Beratung und Information zu neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen
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Bericht über die Arbeit des Sekten-Info NRW und die Aktivitäten neuer religiöser Gemeinschaften 2015

Insgesamt wurden im Jahr 2015 1.075 Anfragen beim Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. registriert. Von den 1.075 Anfragen erhielten 538 Personen durch ausführliches Informationsmaterial und ein bis zwei klärende Gespräche Hilfestellung von den MitarbeiterInnen unserer Beratungsstelle. In 537 Fällen war ein intensiverer und längerer Beratungsverlauf mit bis zu 18 Fachkontakten notwendig.

Um einen besseren Vergleich mit den Vorjahren zu ermöglichen, sind wie jedes Jahr die 538 Informationsanfragen und die 537 Beratungsfälle in zehn Kategorien zusammengefasst worden. Insgesamt sind in den zehn Kategorien Anfragen mit der Bitte um Information und Beratung zu 330 verschiedenen Gruppierungen und Anbietern enthalten (vgl. Diagramm 1).

 
 
Diagramm 1: Summe Beratungsfälle und Informationsanfragen
 
Zusätzlich zu diesen Anfragen nutzten viele Bürger die Webseite des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. als Informationsquelle. Dies zeigt, dass das Informationsbedürfnis zu neuen religiösen Bewegungen nach wie vor sehr hoch ist und viele Bürger schätzen es, sich selbständig und anonym mit Hilfe des Internets zu informieren. Aus diesem Grund bieten die MitarbeiterInnen des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. seit 2006 zusätzlich zur bisherigen persönlichen Beratung die Möglichkeit der Online-Beratung an. Diese Möglichkeit wurde im letzten Jahr immerhin 23 Mal genutzt, bei weiteren 251 Fällen begann die Beratung mit einer E-Mail, wurde dann aber in einer persönlichen oder telefonischen Beratung fortgesetzt. Von den Fachartikeln auf unserer Webseite war neben allgemeinen Informationen zur Arbeitsweise der Beratungsstelle und zu neuen Aktivitäten im letzten Jahr hauptsächlich der Bericht über Robert Betz und seine esoterische Pseudotherapie gefragt. Im Anschluss daran hatte der Erfahrungsbericht zur Vipassana Meditation einschließlich des kommentierenden Fachartikels mit Abstand die meisten Zugriffe zu verzeichnen. Erst danach wurde der Beitrag über Entstehung und Merkmale der Salafisten aufgerufen.

 

Informationsanfragen 2015   


Bei einem Vergleich der einzelnen Kategorien fällt auf, dass im Jahr 2015 die Informationsanfragen zu den fundamentalistischen Gruppen besonders herausragen. Diese Kategorie bekam 2011 durch die Salafisten eine neue Gruppierung hinzu. Die Salafisten sind dem islamistischen Fundamentalismus zuzurechnen und laut NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) ist die Zahl der Anhänger dieser radikal-islamistischen Bewegung in den letzten drei Jahren in NRW auf etwa 2000 angestiegen. 325 Salafisten stuft der Verfassungsschutz als gewaltbereit ein, davon gelten 100 als so gefährlich, dass ihnen auch Anschläge zugetraut werden.

Auf diese Entwicklung haben die Behörden laut Jäger mit 385 neuen Stellen bei der Polizei und beim Verfassungsschutz reagiert (rp-online, 09.06.2015). Zusätzlich haben die Verfassungsschutzbehörden einen Leitfaden über Salafismus als Jugendkultur entwickelt, der in Schulen und Moscheegemeinden verbreitet werden soll. Darin werden das Weltbild, Kleidungsstile und rhetorische Methoden der Extremisten erläutert und entlarvt. Laut Jäger ist für den Zulauf eine extrem professionelle, teure, auf Emotionen abzielende Internetpropaganda verantwortlich, der man mit Hilfe der Präventionsmaterialien entgegen wirken will (www.verfassungschutz.nrw.de). Außerdem hat das Land NRW das Präventionsprojekt „Wegweiser“ um zwei weitere Stellen erweitert. Es gibt jetzt sieben Anlaufstellen in NRW (Bochum, Bonn, Dinslaken, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Wuppertal). Hier können sich Eltern, Lehrer und Sozialarbeiter informieren, wenn sie das Gefühl haben, dass ein junger Mensch in die radikale Szene abzugleiten droht. Gemeinsam mit dem Betroffenen und dem sozialen Umfeld helfen die Mitarbeiter von „Wegweiser“ eine Lösung zu finden.

Auch in unserer Beratungsstelle mehren sich die Anfragen nach Präventionsveranstaltungen zum Thema Salafismus. Neben diesen Anfragen meldeten sich bei uns überwiegend besorgte Lehrer, die eine Veränderung ihrer Schüler beobachtet haben. Die Jugendlichen hatten das Gefühl, das Leben in unserer heutigen Welt sei schwierig und kompliziert. Zusätzlich gab es familiäre Probleme und sie hatten ein schwaches Selbstwertgefühl. Bei den Salafisten fanden sie schnell Anschluss und ein einfaches Weltbild. Sie waren überzeugt, die Salafisten seien eine starke und machtvolle Gemeinschaft, dadurch fühlten sie sich selbst aufgewertet. Außerdem war es ihnen wichtig, für ein höheres Ideal zu kämpfen, das über das eigene Leben hinaus Bestand hat. Die Konsumgesellschaft und Individualität wurden abgelehnt.

