www.sueddeutsche.de/bayern/sekte-zwoelf-staemme-gehirnwaesche-pruegel-rassismus-1.1363003.

[7] Sabine Riede, „Kindeswohlgefährdung bei der Glaubensgemeinschaft der "Zwölf Stämme" auf unserer Webseite: https://sekten-info-nrw.de/information/artikel/fundamentalismus/kindeswohlgefaehrdung-bei-der-glaubensgemeinschaft-der-zwoelf-staemme.

[8] Roland Imhoff & Martin Bruder, peaking (Un–)Truth to Power: Conspiracy Mentality as A Generalised Political Attitude, 2013, doi 10.1002/per.1930.

[9] Katharina Nocun & Pia Lamberty, „Fake Facts“ S.23, 2020.

[10] Im Original: “[..]a universe governed by design rather than by randomness,” in A culture of conspiracy: apocalyptic visions in contemporary America, S.3, Michael Barkun, 2013.

[11] Ebd. S.3.

[12] Zum Beispiel in: „Analytic thinking reduces belief in conspiracy theories“, Swami et al., 2014, doi 10.1016/j.cognition.2014.08.006.

[13] Vgl. When we are worried, what are we thinking? Anxiety, lack of control, and conspiracy beliefs amidst the COVID19 pandemic, Šrol et al., 2021, doi 10.1002/acp.3798.

[14] Tanja Spehr, INDIGO-KINDER: Ein neuer Esoterik-Trend, 2005, https://sekten-info-nrw.de/information/artikel/schule/indigo-kinder-ein-neuer-esoterik-trend.

[15] Sarah Schmalz, Kanton St. Gallen: Amtlich bewilligte Sektenschule, https://www.woz.ch/2228/kanton-st-gallen/amtlich-bewilligte-sektenschule, abgerufen am 02.04.2025.

[16] Die folgenden Fallbeschreibungen sind an tatsächliche Beratungsfälle der letzten Jahre angelehnt wurden und zwecks Anonymisierung in Teilen fiktionalisiert.

[17] Miriam Keilbach, RedaktionsNetzwerk Deutschland, „„Querdenker“ und Reichsbürger wollen Netzwerk aus Schulen gründen“, 2022, https://www.rnd.de/panorama/reichsbuerger-gruenden-schulen-szene-vernetzt-sich-waehrend-pandemie-experten-warnen-MYDWBNJTGVBUTHYOX65YBRQSN4.html.

[18] Kirstin Dowe, „Naturschule Burg: Bezüge ins Querdenker-Milieu?“ https://www.solinger-tageblatt.de/lokales/solingen/solingen-naturschule-burg-bezuege-ins-querdenker-milieu-4BA6C2AF7A3FACB35F472EA3B6.html abgerufen am 02.04.2025.

[19] Andrea Röpke & Lotta Maier, „Kampf gegen Bildung“, https://www.endstation-rechts.de/news/kampf-gegen-bildung, abgerufen am 28.03.2025.

[20] Vollbild Reportage: Warum riskieren Frauen eine Alleingeburt? https://www.rnd.de/panorama/reichsbuerger-gruenden-schulen-szene-vernetzt-sich-waehrend-pandemie-experten-warnen-MYDWBNJTGVBUTHYOX65YBRQSN4.html.

[21] Siehe: 19024/J Anfrage der Abgeordneten Barbara Neßler, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend Zunahme bei Strafverfahren wegen Schulpflichtverletzungen, 02.07.2024, https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/J/19024.

[22] https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/AB/18417/imfname_1653219.pdf.