Beratung und Information zu neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen
gefördert durch das
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Bericht über die Arbeit des Sekten-Info NRW und die Aktivitäten neuer religiöser Gemeinschaften 2013

Insgesamt wurden im Jahr 2013 1.085 Anfragen beim Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. registriert. Von den 1.085 Anfragen erhielten 627 Personen durch ausführliches Informationsmaterial und ein bis zwei klärende Gespräche Hilfestellung von den MitarbeiterInnen des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V.. In 458 Fällen war ein intensiverer und längerer Beratungsverlauf mit bis zu 22 Fachkontakten notwendig.

Um einen besseren Vergleich mit den Vorjahren zu ermöglichen, sind wie jedes Jahr die 627 Informationsanfragen und die 458 Beratungsfälle in zehn Kategorien zusammengefasst worden. Insgesamt sind in den zehn Kategorien Anfragen mit der Bitte um Information und Beratung zu 400 verschiedenen Gruppierungen und Anbietern enthalten (vgl. Diagramm 1).


Diagramm 1: Summe Beratungsfälle und Informationsanfragen

Zusätzlich zu diesen Anfragen nutzten viele Bürger die Webseite des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. als Informationsquelle. Dies zeigt, dass das Informationsbedürfnis zu neuen religiösen Bewegungen nach wie vor sehr hoch ist und viele Bürger es schätzen, sich selbständig und anonym mit Hilfe des Internets zu informieren. Aus diesem Grund bieten die MitarbeiterInnen des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. seit 2006 zusätzlich zur bisherigen persönlichen Beratung die Möglichkeit der Online-Beratung an. Diese Möglichkeit wurde im letzten Jahr immerhin 15 Mal genutzt, bei weiteren 35 Fällen begann die Beratung mit einer E-Mail, wurde dann aber in einer persönlichen Beratung fortgesetzt. Neben allgemeinen Informationen zur Arbeitsweise der Beratungsstelle und zu neuen Aktivitäten war im letzten Jahr hauptsächlich der Bericht über Entstehung und Merkmale der Salafisten gefragt. Im Anschluss daran hatte der Beitrag über die Sektenkinder in der Schule mit Abstand die meisten Zugriffe zu verzeichnen. Erst danach wurden die Texte über „Die Esoterisierung der Gesellschaft“ und „Wenn Glaube schadet“ aufgerufen.


Informationsanfragen 2013

Bei einem Vergleich der einzelnen Kategorien fällt auf, dass im Jahr 2013 die Informationsanfragen zu den fundamentalistischen Gruppen besonders herausragen. Diese Kategorie bekam 2011 durch die Salafisten eine neue Gruppierung hinzu. Die Salafisten sind dem islamistischen Fundamentalismus zuzurechnen und ihre Zahl hat sich laut Verfassungsschutzbericht in NRW im Vergleich zu 2011 von 500 auf 1500 verdreifacht. Besonders besorgniserregend ist, dass ein Teil der Salafisten sogar bereit ist, in den Dschihad („Heiligen Krieg“) nach Syrien zu ziehen. 100 sollen es nach Angaben des NRW Innenministers Ralf Jäger allein im letzten Jahr gewesen sein, als kampferprobte Rückkehrer stellen sie ein besonderes Risiko dar. Verantwortlich dafür seien unter anderem die Propagandafilme der Salafisten im Internet, in denen werde der Märtyrertod glorifziert. Einige der Filme hätten einen deutlichen Bezug zu ausländischen Terrororganisationen und sind aus diesem Grund an die zuständigen Staatsanwaltschaften weitergeleitet worden. Zusätzlich werden die Missionierungsversuche immer raffinierter. Es wird nun seltener zu Islamseminaren, stattdessen zu Benefiz-Veranstaltungen eingeladen. Es wurden Korane im Phantasialand, vor Schulen, an der Haustür und sogar in Krankenhäusern verschenkt und für die Sache der Salafisten geworben. Das Land will dieser wachsenden Gefahr mit dem Aussteiger- und Präventionsprogramm „Wegweiser“ begegnen. Neben einer umfangreichen Aufklärungsarbeit an Schulen, an der auch unsere Beratungsstelle beteiligt werden soll, sollen zusätzliche Anlaufstellen geschaffen werden, die Austiegswilligen und deren Angehörigen zur Seite stehen und ihnen aus ihrer Lebenskrise helfen. Neben den reinen Informationsanfragen zum Salafismus meldeten sich bei uns überwiegend Frauen, die eine Veränderung ihres Mannes oder ihrer Kinder beobachtet haben.

