Beratung und Information zu neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen
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Rechtliche Grenzen nicht wissenschaftlicher Heilmethoden

 

Zahlreiche Anfragen, die an unsere Einrichtung gerichtet werden, beziehen sich inzwischen auf neuartige Therapie- und Heilverfahren einzelner Anbieter oder Gruppen. Die Heildienst­leistungen befinden sich außerhalb der wissenschaftlich orientierten Medizin und werden als „ganzheitliche“, „biologische“ oder „schnelle“ Alternative zur Heilung oder Linderung von Krankheiten angepriesen. Die Angebote beruhen jedoch nicht selten auf religiös oder weltan­schaulich geprägten Konzepten, die weit über reine Gesundheitsfragen hinausgehen und auf eine Veränderung der Lebensanschauung und des Verhaltens ausgerichtet sind. Der weltan­schauliche Kontext ist aus Verbrauchersicht nicht immer klar erkennbar. Insbesondere, wenn die Übernahme des Weltbildes als unbedingte Voraussetzung für Heilung angesehen wird, kann dies Ängste und Abhängigkeiten begünstigen.[1]

Die Tatsache, dass im alternativen Heilungsmarkt viele unterschiedliche Anbieter mit unter­schiedlichen Qualifikationen tätig sind, führt zu weiteren Unsicherheiten. Neben engagierten, gewissenhaften und gut ausgebildeten Praktikern, finden sich auch unseriöse Anbieter. Die verwendeten - teils nah an den medizinischen Bereich angelehnten Begrifflichkeiten -, wie z.B. „Therapie“,Behandlung“, „Heilverfahren“ oder „Charité“ [2] - können eine Fachkompetenz des jeweiligen Anbieters und Wirksamkeit der Methode suggerieren, die jedoch keinesfalls immer gegeben ist. Auch kann die „Adelung“ bestimmter fragwürdiger Methoden durch Fachleute, wie Ärzte, aufgrund des erhöhten Vertrauens in diese Profession, dazu führen, diesem Ange­bot vorschnell zuzustimmen. Beides kann letztlich aus Verbrauchersicht zu Fehlentschei­dun­gen führen, welche nicht nur Kraft, Zeit und Geld kosten, sondern im schlimmsten Fall auch eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands mit sich bringen können. In unserer Beratungspraxis treten Konflikte in den meisten Fällen im Zusammenhang mit selbsternannten Heilern und „Therapeuten“ ohne medizinische Qualifikation auf. Zu einem kleinen Teil geht es um Heilpraktiker und in eher seltenen Fällen um Ärzte.[3]

Immer häufiger werden wir auch zu den rechtlichen Grenzen in diesem unübersichtlichen Feld gefragt. Dabei steht insbesondere die Frage im Raum: Welche „Heilmethoden“ überhaupt angewendet werden dürfen? Diese Frage ist eng verbunden mit dem ausgeübten Beruf. Denn so gelten für einen Arzt andere Voraussetzungen als für einen Heilpraktiker oder Geistheiler. Vor diesem Hintergrund soll der vorliegende Artikel anhand der unterschiedlichen Berufs­gruppen den rechtlich zulässigen Rahmen und gleichzeitig die bestehenden Grenzen bei der Anwendung wissenschaftlich nicht anerkannter Heilmethoden beleuchten. Rechtsfragen aus diesem Bereich haben bereits sämtliche Gerichtszweige beschäftigt. Der Fokus dieses Artikels liegt auf zivilrechtlichen Haftungsfragen. Es soll untersucht werden, wann ein Behandler für die Folgen seines Tuns haftbar gemacht werden kann. Berufs-, straf- oder werberechtliche Fragen fließen - allenfalls am „Rande“ - mit in die Betrachtungen ein.

 

Vorüberlegungen und Begriffe

Therapien abseits der wissenschaftlich orientierten Medizin werden unterschiedlich bezeich­net. Teilweise wird etwas provokant von „Glaubensmedizin“ gesprochen. Im allgemein verbrei­teten Sprachgebrauch scheint sich jedoch der neutrale Begriff „Alternativmedizin“ als Ober­begriff für sämtliche Behandlungsmethoden durchzusetzen, die sich als Alternative oder Ergänzung zur wissenschaftsorientierten Medizin verstehen. Dazu gezählt werden ganz unterschiedliche Verfahren, wie beispielsweise Homöopathie, Akupunktur, Traditionelle Chinesische Medizin, Entspannungsverfahren, Phytotherapie oder anthroposophische Medi­zin. Die Wirkung vieler alternativmedizinischer Therapien ist nach den Maßstäben der evidenz­basierten Medizin nicht belegt oder widerspricht naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Es geht bei den Verfahren oft um ein gänzlich anderes (nicht naturwissenschaftliches) Verständ­nis von Krankheit und Gesundheit. Vom Begriff erfasst werden nach häufig vertretener Ansicht auch spirituell/religiös geprägte Verfahren, wie Geistheilung, Reiki oder schamanisches Heilen.[4] Juristen sprechen häufig von sogenannten „Außenseitermethoden“ im Sinne einer wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlung. Teilweise findet sich in gerichtlichen Ent­scheidungen auch der Begriff der „paraärztlichen Behandlung“ für Methoden, die im äußersten Grenzbereich der Außenseitermethoden anzusiedeln seien.[5]

Aus rechtlicher Sicht sind die die Unterschiede in der Terminologie nicht von entscheidender Bedeutung. Denn so sagen die Begriffe nur aus, dass es sich um Verfahren handelt, die außerhalb bzw. am Rand der wissenschaftlich orientierten Medizin stehen, aber nichts darüber, wo die Grenzen zwischen zulässigen und nicht zulässigen Behandlungsmethoden gezogen werden müssen.[6]

In diesem Artikel wird ebenfalls häufig der Begriff „Alternativmedizin“ verwendet. Um Missver­ständnissen vorzubeugen, sei vorab klargestellt, dass es hier nicht darum geht, alternative Therapien pauschal als problematisch darzustellen. Im Fokus des Artikels stehen vielmehr Methoden, die man als besondere „Grenzfälle“ bezeichnen könnte, die nicht nur nicht-wissen­schaftlich belegt sind, sondern in ihrer Wirkweise als völlig unplausibel oder sogar gefährlich erscheinen und Merkmale einer dahinterstehenden Weltanschauung aufweisen.