Darüber hinaus bezieht sich der größte Teil der Anfragen auf den christlichen Fundamentalismus. Die Anfragen verteilen sich auf 30 verschiedene Gemeinden. Häufig sind es Angehörige, die sich melden, weil der Partner, die Partnerin oder das inzwischen erwachsene Kind sich nach dem Kontakt zur neuen Gemeinde verändert hat. Sie wollen eine Einschätzung, ob und wie gefährlich die jeweilige Gemeinde ist. Viele dieser Gemeinden faszinieren besonders junge Erwachsene, weil ihre Gottesdienste erlebnisorientierter ablaufen als die Gottesdienste in den beiden großen Kirchen.

Gefährlich wird es, wenn einige christliche Fundamentalisten so fanatisiert sind, dass sie ihren Kindern ganz oder teilweise den Schulbesuch verbieten oder sogar die körperliche Züchtigung befürworten und praktizieren. Die Gruppierung „Zwölf Stämme“ hat genau aus diesen Gründen auch in den letzten drei Jahren für viel Aufregung gesorgt. Nachdem es ihnen jahrelang gelungen war, ihre Kinder von öffentlichen Schulen fern zu halten, wurden am 05.09.2013 40 Kinder vom Jugendamt in Obhut genommen. Dieser Aktion vorausgegangen war die Bereitstellung von gefilmtem Beweismaterial des RTL-Journalisten Wolfram Kuhnigk, auf dem die Züchtigung kleiner Kinder mit der Rute zu sehen war, und eine umfangreiche Zeugenvernehmung vor Gericht. Bereits im Jahresbericht 2013 wurde darüber berichtet (vgl. Sabine Riede, Kindeswohlgefährdung bei der Glaubensgemeinschaft der "Zwölf Stämme" auf unserer Webseite).
 
Inzwischen hat die Glaubensgemeinschaft entschieden, Deutschland zu verlassen um in der Tschechischen Republik eine neue Heimat zu finden. Hintergrund für diese Entscheidung ist, dass die „Zwölf Stämme“ der Meinung sind, dass sie ihren Glauben in Deutschland nicht so leben können, wie sie möchten. Zeitweise hatten sie das Vorgehen der deutschen Behörden mit der Politik der Nationalsozialisten von 1939 verglichen.

Tatsache ist, dass es wegen der angewandten Erziehungsmethoden immer wieder Probleme gab. Kinder wurden aus religiösen Gründen regelmäßig mit einer Rute geschlagen und die Schulpflicht wurde nicht eingehalten. Den Eltern wurde eine dauerhafte Kindesmisshandlung vorgeworfen. Schon im Oktober 2014 hatte das Amtsgericht Ansbach mehreren Eltern das Sorgerecht für insgesamt sechs Kinder im Alter zwischen einem und sechs Jahren entzogen. Nach ausführlichen Anhörungen der Kinder, der Eltern, eines Familienpsychologen und mehrerer Zeugen war der Richter überzeugt, dass eine Gefährdung des Kindeswohls konkret und nachhaltig gegeben sei. Die Eltern haben gegen diese Beschlüsse Beschwerde eingelegt. Im Fall eines siebten Kindes konnte eine Gefährdung nicht nachgewiesen werden. Dieses Kind war bereits im Dezember 2013 zu den Eltern zurückgekehrt. Inzwischen wurden die Entscheidungen vom Oberlandesgericht Nürnberg bestätigt, so dass sie rechtskräftig sind. In Nördlingen dauern die Hauptsache-Verfahren weiter an.

Zusätzlich zu den Sorgerechtsverfahren hat inzwischen die Staatsanwaltschaft ermittelt und Anklage erhoben. Im Januar 2016 wurde eine 55jährige Lehrerin wegen gefährlicher Körperverletzung und Misshandlung Schutzbefohlener zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten vom Amtsgericht Nördlingen verurteilt. Im November 2015 ist ein 54-jähriger Mann ebenfalls wegen gefährlicher Körperverletzung zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Bereits im Januar 2015 hatte das Gericht drei Müttern mehrmonatige Bewährungsstrafen auferlegt. Die Verurteilten haben überwiegend Berufung eingelegt.

Schon im Oktober 2014 erschien das Buch „Der Satan schläft nie“ von Robert Pleyer. Es ist ein spannender und authentischer Bericht eines Aussteigers, der seine Erfahrungen mit den „Zwölf Stämmen“ umfassend und detailliert darlegt (vgl. Publikationen, Erfahrungsbericht: Der Satan schläft nie - Mein Leben bei den zwölf Stämmen, auf unserer Webseite).

An zweiter Stelle stehen die Anfragen zu den synkretistischen Neureligionen, die gegenüber den letzten zwei Jahren deutlich angestiegen sind. Über die Hälfte der Anfragen in dieser Kategorie, nämlich 42, beziehen sich auf die Gruppierung der Zeugen Jehovas. Einerseits hat die Organisation im letzten Jahr einen juristischen Teilerfolg beim Bundesverfassungsgericht errungen, andererseits gibt es vermehrt negative Berichte von ehemaligen Mitgliedern in der Öffentlichkeit.

Zeugen Jehovas feiern keinen Geburtstag, lehnen Bluttransfusionen ab, leisten keinen Wehrdienst und gehen nicht zur Wahlurne. Trotzdem ist Ihnen die Anerkennung als Körperschaft öffentlichen Rechts wichtig. In diesem Zusammenhang haben sie Anfang August 2015 vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe recht bekommen, dass das Parlament in Bremen nicht über ihre Anerkennung als Körperschaft entscheiden darf, sondern nur ein rechtsstaatliches Verwaltungsverfahren. Das Parlament in Bremen hatte die Anerkennung zuvor abgelehnt. Jetzt muss über diese Sache neu entschieden werden. Da inzwischen auch Baden-Württemberg im November 2015 die Zeugen Jehovas als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt hat, bleiben nur noch Nordrhein-Westfalen und Bremen als letzte Bundesländer übrig.

