Beratung und Information zu neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen
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Bericht über die Arbeit des Sekten-Info NRW und die Aktivitäten neuer religiöser Gemeinschaften 2017

Es wurden im Jahr 2017 insgesamt 954 Anfragen beim Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. registriert. Von den 954 Anfragen erhielten 474 Personen durch aus­führliches Informa­tionsmaterial und ein bis zwei klärende Gespräche Hilfestellung von den Mitarbei­terInnen des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V.. In 480 Fällen war ein inten­siver und längerer Beratungsverlauf mit bis zu 27 Fachkontakten not­wendig. Um einen besseren Vergleich mit den Vorjahren zu ermöglichen, sind wie jedes Jahr die 474 Informationsanfragen und die 480 Beratungsfälle in zehn Kategorien zusammengefasst worden. Insgesamt sind in den zehn Kategorien Anfragen mit der Bitte um Information und Beratung zu 350 verschiedenen Gruppierungen und Anbietern enthalten (vgl. Diagramm 1).

 

Diagramm 1: Summe Beratungsfälle und Informationsanfragen

Neu in diesem Jahr ist, dass zum ersten Mal die Anzahl der Beratungsfälle höher ausfällt als die Anzahl der Anfragen. Diese Entwicklung hat sich in den letzten fünf Jahren schon angedeutet. Das war aber nicht immer der Fall, zum Vergleich 2009 gab es 838 Anfragen und 366 Beratungsfälle, 2002 1.159 Anfragen und 325 Beratungsfälle. Das bedeutet vor 15 Jahren war das Bedürfnis der Bevölkerung in einem persönlichen Gespräch eine Information zu erhalten, dreimal so hoch wie heute. Heute nutzten viele Bürger das Internet oder die Webseite des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. als Informationsquelle. 99.401 Besucher unserer Webseite konnten gezählt werden.

Viele Bürger schätzen es, sich selbständig und anonym zu informieren. Aus diesem Grund bieten die MitarbeiterInnen des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. seit 2006 zusätz­lich zur bisheri­gen persönlichen Beratung die Möglichkeit der Online-Beratung an. Diese Möglichkeit wurde im letzten Jahr allerdings nur 6 Mal genutzt, bei weiteren 241 Fällen begann die Beratung mit einer E-Mail, wurde dann aber in einer persön­lichen oder telefonischen Beratung fortgesetzt. Neben allgemeinen Informationen zur Arbeitsweise der Beratungsstelle und zu neuen Akti­vitäten war im letzten Jahr hauptsächlich der Erfahrungsbericht zu einer christlichen Freikirche gefragt. Im Anschluss daran hatte der Beitrag über die Vipassana Meditation mit Abstand die meisten Zugriffe zu verzeichnen. Erst danach wurden die Infotexte zu Robert Betz und zum Rituellen Missbrauch aufgerufen.

Aber gute Informationsmöglichkeiten allein reichen nicht aus, um sich vor religiöser Verletzung oder Ausbeutung zu schützen, da die Beratungsfälle eher steigen als abnehmen. In einer Zeit der Auflösung traditioneller religiöser Bindungen fällt es Menschen schwer, bei ihrer Suche nach Geborgenheit und einer eindeutigen Weltsicht obskure Heilsanbieter zu erkennen. Immer wieder begeben sie sich dabei in eine finanzielle und seelische Abhängigkeit, die ihnen schadet. Parallel dazu verzeichnen die traditionellen christlichen Kirchen einen Rückgang ihrer Mitglieder­zahlen.

Im Jahr 1950 gehörten noch mehr als 95 Prozent der Deutschen in Ost und West der katholischen oder evangelischen Kirche an. Nach der Wiedervereinigung waren es 72 Prozent, heute sind es 55 Prozent. Sowohl die Umfrage des Institutes für Demoskopie Allensbach als auch der Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung belegen den Trend. Die Entchristlichung der deutschen Gesellschaft geht langsam, aber stetig voran. Immer mehr Jugendliche wachsen ohne Bezug zur Religion auf. Junge Menschen sind deutlich weniger religiös als ältere Menschen, Frauen religiö­ser als Männer. Religiosität ist allerdings nicht identisch mit Spiritualität. Immer mehr Deutsche glauben an Wunder, Engel und daran, dass es eine überirdische Macht gibt (vgl. www.tagesspiegel.de/politik/christentum-wie-religioes-sind-die-deutschen/20765768.html vom 23.12.2017).

Unabhängig von dieser Entwicklung bleiben Sinnfragen bestehen. In früheren Zeiten ergab sich der Lebenssinn oft aus der gesellschaftlichen Stellung und religiösen Aspekten. In einer Zeit des Individualismus ist es deutlich schwieriger, den Lebens­sinn zu definieren. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, sich zu verwirklichen. Das unüberschaubare Angebot an möglichen Lebensentwürfen ist eine Chance, kann aber auch verwirren und überfordern, so dass ein zufrieden gelebtes Leben gar nicht so einfach zu erreichen ist. Aus diesem Grund sind Menschen empfänglich für den „spirituellen Supermarkt“ und können sich dabei den unterschiedlichsten Gefahren aussetzen. Zur Ressource werden Religion und Spiritualität, wenn sie Hoffnung und Sinn vermitteln und wenn ein positives Weltbild vorhanden ist. Aber es gibt auch Anbieter, die das spirituelle Bedürfnis vieler Menschen zu ihrem eigenen Vorteil missbrauchen, sei es aus finanziellen oder narzisstischen Beweggründen. Dazu kommt, dass sich manche Menschen in religiöse Deutungsebenen flüchten, um vor Konflikten auszuweichen.

 

Informationsanfragen und Beratungsfälle 2017 im Einzelnen

An erster Stelle stehen die Anfragen und Beratungsfälle aus dem Bereich der Esoterik. Die Fülle der Anfragen und Beratungsfälle zusammen zeigt, dass dieser Bereich momentan in unserer Gesellschaft am meisten wächst und häufig nicht rechtzeitig als gefährlich angesehen wird.

Der seit Jahren große Bedarf an Beratung in der Esoterik hat sich auch im Jahr 2017 nicht verändert. Es konnten 126 Beratungsfälle gezählt werden, die sich auf 60 verschiedene Anbieter verteilen. Bei der Vielfältigkeit esoterischer Angebote bietet es sich an, diese in drei bzw. vier Bereiche zu unterteilen. Wir unterscheiden:

1.  die Lebensberatung, sie umfasst viele Angebote vom Familienstellen über Engel­seminare und Channeling bis zu Schenkkreisen.