Darüber hinaus bezieht sich der größte Teil der Anfragen auf den christlichen Fundamentalismus. Die Anfragen verteilen sich auf 35 verschiedene Gemeinden. Häufig sind es Angehörige, die sich melden, weil der Partner/ die Partnerin oder das inzwischen erwachsene Kind sich nach dem Kontakt zur neuen Gemeinde verändert hat. Sie wollen eine Einschätzung, ob und wie gefährlich die jeweilige Gemeinde ist. Viele dieser Gemeinden faszinieren besonders junge Erwachsene, weil ihre Gottesdienste erlebnisorientierter ablaufen als die Gottesdienste in den beiden großen Kirchen. Gefährlich wird es, wenn einige christliche Fundamentalisten so fanatisiert sind, dass sie ihren Kindern ganz oder teilweise den Schulbesuch verbieten oder sogar die körperliche Züchtigung praktizieren und propagieren. Eine christlich fundamentalistische Gruppierung, die sich „Zwölf Stämme“ nennt, hat genau aus diesen Gründen im September letzten Jahres für viel Aufregung gesorgt. Nachdem es ihnen jahrelang gelungen war, ihre Kinder von öffentlichen Schulen fern zu halten, wurden am 05.09.2013 40 Kinder vom Jugendamt in Obhut genommen. Dieser Aktion vorausgegangen war die Bereitstellung von gefilmtem Beweismaterial des RTL-Journalisten Wolfram Kuhnigk, auf dem die Züchtigung kleiner Kinder mit der Rute zu sehen war (Siehe Erfahrungsbericht zu der Glaubensgemeinschaft der "Zwölf Stämme" und den Fachartikel zur Kindeswohlgefährdung bei der Glaubensgemeinschaft der "Zwölf Stämme")
 
An zweiter Stelle stehen die Anfragen aus dem Bereich der Esoterik. Hier fällt auf, dass die Beratungsfälle die Anfragen übertreffen. Die Fülle der Anfragen und Beratungsfälle zusammen zeigt, dass dieser Bereich momentan in unserer Gesellschaft am meisten wächst und häufig nicht rechtzeitig als gefährlich angesehen wird.

Viele esoterische Lebenshilfe-Anbieter setzen auf die Wirkung des positiven Denkens. Ihre Grundaussage ist, wer positiv denkt, bei dem wird alles gut. Man muss nur intensiv an ein langes glückliches Leben denken, dann klappt das auch. Viele esoterische Gurus haben mit dieser These in Selbsthilfebüchern und Seminaren ein Vermögen verdient. Ein Forschungsteam von der Universität Erlangen-Nürnberg hat allerdings herausgefunden, dass ältere Menschen, die ihrer Zukunft eher pessimistisch entgegensehen, bessere Chancen auf einen gesunden Lebensabend haben. Die Forscher griffen auf Daten einer deutschen Langzeitstudie mit 40.000 Teilnehmern zurück. Die Teilnehmer wurden regelmäßig in Jahresabständen befragt. Gerade jene Befragten, die sich ihr künftiges Leben sehr schön ausgemalt hatten, trugen das größte Risiko, dass es umgekehrt eintraf. In dieser Gruppe zählten die Forscher mehr Todesfälle und Behinderungen als bei den Pessimisten. Die Erklärung der Forscher zu diesem Ergebnis: Zukunftspessimismus scheint Menschen zu veranlassen, vorsichtiger und gesundheitsbewußter zu leben. (fau.de/news/2013/02/28/langzeitstudie-pessimisten-leben-langer/).

Aber nicht nur die Vertreter des positiven Denkens irren, auch die Astrologen, Hellseher und Wahrsager lagen mit ihren Prognosen für 2013 wieder mal völlig daneben. Zu diesem Ergebnis kommt die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) in ihrer Ende Dezember veröffentlichten Auswertung. Das Lieblingsthema aller Hellseher sind Erdbeben, Überschwemmungen und Terroranschläge, allerdings sind diese wertlos, wenn niemand voraussagen kann, wann und wo sie sich ereignen werden. Konkretere Vorhersagen, dass z.B. ein zweiter Atomunfall in Japan und ein Vulkanausbruch in den USA passieren werden, sind nicht eingetroffen. Und bedeutsame Ereignisse, wie der Papstrücktritt und der Meteoritenabsturz in Rußland, wurden erst gar nicht vorhergesehen. So zeigt die Auswertung, die von dem Mathematiker Michael Kunkel durchgeführt wurde, „Astrologen, Hellseher und Wahrsager können keineswegs in die Zukunft sehen.“