Am 26. Juli 2015 gab es zum ersten Mal einen weltweiten Gedenktag der Opfer der Zeugen Jehovas. Sie erinnerten daran, dass Aussteiger mit einem Kontaktabbruch bestraft werden, der sogar innerhalb der eigenen Familie eingehalten werden muss. In mehreren Fällen wurde uns berichtet, dass die ausgestiegene Person nicht an der Beerdigung der eigenen Schwester oder Mutter teilnehmen durfte.

Noch erschreckender ist, dass über Missbrauchsfälle möglichst geschwiegen werden soll und Missbrauchsopfer innerhalb der Organisation keine professionelle Hilfe erhalten. Eine amerikanische Aussteigerin prangert diesen Zustand auf der Homepage „Schweigende Lämmer“ an und spricht von über 23.700 Missbrauchsfällen, die in einer internen Datenbank erfasst seien (www.silentlambs.org). Nachdem die Zeugen Jehovas schon 2012 in einem Fall des sexuellen Missbrauchs zu einer Schadensersatzzahlung in Höhe von 28 Millionen US-Dollar verurteilt worden sind, hat im Juni 2015 der Oberste Gerichtshof in London die Wachtturm-Gesellschaft in einem anderen Missbrauchsfall zu einer Entschädigungssumme in sechsstelliger Höhe verurteilt. Die Richter machten die Organisation verantwortlich, diese habe keine Schutzmaßnahmen ergriffen, um das betroffene Mädchen zu schützen, obwohl bekannt gewesen sei, dass der Angeklagte, ein führendes Mitglied der Zeugen Jehovas, bereits in einem anderen Fall wegen Missbrauchs verurteilt worden war (Badische Zeitung, 20.06.2015).

An dritter Stelle stehen die Anfragen aus dem Bereich der Esoterik. Die Fülle der Anfragen und Beratungsfälle zusammen zeigt, dass dieser Bereich momentan in unserer Gesellschaft am meisten wächst. Viele esoterische Lebenshilfe-Anbieter setzen auf die Wirkung des positiven Denkens. Ihre Grundaussage ist, wer positiv denkt, bei dem wird alles gut. Mit dieser These ist Gabriele Oettingen nicht einverstanden. Sie ist Professorin für Psychologie und behauptet, positives Denken sei kein Allgemeinrezept für Glück und Erfolg. Im Gegenteil, positive Zukunftsträume können ein Hindernis sein, wenn es um eine Wunscherfüllung geht, die Anstrengung und komplexes Denken erfordert. Um solche Wünsche zu erreichen, sei es wichtig, Zukunftsträume mit den Hindernissen der Realität anzureichern. Gabriele Oettingen arbeitet unter anderem am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und forscht und lehrt seit vielen Jahren an der Universität Hamburg und der New York University.

In ihrem Buch „Die Psychologie des Gelingens“, das am 01. September 2015 im Pattloch-Verlag München erschienen ist, erklärt sie, warum positive Zukunftsträume allein nicht ausreichen. Sie entspannen uns so sehr, dass uns die Energie fehlt, um aktiv zu werden. Ihre Forschungen belegen, die beste Art der Wunscherfüllung ist, Menschen zum Träumen zu bewegen und sie dann sofort mit der Realität zu konfrontieren, die ihrem Traum im Wege steht. Oettingen nennt diese Methode „mentales Kontrastieren“. Durch viele Studien belegt sie, mentales Kontrastieren funktioniert als Mittel zur Selbstregulierung und hilft Menschen, ihre Energie effizienter einzusetzen, so dass sie ihre Wünsche auf kluge Weise erreichen können. Ein empfehlenswertes und hilfreiches Buch im Gegensatz zu den vielen esoterischen Ratgebern, die uns immer wieder einreden wollen, wenn wir nur lange genug vom Geld und der Idealfigur träumen, dann erfüllt sich der Wunsch von alleine oder mit Hilfe des Universums.

Aber nicht nur die Vertreter des positiven Denkens irren, auch die Astrologen, Hellseher und Wahrsager lagen mit ihren Prognosen für 2015 wieder mal daneben. Zu diesem Ergebnis kommt die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) in ihrer Ende Dezember veröffentlichten Auswertung. Ein Kreuzfahrtschiff sollte im Mittelmeer von einem Riesenoktopus versenkt werden und gleich mehrere Weltuntergänge sollten sich im Herbst ereignen. Nichts davon ist eingetroffen. Auch die Vorhersage des Geburtstermins des zweiten Kindes von Wilhelm und Kate klappte nicht. So zeigt die Auswertung, die von dem Mathematiker Michael Kunkel durchgeführt wurde, „Astrologen, Hellseher und Wahrsager können keineswegs in die Zukunft sehen.“ (vgl. www.wahrsagercheck.de).