2.   die Zukunftsdeutung, dazu zählen Astrologie, Wahrsagen, Hellsehen, Kartenlegen.

3.  das Angebot der Heilung von körperlichen Beschwerden, Geistheiler oder Schamanen bieten Hilfe zur Heilung von körperlichen Krankheiten an, Reiki oder Homöopathie ebenfalls.

4.  sektenähnliche Gruppierungen, die ein esoterisches Gedankengut vertreten, die sich aber aufgrund ihrer Größe und Organisationsstruktur von den drei anderen Bereichen unterscheiden.


Zahlenmäßig sind die Bereiche eins und drei fast gleich, sie machen jeweils ein Drittel der genannten Beratungsfälle aus. Die beiden anderen Bereiche teilen sich das letzte Drittel.

Fast jedes Wochenende findet irgendwo ein Seminar mit esoterischen Glücksver­heißungen statt. Das Gefährliche in diesem Zusammenhang ist, dass häufig Entscheidungen über das eigene oder familiäre Schicksal an einen spirituellen Führer delegiert werden. Ambivalentes Erleben und Handeln, z. B. dass ein Partner das Beste für die Beziehung wollte, aber seine Partnerin mit seinem Verhalten verletzte, hat in esoterischen Ansätzen keinen Platz. Das Urteil über andere fällt häufig hart aus. Es wird auch nicht akzeptiert, dass ein Mensch unglücklich ist, weil er das Gefühl hat, von seinem Umfeld nicht genügend beachtet zu werden. Es muss als Erklärung etwas Schlimmes her, z. B. eine angebliche Vergewaltigung in einem früheren Leben. Auf diese Weise werden Phantasien beflügelt und ein Mensch erfährt mit Hilfe von aufwühlenden esoterischen Methoden Neues über sein eigenes Leben und Sein. Diese neue Erkenntnis hat allerdings nicht unbedingt etwas mit der Realität zu tun. Unter diesen Aspekten ist esoterische Lebenshilfe das Gegenteil von Lebenshilfe und seriöser psychologischer Verarbeitung.

Berücksichtigt man jedoch, dass es eine eigene Kategorie „Heilergruppen“ mit in diesem Jahr 29 Beratungsfällen zusätzlich gibt, wird deutlich, dass der Markt der alternativen Heilmethoden und der Geistheiler die meisten Problemfälle verursacht. Viele Geistheiler versprechen, auch schwerwiegende Erkrankungen wie z.B. Krebs, Asthma, Psychosen heilen zu können und es werden äußerst fragwürdige Behand­lungsmethoden angeboten. Manche Klienten berichten, dass eine liebevolle Atmosphäre sie dazu verleitet hat, dem Geistheiler völlig zu vertrauen. Die Hoffnung auf Heilung hat sie dazu verleitet, notwendige medizinische Behandlungen zu vernachlässigen. Häufig sind es aber auch Angehörige, Geschwister oder Partner, die unsere Beratungsstelle verzweifelt um Hilfe bitten.

Lange Zeit sind Geistheiler nur beschmunzelt worden, wie groß die Schäden sind, die sie gesundheitlich, emotional und finanziell Menschen zufügen, darüber gibt es keine Gesamtstatistik. Ein Fall im letzten Jahr war besonders erschütternd. Eine Geistheilerin hat für die Behandlung einer krebskranken Frau ca. 300.000 Euro kassiert. 16 Monate hat die Behandlung gedauert, danach ist die Patientin verstor­ben. Sie war noch keine 50 Jahre alt. Nach Ansicht eines hinzugezogenen Onkologen hätte es eine Chance auf Heilung gegeben, wäre die Krebserkrankung nach der ersten Diagnose konsequent schulmedizinisch behandelt worden. So hohe Geldzahlungen sind sicherlich nicht der Regelfall, uns sind aber weitere Fälle bekannt, bei denen die erkrankten Menschen in der Hoffnung auf Hilfe mehrere hunderttausend Euro bezahlt haben. Zusätzlich versuchen Geistheiler häufig, Patienten von ihren Angehörigen und Freunden zu isolieren, wenn diese Kritik am Heiler äußern. Das ist in dem oben beschriebenen Fall ebenfalls passiert und ist für Angehörige sehr schmerzhaft.

Geistheiler dürfen nicht vom Arztbesuch abhalten und keine Heilsversprechen abgeben, das hat das Bundesverfassungsgericht klar geregelt. Tun sie es trotzdem, ist das Gewerbeaufsichtsamt und nicht das Gesundheitsamt zuständig. Es wäre wichtig, für eine ausreichende Qualifizierung und Personalausstattung der Ämter zu sorgen, denn nach unserem Kenntnisstand wurde bisher noch keinem Geistheiler aufgrund unseriöser Arbeitsweise die weitere Gewerbeausübung untersagt.

Auch die Homöopathie-Hersteller erwirtschaften Riesengewinne. Sie sind Großun­ternehmen mit einem Jahresumsatz von 528 Millionen Euro. Vergegenwärtigt man sich außerdem noch die Rohstoff-Beschaffung der Homöopathie, so wird deutlich, wie groß die Gewinnspanne ist. Globuli bestehen zu 100% aus Zucker, der Großhandelspreis von Zucker liegt bei 0,05 Euro pro 100 Gramm. 10 Fläschchen Globuli mit jeweils 10 Gramm Zucker werden für ca. 100 Euro verkauft (vgl. www.netzwerk-homoeopathie.eu/kurz-erklaert/187-argument-die-maechtige-pharma-industrie-unterdrueckt-die-homoeopathie (abgerufen am 25.11.2017).

Dieser finanzielle Aspekt mit sehr lukrativen Gewinnsummen ist die eine Seite, vor allem gefährlich wird es aber, wenn Menschen zugunsten homöopathischer Mittel auf eine schulmedizinische Behandlung verzichten. In Italien starb im Mai 2017 ein siebenjähriger Junge, weil er zur Heilung seiner Mittelohrentzündung nur Globuli bekommen hatte (vgl. Stern vom 29.05.2017).