Die Auszeichnung „Das goldene Brett vorm Kopf“ wurde diesmal von der GWUP am 2. Dezember 2013 der Organisation „Homöopathen ohne Grenzen“ verliehen. Mit der Auszeichnung soll auf den erstaunlichsten pseudowissenschaftlichen Unsinn des Jahres hingewiesen werden. In diesem Fall ging es aber nicht nur um wissenschaftlichen Unsinn, sondern um lebensgefährlichen Unsinn. Die Organisation „Homöopathen ohne Grenzen“ hat in Krisengebieten in Afrika und Asien versucht, ihre wirkungslosen Zuckerkügelchen zu verteilen, und schreckte dabei nicht einmal davor zurück, eine Wirksamkeit gegen Malaria und Aids zu behaupten.

Die Anfragen zur Scientology-Organisation sind nicht mehr so hoch wie in früheren Jahren und nehmen in unserer Statistik momentan nur noch Platz Drei ein. Allerdings darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich die 61 Anfragen aus der Bevölkerung auf nur eine Gruppierung beziehen, während die beiden anderen Kategorien mehrere Gruppen umfassen.

Seit Juli 2013 hat die Scientology-Organisation eine weitere prominente Aussteigerin, Leah Remini. Nach jahrerlanger Anhängerschaft verläßt sie Scientology. US-Medienberichten zufolge war sie wegen einer einfachen Frage nach dem Verbleib von Michelle Miscavige, der Ehefrau des heutigen Chefs der Scientology-Organisation, jahrelang verhört und gemaßregelt worden. Das Schicksal von Michelle Miscavige wirft viele Fragen auf, da sie zuletzt im Jahr 2006 in der Öffentlichkeit gesehen worden ist, seitdem gab es kein Lebenszeichen mehr von ihr. Lea Remini wurde mitgeteilt, dass sie nicht das Recht habe, Fragen zum Verbleib von Michelle M. zu stellen. Als sie nicht locker ließ, wurde sie auf die Liste der potenziell abtrünnigen und kritischen Mitglieder gesetzt und der Psychoterror begann. Aufgrund einer Vermisstenanzeige hat das Los Angeles Police Department allerdings inzwischen mitgeteilt, dass sich Michelle Miscavige auf der bewachten Scientology-Basis „Twin Peaks“ aufhält, angeblich sei sie dort glücklich. Noch ist nicht sicher, ob Lea Remini ihre Erfahrungen in einem Buch veröffentlichen will, aber sie erhält Unterstützung durch eine weitere bekannte Austeigerin, Jenna Miscavige Hill, der Nichte des Scientology-Chefs.

Die 29-jährige Jenna Miscavige-Hill wurde in die Scientology-Organisation hineingeboren, verbrachte ihre ganze Kindheit bei Scientology, doch im Alter von 21 Jahren gelang ihr der Austieg. Sie ließ sich nicht unterkriegen und veröffentlichte im Februar 2013 ihr Buch „My Secret Life Inside Scientology“. Das Buch ist inzwischen auch in deutscher Sprache erhältlich und absolut lesenswert (zur Rezension von Erfahrungsbericht: Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht). In ihrem Buch berichtet sie, dass sie im Alter von 6 Jahren von ihren Eltern getrennt wurde und in ein Erziehungscamp mit 80 anderen Kindern kam. Dort musste sie 40 Stunden die Woche körperliche Schwerstarbeit leisten, erhielt aber keine anerkannte Schulbildung, keine Ausbildung und keinen Lohn. Es wurden Häuser gebaut, Gärten bepflanzt und die Bücher von L.R. Hubbard studiert. Aber es gab kaum medizinische Versorgung, die Kinder mußten sich untereinander selbst helfen. Da Jenna M. keinen Kontakt zu Menschen außerhalb der Organisation hatte, dachte sie, sie muss ihr Leid ertragen, schließlich sei es für einen guten Zweck, um anderen Menschen zu helfen. Nach weiteren Jahren voller Demütigungen und Unterdrückungen entschließt sie sich auszusteigen. Es ist nicht zu verstehen, dass eine derartige Misshandlung von Kindern in den USA geduldet wird.