Deutlich schlimmer als falsche Vorhersagen sind allerdings Äußerungen von Verschwörungstheoretikern, die Menschen mit falschen Behauptungen so sehr verunsichern, dass es im Einzelfall sogar lebensgefährlich werden kann. Der deutsche Biologe Stefan Lanka behauptet, Aids sei eine Erfindung der Pharmaindustrie, um neue Medikamente verkaufen zu können. Er bestreitet, dass Viren Krankheiten auslösen können und unterstellt Ärzten, sie würden Patienten durch Impfungen aus Profitgier krankmachen. Für seine Behauptungen hat er im Oktober 2015 völlig zu Recht das „Goldene Brett vorm Kopf 2015“ für den größten antiwissenschaftlichen Unfug des Jahres bekommen. Dieser Negativpreis wird jedes Jahr von der GWUP in Wien vergeben (vgl. www.goldenesbrett.guru).

Die Anfragen zur Scientology-Organisation sind nicht mehr so hoch wie in früheren Jahren und nehmen in unserer Statistik momentan nur noch Platz vier ein. Allerdings darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich die 42 Anfragen aus der Bevölkerung auf nur eine Gruppierung beziehen, während die anderen Kategorien mehrere Gruppen umfassen.

In Europa hat die Scientology-Organisation im letzten Jahr eine juristische Niederlage hinnehmen müssen. In den Niederlanden hat das zuständige höchste Gericht die zunächst erteilte Steuerbefreiung der Scientology-Organisation wieder aufgehoben und jegliche Gemeinnützigkeit aberkannt. Auch in den USA will der Senator Ron Wyden aus dem Bundesstaat Oregon, dass die Steuerbefreiung für die Scientology-Organisation überprüft wird. Denn auch in den USA bröckelt das Ansehen der Organisation. Wesentlich dazu beigetragen hat die Filmdokumentation „Going Clear: Scientology and the Prison of Belief“, die am 25.01.2015 auf dem Sundance Film Festival in Park City, Utah uraufgeführt wurde. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch von Lawrence Wright, das 2013 in den USA und noch im gleichen Jahr in deutscher Übersetzung mit dem Titel „Im Gefängnis des Glaubens“ erschienen ist (vgl. Fachbuch: Im Gefängnis des Glaubens. Scientology, Hollywood und die Innenansicht einer modernen Kirche, auf unserer Webseite).

Schon im Vorfeld hatte die Produktionsfirma 160 Anwälte beauftragt, um die Dokumentation des Drehbuchautors Alex Gibney zu prüfen und gegen Klagen der Scientology-Organisation gewappnet zu sein (www.focus.de/ kultur/kino vom 28.01.2015). Die Dokumentation gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil berichten ehemalige Scientologen aus dem Innenleben der Organisation, im zweiten Teil wird die Geschichte des Gründers L. Ron Hubbard beschrieben. Im letzten Teil wird der Aufstieg des heute mächtigsten Mannes der Scientology-Organisation nachgezeichnet. Die Enthüllungen der Zeugen, die Interviews, das Archivmaterial und die internen Dokumente haben es in sich. Die ehemaligen Mitarbeiter von Miscavige zeichnen das Bild eines Menschen, der seine Mitarbeiter schlage und foltere. Seine Methoden machen auch nicht vor der eigenen Familie halt. Miscavige habe sogar seinen eigenen Vater beschatten lassen, der die Organisation verlassen hatte. Schon 2013 zeichnete auch die Nichte des Scientology-Bosses Jenna Miscavige in ihrem Buch „Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht“ ein unmenschliches Bild von ihrem Onkel (vgl. Erfahrungsbericht: "Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht" auf unserer Webseite). Außerdem habe Miscavige die Trennung von Cruise und Kidmann vorangetrieben, behauptet ein ehemaliger Mitarbeiter Marty Rathbun in „Going Clear“. Nicole Kidmann, deren Vater ein bekannter Psychologe ist, wollte ihren damaligen Ehemann zum Ausstieg bewegen. Daraufhin engagierte Miscavidge einen Privatdetektiv, der das Paar überwachte.

In Deutschland versucht die Scientology-Organisation weiterhin, unwissende Menschen durch raffinierte Werbe-Aktionen zu ködern. Besonders die Tarnorganisation “Sag Nein zu Drogen, sag ja zum Leben“ versucht immer wieder an Schulen Fuß zu fassen und ihre Broschüren mit dem Titel „Fakten über Drogen“ zu verteilen. Neben den vielen Aktionen weiterer Tarnorganisationen wie „Jugend für Menschenrechte“, „Der Weg zum Glücklichsein“ und der „Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte“ bietet die Organisation im Internet ganz offen unter dem Namen Scientology auch Online-Kurse an. Dabei werden angebliche Lösungen zu den Problemen verschiedenster Lebensbereiche versprochen: Arbeit, Geld, Ehe, Stress, Kommunikation. Das Ziel ist aber, den Bürger zu motivieren, weitere Kurse im nächstgelegenen Scientology-Zentrum zu absolvieren. Zusätzlich betätigen sich Anhänger der Organisation in letzter Zeit verstärkt in sozialen Netzwerken, um zunächst unerkannt neue Mitglieder zu werben.