Innerhalb des ersten Bereiches der Esoterik ragte im letzten Jahr zum wiederholten Male der Lebenshilfeguru Robert Betz heraus. 13 Beratungsfälle standen im Zusammenhang mit seiner Lehre. Überwiegend waren es Angehörige, die von Beziehungsproblemen berichteten, die auftraten, nachdem der Partner oder die Partnerin, Tochter oder Sohn ein Betz-Seminar besucht oder eine sogenannte Transformationstherapie absolviert hatten. Betz bietet eine neue, von ihm selbstent­wickelte Transformationstherapie an, die mit wissenschaftlicher Psychologie nicht viel zu tun hat. Er behauptet, dass seine Therapie Menschen in die Lage versetze, Leidenszustände aller Art zu verwandeln. Die Menschen werden dabei begleitet von der Kraft der Engel und Ahnen. Betz bedient die Sehnsucht vieler Menschen, dass alles machbar sei und am Ende gut ausgehen würde. Zunächst kann die Botschaft, man sei alleiniger Erschaffer seines Lebensglücks, einen positiven Effekt haben, langfristig entspricht sie nicht der Realität und dem heutigen Stand der psycholo­gischen Forschung. Da Gesundheit ein wichtiges Thema im Leben eines Menschen ist, greift er auch dieses Thema auf und behauptet, dass jede Erkrankung in erster Linie eine seelische Ursache habe. Das Problematische an dieser Lehre ist, dass Menschen sich erstens möglicherweise ganz auf ihre Selbstheilungsfähigkeiten auf geistiger Ebene verlassen und notwendige medizinische Behandlungen vernachläs­sigen und zweitens die Ursache für ihre Erkrankung nur in sich selbst statt in ungünstigen Umweltfaktoren suchen. Schon im Jahresbericht 2013 haben wir in einem Facharti­kel ausführlich auf Gefahren im Zusammenhang mit Angeboten von Robert Betz hingewiesen (vgl. Uta Bange, Robert Betz und die Transformationstherapie - eine esoterische Pseudotherapie im Fokus der Kritik, auf unserer Webseite).

Bei einem Vergleich der einzelnen Kategorien fällt auf, dass im Jahr 2017 die Informationsanfragen und Beratungsfälle zu den fundamentalistischen Gruppen an zweiter Stelle stehen.

Diese Kategorie bekam 2011 durch die Salafisten eine neue Gruppierung hinzu. Die Salafisten sind dem islamistischen Fundamentalismus zuzurechnen und laut NRW-Innenministerium ist die Zahl der Anhänger dieser radikal-islamistischen Bewegung im letzten Jahr in NRW auf etwa 3000 angestiegen, bundesweit sogar auf 10.800. Die Zahl steigt kontinuierlich an und hat einen neuen Höchststand erreicht. 780 Salafisten in NRW stuft der Verfassungsschutz als gewaltbereit ein, davon gelten 250 als so gefährlich, dass ihnen auch Anschläge zugetraut werden (www.spiegel.de/panorama/justiz/salafismus vom 18.11.2017).

Zusätzlich sieht der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz die Gefahr, dass in Deutschland salafistische Parallelgesellschaften entstehen. Der Grund dafür sei, dass Frauen inzwischen Aufgaben von inhaftierten Männern übernommen hätten. Das Salafistinnen-Netzwerk missioniere besonders aggressiv im Netz, die Frauen informierten über Kindererziehung und religiöse Vorschriften, hetzten gegen „Nicht­gläubige“. Zusätzlich rechnet der Verfassungsschutz damit, dass Frauen mit ihren Kindern aus IS-Gebieten zurückkehren werden. Diese Kinder wurden bereits indok­triniert und haben nicht selten traumatische Gewalterfahrungen gemacht (www.merkur.de/politik/verfassungsschutz-warnt-kinder vom 19.10.2017).

Hier kommt eine neue schwierige Aufgabe auf die Jugendämter zu. Wenn Eltern ihre Kinder zur Kriminalität erziehen oder mit ihren Kindern erneut in Kriegsgebiete ausreisen wollen, müssen Jugendämter und Familiengerichte zum Wohle des Kindes handeln und Kinder in Obhut nehmen. Die gesetzlichen Möglichkeiten sind durch den Paragrafen 8a des achten Sozialgesetzbuches durchaus gegeben. Aber auch unter­halb dieser Schwelle gibt es Anhaltspunkte, dass die psychische Entwicklung eines Kindes durch die Lebensweise der Eltern beeinträchtigt werden kann. Wenn sich beispielsweise die Eltern im starken Maße mit den angsterzeugenden Glaubensvor­stellungen der Salafisten identifizieren und diese Vorstellungen auf ihre Kinder übertragen. Salafisten vertreten ein pessimistisches Weltbild, das von einem deut­lichen Schwarz-Weiß-Denken geprägt ist. Dem Leben im Diesseits, das negativ bewertet wird, steht der Zustand der Glückseligkeit im Paradies gegenüber, in das man aber nur durch ein gottgefälliges Leben im Sinne der Salafisten gelangt. Wird ein Mensch diesen strengen Ansprüchen nicht gerecht, fällt er der ewigen Verdamm­nis anheim und erleidet Höllenqualen. Dies kann große Ängste bei einem Kind auslösen und dazu führen, dass es kein Interesse an seinem Leben und seiner Zukunft entwickelt und sich sozial isoliert. Dadurch wird die Entwicklung zu einem selbständigen und gesellschaftsfähigen Individuum deutlich erschwert (vgl. hierzu weiter unten "Veröffentlichung zum Kinder- und Jugendschutz").

Insbesondere ist es wichtig, darauf zu achten, dass diese Kinder nicht in einer Parallelwelt aufwachsen, die diese Entwicklung und Abschottung noch fördert. Aus diesem Grund ist das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichtes in Bautzen erfreulich und richtungsweisend. Es hatte den Betrieb eines salafistischen Kinder­gartens in Leipzig verboten. Das Wohl von Kindern erfordere nach deutschem Recht einen erzieherischen Ansatz, der auf Integration in die Gesellschaft ausgerichtet sei. Das Gericht hielt weiter fest, dass allen Strömungen des Salafismus gemeinsam sei, dass sie eine pluralistische Gesellschaftsform vom Grundsatz her ablehnten (vgl. OVG Sachsen, Beschluss vom 21.08.17, Az: 4A372/16).