Fast zeitgleich erscheint ein weiteres Enthüllungsbuch über die skrupelosen Machenschaften der Scientology-Organisation. Pulitzer Preisträger Lawrence Wright hat jahrelang Material über Scientology gesammelt und über 250 ehemalige und aktive Mitglieder interviewt. Sein prominentester Zeuge ist der bekannte Drehbuchautor und Oskarpreisträger Paul Haggis, der nach 34 Jahren die Organisation verlassen hat. Das Buch umfasst 450 Seiten und der deutsche Titel lautet „Im Gefängnis des Glaubens. Scientology, Hollywood und die Innenansicht einer modernen Kirche.“ (Rezension). Wright entlarvt die autoritären Strukturen der Organisation, unfolgsame Mitglieder würden mit Methoden, die an Freiheitsberaubung grenzen, bestraft oder in einigen Fällen sogar geschlagen. Scientologinnen seien zur Abtreibung genötigt worden. Die finanzielle Abhängigkeit und die soziale Isolation der Mitglieder ermöglichen das unmenschliche System. Die Geldgier von David Miscavige sei enorm, er verfüge über ein Vermögen von einer Milliarde Dollar ohne Berücksichtigung des Immobilienbesitzes. Außerdem deckt Wright auf, dass selbst in den USA Scientology nur 25.000 Mitglieder hat. Durch die beiden Veröffentlichungen hat jetzt das Ansehen der Scientology-Organisation auch in den USA gelitten.

In Deutschland versucht die Scientology-Organisation ungeachtet dieser schweren Vorwürfe weiterhin, unwissende Menschen durch raffinierte Tarnorganisationen zu missionieren. Neben den vielen Aktionen der Tarnorganisationen „Jugend für Menschenrechte“, „Der Weg zum Glücklichsein“, „Sag nein zu Drogen, sag ja zum Leben“ und der „Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte“ bieten sie jetzt sogar ganz offen unter dem Namen Scientology Online-Kurse an. Dabei werden angebliche Lösungen zu den verschiedensten Problembereichen des Lebens versprochen: Arbeit, Geld, Ehe, Stress, Kommunikation. Das Ziel ist aber, den Bürger zu motivieren, den nächsten Kurs im nächstgelegenen Scientology-Zentrum fortzusetzen. Die Kurse kosten viel Geld und dienen dem Zweck, Menschen für Scientology zu begeistern. Wer Sorgen oder Probleme hat, sollte sich lieber dem kostenlosen Hilfsangebot staatlich geförderter Beratungsstellen anvertrauen, zumal diese unter Schweigepflicht stehen und Mitarbeiter mit anerkannten psychologischen Ausbildungen beschäftigen. Dies verdeutlicht auch der Erfahrungsbericht einer Aussteigerin aus der Düsseldorfer Scientology-Organisation ("Mein Weg zum Unglücklichsein") Jugendliche sind nach wie vor eine Hauptzielgruppe der Scientology-Organisation. Zum wiederholten Male haben Scientologen versucht, sich unerkannt mit einer Anti-Drogen-Kampagne in Londoner Schulen und mit einem vermeintlich harmlosen Film über Menschenrechte in Schweizer Klassenzimmer zu schleichen. In Düsseldorf wurden jede Menge Faltblätter der Tarnorganisation „Sag Nein zu Drogen“ für den Versand an Schulen innerhalb von NRW vorbereitet. Allerdings war das Schulministerium schon informiert, noch bevor das erste Faltblatt an einer Schule gelandet ist.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz plane laut Information des Magazins „Spiegel“ vom 24.11.2013 die Beobachtung der Scientology-Organisation auf ein Minimum zu reduzieren. Die Bedeutung des Konzerns, der sich als Kirche ausgibt, nehme ohnehin ab. Erfreulicherweise haben sich einzelne Länder u.a. Nordrhein-Westfalen dieser Entscheidung nicht angeschlossen und halten ihre Beobachtung aufrecht.