 

Rechtlicher Rahmen bei der Anwendung wissenschaftlich nicht anerkann­ter Heilmethoden

Ein rechtlicher Rahmen ist gerade im Hinblick auf das hier in Rede stehende wichtige Rechts­gut „Gesundheit“ unverzichtbar, um Patienten vor unseriösen Anbietern zu schützen. Dies geschieht zum einen dadurch, dass es gesetzliche Regelungen darüber gibt, wer heilen darf und welchen Qualitätsstandards er oder sie genügen muss. So wird zum Schutz der Bevöl­kerung sichergestellt, dass die im Heilbereich tätigen Behandler nachvollziehbare Anforderun­gen erfüllen. In Deutschland wird durch das Heilpraktikergesetz und das Psychotherapeuten­gesetz geregelt, dass nur Ärzte, Heilpraktiker und Psychotherapeuten Heilkunde ausüben dürfen.[7] Heilkunde ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststel­lung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden beim Menschen.[8]

Zum anderen bestehen rechtliche Regelungen zur nachträglichen Konfliktregelung, wenn es im Rahmen einer Heilbehandlung zur Verletzung von Rechtsgütern gekommen ist. Dazu zählt z.B. die zivilrechtliche Schadensersatzklage. Bei der Beurteilung solcher Fälle gilt zunächst, dass die Anwendung alternativer Behandlungsmethoden in Deutschland grundsätzlich erlaubt ist.[9] Hintergrund ist vor allem das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, welches erlaubt, sich eigenverantwortlich auch gegen eine wissenschaftlich anerkannte Behandlung zu ent­scheiden. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass keinerlei Grenzen bestehen. Der Schutz des Patienten erfolgt dadurch, dass strenge Sorgfalts- und Aufklärungspflichten beachtet werden müssen. Dabei sind die Anforderungen an einen Arzt aufgrund seiner Qua­lifikation und dem ihm entgegengebrachten Vertrauen am höchsten. Auch der Heilpraktiker muss bei seiner Tätigkeit viele Sorgfalts- und Aufklärungspflichten beachten. Gemessen daran, dass Geistheiler keine medizinischen Behandlungen durchführen dürfen, sind die Anforderungen hier darauf gerichtet, sich deutlich von einer medizinischen Behandlung abzu­grenzen.

 

Rechtlicher Rahmen für Ärzte

Inzwischen öffnen sich auch Ärzte verstärkt gegenüber neuen Behandlungsalternativen. Dies zeigt sich u.a. an der bis 2016 stetig zunehmenden Zahl einschlägiger Zusatzbezeichnungen, wie Naturheilverfahren oder Homöopathie.[10] Einer Studie zufolge sind die von Ärzten am häu­figsten eingesetzten Verfahren: Akupunktur, Phytotherapie, Homöopathie oder Neuralthera­pie.[11] Darüber hinaus finden sich unter Ärzten auch Anhänger esoterisch geprägter Metho­den.[12] Außerdem gibt es einige Vertreter äußerst fragwürdiger Therapiemethoden, die nicht nur in der öffentlichen Kritik stehen, sondern sich mitunter auch vor Gericht verantworten müssen.[13] Auch, wenn dieser Anteil unter den Ärzten nur sehr klein ist, kann der Schaden für den Patienten gerade aufgrund der vertrauenswürdigen Stellung eines Arztes groß sein. Es stellt sich daher die Frage, zu welchen Methoden ein Arzt überhaupt greifen darf. Die in diesem Kontext zu beachtende „Therapiefreiheit“ meint, dass der Arzt darin frei ist, die ihm geeignet erscheinende therapeutische Methode auszuwählen. Das bedeutet allerdings nicht, dass kei­nerlei Grenzen bestehen. Das Vorgehen des Arztes muss zumindest in irgendeiner Weise objektiv nachvollziehbar sein. Er darf von den medizinischen Regeln nicht „diametral“ abwei­chen.[14] Unter Juristen herrscht Einigkeit, dass unwirksame Behandlungen nicht von der Therapiefreiheit gedeckt sind. Bei der Beurteilung ist ein objektiver Blickwinkel erforderlich – denn käme es für die Abgrenzung vornehmlich auf individuelle Glaubenskonzepte an, lägen bei jedweder Therapie Anhaltspunkte für die Wirksamkeit vor und die Grenze der Methoden, die nicht mehr angewendet werden dürfen, könnte beliebig weit verschoben werden.[15] Verein­facht ausgedrückt: Ein Arzt, der einen Beinbruch mit Reiki behandelt und nicht auf wissen­schaftlich erprobte und anerkannte Verfahren zurückgreift, wie dem Anlegen eines Gipsver­bandes oder einer OP, wählt eine ungeeignete Methode und begeht dadurch einen Behand­lungsfehler. In der Praxis sind die Fälle selbstverständlich häufig nicht so eindeutig. Die Ein­schätzung erfolgt daher mit Hilfe von Sachverständigen, die sich mit diesem speziellen alter­nativmedizinischen Bereich auskennen sollen.[16]

Wie wichtig es ist, dass Ärzte sich nicht ausschließlich auf den eigenen „alternativen“ Ansatz konzentrieren und die Chancen der wissenschaftsorientierten Medizin stets im Blick behalten, zeigt ein Fall des Landgerichts Kiel.[17] Die Patientin, bei der entsprechende fachmedizinische Untersu­chungen den dringenden Verdacht nahelegten, dass eine Brustkrebserkrankung vor­lag, war auf der Suche nach „alternativen“ Behandlungsmöglichkeiten. Neben „Familien­stellen“ war sie u.a. bei einer Schamanin in Behandlung. Von der Schamanin erhielt sie den Tipp, sich an eine Fachärztin für Gynäkologie zu wenden, die alternative Krebstherapien durchführte und „Trau­matherapien“. Die Ärztin hatte sowohl Kenntnis von den Vorunter­suchungen als auch von den bereits - durch die vorbehandelnde Gynäkologin - eingeleiteten weiteren medizinischen Schrit­ten (Bildgebende Verfahren, OP). Diese Termine wurden, teils sogar durch die Ärztin selbst, wieder abgesagt. Es erfolgten auch keine weiteren wissenschaft­lich anerkannten Behandlun­gen. Laut der Behandlungsdokumentation der Ärztin wurden statt­dessen folgende „Therapien“ durchgeführt: Ausleitende Therapie, Basenfußbäder, Brennes­seltee, Quarkwickel, Kohl- und Wirsingwickel, eine Therapie mit Schüssler-Salzen, Behand­lung mit Vulkanerde. Thematisiert wurde auch eine „Germanische Therapie“. Ferner wurden Aprikosenkerne (Amygdalin) emp­fohlen, die in Armenien zur Behandlung von Krebs nach Ver­strahlungen verwendet würden. Erst als es der Patientin sehr schlecht ging, überwies sie sie an ein anthroposophisches Kran­kenhaus. Ca. drei Monate später verstarb die Patientin. Der Ehemann und die drei Kinder verklag­ten die Ärztin auf Schadensersatz. Das Landgericht Kiel sprach der Familie ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 € und Schadensersatz von rund 55.000 € zu. Das Gericht sah es als erwie­sen an, dass die Ärztin der Frau von einer konven­tionellen Behandlung abgeraten habe. Es sei ein eindeutiger Verstoß gegen aner­kannte fach­ärztliche Behandlungsregeln und aus objektiver Sicht völlig unverständlich, einer Patientin in einer solchen Lage, von einer aner­kannten und erprobten Behandlung abzuraten. Ein solches Vorgehen sei grob fehlerhaft. Die Ärztin habe es zu verantworten, dass die Patientin erst zu einem Zeitpunkt in schulmedizi­nische[18] Behandlung gekommen ist, als eine Heilung nicht mehr möglich war. Damit habe sie möglicherweise den Tod der Patientin und die bis dahin aufgetretenen Leiden verursacht. Gerade weil die Patientin große Erwartungen an eine alter­nativmedizinische Behandlung hatte und erkennbar von Anfang an ein großes Vertrauen in die beklagte Ärztin gesetzt habe, hätte diese die Pflicht gehabt, sie über die Not­wendigkeit schulmedizinischer Therapie auch dann nochmals aufzuklären, wenn sie schon anderweitig – durch Schulmediziner – aufgeklärt war. Sie hätte dem Eindruck der Patientin entgegentreten müssen, sie könne allein durch Alterna­tivmedizin geheilt werden und die Grenzen alternativ­medizinischer Maßnahmen aufzeigen müssen. Stattdessen habe sie diverse alternativmedizi­nische Behandlungen empfohlen, die für sich genommen keinen Heilungserfolg erbringen konnten.

