Beratung und Information zu neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen
gefördert durch das
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Bericht über die Arbeit des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. und über Aktivitäten der neuen religiösen Gemeinschaften in 2022

Es wurden im Jahr 2022 insgesamt 1172 Anfragen beim Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. registriert. Von den 1172 Anfragen erhielten 488 Personen durch ausführliches Informa­tionsmaterial und ein bis zwei klärende Gespräche Hilfestellung von den Mitarbei­ter*innen des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. In 684 Fällen war ein inten­siver und längerer Beratungsverlauf mit bis zu 22 Fachkontakten notwendig.

Um einen besseren Vergleich mit den Vorjahren zu ermöglichen, sind wie jedes Jahr die 488 Informationsanfragen und die 684 Beratungsfälle in zehn Kategorien zusammengefasst worden. Insgesamt sind in den zehn Kategorien Anfragen mit der Bitte um Information und Beratung zu 430 verschiedenen Gruppierungen und Anbietern enthalten (vgl. Diagramm 1).

 

 Summe Beratung und Information nach Gruppen

Diagramm 1: Summe Beratungsfälle und Informationsanfragen

Die Tendenz der letzten Jahre, dass die Informationsanfragen immer weniger werden, weil die Bürger und Bürger*innen sich mit Hilfe des Internets selbständig informieren, hat sich in diesem Jahr nicht fortgesetzt. Die Anzahl der Beratungsfälle (684) ist zwar immer noch deutlich höher als die Anzahl der Anfragen (488), aber sowohl die Anfragen als auch die Beratungsfälle sind seit Beginn der Corona Pandemie gestiegen und insgesamt sehr hoch.

Viele Menschen fühlen sich überfordert, einsam oder unsicher. Sie verspüren dennoch eine Sehnsucht danach, bedeutsam zu sein und finden es wichtig, sich für ein höheres Ziel zu engagieren. Und genau diese Sehnsucht greifen neue religiöse Bewegungen auf, verstärken die Zweifel an bestehenden Verhältnissen und der stets unzureichenden Gesellschaft, um dann eine vermeintlich einfache Lösung der Probleme anzubieten, verbunden mit der Vision einer besseren und gerechteren Zukunft. Neue religiöse Bewegungen sind umso attraktiver, je komplexer und bedrohlicher die Welt erscheint. Sie geben einfache Antworten auf kompli­zierte Lebensfragen und versuchen mit ihrem oft klassischen Schwarz-Weiß-Denken eine vermeintliche Sicherheit zu erzeugen.

Zusätzlich nimmt die Anzahl kleiner Gruppen und Einzelanbieter ständig zu. Kleinere Gruppierungen mit nur wenigen Mitgliedern sind zum Teil gefährlicher, weil die Kontrolle intensiver und die Abhängigkeitsgefahr größer ist. Teilweise werden Freundschaften oder familiäre Bindungen vorgespielt, aus denen man sich nur schwer wieder befreien kann.

Außerdem wird es immer schwieriger, die Beratungsfälle genau einer Kategorie zuzuordnen.

Verschwörungstheorien kamen auch früher schon im Glauben einzelner Gruppierungen vor, jedoch selten für sich. Sie dienten dazu, die Ideologie der Gruppe zu rechtfertigen und zu stü. Erst durch die Corona-Pandemie glaubten Betroffene an Verschwörungserzählungen ohne Anbindung an eine bestimmte Gruppierung oder trauten sich, ihren Verschwörungs-glauben deutlicher und öffentlich mitzuteilen. Umgekehrt integrierten Gruppierungen Verschwörungstheorien, die sich auf die Coronakrise bezogen, in ihren Glauben und unterstützten damit die Verbreitung von Verschwörungstheorien. Schwerpunktmäßig zählt die Beratungs-stelle die Fälle zu den Verschwörungstheorien, bei denen Menschen an eine „innerweltliche, böse, und mächtige Elite“ glauben, die zum Schaden der ganzen Menschheit agiert.

Verschwörungstheorien sind grundsätzlich veränderbar und passen sich der wandelnden Situation der realen Welt an. Ein Kernmerkmal ist dabei die Ablehnung der offiziellen Darstellung, des „Mainstreams“. Der emotionale Gewinn für den Einzelnen besteht darin, dass der erlebte Kontrollverlust externalisiert werden kann. Bei Menschen, die an viele verschiedene Verschwörungstheorien glauben, ist häufig eine gewisse Verschwörungsmentalität erkennbar. Sie stellt in der Wissenschaft eine eigenständige Persönlichkeitseigenschaft dar und ist gekennzeichnet durch geringes Vertrauen anderen gegenüber, Selbstzweifeln und Gefühlen von Machtlosigkeit und einer niedrigen Ausprägung von Verträglichkeit.[1]

 

Informationsanfragen und Beratungsfälle 2022 im Einzelnen

Bei einem Vergleich der Kategorien in der Tabelle auf Seite drei fällt auf, dass die Tendenz der Jahre 2020/2021 sich im Jahr 2022 fortgesetzt hat. Die Informationsanfragen und Bera­tungsfälle der Kategorie Psychogruppen haben mit insgesamt 334 Anfragen und Beratungs­fällen alle anderen Kategorien deutlich übertroffen und stehen auch in diesem Jahr wieder an erster Stelle. Die Corona-Pandemie hat die Verschwörungstheorien und die Probleme, die damit verbunden sind, explodieren lassen.