An vierter Stelle stehen die Anfragen zu den synkretistischen Neureligionen, die gegenüber früheren Jahren rückläufig sind. 2012 starb der selbsternannte Messias und Gründer der Vereinigungskirche San Myung Moon im Alter von 92 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung. Schon im Februar 2013 gab es wieder eine Massenhochzeit mit 3.500 identisch gekleideten Paaren. Seine 70-jährige Witwe leitete die Zeremonie. Trotz vieler Aussteiger ("Glaube und enttäuschende Wirklichkeit in der Vereinigungskirche von Sun Myung Moon") leben noch ca. 300 Familien in Deutschland. Missioniert und geworben wird hauptsächlich über den Verein Universal Peace Federation Deutschland.

Bei den guruistischen Gruppierungen gibt es nicht viel Neues, sie sind seit Jahren rückläufig. Allerdings hat das Familiengericht in Erlangen am 05.07.2013 ein begrüßenswertes und erwähnenswertes Urteil gefällt. Die Eltern der „Sektenkinder von Lonnerstadt“ verlieren in wesentlichen Teilen das Sorgerecht. Anlass für das Verfahren am Familiengericht war unter anderem eine Dokumentation der WDR-Autorin Beate Greindl. Sie hatte, angeregt durch die besorgten Großeltern, ein Jahr lang die „Neue Gruppe der Weltdiener“ beobachtet und gefilmt. Ihre Dokumentation führte Erstaunliches zu Tage. Die Kinder, zwischen sieben und dreizehn Jahren alt, lebten in einem alten baufälligen Haus ohne Dusche und Heizung. Die Familie war nicht krankenversichert, da Arztbesuche und Medikamente als nicht notwendig angesehen wurden. Jede Krankheit wird als Karma und Reinigungsprozess angesehen, und selbstloses Dienen sowie regelmäßige Meditation sind wichtige Bestandteile der Lehre. Für die Kinder bedeutete das, um 4.30 Uhr aufstehen zu müssen, um zu meditieren, danach folgte der Schulbesuch und am Nachmittag mussten sie im Haus und Garten arbeiten. Da es nur sehr wenig zu essen gab, erlitten die Kinder häufig Hunger. Die Kinder mussten gelbe oder cremefarbene Kleidung und Mützen tragen, durch die sie in der Schule zu Außenseitern wurden. Sie durften keine kindgerechte Freizeit genießen, sondern sollten durch unterwürfiges Dienen, Verzicht auf schöne Dinge und erduldetes Leid, ihre Seelen weiterentwickeln. Neben der erschreckenden Abhängigkeit der Eltern, die diese Erziehung auf Anweisung des Gurus befüwortet haben, stimmt es sehr nachdenklich, dass das zuständige Jugendamt trotz deutlicher Gefahren für das Kindeswohl zunächst nicht gehandelt und sich nur auf die Glaubensfreiheit der Eltern berufen hatte. Die Glaubensfreiheit ist ein hohes Gut, rechtfertigt aber keine Kindeswohlgefährdung oder Misshandlung. Unabhängig davon hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Anklage wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen gegen den Guru der „Neuen Gruppe der Weltdiener“ erhoben. Die Vorwürfe beziehen sich aber auf frühere Vorfälle aus den Jahren 2000 bis 2002. Auch hier soll der Guru eine Mutter, seine damalige Lebensgefährtin, so beeinflusst haben, dass sie ihren Sohn trotz schwerer chronischer Erkrankung nicht schulmedizinisch behandeln ließ. Bei dem Jungen hatte das zur Folge, dass er erhebliche Schmerzen über einen längeren Zeitraum erleiden musste und beinahe gestorben wäre.



Diagramm 2: Informationsanfragen im Vergleich der letzten fünf Jahre
 


Beratungsfälle 2013

Der seit Jahren große Bedarf an Beratung in der Esoterik hat sich auch 2013 nicht verändert. Es konnten 155 Beratungsfälle gezählt werden, die sich auf 60 verschiedene Anbieter verteilen. Bei der Vielfältigkeit esoterischer Angebote bietet es sich an, diese in drei bzw. vier Bereiche zu unterteilen. Wir unterscheiden:

1. die Lebensberatung, sie umfasst viele Angebote vom Familienstellen über Engelseminare und Channeling bis zu Verschwörungstheorien und Schenkkreisen.
2. die Zukunftsdeutung, dazu zählen Astrologie, Wahrsagen, Hellsehen, Kartenlegen.
3. die Heilung von körperlichen Beschwerden, Geistheiler oder Schamanen bieten Hilfe zur Heilung von körperlichen Krankheiten an, Reiki oder Homöopathie ebenfalls.
4. sektenähnliche Gruppierungen, die ein esoterisches Gedankengut vertreten, die sich aber aufgrund ihrer Größe von den drei anderen Bereichen unterscheiden.