Bei den guruistischen Gruppierungen gibt es eine wichtige neue Gerichtsentscheidung. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat am 04.08.2015 entschieden, dass der „Guru von Lonnerstadt“ und seine Lebensgefährtin für drei Jahre in Haft müssen und damit das Urteil vom 04.08.2014 des Landgerichtes Nürnberg-Fürth bestätigt. Beide haben sich der Misshandlung Schutzbefohlener strafbar gemacht. Sie haben es unterlassen, dem an Mukoviszidose leidenden Jungen die notwendigen Medikamente zu geben. Stattdessen vertrauten sie auf alternative Heilmethoden und Meditation. Der damals 15 Jahre alte Sohn der Lebensgefährtin ist dadurch in eine lebensbedrohliche Lage geraten. Vermutlich wäre er gestorben, hätte sein leiblicher Vater ihn nicht aus der Gemeinschaft herausgeholt (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 4.8.2015 – 1StR 624/14)

In einem anderen wichtigen Fall gibt es noch kein Gerichtsurteil, aber einen wichtigen Fahndungserfolg. Der esoterische Guru Arno W. und dessen Lebensgefährtin Julie R. sind in Uruguay von Zielfahndern des Bundeskriminalamt und der dortigen Polizei festgenommen worden. Die beiden waren die Führer einer Gruppierung, die unter dem Namen „Ramtha“ und „Licht-Oase“ bekannt geworden ist. Den Anhängern wurden eine baldige Endzeit, Erleuchtung und der Aufstieg in göttliche Sphären versprochen. Im Jahr 1994 soll Arno W. die damals 13jährige Lea Saskia Laasner Vogt missbraucht haben. Julie R. ist der Beihilfe angeklagt. Die Betroffene hat ihr Schicksal in einem Buch veröffentlicht, nachdem ihr mit 21 Jahren die Flucht aus der Gruppierung gelang. Das Buch ist 2005 im Eichborn-Verlag unter dem Titel “Allein gegen die Seelenfänger“ erschienen. Für die Detmolder Staatsanwaltschaft ist es ein großer Erfolg, dass nach acht Jahren Suche die Festnahme geglückt ist. Den beiden Angeklagten drohen mehrjährige Haftstrafen (Lippische Landeszeitung 01.07.2015).

 

Diagramm 2: Informationsanfragen im Vergleich der letzten fünf Jahre



Diagramm 3: Beratungsfälle im Vergleich der letzten fünf Jahre      
 
 

Beratungsfälle 2015


Der seit Jahren große Bedarf an Beratung in der Esoterik hat sich auch 2015 nicht verändert. Es konnten 198 Beratungsfälle gezählt werden, die sich auf 55 verschiedene Anbieter verteilen. Bei der Vielfältigkeit esoterischer Angebote bietet es sich an, diese in drei bzw. vier Bereiche zu unterteilen. Wir unterscheiden:
  1. die Lebensberatung, sie umfasst viele Angebote vom Familienstellen über Engelseminare und Channeling bis zu Verschwörungstheorien und Schenkkreisen.

  2. die Zukunftsdeutung, dazu zählen Astrologie, Wahrsagen, Hellsehen, Kartenlegen.

  3. die Heilung von körperlichen Beschwerden, Geistheiler oder Schamanen bieten Hilfe zur Heilung von körperlichen Krankheiten an, Reiki oder Homöopathie ebenfalls.

  4. sektenähnliche Gruppierungen, die ein esoterisches Gedankengut vertreten, die sich aber aufgrund ihrer Größe von den drei anderen Bereichen unterscheiden.
Zahlenmäßig sind die Bereiche eins und drei fast gleich, sie machen jeweils ein Drittel der genannten Beratungsfälle aus. Die beiden anderen Bereiche teilen sich das letzte Drittel. Berücksichtigt man jedoch, dass es eine eigene Kategorie „Heilergruppen“ mit in diesem Jahr 28 Beratungsfällen zusätzlich gibt, wird deutlich, dass der Markt der alternativen Heilmethoden und der Geistheiler die meisten Problemfälle verursacht. Viele Geistheiler versprechen, auch schwerwiegende Erkrankungen wie z.B. Krebs, Asthma, Psychosen heilen zu können und es werden äußerst fragwürdige Behandlungsmethoden angeboten. Manche Klienten berichten, dass eine liebevolle Atmosphäre sie dazu verleitet hat, dem Geistheiler völlig zu vertrauen. Die Hoffnung auf Heilung hat sie dazu verleitet, notwendige medizinische Behandlungen zu vernachlässigen, was letztlich Menschen in eine lebensgefährliche Lage bringen kann. Häufig sind es die Angehörigen, Geschwister oder Partner, die unsere Beratungsstelle verzweifelt um Hilfe bitten.

Innerhalb des ersten Bereiches der Esoterik ragte ein Lebenshilfeguru im letzten Jahr besonders heraus. 32 Beratungsfälle standen im Zusammenhang mit dem deutschen Psychologen Robert Betz. Er bietet eine neue, von ihm selbst entwickelte Transformationstherapie an, die mit wissenschaftlicher Psychologie, wie sie an Universitäten gelehrt und in der Praxis angewandt wird, nicht viel zu tun hat. Er behauptet, dass seine Therapie Menschen in die Lage versetze, Leidenszustände aller Art zu verwandeln. Die Menschen werden dabei begleitet von der Kraft der Engel und Ahnen. Er zieht Menschen in seinen Bann, indem er ihnen schnelle und umfassende Hilfe verspricht. Da Gesundheit ein wichtiges Thema im Leben eines jeden Menschen ist, greift er auch dieses Thema auf und behauptet, dass jede Erkrankung auch eine seelische Ursache habe. Gelenkerkrankungen seien ein Zeichen geistiger Erstarrung. Demenz und Alzheimer würden Menschen bekommen, die in ihrem Leben viel verdrängt haben. (Vortrag in der Osnabrückhalle am 13.01.15) Ärger, der heruntergeschluckt werde, führe zu Migräne, Gallen- und Nierensteinen. Das Problematische an dieser Lehre zur Krankheitsentstehung ist, dass Menschen sich möglicherweise ganz auf ihre Selbstheilungsfähigkeiten auf geistiger Ebene verlassen und notwendige medizinische Behandlungen vernachlässigen und zweitens die Ursache für ihre Erkrankung nur in sich selbst statt in ungünstigen Umweltfaktoren suchen. Schon im Jahresbericht 2013 hat Frau Bange in einem Fachartikel ausführlich vor Robert Betz gewarnt (vgl. hierzu Uta Bange, "Robert Betz und die Transformationstherapie - eine esoterische Pseudotherapie im Fokus der Kritik", auf unserer Webseite).