Es gibt zahlreiche weitere Beispiele aus der Rechtsprechung, die aufzeigen, dass ein Arzt nur in „verantwortlicher“ Weise von den wissenschaftlich anerkannten Behandlungsmethoden abweichen darf. Er muss eine sorgfältige und gewissenhafte Abwägung der Vor- und Nachteile vornehmen und darf die Behandlungsmethoden der konventionellen Medizin nicht aus dem Blick verlieren.[19]

Zudem erfährt der Patient dadurch Schutz, dass sich besondere Anforderungen im Hinblick auf die Aufklärungspflicht ergeben. Die Vornahme einer Heilbehandlung ist ohnehin nur zulässig, wenn der umfassend informierte Patient eingewilligt hat. Je weiter sich ein Mediziner vom Mainstream seiner Profession entfernt, desto intensiver muss er den Patienten darauf hinweisen und über die Risiken aufklären, mit denen seine Therapiewahl aus Sicht der kon­ventionellen Medizin behaftet ist.[20] Selbst wenn der Arzt von seiner alternativen Methode absolut überzeugt ist, muss er diese mit einer kritischen Distanz vermitteln, damit die Entschei­dungsfreiheit des Patienten gewahrt bleibt. Dies gilt insbesondere auch, wenn sich ein Arzt einem schwer kranken Patienten zuwendet.[21] Liegt keine vollumfängliche Aufklärung vor, ist die Einwilligung des Patienten unwirksam. Dies ist z.B. auch dann der Fall, wenn der Heilme­thode besondere „Heilkräfte“ zugeschrieben werden und Heilungsaussichten unrichtig darge­stellt werden oder erkennbare Fehlvorstellungen des Patienten insoweit nicht zurechtgerückt werden.[22]

 

Rechtlicher Rahmen für Heilpraktiker

Deutschland weist gegenüber zahlreichen anderen Staaten die Besonderheit auf, dass neben Ärzten auch Heilpraktiker eine staatliche Zulassung zur berufsmäßigen Ausübung der Heil­kunde erlangen können. Laut Angaben des Statistischen Bundesamts praktizierten in Deutschland im Jahr 2015 rund 43.000 Heilpraktiker.[23] Heilpraktiker unterbreiten ein Angebot, das die Patienten in der wissenschaftsorientierten Medizin nicht zu erhalten glauben oder auch tatsächlich nicht erhalten: Der Heilpraktiker steht in dem Ruf, Zeit zu haben und sich dem Menschen unter Berücksichtigung des gesamten Lebenskontextes zu widmen.[24] Seit einigen Jahren steht der Berufsstand des Heilpraktikers allerdings verstärkt in der öffentlichen Kritik. So gab und gibt es immer wieder Vorwürfe gegen einzelne Heilpraktiker, vor allem im Hinblick auf Fehlbehandlungen bei schweren Erkrankungen. Besondere Aufmerksamkeit erlangte in diesem Zusammenhang der tragische Tod von drei Menschen im Rahmen einer alternativen Krebstherapie im Sommer 2016 in Bracht-Brügge.[25] Während die Heilpraktikerverbände darauf verweisen, dass es sich dabei um bedauerliche Einzelfälle handele[26], fordern Kritiker eine grundlegende Reform des Heilpraktikerrechts.[27] Kritisiert an der aktuellen Rechtslage wird u.a., dass die gesetzlichen Zulassungsvorausset­zungen für Heilpraktiker zu niedrig angesetzt seien. Im Unterschied zu anderen Gesundheits­fachberufen gibt es bislang keine einheitliche und staatlich geregelte Ausbildung zum Heil­praktiker.

Im Jahr 2016 erfolgte durch das Dritte Pflegestärkungsgesetz (PSG III) bereits eine Änderung der Rechtslage dahingehend, dass die vom Bundesgesundheitsministerium überarbeiteten bundeseinheitlichen Leitlinien, für die Überprüfung von Heilpraktikeranwärtern verbindlich gemacht wurden.[28] Aktuell lässt das Bundesgesundheitsministerium durch ein Rechtsgutach­ten prüfen, ob und welchen rechtlichen Gestaltungsspielraum der Bundesgesetzgeber im Falle einer Reform des Heilpraktikerrechts zur Stärkung der Patientenrechte hätte.[29] Derzeit ist noch unklar, ob es zu einer umfassenden Reform des Heilpraktikerwesens kommen wird. Das gegenwärtig für den Beruf des Heilpraktikers maßgebliche Heilpraktikergesetz ist vorkonstitu­tionelles Recht aus dem Jahr 1939. Danach dürfen Heilpraktiker tätig werden, wenn sie eine Zulassung zur Ausübung der Heilkunde haben. Die Zulassung zur Ausübung des Berufs erteilt das Gesundheitsamt, wenn der Bewerber in einer Prüfung nachgewiesen hat, dass die Aus­übung der Heilkunde durch ihn keine Gefahr für den Patienten oder die Gesundheit der Bevöl­kerung darstellt.[30]