Zahlenmäßig sind die Bereiche eins und drei fast gleich, sie machen jeweils ein Drittel der genannten Beratungsfälle aus. Die beiden anderen Bereiche teilen sich das letzte Drittel. Berücksichtigt man jedoch, dass es eine eigene Kategorie „Heilergruppen“ mit in diesem Jahr 31 Beratungsfällen zuzsätzlich gibt, wird deutlich, dass der Markt der alternativen Heilmethoden und der Geistheiler die meisten Problemfälle verursacht. Viele Geistheiler versprechen, auch schwerwiegende Erkrankungen wie z.B. Krebs, Asthma, Psychosen heilen zu können und es werden äußerst fragwürdige Behandlungsmethoden angeboten. Manche Klienten berichten, dass eine liebevolle Atmosphäre sie dazu verleitet hat, dem Geistheiler völlig zu vertrauen. Die Hoffnung auf Heilung hat sie dazu verleitet, notwendige medizinische Behandlungen zu vernachlässigen, was letztlich Menschen in eine lebensgefährliche Lage bringen kann (siehe Vorsicht "Heiler" - ein Erfahrungsbericht und "Risiken und Nebenwirkungen" selbsternannter Heiler). Häufig sind es die Angehörigen, Geschwister oder Partner, die unsere Beratungsstelle verzweifelt um Hilfe bitten. Neben der Unverfrorenheit vieler Anbieter auf dem Heilermarkt mit dem Leid kranker Menschen Geld zu verdienen, stimmt es noch nachdenklicher, dass Ordnungsbehörden und Gesundheitsämter nicht häufiger einschreiten, obwohl sie von den Vorkommnissen durch unsere Beratungsstelle informiert werden.

Innerhalb des ersten Bereiches der Esoterik ragte ein Lebenshilfeguru im letzten Jahr besonders heraus. 21 Beratungsfälle standen im Zusammenhang mit dem deutschen Psychologen Robert Betz. Er bietet eine neue von ihm selbstentwickelte Transformationstherapie an, die mit wissenschaftlicher Psychologie, wie sie an Universitäten gelehrt und in der Praxis angewandt wird, nicht viel zu tun hat. Er behauptet, dass seine Therapie Menschen in die Lage versetze, Leidenszustände aller Art zu verwandeln. Die Menschen werden dabei begleitet von der Kraft der Engel und Ahnen. Er zieht Menschen in seinen Bann, indem er ihnen schnelle, umfassende märchenhafte Hilfe verpricht und mit kumpelhaften Sprüchen suggeriert, er sei der gute Freund, dem man vertrauen kann. (Siehe "Robert Betz und die Transformationstherapie - eine esoterische Pseudotherapie im Fokus der Kritik").

Der Bereich Okkultismus ist gegenüber den Vorjahren deutlich rückläufig. Zum einen werden Betroffene von Wahrsagern inzwischen einheitlich zum Bereich der Esoterik mitgezählt. Zum anderen macht sich die intensive Präventionsarbeit an Schulen bemerkbar, so dass nur vereinzelt Beratungsgespräche nach einer spiritistischen Sitzung oder außergewöhnlichen Erfahrung notwendig sind.

Bei den Beratungsfällen im Satanismus geht es inzwischen immer häufiger um supervisorische Hilfestellung. Sechs Jugendliche hatten sich mit der satanischen Ideologie beschäftigt und waren in der Schule auffällig geworden. Die jeweiligen LehrerInnen und SchulsozialarbeiterInnen haben sich von uns beraten lassen. In zwei weiteren Beratungsfällen ging es um zwei junge Frauen, die sich auf eine Satansloge eingelassen haben. Eine Therapeutin einer Beratungsstelle brauchte unsere Einschätzungshilfe bei der Behandlung einer Frau, die berichtet hat, dass sie in der Kindheit rituell missbraucht wurde. Zwei weitere Frauen mit der gleichen Problematik wandten sich direkt an unsere Beratungsstelle (vgl. hierzu "Ritueller Missbrauch im Satanismus" aus dem Jahr 2006 auf unserer Webseite). Beruhigend war die Nachricht, dass der ehemalige Satanist Daniel Ruda nicht freigelassen wird. Er bleibt in der geschlossenen Psychiatrie, da er weiterhin als krank und gefährlich von den Sachverständigen eingeschätzt wurde. Er selbst hatte seine Freilassung beantragt. Daniel Ruda hatte vor 12 Jahren zusammen mit seiner damaligen Ehefrau Manuela einen jungen Mann in seiner Wohnung in Witten mit Hammerschlägen und Messerstichen brutal getötet. Die grausam zugerichtete Leiche musste mit Hilfe des genetischen Fingerabdrucks identifiziert werden.