Ein weiterer Lebenshilfeguru hat intensiven Beratungsbedarf ausgelöst: Wilri Waarlo. Er bezeichnet sich als Transformationsmeister und hat eine Balance-Recovery Selbstheilungsmethode entwickelt. Durch diese Methode würden wir seiner Meinung nach erfahren, “warum wir uns verhalten, wie wir uns verhalten, und warum wir bestimmte Krankheiten, Traumata oder schlechte Gewohnheiten erschaffen“. Laut Waarlo werden Krankheiten von ungelösten Emotionen und Gedanken verursacht, während körperliche und genetische Aspekte eine untergeordnete Rolle spielen sollen (www.balance-recovery.com). Zur beruflichen Qualifikation von Waarlo heißt es auf der Seite, er verfüge über „weitgefächerte Erfahrungen auf dem Gebiet der menschlichen Natur“. Es finden sich keine Hinweise auf eine anerkannte pädagogische, medizinische oder psychotherapeutische Ausbildung. Seine Theorie zur Entstehung von Krankheiten ist sehr kritisch zu sehen, es besteht die Gefahr, dass Menschen eine schulmedizinische Behandlung vernachlässigen oder Schuldgefühle entwickeln, da man sich als selbst verantwortlich dafür fühlt, krank geworden zu sein.
 
Auch im Zusammenhang mit einer esoterisch-spirituellen Gruppe, die sich um ein Medium mit Namen „Meta“ (Petra B.) gebildet hat, hatten wir im letzten Jahr einen intensiven Beratungsbedarf. Überwiegend betroffene Väter, deren teilweise erwachsenen Kinder zu dieser Gruppe gehören, haben sich an unsere Beratungsstelle gewandt. Die Väter hatten sich von der Gruppe gelöst oder der Gruppe nie angehört, die Mütter waren dabei geblieben. Aber auch ehemalige weibliche Mitglieder der Gruppe haben ihre Erfahrungen aufgeschrieben. Außerdem haben mehrere Aussteiger Mitschnitte von ihren eigenen Lebensberatungssitzungen der Beratungsstelle zur Verfügung gestellt.

Petra B. oder „Meta“ gibt an, dass Christus ihren Kehlkopf benutze, um mit den Menschen zu sprechen. Wenn Christus durch sie spricht, verändert sich ihre Stimme. Dadurch erweckt sie den Eindruck, dass nicht sie die Beratung durchführe, sondern Christus. Inzwischen gibt es zwei Anhängerinnen, die von „Meta“ zum Medium ausgebildet wurden. Sie sind ebenfalls als Heilerinnen tätig und führen Beratungen im Namen Christi mit dem gleichen Vorgehen wie ihr Vorbild durch. Durch den christusähnlichen Status bekommen die Worte der Beraterinnen für die Gläubigen natürlich eine besondere Autorität. Gottes Wort wird selbstverständlich nicht in Frage gestellt, so dass die Beraterinnen eine große Macht über ihre AnhängerInnen bekommen. Ehemalige Mitglieder der Gruppe berichten, dass diese Lehre in die Menschheit getragen werden soll. Es gibt eine starke Endzeiterwartung. Die Apokalypse stehe unmittelbar bevor. Eine kleine Anzahl von Menschen, die Elite, könne vor dem Untergang gerettet werden. Es gibt ein ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken. Die Menschen sind eingeteilt in gut und böse. Es gibt Eingeweihte und Verlorene. Die Menschen, die sich nicht auf den Weg der „Meta“ begeben, seien Schwarzmagier, geistig schon tot, und sie würden auch körperlich in absehbarer Zeit sterben. Wer „Meta“ nicht glaubt, Kritik äußert oder die Gruppe verlässt, gehört zur Seite der Schwarzmagier. Diese können aber auch mittels Magie Schaden anrichten und das Böse aussenden.

In einer uns vorliegenden Gesprächsaufnahme geht es um die Beratung eines Vaters, der Probleme mit seinem achtjährigen Sohn hat. Da der Sohn „schwarz-magisch unterwegs sei“, solle er ihn zur Adoption freigeben. Der Junge sei durchtrieben, boshaft, seelisch und sozial nicht normal. Der Sohn versuche den Vater zur falschen Seite zu verführen. Bleibe das Kind in der Familie, so koste das die Familie das Leben. Der Sohn werde sterben, man könne ihm schon ansehen, dass er schwächer werde. Der Vater müsse sich zwischen dem Leben und dem Tod entscheiden. In diesem Fall hat der Vater sich entschieden, lieber die Gruppe zu verlassen, als seinen Sohn aufzugeben. Allerdings konnte sich die Mutter zu dieser Einsicht nicht durchringen, so dass es zu einer Scheidung gekommen ist. Sie möchte bis heute keinen Kontakt zu ihrem Sohn.