In unserer Beratungsstelle meldeten sich im letzten Jahr überwiegend besorgte Lehrer, die eine Veränderung ihrer Schüler und entsprechende verbale Provokatio­nen beobachtet hatten. Die Jugendlichen hatten das Gefühl, das Leben in unserer heutigen Welt sei schwierig und kompliziert. Zusätzlich gab es familiäre Probleme und sie hatten ein schwaches Selbstwertgefühl. Bei den Salafisten fanden sie eine globale Gegenkultur. Sie waren überzeugt, die Salafisten seien eine starke und machtvolle Gemeinschaft, dadurch fühlten sie sich selbst aufgewertet. Die westliche Konsumgesellschaft und Individualität wurden abgelehnt. Völlig neu waren die Berichte von Grundschullehrerinnen, die über Schüler mit islamistischen Verhaltens­weisen klagten. Die Schüler waren sehr aggressiv und verweigerten Anweisungen der Lehrerinnen. Auch durften sie an Sportveranstaltungen der Klasse nicht teilneh­men. Die Eltern dieser Schüler waren nicht gesprächsbereit. Es gab in diesem Bereich insgesamt 10 Beratungsfälle.

Außerdem hat das Land NRW das Präventionsprojekt „Wegweiser“ um weitere Stellen erweitert. Es gibt jetzt 14 Anlaufstellen in NRW. Hier können sich Eltern, Lehrer und Sozialarbeiter informieren, wenn sie das Gefühl haben, dass ein junger Mensch in die radikale Szene abzugleiten droht. Gemeinsam mit dem Betroffenen und dem sozialen Umfeld helfen die Mitarbeiter von „Wegweiser“, eine Lösung zu finden.

Der größte Teil der 79 Beratungsfälle in der Kategorie Fundamentalistische Gruppen steht im Zusammenhang mit dem christlichen Fundamentalismus. Sie verteilen sich auf 30 verschiedene freikirchliche Gemeinden. Häufig sind es Angehörige, die sich melden, weil der Part­ner, die Partnerin oder das inzwischen erwachsene Kind sich nach dem Kontakt zur neuen Gemeinde verändert hat. Sie wollen eine Einschätzung, ob und wie gefährlich die jeweilige Gemeinde ist. Viele dieser Gemeinden faszinieren besonders junge Erwachsene, weil ihre Gottesdienste erleb­nisorientierter ablaufen als die Gottes­dienste in den beiden großen Kirchen.

Besorgniserregend wird es, wenn einige christliche Fundamentalisten so fanatisiert sind, dass es zu Kindeswohlgefährdungen kommt, indem sie die körperliche Züchti­gung befürworten und der Meinung sind, dass der Eigenwille eines Kindes Sünde sei. Sie vertreten ein dualistisches Weltbild und predigen, dass das Ende der Welt verbunden mit einem Strafgericht Gottes nahe sei. Diese Vorstellungen können bei Kindern große Ängste auslösen und auch im Erwachsenenalter noch nachwirken. Dies wird in unseren Beratungsgesprächen immer wieder deutlich.

Eine Gemeinschaft, die in diesem Zusammenhang mit zwei Fällen besonders aufgefallen ist, ist die Organische Christus-Generation (OCG). Ihr Gründer Ivo Sasek hat ein eigenes Erziehungskonzept entwickelt. „Erziehen mit Vision“ heißt sein Werk, indem er sogar den Rat gibt, Kinder mit der Rute zu züchtigen. Er behauptet, dass er die Seelen aller Kinder vor dem Höllengericht retten möchte. Der Teufel müsse als erstes in der Familie bekämpft werden, damit er dann auf der ganzen Welt besiegt werden und Jesus Christus sein tausendjähriges Reich auf Erden errichten kann. Laut der Lehre von Ivo Sasek ist Eigenwille Sünde. Deshalb ist das Brechen des Willens eines Kindes die wichtigste Aufgabe einer gottgemäßen Kindererzie­hung. Entwicklungspädagogische Erkenntnisse der Kindererziehung lehnt er grund­sätzlich ab.

Dieser Ratgeber beinhaltet eindeutige Anweisungen zur Kindesmisshandlung und vermittelt eine antagonistische Botschaft: Gewalt geschieht aus Liebe und die Eltern wenden sie nur an, weil das Kind selbst schuldig ist und eine höhere Autorität es so will. Diese Einstellung ist besonders dazu geeignet, die Möglichkeiten eines Kindes zu einer unabhängigen selbständigen Entwicklung zu verhindern und das Kind fest an die Gemeinschaft zu binden. Zusätzlich können solche Erziehungspraktiken pathologische Persönlichkeitsstrukturen hervorbringen. Aus diesem Grund verbietet auch das gesetzliche Leitbild einen nur auf Unterwerfung und Gehorsam angelegten, autoritären Erziehungsstil. Auch schreibt der Paragraph §1631 Abs. 2 BGB das gene­relle Recht eines Kindes auf gewaltfreie Erziehung vor, denn wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass in der Kindheit erlittene Gewalt schwerwiegende Folgen für die weitere Entwicklung eines Kindes haben kann.

An dritter Stelle stehen die Anfragen und Beratungsfälle zu den synkretistischen Neureligionen, die gegen­über den letzten zwei Jahren deutlich angestiegen sind. Zwei Drittel der Beratungsfälle in dieser Kategorie, nämlich 54, beziehen sich auf die Gruppierung der Zeugen Jehovas. Einerseits hat die Organisation es im letzten Jahr geschafft, in allen Bundesländern den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts zu erhalten, andererseits gibt es vermehrt negative Berichte von ehemaligen Mitglie­dern in der Öffentlichkeit.

NRW stimmte als letztes Bundesland zu. Am 26.01.2017 wurde die Anerkennung offiziell verliehen. In NRW gibt es zurzeit 474 Gemeinden mit ca. 35.000 Mitgliedern (www.wz.de/home/politik/ 09.02.2017). Trotz der rechtlichen Anerkennung gibt es viele junge Mitglieder, die sich in Internetforen informieren und aussteigen. Sie werden dann von den übrigen Zeugen Jehovas als Abtrünnige tituliert, gemieden und leiden unter dem Verlust ihres bisherigen sozialen Umfeldes. Diese Situation spiegelt sich auch in unserer Beratungsarbeit wieder.