Als Skandal empfinden ehemalige Mitglieder der Colonia Dignidad die Tatenlosigkeit der deutschen Justiz gegenüber Hartmut Hopp. Hartmut Hopp (68) war ein enger Vertrauter von Paul Schäfer und gehörte zur Führungsspitze der Sekte. Die Siedlung in Süd-Chile war hermetisch von der Außenwelt abgeschirmt, und die Bewohner waren zu absolutem Gehorsam verpflichtet. Nach dem Ende des Pinochet-Regimes konnten die Verbrechen aufgedeckt werden, über die die Austeiger bereits in Deutschland jahrelang berichtet hatten. Schäfer wurde wegen Mordes, sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und weiterer Verbrechen zu 20 Jahren Haft verurteilt. Auch Hartmut Hopp wurde angeklagt und ist zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Es gelang ihm jedoch die Flucht von Chile nach Deutschland. Als deutscher Staatsbürger darf er trotz internationalem Haftbefehl nicht an ein Land außerhalb der europäischen Union ausgeliefert werden. Einzelne Betroffene, die immer noch unter ihren schlimmen Erfahrungen leiden, sind empört, dass Hartmund Hopp sich in Deutschland frei bewegen darf. Aus diesem Grund haben sie eine Demonstration am 24. März 2013 in Krefeld, dem Wohnort von Hopp, organisiert und gefordert, dass die Haftstrafe von Hopp in Deutschland vollstreckt werden soll.

Bei der Betrachtung einzelner Gruppen statt übergeordneter Kategorien ist zu erkennen, dass die Zeugen Jehovas mit 37 Beratungsfällen im letzten Jahr den größten Beratungsbedarf ausgelöst haben und zum ersten Mal die Scientology-Organisation mit 27 Beratungsfällen überholt haben. Neben Menschen, die viele Gespräche benötigten, weil sie als Kinder in der Organisation aufgewachsen sind und dann entschieden haben, auszusteigen, gibt es immer wieder Betroffene, die Hilfe wollen, weil ein Elternteil nach dem Tod des anderen von den Zeugen Jehovas missioniert wurde. Zusätzlich haben sich viele Aussteiger bei uns gemeldet, die unter dem völligen Kontaktabbruch ihrer Familie gelitten haben. Der Kontaktabbruch war nicht nach ihrem Ausstieg, sondern erst nach dem letzten Bezirkskongress der Zeugen Jehovas in 2013 erfolgt. Ein zentrales Thema dieser Großveranstaltung war: „Der Umgang mit Abtrünnigen“. Wortwörtlich wurde dort verkündet: “Als Abtrünnige gelten alle, die die Gemeinschaft verlassen haben. Egal ob es Familienangehörige sind oder nicht. Die Anweisung lautet, sie zu meiden, weil sie Gift verteilen.“ Diese familienfeindliche und intolerante Aussage klingt doch sehr befremdlich für eine Organisation, die die Körperschaft öffentlichen Rechts in Nordrhein-Westfalen erlangen will. Die Weltzentrale der Zeugen Jehovas wurde im August 2013 von Brooklyn in den Stadtteil Wallkill in New York verlegt.


Diagramm 3: Beratungsfälle im Vergleich der letzten fünf Jahre     

Wer wendet sich an unsere Beratungsstelle?

Unabhängig von der jeweiligen Gruppierung, die den Beratungsbedarf ausgelöst hat, ist es interessant zu fragen, wer die Beratungsstelle mit der Bitte um Hilfe aufgesucht hat, Menschen, die selbst betroffen sind, oder Freunde und Angehörige? Im letzten Jahr betrug der Anteil der Betroffenen, die für sich selbst eine Hilfestellung erwartet haben 28%. Weitere 36% verteilten sich auf nahe Angehörige oder den Partner. Noch einmal 18% baten uns im Rahmen eines institutionellen Arbeitsauftrages um Hilfe (z.B. Polizei, Schule, Hochschule, andere Beratungsstellen, Jugendhilfe, Psychiatrien). Der Rest (18%) verteilt sich auf Presseanfragen und Anfragen, die sich auf Bekannte und Kollegen beziehen (vgl. Diagramm 4).   