Bei der Kategorie Heilergruppen standen über die Hälfte aller Fälle im Zusammenhang mit dem Bruno Gröning Freundeskreis. Die Lehre besagt, es gibt kein unheilbar. Nur wer vom göttlichen Weg abkommt, der wird krank. Man muss den Willen zur Gesundheit haben, dann wird man auch gesund, egal unter welcher Erkrankung man leidet, Krebs, Querschnittslähmung, Blindheit. Zweifel sind nicht erlaubt, auch Angehörige dürfen keine Zweifel haben, das verhindert die Heilung. Man darf auch nicht an seine Erkrankung denken. Es gibt durchaus Todesfälle im Zusammenhang mit dieser Gruppierung, z.B. Menschen, die an die wundersame Heilung geglaubt haben und deshalb ihre Medikamente abgesetzt haben. Geworben wird neuerdings über den Verein „Kreis für natürliche Lebenshilfe“.

Eine weitere Gruppierung dieser Kategorie, die immer wieder unfassbares Leid verursacht, ist die Germanische Neue Medizin. Die Lehre dieser Gruppe besagt, alle Krankheiten beruhen auf inneren Konflikten. Löst man die Konflikte, dann verschwindet auch die Krankheit, dies gilt auch für Diabetes oder Krebs. Immer wieder sterben Menschen, die an diese Lehre glauben, und fügen damit nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Angehörigen große Schmerzen zu (vgl. hierzu den Erfahrungsbericht "Mein Vater, ein Opfer der "Germanischen Neuen Medizin""). Erfunden hat diese Lehre Ryke Geerd Hamer, ein Arzt, der aufgrund seiner fragwürdigen Behandlungsmethoden in Deutschland nicht mehr praktizieren darf (vgl. hierzu den Artikel "Die "Germanische Neue Medizin" von Ryke Geerd Hamer" von Christoph Grotepass).

Bei der Betrachtung einzelner Gruppen statt übergeordneter Kategorien ist zu erkennen, dass die Zeugen Jehovas mit 48 Beratungsfällen den größten Beratungsbedarf ausgelöst haben und zum dritten Mal die Scientology-Organisation mit 31 Beratungsfällen überholt haben. Der größte Teil der Menschen, die die Unterstützung der Beratungsstelle benötigten, sind als Kinder in der Organisation aufgewachsen. 

Unabhängig von der jeweiligen Gruppierung, die den Beratungsbedarf ausgelöst hat, ist es interessant zu fragen, wer die Beratungsstelle mit der Bitte um Hilfe aufgesucht hat, Menschen, die selbst betroffen sind, oder Freunde und Angehörige? Im letzten Jahr betrug der Anteil der Betroffenen, die für sich selbst eine Hilfestellung erwartet haben 29%. Weitere 36% verteilten sich auf nahe Angehörige oder den Partner. Noch einmal 19% baten uns im Rahmen eines institutionellen Arbeitsauftrages um Hilfe (z.B. Polizei, Schule, Hochschule, andere Beratungsstellen, Jugendhilfe, Psychiatrien). Der Rest (16%) verteilt sich auf Presseanfragen und Anfragen, die sich auf Bekannte und Kollegen beziehen.

 
Diagramm 4: Informationsanfragen und Beratungsfälle aufgeteilt nach Art der Betroffenheit


Rechtsberatung 2015


Seit zehn Jahren ist der Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. in der Lage, ergänzend zur psychosozialen Beratung, kostenlos eine fundierte Rechtsberatung anbieten zu können. Von den 537 Klienten im Jahr 2015 haben 92 diese Möglichkeit in Anspruch genommen. Die Tabelle zeigt den Bedarf an Rechtsberatung, unterteilt in die auch sonst üblichen zehn Kategorien (vgl. Diagramm 5).
 
Diagramm 5: Rechtsberatung

Der größte Teil der Rechtsberatung hat, wie in den Jahren zuvor auch, eine sorgerechtliche und umgangsrechtliche Problematik zum Inhalt und betrifft alle Bereiche bis auf den der Strukturvertriebe. Bei den Strukturvertrieben ging es um Kündigungsmöglichkeiten von Verträgen bzw. um Rückgabe von bestellten Waren. Bei der Rechtsberatung im Zusammenhang mit esoterischen Heilern stand die Frage im Vordergrund, inwieweit es möglich ist, Heiler juristisch zur Rechenschaft zu ziehen, nachdem sie durch falsche Ratschläge und durch das Abraten vom Arztbesuch, z.B. bei einer HIV-, Schizophrenie- oder Krebserkrankung zu gesundheitlichen Gefährdungen von Menschen beitragen. Hier wurden die entsprechenden Geistheiler angeschrieben und in ihre Schranken verwiesen. Leider gab es aber auch Schulmediziner, die durch Anwendung esoterischer Methoden körperliche Beschwerden verschlimmert haben. In diesen Fällen wurden die Ärztekammer und die Kassenärztliche Vereinigung NRW informiert. Außerdem ging es in der Esoterik darum, welche rechtlichen Möglichkeiten einer Geldrückforderung bestehen, wenn Menschen sich in einer Krisensituation auf Angebote unseriöser Lebensberater, Heiler oder Wahrsager eingelassen und erhebliche Summen gezahlt hatten.


Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit


Von Januar bis Dezember 2015 wurden insgesamt 29 Präventionsveranstaltungen und Multiplikatorenschulungen durchgeführt. Insgesamt nahmen 853 Menschen an den Schulungen des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. teil.