In dieser Kategorie werden Anfragen und Beratungsfälle zu Verschwörungstheorien, unse­riö­sen Coaching-Angeboten und zur Reichsbürgerbewegung zusammengefasst. Es gab mehr Beratungsfälle (217) als Informationsanfragen (117).

Der Rückgang gegenüber 2021 lässt sich mit der beruhigteren Pandemie-Lage erklä­ren. In den Beratungsgesprächen mit den Angehörigen von Verschwörungsgläubigen wird deutlich, dass es teils zu einer Beruhigung in den Familien kommt, auch wenn damit nicht immer zugleich eine Abkehr von den geglaubten Verschwörungserzählungen ein­hergeht. Bei einem kleineren Teil ist aber auch von einer fortdauernden oder weiteren Fanati­sierung des verschwörungsgläubigen Familienangehörigen die Rede, welche ein gemein­sa­mes Alltags­leben erschwert oder un­mög­lich macht. Ratlose Angehörige können neben einer Einzelbe­ratung auch in einer Gesprächsgruppe mit anderen Angehörigen von Verschwörungs­gläubigen Unterstützung finden. Immer wieder gilt es, sich weniger konflikthafte Debatten über einzelne Verschwörungstheorien zu liefern, sondern konstruktive Wege zur alltäglichen Problemlösung zu suchen und die die emotionalen Motive ernst zu nehmen.

Nach wie vor möchten nur wenige ehemalige oder noch verschwörungsgläubige Menschen Beratung in Anspruch nehmen. Das zugrundeliegende Misstrauen gegenüber den staatlichen Institutionen und medizinisch-wissenschaftlichen Erklärungen ist nicht so leicht aufzulösen. Bei den Beratungsgesprächen werden die individuellen Motive und Problemlagen deutlich, welche den problematischen Entwicklungen zugrunde liegen. Enttäuschungen in der Partner­schaft, Mobbing am Arbeitsplatz, Erkrankungen und Schicksalsschläge lösten Ohnmachts­gefühle aus. Insbesondere das Gefühl ungerecht behandelt worden zu sein (auch durch die Pandemiebestimmungen), verstärkte das Misstrauen und begünstigte eine Verschwörungs­mentalität, die auf der Suche nach den „Schuldigen“ und nach der bösen Absicht ist.

Bei Manchen bezog sich dies lediglich auf die teils widersprüchlichen Verlautbarungen des Gesundheitsministeriums und die als überzogen empfundenen Maßnahmen. Bei stark ausge­prägter Verschwörungsmentalität wurde letztlich jegliches Regierungshandeln in Frage gestellt und dessen angeblich fehlende Legitimierung behauptet. Generell konnte gut beo­bachtet werden, wie aktuelle Themen in die sich weiter entwickelnden Verschwörungstheorien einbezogen wurden. Mit Beginn der Pandemie überwogen zunächst Verschwörungserzählun­gen, welche die Existenz der Pandemie bestritten oder in dieser eine geplante Operation fins­terer Eliten sahen. Es folgten passend zur neuen mRNA-Impfung entsprechend aktualisierte Verschwörungserzählungen zur Impfung. Schnell fiel aber auch die Vermischung mit weiteren bereits lange bekannten Verschwörungserzählungen auf, wie z. B. Chemtrails, Handy-Strahlung, flache Erde. Getreu den verschwörungstheoretischen Grundsätzen („nichts ist wie es scheint“, „alles hängt miteinander zusammen“, „nichts geschieht zufällig oder grundlos“) wurden auch der russische Angriffs­krieg, die Energiekrise und die Klimakrise in die Verschwö­rungserzäh­lungen eingebunden.