Wird die Heilkundeerlaubnis erteilt, dann steht dem Heilpraktiker grundsätzlich die gesamte Palette der Medizin mit wenigen Ausnahmen offen.[31] Die Methoden reichen von klassisch „naturkundlichen“ Heilweisen, wie Pflanzenheilkunde, Bewegungs- und Ernährungstherapie, Traditioneller Chinesischer Medizin/Akupunktur über die Homöopathie bis hin zu „biologisch-technischen“ Verfahren oder sogar esoterisch geprägten Verfahren, wie Astrologie, Geist­hei­lung oder Energieübertragungen.[32] Diese „Methodenfreiheit“ ist für den Heilpraktiker jedoch kein Freibrief, da er letztlich für alles verantwortlich gemacht werden kann, was er tut. Er unterliegt dem allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsrecht und haftet daher – genauso wie ein Arzt – für etwaige Behandlungsfehler und verletzte Aufklärungspflichten. Grundlage ist der Behandlungsvertrag zwischen Heilpraktiker und Patient nach § 630a BGB. Nach dieser Rege­lung müssen Heilpraktiker die Voraussetzungen für eine fachgerechte Behandlung beachten. In der Gesetzesbegründung heißt es: „Erwartet wird die typischerweise von einem Heilprak­ti­ker zu erwartende fachgerechte-medizinische Heilbehandlung.“[33] Da aber die Heilpraktiker­schaft eine nicht homogene Gruppe darstellt, die sich nach Ansätzen und Methoden stark voneinander unterscheiden, häufig auch nicht-wissenschaftliche Methoden angewendet wer­den und keine einheitliche fachliche Ausbildung erfolgt, ist es schwierig einen allgemein­ver­bindlichen Behandlungsstandard für Heilpraktiker festzumachen. Soweit sich in einem Bereich noch kein Standard entwickelt hat, ist die Sorgfalt eines vorsichtig Behandelnden ein­zuhal­ten.[34] Der Heilpraktiker muss sich bewusst sein, dass ihm der Patient ein besonders wertvolles Rechtsgut anvertraut und dass die Anwendung von Methoden außerhalb abgesi­cherter medi­zinischer Kenntnisse mit besonderen Risiken verbunden ist. Wenn er eine solche Behandlung vornimmt, obwohl er nicht über dasselbe Maß an Ausbildung wie ein Arzt verfügt, muss er die fehlende medizinische Fachkenntnis durch ein gesteigertes Maß an Vorsicht kom­pensieren.[35]

Inzwischen existiert auch eine umfangreiche Rechtsprechung, durch welche die beruflichen Pflichten eines Heilpraktikers weiter konkretisiert werden. Mehrfach wurde von den Gerichten festgehalten, dass der Heilpraktiker keine wirkungslosen Methoden anwenden darf.[36] Die Methodenwahl wird dahingehend überprüft, ob der Heilpraktiker im konkreten Fall „vertretbare“ Entscheidungen getroffen hat. Er muss daher begründen können, warum er gerade diese Methode zur Behandlung der jeweiligen Erkrankung angewandt hat. Die Beurteilung erfolgt nach objektiven Maßstäben und in der gerichtlichen Praxis mit Hilfe eines Sachverständigen. Angenommen wurde eine unwirksame Therapie bei einer Heilpraktikerin, die verschiedene Therapiemaßnahmen in Form von Eigenblut- und Sauerstoffbehandlungen, Injektionen und Nadelungen wahllos - ohne nachvollziehbares Konzept - und in unvertretbarer, überhöhter Anzahl durchgeführt hatte. So hatte sie u.a. den 12- jährigen Patienten an zwei Tagen mit jeweils 18 Injektionen behandelt.[37] Selbstverständlich dürfen die vom Heilpraktiker angewand­ten Methoden auch nicht kontraindiziert oder schädlich sein.[38] Vor diesem Hintergrund muss sich der Heilpraktiker umfassend über die von ihm angewendeten Behandlungsmethoden ein­schließlich ihrer Risiken und der richtigen Techniken informieren. Bei einer invasiven Behand­lungsmethode sind etwa dieselben Sorgfaltspflichten an den Heilpraktiker wie an einen Arzt für Allgemeinmedizin zu stellen.[39]

Ein sehr wichtiger und in der Rechtsprechung oft festgehaltener Grundsatz ist zudem, dass Heilpraktiker die Grenzen ihrer Fähigkeiten kennen und beachten müssen. Den Heilpraktiker trifft eine umfassende Schutzpflicht für den Patienten. Der Umstand, dass der Patient eine alternative Behandlung außerhalb wissenschaftlich anerkannter Verfahren wünscht, entbindet den Heilpraktiker nicht von dieser Schutzpflicht. Die Heilpraktikererlaubnis bestärkt den Pati­enten gewissermaßen darin, sich in den Händen eines „nach heilkundlichen Maßstäben Geprüften“ zu befinden.[40] Insofern darf der Patient darauf vertrauen, dass der Heilpraktiker die Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Diagnose- und Therapiefähigkeit kennt. Er muss daher eine Überweisung an die konventionelle Medizin veranlassen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine wissenschaftlich anerkannte Behandlung höhere Erfolgsaussichten bietet und bei ihrem Unterbleiben nicht unerheblicher Schaden für den Patienten droht.[41] In einem Verfahren des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg[42], hatte ein Heilpraktiker Anzeichen für eine Brustkrebserkrankung bei seiner Patientin erkannt (Knoten in der Brust, Lymphstau im linken Arm), diese aber weder auf diese Anzeichen für die Erkrankung noch auf die Not­wendigkeit einer ärztlichen Untersuchung und Behandlung hingewiesen. Stattdessen erklärte er den Lymphstau im linken Arm mit einer durch die Wechseljahre hervorgerufenen „hormo­nellen Entgleisung“ und behandelte mit Laserakupunktur und Interferenzstromtherapie. Die Patientin wurde fortlaufend schwächer und verstarb im weiteren Verlauf. Die zuständige Behörde entzog dem Heilpraktiker die Heilpraktikererlaubnis wegen mangelnder beruflicher Zuverlässigkeit. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg bestätigte dies und hielt dazu fest, dass es eine wesentliche Berufspflicht des Heilpraktikers ist, sich der Grenzen seines Wissens und Könnens bewusst zu sein und einer notwendigen ärztlichen Behandlung seines Patienten nicht im Wege zu stehen: Denn wer einen Heilpraktiker aufsuche, halte vielfach einen Arzt für entbehrlich, weil ein Teil der ärztlichen Funktion übernommen werden dürfe. Dieser wichtige rechtliche Grundsatz ist auch in der Berufsordnung für Heilpraktiker festgehalten. Darin heißt es, dass in Fällen, in denen eine Spezialuntersuchung, Operation oder sonstige therapeu­ti­sche Maßnahme erforderlich ist, die der Heilpraktiker nicht durchführen kann, rechtzeitig und mit allem Nachdruck auf die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme hingewiesen werden muss.[43] Dies beinhaltet unter Umständen auch die Pflicht des Heilpraktikers darauf zu behar­ren, dass der Patient einen Arzt aufsucht und notfalls auch die eigene Behandlung abzu­brechen.[44]