Der größte Teil der Veranstaltungen fand für Jugendliche statt (12). Ergänzend zu diesem Angebot erstreckte sich die Aufklärungsarbeit des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. auf weitere Vorträge in der Erwachsenenbildung (Volkshochschulen, Gemeinden, Elternkreise) (4) und auf Fachtagungen für Lehrer (5), sowie für Mitarbeiter in Beratungsstellen und Einrichtungen der Jugendhilfe (8). An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Mitarbeiter des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. Lehrern gern Informationsmaterial für die Aufklärungsarbeit im Unterricht zur Verfügung stellen. Dafür haben wir auf unserer Homepage eine neue Spalte „Material Präventionsarbeit“ eingerichtet. Hier können Lehrer zu den verschiedensten Themen unserer Beratungsstelle sowohl aktuelles Unterrichtsmaterial, als auch Fallberichte und Hintergrundinformationen erhalten. Die Spalte wird zukünftig ständig aktualisiert. Selbstverständlich beraten wir Lehrer auch gern telefonisch. Auf zwei wichtige Neuerscheinungen soll an dieser Stelle direkt hingewiesen werden. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat eine empfehlenswerte Arbeitsmappe „Salafismus in der Demokratie“ herausgegeben. Zusätzlich ist im März 2015 eine Arbeitsmappe „Mitreden, kompetent gegen dschihadistische Internetpropaganda“ von der polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes erschienen. Leider ist es aufgrund des ständig sich erweiternden und wachsenden Beratungsbedarfes in unserer Einrichtung nicht mehr möglich, allgemeine Informationsveranstaltungen an Schulen durchzuführen.

Um dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit in aktueller Weise gerecht zu werden, wurden die Recherchearbeiten der Medien in 45 Fällen unterstützt. In 18 Fällen wurde durch eine direkte Mitwirkung in einem Fernseh/Radiobeitrag oder Zeitungsartikel auf die Gefahren neuer religiöser Glaubensgemeinschaften hingewiesen. Zu der Fernsehsendung „Planet Wissen“ vom WDR mit dem Titel “Die dunklen Geheimnisse der Scientology-Sekte“ wurde Frau Riede als Expertin hinzugezogen. Die Sendung wurde am 24.11.2015 ausgestrahlt und konnte neben anderen Aspekten sehr gut verdeutlichen, wie sehr Menschen in der Scientology-Organisation einen Albtraum aus Unterdrückung und Gewalt erleben.


Gremienarbeit


Der Informationsaustausch über Trends in der aktuellen Sektenszene fand wie jedes Jahr in zahlreichen Workshops mit anderen Sektenberatungsstellen, kirchlichen Sektenbeauftragten und Betroffeneninitiativen statt. Auch nehmen die MitarbeiterInnen des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. regelmäßig an den Fachgesprächen im Landtag teil. Auf Landesebene ist der Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. im „Arbeitskreis Beratungsstellen“ des DPWV integriert. Trotz der großen zeitlichen Belastung konnten die MitarbeiterInnen insgesamt an 20 Gremiensitzungen teilnehmen. Seit 2006 besteht die Möglichkeit, im Rahmen einer zweistündigen Sprechstunde in Bochum eine Beratung in Anspruch zu nehmen. Sie findet nach Absprache in den Räumen des Jugendamtes in Bochum statt.


Trauer um Rechtsanwalt Ingo Heinemann


Am 05.03.2016 ist Rechtsanwalt Ingo Heinemann an den Spätfolgen seines Autounfalls vom 23.08.2013 gestorben. Wir trauern um einen lieben Kollegen, der besonders mit seinen juristischen Ratschlägen vielen Menschen geholfen hat. Er gehörte zu den Pionieren der Sektenberatung. Unerschrocken setzte er sich für die Interessen geschädigter Menschen ein.

1971 engagierte er sich zunächst bei der Aktion Bildungsinformation e.V. in Stuttgart für den Verbraucherschutz. Dieser Verein war Anfang der 70er Jahre der einzige Verein, der auch Rechtsberatung anbot. In diesem beruflichen Umfeld kam er zum ersten Mal mit Betroffenen der Scientology-Kirche in Berührung und erkannte schnell das gefährliche Potential dieser Organisation, die heute vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Von 1982 bis 1995 war Herr Heinemann hauptberuflicher Geschäftsführer des schon 1978 gegründeten Vereins „Aktion für geistige und psychische Freiheit“ in Bonn. Dieser Verein war bundesweit ein Zusammenschluss vieler einzelner Vereine, die sich mit dem Themenkomplex sogenannter Sekten beschäftigt haben. Danach hat er seine Arbeit bis zu seinem Unfall ehrenamtlich fortgesetzt. Er hat in unermüdlicher Arbeit eine der umfangreichsten Webseiten zum Thema „Sekten“ im deutschsprachigen Raum aufgebaut. Ein großer Teil seiner Kritik beschäftigte sich mit der Scientology-Organisation.

Durch die Internetseite der AGPF hat er den einzelnen Bürger zu seinem Schutz umfangreich und aktuell über die ständig wachsende Sekten- und Psychomarktszene informiert. Sein Lebensinhalt war der Verbraucherschutz und die damit verbundene Hintergrundrecherche zu den einzelnen Anbietern auf dem Psychomarkt. Es ging ihm immer um den Schutz des einzelnen Bürgers vor Übervorteilung. Seine Kritik betraf nicht die Idee oder Überzeugung anderer Menschen, sondern ihre Handlungen. Auch viele Journalisten haben von seiner umfangreichen Dokumentation profitiert. Wir beklagen den Verlust eines engagierten, fachkompetenten, juristischen Ratgebers, der im Alter von 73 Jahren viel zu früh verstorben ist.