Diagramm 4: Informationsanfragen und Beratungsfälle aufgeteilt nach Art der Betroffenheit

 

Rechtsberatung 2013

Seit zehn Jahren ist der Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. in der Lage, ergänzend zur psychosozialen Beratung, kostenlos eine fundierte Rechtsberatung anbieten zu können. Von den 458 Klienten im Jahr 2013 haben 88 diese Möglichkeit in Anspruch genommen. Die Tabelle zeigt den Bedarf an Rechtsberatung, unterteilt in die auch sonst üblichen zehn Kategorien (vgl. Diagramm 5).

 
Diagramm 5: Rechtsberatung

Der größte Teil der Rechtsberatung hat, wie in den Jahren zuvor auch, eine sorgerechtliche und umgangsrechtliche Problematik zum Inhalt und betrifft alle Bereiche bis auf den der Strukturvertriebe. Bei der Rechtsberatung zur Esoterik ging es vor allem um die Frage, inwieweit die Einbeziehung von Kindern in esoterische Praktiken verhindert werden kann. Außerdem ging es darum, welche rechtlichen Möglichkeiten einer Geldrückforderung bestehen, wenn Menschen sich in einer Krisensituation auf Angebote unseriöser Lebensberater, Heiler oder Wahrsager einlassen. Bei der Scientology-Organisation ging es um arbeitsrechtliche und erbrechtliche Fragen. Im Zusammenhang mit fundamentalistischen Gruppen standen Fragen zu rechtlichen Konsequenzen bei Schulverweigerung im Focus.

Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit

Von Januar bis Dezember 2013 wurden insgesamt 58 Präventionsveranstaltungen und Multiplikatorenschulungen durchgeführt. Insgesamt nahmen 1.412 Menschen an den Schulungen des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e. V. teil.

Der größte Teil der Veranstaltungen fand für Jugendliche statt (36). Ergänzend zu diesem Angebot erstreckte sich die Aufklärungsarbeit des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. auf weitere Vorträge in der Erwachsenenbildung (Volkshochschulen, Gemeinden, Elternkreise) (14) und auf Fachtagungen für Lehrer (6), sowie für Mitarbeiter in Beratungstellen und Einrichtungen der Jugendhilfe (2). An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Mitarbeiter des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. Lehrern gern Informationsmaterial für die Aufklärungsarbeit im Unterricht zur Verfügung stellen.

Um dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit in aktueller Weise gerecht zu werden, wurden die Recherchearbeiten der Medien in 63 Fällen unterstützt. In 25 Fällen wurde durch eine direkte Mitwirkung in einem Fernseh-/ Radiobeitrag oder Zeitungsartikel auf die Gefahren neuer religiöser Glaubensgemeinschaften hingewiesen. Dies ist eine deutliche Zunahme gegenüber den Vorjahren und bedeutet einen hohen Zeitaufwand. Zu der Fersehendung „Menschen bei Maischberger“ mit dem Titel “Das Geheimnis der Sekten-Gehirnwäsche oder wahres Glück?“ wurde Frau Riede als Expertin hinzugezogen. Die Sendung wurde am 05.11. ausgestrahlt und konnte neben anderen Aspekten sehr gut verdeutlichen, wie sehr es in rigiden Glaubensgemeinschaften zu massiven Kindeswohlgefährdungen kommt.

Gremienarbeit

Der Informationsaustausch über Trends in der aktuellen Sektenszene fand wie jedes Jahr in zahlreichen Workshops mit anderen Sektenberatungsstellen, kirchlichen Sektenbeauftragten und Betroffeneninitiativen statt. Auch nehmen die MitarbeiterInnen des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. regelmäßig an den Fachgesprächen im Landtag teil. Auf Landesebene ist der Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. im „Arbeitskreis Beratungsstellen“ des DPWV integriert. Insgesamt konnten die MitarbeiterInnen aus zeitlichen Gründen nur an 24 Gremiensitzungen teilnehmen. Seit 2006 besteht die Möglichkeit, im Rahmen einer zweistündigen Sprechstunde in Bochum eine Beratung in Anspruch zu nehmen. Sie findet nach Absprache in den Räumen der ehemaligen Sekteninformationsstelle Bochum statt.