 

Rechtlicher Rahmen für Geistheiler, Coaches und sonstige „Therapeuten“

In den letzten Jahrzehnten hat sich eine schillernde Szene von neuen therapeutischen Schu­len und sogenannten esoterischen Heilslehren herausgebildet. Die Heildienstleistungen werden als Mix aus „religiösen“, „spirituellen“, “ganzheitlichen“ Therapien angeboten. Die An­bieter sind häufig sogenannte Geist- oder Wunderheiler, Coaches oder „Therapeuten“. Eine Untersuchung der Ruhr-Universität Bochum kam zu dem Ergebnis, dass dieser Bereich inzwi­schen den größten Teil neuer Religiosität in NRW ausmacht.[45]

„Geistheilung“ ist dabei ein Oberbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher esoterisch, magisch oder religiös geprägter Behandlungsmethoden, bei denen durch eine geistige Einwirkung (Kraft) eine heilende Wirkung beim Kranken eintreten soll.[46] Dazu zählen u.a. Methoden, wie Besprechen, Clearing, „Geistchirurgie“, Handauflegen, Reiki, Schamanismus, Therapeutic-Touch, Prana-Heilung.[47] Die häufig in diesem Zusammenhang genutzten Begriffe, wie Thera­peut oder Therapie sind rechtlich nicht geschützt. Dies ist nicht unproblematisch, weil es nahe liegt, dass der Laie von einem „Therapeuten“ eine hohe Fachkompetenz und Seriosität erwar­tet.[48] Es gibt jedoch keine gesetzlich geregelten Qualitätsanforderungen, um im sog. „Lebens­hilfebereich“ tätig zu sein. Versuche einer gesetzlichen Regulierung konnten sich bislang nicht durchsetzen.[49] Dies hat zur Folge, dass jeder, unabhängig von der beruflichen Qualifikation, der sich zum Heilen und Helfen berufen fühlt, seine Dienste anbieten kann.

Eine Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz hat das Bundesverfassungsgericht für „Geistheiler“ abgelehnt.[50] Ein zentrales Argument war, dass ein Heiler, der lediglich religiös bzw. spirituell arbeite, nicht den Anschein einer medizinischen Behandlung erwecke. In dem konkret zu entscheidenden Fall ging es um „Handauflegen“. Weitere vom Bundesverfassungs­gericht genannte Beispiele sind: die Krankensalbung, das Segnen oder das gemeinsame Gebet, also unterstützende Handlungen, die auf Stärkung des Gesundungswillens des Kran­ken gerichtet sind. Demzufolge bezieht sich die Erlaubnisfreiheit nur auf deutlich von der Fach­medizin abgrenzbare spirituelle bzw. religiöse Handlungen. Zudem muss gewährleistet sein, dass der Geistheiler ausreichend darüber informiert und aufklärt, dass sein Angebot eine wissenschaftlich-medizinische Behandlung nicht ersetzen kann. Dahinter steht der Schutz­ge­danke für kranke Menschen, diese nicht zu verleiten, eine notwendige medizinische Behand­lung zu unterlassen. Die erforderliche Aufklärung kann entsprechend den Ausführun­gen des Bundesverfassungsgerichts durch einen gut sichtbaren Hinweis in den Räumlichkei­ten oder durch Merkblätter, die zur Unterschrift vorgelegt werden, geschehen. Die Anforderun­gen für diese Aufklärungspflicht sind angesichts des hier in Rede stehenden hohen Schutzguts der Gesundheit, hoch anzusetzen.[51] Sie dürfen nicht durch eine bloße Scheinaufklärung umgan­gen werden. Dementsprechend reicht ein Absicherungsvermerk im „Kleingedruckten“ allein nicht aus.

In der Praxis zeigt sich, dass die Mehrzahl der Heiler nicht nur die vom Bundesverfassungs­gericht genannten Tätigkeiten (beten, Handauflegen, segnen) praktizieren, sondern oftmals eine ganze Palette an neuartigen Methoden und Verfahren. Dass dies Unklarheiten dahin­gehend mit sich bringt, ob die jeweilige Tätigkeit von einem medizinisch nicht ausgebildeten Heiler ausgeübt werden darf oder eine Zulassung als Heilpraktiker erforderlich ist, liegt auf der Hand. Dies hat zu einer umfangreichen, über Einzelfälle entscheidenden Rechtsprechung geführt. So wurden beispielsweise Methoden, wie Akupunktur, Osteopathie, chiropraktische Behandlungen oder Craniosacraltherapie als erlaubnispflichtige Heilkunde eingestuft.

Letztendlich geht es darum, dass Grenzen beachtet werden und das Wirken des Heilers ein­deutig als „spirituell“ einzuordnen ist und nicht in Konkurrenz zu einer heilkundlichen Behand­lung tritt. In einer aktuellen Entscheidung des Landgerichts Düsseldorfs[52], in dem es um einen Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz ging, hatte die Heilerin im Internet wie folgt für sich geworben: „... Ich verbinde mich mit der geistigen Welt, mit meinem Geistführer und den geis­tigen Ärzten... Es ist immer die geistige Welt die heilt… Eine Sitzung kann sich bei allen kör­perlichen aber auch besonders bei psychischen oder emotionalen Beschwerden und Blocka­den lohnen". Zudem hatte sie ausdrücklich die Behauptung aufgestellt, dass ihre Behandlun­gen die Einnahmezeiten von Medikamenten verkürzen könnten. Ihre Dienstleistung bot sie auch als „Fernheilung“ an. Das Gericht sah in dieser Anpreisung einen Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz (Verbot des Werbens für Fernbehandlungen)[53] und hatte zudem Zweifel, ob das Anbieten der Leistung in der vorliegenden Form überhaupt zulässig ist, sei es in Person oder im Wege der Fernbehandlung.