Beim regionalen Kongress der Zeugen Jehovas, der im Sommer 2017 an verschie­denen Orten in Deutschland veranstaltet wurde, wurde neben anderen Themen am Samstag eine Ansprache gehalten, die lautete „Schützt eure Kinder vor dem, was Böse ist“, vermutlich eine Reaktion auf die wachsende Zahl bekannt gewordener Missbrauchsfälle. Eine amerikanische Aussteigerin prangert diesen Zustand auf der Homepage „silent lambs“ an und spricht von über 23 700 Missbrauchsfällen, die in einer internen Datenbank erfasst seien.

Die Ansprache auf dem Kongress enthielt Ratschläge, wie man Kinder vor Miss­brauch schützen könne. Die Ansprache beginnt mit adäquaten Ratschlägen für Eltern, enthält aber auch eine unangebrachte Aufforderung an alle Eltern. Sie sollen sich fragen, ob sie ihrem Kind beigebracht haben, wie wichtig es sei, angemessene dezente Kleidung zu tragen. Dadurch könnte der Eindruck entstehen, dass Kinder die unpassend gekleidet sind, eine Mitschuld am eigenen Missbrauch tragen. Es ist schlimm genug, dass es diese Denkweise in Bezug auf erwachsene Vergewal­tigungsopfer gibt, im Zusammenhang mit Kindern ist diese These überhaupt nicht haltbar. Es ist auch nicht akzeptabel, dass wichtige Hinweise für die Eltern gefehlt haben. Sie wurden nicht aufgefordert, Kontakt mit der Polizei aufzunehmen, falls der Verdacht auf Missbrauch besteht oder sich das Kind diesbezüglich äußert. Auch wurde mit keinem Satz die Verantwortung der Ältesten, als Leiter der Gemeinden erwähnt (www.bruderinfo-aktuell.de/index.php/kongress-2017-kinder).

Auch die „Australian Royal Commission into Institiutional Responses to Child Sexual Abuse“, die sich mit sexuellen Missbrauch von Kindern innerhalb von Organisationen befasst, kommt Ende 2016 zu dem Ergebnis: „Die allgemeine Praxis der Zeugen Jehovas, Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch nicht der Polizei oder den Behörden zu melden, zeige eine schwerwiegende Unterlassung der Organisation, Sicherheit und Schutz der Kinder zu gewährleisten. Vielmehr führe das organisa­tionsinterne Disziplinarsystem dazu, dass Täter sexuellen Kindesmissbrauchs kaum sanktioniert würden und meist innerhalb der Gemeinschaft verblieben – mit dem Risiko, dass sie sich weiterhin an Kindern vergingen.“ (Die Übersetzung dieses Fazits der staatlichen australischen Kommission findet man auf der Internetseite der Beratungsstelle infosekta in der Schweiz. www.infosekta.ch/media/pdf/JZ_Sexueller_Missbrauch_ Zeugen_Jehovas_2017_.pdf)

Bei den 53 Fällen der Kategorie Psychogruppen, die in unserer Statistik den 4. Platz einnehmen, steht die Hälfte der Beratungen im Zusammenhang mit Coaching-Angeboten. Viele der Coaching-Angebote sind nicht wissenschaftlich fundiert. So kann es passieren, dass Menschen mit ernstzunehmenden Problemen ihre Sorgen aufschreiben oder ihre Depressionen einfach weg tanzen sollen. Ein seriöser Coach sollte seine Grenzen kennen und Menschen auch zu einem Psychotherapeuten oder Arzt schicken. Menschen, die ein Coaching-Angebot in Anspruch nehmen wollen, sollten sich gründlich informieren. Mehrere Fachartikel sind auf unserer Internetseite zu finden und bieten eine erste Informationshilfe und Orientierung (vgl. Anja Gollan, Coaching – mehr schlecht als Recht? Anmerkungen zum Erfahrungsbericht und Karin Nachbar, Der Coaching-Boom.

Die andere Hälfte der Beratungen in dieser Kategorie bezog sich auf verschiedene Verschwörungstheorien. Geheime Wahrheiten und Komplotte üben auf viele Menschen eine große Faszination aus. Besorgniserregend wird diese Faszination erst, wenn Verschwörungsgläubige glauben, dass das Böse oder die Bösen in der Welt immer mehr zunehmen und sowohl das Gute als auch die Betroffenen selbst dadurch akut bedroht sind. Menschen, die sich ausgegrenzt fühlen oder einen schweren Schicksalsschlag erlitten haben, neigen eher dazu, Verschwörungs­theorien Glauben zu schenken. Das eigene erlebte Leid in ihrem Leben erhält dadurch einen Sinn. Sie entwickeln ein beträchtliches Misstrauen gegenüber anderen Menschen und staatlichen Institutionen. Die Szene ist sehr heterogen. Die Bewegung der Reichsbürger hat auch unsere Beratungsstelle in fünf Fällen beschäf­tigt.

Ein bekannter Vertreter der Reichsbürgerbewegung, Peter Fitzek, rief in Wittenberg das „Königreich Deutschland“ aus und ließ sich selbst zum „König von Deutschland“ krönen. Er gründete eine „Königliche Reichsbank“, in die seine Anhänger Geld einzahlten und erfand sogar eine eigene Währung, das „Engelgeld“. Wegen Verun­treuung der in die Bank eingezahlten Gelder und unerlaubter Bankgeschäfte wurde Fitzek im August 2017 zu einer fast vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Für seine Ideen hat er am 23. November 2017 völlig zu Recht das „Goldene Brett vorm Kopf 2017“ für den größten Unfug des Jahres bekommen. Dieser Negativpreis wird jedes Jahr von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) in Wien vergeben (Skeptiker 4/2017, S.188).

Während Theorien über Reptilien-Aliens oder die flache Erde bei den meisten Menschen eher ein Schmunzeln auslösen, kann die Leugnung von krank machenden Viren und schützenden Impfungen so sehr verunsichern, dass es im Einzelfall sogar lebensgefährlich werden kann. Der deutsche Biologe Stefan Lanka behauptet, Aids sei eine Erfindung der Pharmaindustrie, um neue Medikamente verkaufen zu können. Er bestreitet, dass Viren Krankheiten auslösen können und unterstellt, Ärzte würden Patienten durch Impfungen aus Profitgier krankmachen (vgl. Christoph Grotepass, Fake News, Verschwörungstheorien & Reichsbürger.