Hintergrund des strengen Heilmittelwerberechts ist die besondere Schutzbedürftigkeit erkrank­ter und älterer Menschen vor beeinflussender Werbung. Die Berücksichtigung der schwierigen Lage von kranken und verzweifelten Menschen wurde auch in zivilrechtlichen Rückzahlungs­klagen von teils sehr hohen Honoraren für esoterische Heilbehandlungen thematisiert, mit der Folge, dass solche Verträge als sittenwidrig angesehen werden können.[54]

Überschreitet ein Heiler den zulässigen rechtlichen Rahmen und erleidet der Patient dadurch einen gesundheitlichen Schaden, macht er sich schadensersatzpflichtig. Die Vereinbarung des Kranken mit dem Geistheiler eine geistige Heilung gegen Entgelt vorzunehmen, führt in der Regel dazu, dass zwischen den Parteien ein schuldrechtliches Vertragsverhältnis zu­stande kommt.[55] Dadurch entstehen Nebenpflichten, wie z.B. Sorgfalts- und Aufklärungs­pflich­ten. Eine Haftung kann daher beispielsweise eintreten, wenn der Heiler falsche medizi­nische Ratschläge erteilt. In einem Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt[56] hatte eine Geist­heilerin einer jungen Frau, die an einer schweren Autoimmunerkrankung litt, den Rat erteilt, die ärztlich verordneten Medikamente, insbesondere das Cortison, abzusetzen. Dadurch erlitt die Frau einen schweren Schub ihrer Grunderkrankung verbunden mit einer dramatischen gesundheit­lichen Krise (u.a. mit Notfalleinweisung, Luftröhrenschnitt, Hirnhautentzündung). Das Oberlan­desgericht stellte fest, dass die Geistheilerin zur Zahlung von Schadensersatz und Schmer­zensgeld verpflichtet ist, weil sie die Frau in vorwerfbarer Weise falsch beraten hatte. Aller­dings musste sich die betroffene Frau ein Mitverschulden in Höhe von 50% anrech­nen lassen. Denn sie hatte nach Auffassung des Gerichts an der Schadensentstehung in glei­chem Maße mitgewirkt wie die Geistheilerin, indem sie – volljährig und im Besitz ihrer geistigen Kräfte – die notwendige und ärztlich verordnete Behandlung mit Medikamenten abgesetzt hatte.

Auch in einem Fall des Oberlandesgerichts Oldenburg[57] musste ein „Reiki-Meister“ für seine Fehlbehandlung haften. Er hatte bei einem Patienten eine chiropraktische Behandlung durch­geführt (den Kopf des Patienten ruckartig einmal nach links und einmal nach rechts gedreht) und dadurch insgesamt fünf Schlaganfälle ausgelöst. Der betroffene Patient musste lange stati­onär behandelt werden, war vier Jahre arbeitsunfähig erkrankt und wird dauerhaft unter den Fol­gen leiden. Es wurde eine Behinderung von 50% festgestellt. Der „Reiki-Meister“ wurde zur Zahlung von 20.000 € Schmerzensgeld und 3.600 € Schadensersatz verurteilt und muss auch die zukünftigen Schäden des Patienten erstatten. Das Gericht stellte auch in diesem Verfahren noch einmal klar, dass chiropraktische Tätigkeiten unter das Heilpraktikergesetz fallen; selbst dann, wenn die Tätigkeit nur nebenbei ausgeübt wird. Denn nach dem Gesetzeszweck sollen Patienten davor geschützt werden, dass unkundige Heiler in Verkennung der Gefährlichkeit ihres Handelns den Patienten schaden.

Rechtlich gleich zu behandeln sind auch andere Berater, Coaches oder „Therapeuten“ - ohne ärztliche Approbation oder Zulassung als Heilpraktiker. Auch sie dürfen keine Heilkunde ausüben, d.h. keine Diagnosen stellen, keine Medikamente verordnen, keine medizinischen Gerätschaften verwenden oder sonstige Tätigkeiten ausüben, die medizinische Fachkennt­nisse erfordern oder suggerieren. Auch dürfen die Patienten nicht in dem Glauben gelassen werden, dass die jeweilige Therapie auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Als sehr problematisch ist es daher anzusehen, wenn Anbieter, ihrer eigenen ungesicherten Heil­methode einen wissenschaftlichen Anstrich geben. Hier ist das Gefahrenpotential besonders groß, dass im Vertrauen auf die vermeintliche Wirksamkeit der Methode wertvolle Zeit ver­streicht und eine hilfreiche medizinische Therapie verzögert wird. Ein Angebot, welches vom äußeren Erscheinungsbild einer medizinischen Behandlung ähnelt, sich auf naturwissen­schaftliche Grundlagen beruft und sich der Schulmedizin als überlegen darstellt, kann als erlaubnispflichtige Heilkunde eingestuft werden. Dies hat die Konsequenz, dass eine strafbare Ausübung der Heilkunde vorliegen kann[58] oder im Falle eines dadurch bedingten Gesund­heitsschadens eine zivilrechtliche Haftung eintreten kann.

 

Fazit

Der Glaube kann eine Ressource beim Umgang mit Erkrankungen sein - er sollte aber als solcher klar erkennbar sein. Intransparente Vermischungen zwischen Glauben und Hei­lung können zu gesundheitlichen Fehlentscheidungen führen und lebensgefährliche Folgen haben.

Im vorliegenden Artikel wurde anhand der unterschiedlichen Berufsgruppen untersucht, welche rechtlichen Grenzen bei der Anwendung von alternativen Heilmethoden bestehen. Dabei gilt zunächst, dass auch die Anwendung von wissenschaftlich nicht aner­kannten Methoden grundsätzlich erlaubt ist. Der Patient kann sich eigenverantwortlich auch für eine Behandlungsmethode entscheiden, die von der wissenschaftsorientierten Medizin nicht angewendet wird. Dies ist Ausdruck seines Selbstbestimmungsrechts. Um den Patienten vor Missbrauch zu schützen, sind jedoch strenge Sorgfalts- und Aufklärungspflichten einzu­halten.

In den entsprechenden Gerichtsentscheidungen, in denen alternative Heilmethoden zu Schäden der Patienten geführt haben, findet man häufig von Seiten der Behandler den Ein­wand, die Patienten hätten schließlich in die fragwürdige Therapie eingewilligt und es liege ausschließlich in dem Verantwortungsbereich des Patienten, zusätzlich eine wissenschaftlich anerkannte Therapie zu wählen.

Dem ist jedoch entgegenzusetzen, dass der jeweilige Behandler eine Schutzpflicht für seinen Patienten übernimmt. Denn dieser ist eben nicht nur „Kunde“ wie im Wirtschaftsleben und auch nicht auf „Augenhöhe“ mit dem Anbieter, sondern Ratsuchender, oftmals krank und hilfsbe­dürftig und damit keineswegs immer „souveräner“ Entscheider.[59] Dies gilt nicht nur für chronisch kranke oder „austherapierte“ Menschen. Es gibt rechtlich unterschiedliche Wege, um die oftmals geschwächte Position des Patienten ausreichend zu berücksichtigen. Man kann die gewählte fragwürdige Therapie als generell sorgfaltswidrig im Sinne von § 630a BGB einstufen.[60] Außerdem kann die Einwilligung mangels ausreichender Aufklärung als unwirk­sam angesehen werden, wenn der Behandler seine Methode nicht vollumfassend und mit der gebotenen Distanz und Sachlichkeit erklärt. Insbesondere dann, wenn durch die wissenschaft­lich orientierte Medizin eine aussichtsreiche und anerkannte Methode zur Behandlung der Krankheit bereitsteht, endet die Berufung auf den „Patientenwillen“. Dies wurde mehrfach in der Rechtsprechung festgehalten:

Wer einen Arzt aufsucht, muss darauf vertrauen dürfen, dass dieser auch die Risiken der eigenen alternativen Methode und die möglichen Vorzüge einer medizinisch-wissenschaft­lichen Behandlung im Auge behält und rechtzeitig den Kurs wechselt. Er ist verpflichtet dem Patienten die Grenzen der alternativen Behandlung deutlich vor Augen zu führen.

Auch der Patient eines Heilpraktikers geht davon aus, sich in den Händen eines „nach heil­kundigen Maßstäben Geprüften“ zu befinden. Daraus folgt, dass auch er darauf vertrauen darf, dass der Heilpraktiker die Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Diagnose- und Therapie­fähigkeit kennt und falls nötig eine Weiterleitung an die konventionelle Medizin veranlasst.

Geistheiler, Berater und sonstige „Therapeuten“ dürfen keine medizinischen Behandlungen durchführen, so dass die Anforderungen hier darauf gerichtet sind, dass sie ihre Tätigkeit deut­lich von einer medizinischen Behandlung abgrenzen. Sie dürfen das Versäumen fachärztlicher Hilfe nicht veranlassen oder bestärken. Daher haben auch sie weitreichende Aufklärungs­pflichten und müssen sicherstellen, dass ihr Angebot nicht den Eindruck einer Alternative für eine schulmedizinische Behandlung erweckt.

Ein zentraler Anknüpfungspunkt für die rechtliche Beurteilung und zugleich ein Kriterium für die Seriosität eines Angebotes ist daher, dass die jeweiligen Behandler ihre Grenzen kennen.

So kann nicht nur die Heilmethode selbst Risiken bergen, sondern vor allem auch die Art und Weise, wie der Behandler damit umgeht. Die in der Rechtsprechung etablierten Sorgfalts­pflichten fordern einen verantwortungs­bewussten und (selbst-) kritischen Umgang mit wissen­schaftlich nicht anerkannten Heilme­thoden.

 



[1] Bereits der Enquete-Bericht des Bundestages zum Thema sog. „Sekten“ und Psychogruppen hat auf problematische medizinische Betätigungsfelder in Kombination mit Weltanschauungen hingewiesen: BT-Drs. 13/8170, S. 79.

[2] Benennung eines alternativen Heilungszentrums als „Animata-Charité“, abrufbar unter https://correctiv.org/aktuelles/artikel-aktuelles/2017/11/27/die-unheilerin/ (05.03.2021).

[3] Vgl. „Auf der Suche nach Heilung – Ein Erfahrungsbericht " auf unserer Webseite: Hier war der behandelnde Arzt zugleich Leiter einer spirituellen Glaubensgemeinschaft, in der auch der Patient Mitglied war.

[4] Vgl. zum Begriff Alternativmedizin: Utsch, EZW, 2014, abrufbar unter https://www.ezw-berlin.de/html/3_145.php (05.03.2021); zu den einzelnen Methoden: Ernst, Alternativmedizin - Was hilft, Was schadet, 2021.

[5] Berufsgericht für Heilberufe Münster, 09.01.2008, 14 K 1779/05.T, juris.

[6] Vgl. Grupp, Rechtliche Probleme alternativer Behandlungsmethoden, MedR 1992, S. 256.

[7] Vgl. § 1 HPG und § 1 PsychThG.

[8] § 1 Absatz 2 HPG; vgl. zum Begriff „Heilkunde“: BVerwG MedR 2011, S. 516.

[9] BGH VersR 1991, S. 469: Auch die Anwendung von „ausgesprochen“ paramedizinischen Behandlungen ist innerhalb der Grenzen der Sittenwidrigkeit erlaubt, wenn der voll aufgeklärte Patient dies wünscht.

[10] Schumacher, Arzthaftungsrecht aus alternativmedizinischer Sicht, MedR 2019, S. 786 m.w.N.

[11] Thanner/Loss/Nagel: Komplementäre und alternative Heilverfahren im vertragsärztlichen Bereich: Ausmaß; Struktur und Gründe des ärztlichen Angebots, Gesundheitswesen 2014, S. 715.

[12] Becker, Die Erfolgsgeeignetheit in der vertraglichen Arzthaftung, MedR 2014, S. 475 (477): „energetische Medizin“; siehe auch Selbstbeschreibung des Dachverbands Geistiges Heilen (DGH), der auf der eigenen Webseite darauf verweist, dass der Verband ein Zusammenschluss aus Heilern, Ärzten und Heilpraktikern sei, abrufbar unter https://www.dgh-ev.de/ (28.02.21).

[13] Empfehlung eines Arztes, das vermeintliche Wundermittel MMS (Mineral Miracle Supplement) zur Behandlung von Autismus anzuwenden, abrufbar unter https://medwatch.de/2019/09/03/arzt-hat-mms-verkauft-aerztekammer-verweist-fall-lutz-r-ans-berufsgericht/ (26.01.2021); Empfehlung eines Tierarztes wehrlosen Tieren Chlordioxid zu verabreichen, führt zu Satirepreis „Der goldene Aluhut 2020“ der GWUP, abrufbar unter https://blog.gwup.net/2020/11/03/video-der-goldene-aluhut-2020-die-verleihung/ (05.03.21); Umstrittene Nadel-Therapie gegen Schmerzen, abrufbar unter https://www.srf.ch/news/schweiz/dubiose-akupunktur-methode-esoterik-arzt-zockt-schamlos-ab (26.01.21), vgl. zur Germanischen Neuen Medizin: Schick, die kriminologische und arztrechtliche Problematik unwissenschaftlicher Heilmethoden, in: Festschrift für H.J. Schneider, 1998, S. 255; Kreil, Fakemedizin, 2021, S. 96 ff, zum Approbationsentzug von Ryke Gerd Hamer: VG Frankfurt, 07.02.2017, 4 K 3468/16 F.

[14] Ratzel-Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der deutschen Ärzte (MBO), 2015, § 11 Rn.93.

[15] Becker, Die Erfolgsgeeignetheit der ärztlichen Vertragshaftung, MedR 2014, S. 475 (480).

[16] BGH NJW 2017, S. 2685.

[17] LG Kiel, 23.03.2019, RDG 2020, S. 29.

[18] Der Begriff „Schulmedizin“ findet nach wie vor in vielen juristischen Texten und Gerichtsurteilen Verwendung. Er meint die wissenschaftlich anerkannten Methoden, wie sie an medizinischen Hochschulen gelehrt werden.