Die Anfragen und Beratungsfälle zur Scientology-Organisation sind nicht mehr so hoch wie in früheren Jahren und nehmen in unserer Statistik momentan nur noch Platz fünf ein. Einerseits sind die Mitgliederzahlen der Scientology-Organisation laut Verfassungsschutzbericht rückläufig, andererseits darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich die 52 Anfragen aus der Bevölkerung auf nur eine Gruppierung beziehen, während die anderen Kategorien mehrere Gruppen umfassen, so dass die Sciento­logy-Organisation immer noch ein großes Konfliktpotential beinhaltet und mit 20 Beratungsfällen nach wie vor einen großen Beratungsbedarf verursacht.

Anlässlich des Starts der Doku-Reihe “Leah Remini: Ein Leben nach Scientology“ führte Forsa eine repräsentative Umfrage durch. Zwei Drittel der befragten Bundes­bürger halten Scientology für gefährlich, jeder zweite befürwortet sogar ein Verbot. In der Doku zeigt Leah Remini, die selbst Jahrzehnte lang überzeugte Scientologin war, anhand von Betroffenenberichten mit welchen Praktiken die Organisation arbeitet und warum sie diese für gefährlich hält. Die Informationssendung wurde im Septem­ber 2017 mit dem Emmy Award ausgezeichnet. Die US-Schauspielerin Leah Remini verließ nach 30 Jahren Mitgliedschaft die Scientology-Organisation. Schon in ihrem Buch „Troublemaker“, das im September 2016 in deutscher Übersetzung erschienen ist, gibt sie einen interessanten und zugleich schockierenden Einblick in die Welt der Scientologen (vgl. Leah Remini, Troublemaker: Wie ich Hollywood und Scientology überlebte). Ein wichtiger Punkt, den sie in ihrem Buch erwähnt, ist, dass sie nach ihrem Ausstieg ständig gedacht habe: „Jetzt werden mir schlimme Dinge zustoßen.“ (vgl. s.o. S. 230) Unter den gleichen quälenden Gedanken leiden auch Aussteiger, die uns in unserer Beratungsstelle um Hilfe bitten.

In den USA will der Senator Ron Wyden aus dem Bundesstaat Oregon, dass die Steuerbefreiung für die Scientology-Organisation überprüft wird. Wesentlich dazu beigetragen hat das Buch des Vaters von David Miscavige. Er berichtet, dass sich Scientology unter der autoritären Führung seines Sohnes zu einer hochgradig repressiven Organisation gewandelt habe. Er zeichnet das Bild eines Menschen, der seine Mitarbeiter schlage und foltere. Die Methoden seines Sohnes würden auch nicht vor der eigenen Familie Halt machen. Miscavige habe ihn beschatten lassen, nachdem er die Organisation verlassen hatte. Ronald Miscavige ist 1936 in den USA geboren und 1970 der Scientology-Organisation beigetreten. Er arbeitete fast 27 Jahre für die „Sea Organization“, der Machtzentrale von Scientology, bevor er 2012 ausstieg (vgl. Ron T. Miscavige, Rücksichtslos, Mein Sohn, der Scientology-Chef, München, 2017).

In Deutschland versucht die Scientology-Organisation weiterhin, durch raffinierte Werbe-Aktionen Menschen zu ködern. Besonders die Tarnorganisation “Sag Nein zu Drogen, sag Ja zum Leben“ versucht immer wieder, mit Hilfe von angeblichen Aufklärungsveranstaltungen an Schulen, Fuß zu fassen und ihre Broschüren mit dem Titel „Fakten über Drogen“ auch in privaten Briefkästen zu verteilen. In der Publikation werden Theorien über Ursachen und Wirkungen von Drogen verbreitet. Vieles, was dort steht, entspricht nicht den Standards heutiger seriöser Suchthilfe. Neben den vielen Aktionen weiterer Tarnorganisationen wie „Jugend für Menschen­rechte“ und der „Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte“ hat der Verfassungsschutz im letzten Jahr vor einer neuen Masche, Mitglieder zu werben, gewarnt. So sei ein 18-jähriger Hamburger gezielt von einem Headhunter über Facebook angesprochen worden. Auch drei junge Sportler aus Hessen erhiel­ten ein Angebot für ein Sprachstipendium an einer Akademie in Florida. Dabei war nicht erkennbar, dass diese von Scientology betrieben wird und die Jugendlichen in Scientology-Gastfamilien unterkommen sollten (vgl. https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Verfassungsschutz-warnt-vor-Scientology-Masche,scientology204.html)

Bei der Kategorie Heilergruppen stand ein Drittel aller Fälle im Zusammenhang mit dem Bruno Gröning Freundeskreis (10). Die Lehre besagt, es gibt kein unheilbar. Nur wer vom göttlichen Weg abkommt, der wird krank. Man muss den Willen zur Gesundheit haben, dann wird man auch gesund, egal unter welcher Erkrankung man leidet. Zweifel sind nicht erlaubt, auch Angehörige dürfen keine Zweifel haben, das verhindert die Heilung. Man darf auch nicht an seine Erkrankung denken. Es gab in der Vergangenheit einige Todesfälle im Zusammenhang mit dieser Gruppierung, z.B. Menschen, die an die wundersame Heilung geglaubt haben und deshalb ihre Medikamente abgesetzt haben. Geworben wird neuerdings über den Verein „Kreis für natürliche Lebenshilfe“.

Eine weitere Gruppierung, die immer wieder unfassbares Leid verursacht, ist die Neue Germanische Medizin. Die Lehre dieser Gruppe besagt, alle Krankheiten beruhen auf inneren Konflikten. Löst man die Konflikte, dann verschwindet auch die Krankheit, dies gilt auch für Diabetes oder Krebs. Immer wieder sterben Menschen, die an diese Lehre glauben, und fügen damit nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Angehörigen große Schmerzen zu. Erfunden hat diese Lehre Ryke Geerd Hamer, ein Arzt, der aufgrund seiner fragwürdigen Behandlungsmethoden in Deutschland nicht mehr praktizieren darf (vgl. Christoph Grotepass, Die "Germanische Neue Medizin" von Ryke Geerd Hamer).