[19] Vgl. BGH NJW 2017, S. 2685: „ganzheitliche Zahnmedizin“.

[20] Münchener Kommentar zum BGB, 2020, § 630a Rn. 130.

[21] Landesberufsgericht für Heilberufe Münster MedR 2010, S. 812.

[22] Vgl. Schmid, Die Grenzen der Therapiefreiheit NJW 1986, S. 2339 (2340): Keine rechtswirksame Einwilligung bei arglistiger Täuschung über „Heilungsaussichten“.

[23] Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Gesundheitspersonalrechnung für 2015, veröffentlicht 2017, S. 11.

[24] Stock, Das un-mögliche Ende des Heilpraktikers, MedR 2018, S. 373 (374).

[25] Der verantwortliche Heilpraktiker wurde inzwischen vom Landgericht Krefeld wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässigem Herstellen verfälschter Arzneimittel zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung verurteilt (LG Krefeld MedR 2020, S. 290).

[26] Vgl. Stellungnahme des BDH zu den Vorfällen in Bracht-Brügge unter https://www.bdh-online.de/todesfaelle-in-einer-zentrum-fuer-alternative-medizin-in-brueggen-bracht/ (14.01.2021).

[27] Eine Übersicht zu den unterschiedlichen Positionen und Reformvorschlägen findet sich in der Ausarbeitung des Deutschen Bundestages, Wissenschaftliche Dienste, Heilpraktiker in Deutschland, Rechtsgrundlagen und aktuelle Diskussion, 2020, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/710020/60d8de59f2d4e5f98 f5ce9f25f8df1e6/WD-9-043-20-pdf-data.pdf (05.02.2021).

[28] Vgl. Neufassung des § 2 Absatz 1 i) der 1. Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz (DVO-HPG).

[29] Vgl. Ausschreibung des Bundesgesundheitsministeriums, abrufbar unter https://forschung-bundesgesundheitsministerium.de/foerderung/ausschreibungen/rechtsgutachten-zum-heilpraktikerrecht (27.01.2021).

[30] Weitere Voraussetzung für die Zulassung ist: Vollendung des 25. Lebensjahres, eine abgeschlossene Volksschulbildung (Hauptschulabschluss), sittliche Zuverlässigkeit und gesundheitliche Eignung.

[31] Ausgenommen ist u.a. die Verordnung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, die Behandlung von Geschlechtskrankheiten, Zahnheilkunde oder Schwangerschaftsabbrüche.

[32] Vgl. Union Deutscher Heilpraktiker (UDH): Therapieverfahren mit Erklärungen, abrufbar unter https://www.udh-bundesverband.de/index.php?article_id=73 (06.03.21); BT-Drs. 13/10950, S. 134.

[33] BT-Drs. 17/10488, S. 19.

[34] BT-Drs. 17/10488, S. 19.

[35] Juris Praxiskommentar zum BGB, 2020, § 630a BGB, Rn. 269.

[36] OLG München VersR 1991, 471.

[37] OLG Koblenz NJW-RR 2007, S. 389.

[38] Vgl. LG Bonn NJW 2015, S. 3461.

[39] BR-Drs. 312/12, S. 27; BGH NJW 1991, S. 1535.

[40] BVerfG NJW-RR 2004, S. 705.

[41] Juris Praxiskommentar zum BGB, 2020, § 630a Rn.272.

[42] OVG Lüneburg NdsVBl 2011, S. 195.

[43] Artikel 4 Nr. 7 Berufsordnung für Heilpraktiker (BOH).

[44] VGH Baden-Württemberg NJW 2009, S. 458.

[45] Hero/Krech, Religiöse Vielfalt in NRW, 2008, S. 169 ff.

[46] Vgl. zum Begriff: Jütte, Die lange Tradition religiöser und geistiger Heiler in Deutschland, in: Religiöse Heiler im medizinischen Pluralismus in Deutschland, Teut u.a. (Hrsg), 2019, S. 11 (14).

[47] Vgl. Methodenübersicht - Dachverband Geistiges Heilen: https://www.dgh-ev.de/heilweisen.html (07.03.2021).

[48] Die Deutsche Gesellschaft für Gesundheit und Prävention (DGGP) fordert daher stets den Begriff „Berater“ zu verwenden und auf den Gebrauch der verfänglichen Bezeichnung „Therapeut“ grundsätzlich zu verzichten: https://www.dggp.org/verband/pressemitteilungen/bei-falschen-therapeuten-ist-vorsicht-geboten.pdf (08.03.2021).

[49] Vgl. Murken, Heil und Heilung aus religionswissenschaftlicher und rechtlicher Sicht, in: Recht und Religion, 2002, S. 165.

[50] BVerfG NJW-RR 2004, S. 705.

[51] Vgl. dazu LG Verden NJW 1998, S. 3429: Hier legte der Heiler den Hilfesuchenden vor der Behandlung ein Merkblatt zur Unterschrift vor, in welchem er ausdrücklich darauf hinwies, dass seine Behandlung keine Heilkunde darstelle, er keine Versprechungen für das künftige Wohlbefinden abgeben könne, ein Arzt in jedem Falle zu konsultieren sei und eine ärztliche Behandlung ohne Rücksprache mit dem Arzt nicht unterbrochen werden solle. Zusätzlich wurden die Hilfesuchenden vor jedem neuen Termin erneut mündlich darüber belehrt, dass er kein Arzt sei, keine Diagnosen stelle und eine ärztliche Behandlung nicht ersetzen könne und wolle.

[52] LG Düsseldorf, 07.10.2020, 12 O 135/20.

[53] § 9 HWG.

[54] OLG München, 10.12.19: „Schamanische Heilbehandlung“. https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/vergleich-schamanin-muss-7.500-euro-zurueckzahlen (06.03.2021).

[55] Verträge zwischen Heiler und Krankem sind i. d. R. (wenn es sich um eine medizinferne, rein spirituelle Heilung mit ausreichender Aufklärung handelt) als Dienstvertrag nach § 611 BGB einzustufen. Es kommt aber auch ein Behandlungsvertrag nach § 630a BGB in Betracht, wenn der Heiler eine „medizinische Behandlung“ anbietet, vgl. dazu: Meyerer, Rechtsprobleme einer Leistungserbringung auf parapsychologischer Grundlage, 2019, S. 155.

[56] OLG Frankfurt GesR 2011, S. 187 ff.

[57] OLG Oldenburg, 26.01.2015, 5 U 71/13, juris.

[58] Vgl. BGH MedR 2012, S. 256 zur sog. „Synergetik-Methode“.

[59] Vgl. Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, 2021 Rn. 188.

[60] Prütting, Medizin- und Gesundheitsrecht, 2018, 5. Kapitel, Rn. 43.