Im September 2015 hatte er zum wiederholten Male die Wiedererteilung seiner Approbation beantragt. Dies hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main im Februar 2017 eindeutig abgelehnt. Als Begründung führte das Gericht aus, dass Hamer keine Gewähr für eine zuverlässige Ausübung des ärztlichen Berufes biete, da er die Chemotherapie als „Massen­mord“ und „Exekution“ bezeichne und bei der Behandlung krebskranker Patienten vollständig ablehne (Az.:4K 3468/16.F). Am 02.07.2017 ist Hamer im Alter von 82 Jahren am späten Abend nach einem Schlag­anfall verstorben. Immer wieder hatten seine Anhänger ihn als den Entdecker einer neuen Medizin verehrt.

Die meisten Anfragen dieser Kategorie bezogen sich auf den Beruf des Heilprakti­kers. Viele Heilpraktiker verwenden unwissenschaftliche, alternative Heilmethoden. Im Juni 2016 starben drei krebskranke Patienten, nachdem sie von einem Heilprakti­ker einen experimentellen Wirkstoff gespritzt bekommen hatten. Dieser Vorfall hat eine Diskussion in Gang gesetzt, den Beruf des Heilpraktikers neu zu überdenken. Der Münsteraner Kreis, dem sich mehrere Ärzte und Wissenschaftler angeschlossen haben, forderte im August 2017 eine umfassende Reform des Heilpraktikerberufes. Bisher sei es einfacher, Heilpraktiker als Krankenpfleger zu werden (Spiegel online vom 21.08.2017) (vgl. Anja Gollan, Heilpraktiker in der Kritik - zu Recht?).

Bei der Thematik Satanismus/Okkultismus sind die Beratungsfälle deutlich höher als die Anfragen. Angesichts der dringenden Notwendigkeit in der Schule Aufklä­rungsarbeit zum Thema Salafismus zu leisten, ist das Thema Satanismus in den Hintergrund gerückt. Der Beratungsbedarf ist allerdings im Vergleich zu den letzten fünf Jahren wieder gestiegen. Bei den 30 Beratungsfällen hatten sich zehn junge Menschen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren mit der satanischen Ideologie beschäftigt und sich einer Loge angeschlossen. Angehörige haben besorgt den Kontakt zur Beratungsstelle gesucht.

Zwei Therapeutinnen verschiedener Beratungsstellen brauchten unsere Einschät­zungshilfe bei der Behandlung von Klientinnen, die berichtet haben, dass sie in der Kindheit rituell missbraucht wurden. Neun weitere Frauen mit der gleichen Problematik wandten sich direkt an unsere Beratungsstelle (vgl. Uta Bange, Ritueller Missbrauch im Satanismus). Erschreckend waren in diesem Zusammenhang die Schilderungen von drei Klientinnen, die berichtet haben, dass sie sich nicht daran erinnern konnten, je in ihrem Leben mit Satanismus in Berührung gekommen zu sein. Aber verschiedene Therapeutinnen hätten versucht, genau dies ihnen einzureden und dadurch enorme Ängste bis hin zu Selbstmordgedanken bei ihnen ausgelöst (vgl. Bianca Liebrand, Neue Publikation zum Thema Erinnerungsfälschung).

Die restlichen neun Beratungsfälle litten unter außergewöhnlichen Erfahrungen (Erscheinungen, Spukvorfälle, Besessenheitsgefühle), die sie erlebt hatten, bei denen eine praktizierte Voodoo-Gläubigkeit oder intensive christliche Frömmigkeit von Bedeutung war.

Überraschend war die Nachricht, dass der Satanist Daniel Ruda am 15.09.2017 freigelassen wurde. Die Staatsanwaltschaft Bochum hatte ihre Beschwerde gegen die Haftentlassung von Daniel W. zurückgezogen. Die restliche Haft wird zur Bewäh­rung ausgesetzt. Er hatte zum ersten Mal seine Tat öffentlich gestanden und zuge­geben, er sei im Januar 2002 zu recht wegen Mordes verurteilt worden (RP online vom 15.09.17). Der inzwischen 41-jährige Daniel Ruda hatte vor 15 Jahren zusam­men mit seiner damaligen Ehefrau einen jungen Mann in seiner Wohnung in Witten mit Hammerschlägen und Messerstichen brutal getötet. Die grausam zugerichtete Leiche musste mit Hilfe des genetischen Fingerabdrucks identifiziert werden.

Bei der Betrachtung einzelner Gruppen statt übergeordneter Kategorien ist zu erken­nen, dass die Zeugen Jehovas mit 54 Beratungsfällen im letzten Jahr den größten Beratungsbedarf ausgelöst haben und zum vierten Mal die Scientology-Organisation mit 20 Beratungsfällen überholt haben. Der größte Teil der Menschen, die die Unter­stützung der Beratungsstelle benötigten, sind als Kinder in der Organisation aufge­wachsen. Darüber hinaus gibt es immer wieder Betroffene, die Hilfe wollen, weil ein Elternteil nach dem Tod des anderen von den Zeugen Jehovas missioniert wurde.

 

Diagramm 2: Informationsanfragen im Vergleich der letzten fünf Jahre

 


Diagramm 3: Beratungsfälle im Vergleich der letzten fünf Jahre   

 

Unabhängig von der jeweiligen Gruppierung, die den Beratungsbedarf ausgelöst hat, ist es interessant zu fragen, wer die Beratungsstelle mit der Bitte um Hilfe aufgesucht hat, Menschen, die selbst betroffen sind, oder Freunde und Angehörige? Im letzten Jahr betrug der Anteil der Betroffenen, die für sich selbst eine Hilfestellung erwartet haben 33%. Weitere 30% verteilten sich auf nahe Angehörige oder den Partner. Noch einmal 19% baten uns im Rahmen eines institutio­nellen Arbeitsauftrages um Hilfe (z.B. Polizei, Schule, Hochschule, andere Beratungsstellen, Jugendhilfe, Psychiatrien). Der Rest (18%) verteilt sich auf Presseanfragen und Anfragen, die sich auf Bekannte und Kollegen beziehen (vgl. Diagramm 4).

 

Diagramm 4: Informationsanfragen und Beratungsfälle aufgeteilt nach Art der Betroffenheit

 

Rechtsberatung 2017

Seit Januar 2004 ist der Sekten- Info Nordrhein-Westfalen e.V. in der Lage, ergän­zend zur psychosozialen Beratung, kostenlos eine fundierte Rechtsberatung anbie­ten zu können. Von den 480 Klienten im Jahr 2017 haben 111 diese Möglichkeit in Anspruch genommen. Die Tabelle zeigt den Bedarf an Rechtsberatung, unterteilt in die auch sonst üblichen zehn Kate­gorien (vgl. Diagramm 5).


Diagramm 5: Rechtsberatung

 

Der größte Teil der Rechtsberatung hat, wie in den Jahren zuvor auch, eine sorge­rechtliche und umgangsrechtliche Problematik zum Inhalt und betrifft alle Bereiche bis auf den der Strukturvertriebe. Bei den Strukturvertrieben ging es um Kündi­gungsmöglichkeiten von Verträgen bzw. um Rückgabe von bestellten Waren. Bei der Rechtsberatung im Zusammenhang mit esoterischen Heilern stand die Frage im Vordergrund, inwieweit es möglich ist, Geistheiler juristisch zur Rechenschaft zu ziehen, nachdem sie durch falsche Ratschläge und durch das Abraten vom Arztbe­such, z.B. bei einer HIV-, Schizophrenie- oder Krebserkrankung zu gesundheitlichen Gefährdungen von Menschen beigetragen haben. Hier wurden die entsprechenden Geistheiler angeschrieben und in ihre Schranken verwiesen. Leider gab es aber auch Heilpraktiker, die durch Anwendung esoterischer Methoden körperliche Beschwerden verschlimmert haben. Außerdem ging es in der Esoterik darum, welche rechtlichen Möglichkeiten einer Geldrückforderung bestehen, wenn Menschen sich in einer Krisensituation auf Angebote unseriöser Lebensberater, Heiler oder Wahrsager eingelassen und erhebliche Summen gezahlt hatten.

 

Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit

Von Januar bis Dezember 2017 wurden 13 Präventionsveranstaltungen und Multipli­katorenschulungen durchgeführt. Insgesamt nahmen 227 Menschen an den Schulungen des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e. V. teil.

Der größte Teil der Veranstal­tungen waren Fachtagungen für Lehrer und Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes (4). Ergänzend zu diesem Angebot erstreckte sich die Aufklä­rungsarbeit des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. auf weitere Vorträge in der Erwachse­nenbildung (Volkshochschulen, Gemeinden, Elternkreise) (4) und für Mitarbeiter in Beratungsstellen und Einrichtungen der Jugend­hilfe (3). Außerdem fanden Präventionsveranstaltungen direkt mit Schülern (2) statt.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Mitar­beiter des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. Lehrern gern Informationsmaterial für die Aufklärungsarbeit im Unterricht zur Verfügung stellen. Dafür haben wir auf unserer Homepage eine neue Spalte „Material Präventionsarbeit“ eingerichtet. Hier können Lehrer zu den verschiedensten Themen unserer Beratungsstelle sowohl aktuelles Unterrichtsma­terial, als auch Fallberichte und Hintergrundinformationen erhalten. Die Spalte wird zukünftig ständig aktualisiert. Selbstverständlich beraten wir Lehrer auch gern telefo­nisch. Leider ist es aufgrund des ständig sich erweiternden und wachsenden Bera­tungsbedarfes in unserer Einrichtung nicht mehr möglich, allgemeine Informations­veranstaltungen an Schulen durchzuführen.

Um dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit in aktueller Weise gerecht zu werden, wurden die Recherchearbeiten der Medien in 42 Fällen unterstützt. In 20 Fällen wurde durch eine direkte Mitwirkung in einem Fernseh/Radiobeitrag oder Zeitungsartikel auf die Gefahren neuer religiöser Glaubensgemeinschaften hingewie­sen.

 

Veröffentlichung einer Broschüre zum Kinder- und Jugendschutz

Die Handlungsweise eines Menschen kann durch eine Glaubensüberzeugung so fehlgeleitet werden, dass Eltern, die ihre Kinder durchaus lieb haben, ihnen trotzdem Schaden zufügen. So gibt es beispielsweise Eltern, die aus Glaubensgründen schulmedizinische Behandlungen für ihre Kinder verweigern oder ihre Kinder züchti­gen oder vehement den Schulbesuch ablehnen. In einigen wenigen Fällen gibt es sogar Eltern, die Ihre Kinder bereits im Sinne des radikalen Salafismus erziehen. Wer mögliche Gefahren im Kontext neuer Glaubensgemeinschaften tabuisiert, duldet unter Umständen erhebliche Grenzverletzungen gegenüber Kindern. Es ist daher ein Anliegen der Beratungsstelle, für mögliche Probleme in diesem Zusammenhang zu sensibilisieren, ohne jede alternative Religiosität unter Generalverdacht zu stellen.

Aus diesem Grund wurde eine Broschüre in Zusammenarbeit mit der AJS erstellt, die sowohl interessierten Bürgern als auch Menschen, die sich aus beruflichen Gründen für das Kindeswohl einsetzen, eine Orientierungshilfe beim Umgang mit dieser schwierigen Thematik bieten soll. Es werden mögliche Gefahren für das Kindeswohl dargestellt und rechtliche Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Die Broschüre enthält eine Dokumentation gerichtlicher Entscheidungen, aus der zu ersehen ist, wie die Gerichte im konkreten Einzelfall entschieden haben. Unter dem Titel „Glaubensfrei­heit versus Kindeswohl“ ist die Broschüre ab Juni 2018 sowohl beim Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e. V. in Essen als auch bei der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz Landesstelle Nordrhein-Westfalen e. V. in Köln erhältlich. (Nachtrag: siehe Infomaterial)

 

Gremienarbeit

Der Informationsaustausch über Trends in der aktuellen Sektenszene fand wie jedes Jahr in zahlreichen Workshops mit anderen Sektenberatungsstellen, kirchlichen Sektenbeauftragten und Betroffeneninitiativen statt. Auch nehmen die Mitarbei­terInnen des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. regelmäßig an den Fach­ge­sprächen im Landtag teil. Auf Landes­ebene ist der Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. im „Arbeitskreis Bera­tungsstellen“ des DPWV integriert. Trotz der großen zeitli­chen Belastung konnten die Mitarbei­terInnen insgesamt an 18 Gremiensitzungen teilnehmen. Seit 2006 besteht die Möglichkeit, im Rahmen einer zweistündigen Sprechstunde in Bochum eine Beratung in Anspruch zu nehmen. Sie findet nach Absprache in den Räumen einer psychotherapeutischen Praxis in Bochum statt.