So hieß es etwa nach der russischen Besetzung des ukrainischen Atomkraftwerks, dass darunter ein geheimer Folterkeller entdeckt und gequälte Kinder befreit worden seien. Ein leicht wiedererkennbares Motiv, das zuvor mit „Q-Anon“ in den USA breiter bekannt wurde und demzufolge satanistische und politische Machtzirkel aus dem Blut von Kindern die Droge Adrenochrom gewönnen. Dieses Verschwörungsnarrativ steht seinerseits in der Tradi­tion des jahrhundertealten, antisemitischen Verschwörungsmythos angeblicher Ritualmorde von Juden an Kindern. Nun sollte diese Verschwörungserzählung der Legitimierung einer angeblich not­wendigen russischen „Spezi­aloperation“ dienen. Die Übernahme der russischen Propaganda zur Rechtfertigung des Angriffskrieges in Verschwörungserzählungen folgt einer seit 2015 mit dem Überfall auf die Krim beobachtbaren Verstärkung von Desinformationskam­pagnen. Diese erfolgten unter anderem über den zu dieser Zeit errichteten Sender „RTDeutsch“ (des russi­schen Staats­senders „Russia Today“) bis zu seiner Abschaltung durch die EU. Auch soge­nannte Troll-Fabri­ken verbreiten automatisiert und gezielt entsprechende Falschdarstellungen in Internetforen. Influencer*innen wie Alina Lipp mit ihrem Kanal „Neues aus Russland“ tragen mit hohen Reich­weiten in den sozialen Netzwerken ebenso dazu bei. Weitere bekannte Schwergewichte der Verbreitung von Verschwörungstheorien über Internet-Kanäle sind unter anderem Attila Hild­mann, Heiko Schrang, Oliver Janich, Ken Jebsen, Eva Hermann. Auch Querdenken 711-Gründer Michael Ballweg, Wissenschaftler und Buchautor Sucharit Bhakdi, HNO-Arzt Bodo Schiffmann, Gemeindegründer Ivo Sasek und sein Klage­mauer TV dienten als verschwö­rungsideologische Brandbeschleuniger.

Besorgniserregend sind weiterhin Bestrebungen von Eltern, Ihre Kinder dauerhaft vom Schul­unterricht fernzuhalten und sie in privaten Lerngruppen, Online-Unterricht oder illegalen Schu­len lernen zu lassen. Die Gründe für die Schulverweigerung sind meist verschwörungs­ideolo­gisch motiviert. So wurden in der im Januar 2021 geschlossenen Königsmühle bei Erlangen 15 Schüler*innen beschult. Das Bußgeldverfahren gegen die Mieterin und Hauptver­antwort­liche mit engen Kontakten ins Reichbürgermilieu wurde im Oktober 2022 abgeschlos­sen.[2]

Weitere Schulgründungen konnten in Hamburg, Sachsen, Hessen und Bayern verhindert werden. Es entsteht jedoch ein von Querdenkern, Reichsbürgern und Verschwörungsgläu­bigen initiier­tes Netzwerk von Freilerner-Gruppen. Das vordergründige Ziel, Kinder spirituell und selbst­bestimmt lernen zu lassen wird genutzt, um sie dem staatlichen Einfluss zu entzie­hen. Dort sollen die Kinder vor staatlicher Indoktrination geschützt werden, stattdessen werden verschwörungsideologische und rechtsesoterische Inhalte vermittelt. Eine einflussreiche Platt­form ist beispielsweise „Wissen schafft Freiheit“ von Trickkünstler Ricardo Leppe.[3]

Inzwischen greifen die juristischen Konsequenzen und etlichen Akteuren drohen Geld- und Gefängnisstrafen. Die Vorwürfe reichen von verfassungsfeindlichen Aktivitäten, Volksver­het­zungen auf Demonstrationen oder in Internetforen, Veruntreuung von Spendengeldern, welche im Zusammenhang mit Verschwörungserzählungen eingesammelt wurden, Angriffe auf Impfzen­tren, Fälschung von Impfpässen, Ausstellungen von Attesten zur Maskenbefreiung ohne Untersuchung, Betreiben einer illegalen Schule mit Verbindung zum Reichsbürger-Milieu, Kindeswohlgefährdung durch anhaltende Schulverweigerung, Kindesentzug, bis zur Verabreichung von Chlordioxidlösung (CDL, auch CDS, MMS) als vermeintlichem Medika­ment. Den Anstieg der CDL-bedingten Notrufe beim Giftinformationszentrum seit Beginn der Corona-Pandemie bezeichnet das niedersächsischen Sozialministerium als auffällig.[4]

Eine gemeinsame Schnittmenge von Verschwörungsgläubigen und der Szene der „Reichs­bürger und Selbstverwalter“ ergibt sich dadurch, dass viele ihrer Akteure etliche Verschwö­rungstheorien teilen. Kennzeichnend ist darüber hinaus die teils grundlegende Delegitimierung staatlicher Institutionen oder der Regierung als solcher. Einige Gruppen versuchen aktiv eine andere Regierungsform zu etablieren. Der Gruppe um Heinrich den 13. Prinz Reuss wird vor­geworfen, den gewaltsamen Sturz der Regierung und die Errichtung einer neuen Ordnung unter dessen Führung angestrebt zu haben. Im Dezember 2022 wurden bei einer bundeswei­ten Razzia 23 Mitglieder der Gruppe verhaftet. Bei einer zweiten Razzia im März diesen Jahres wurde ein Polizist angeschossen.[5]

Bisher friedlich machte der selbsternannte König Peter I. (Fitzek) im letzten Jahr durch den Aufkauf zweier Schlösschen in Sachsen von sich reden. Das Schloss Bärwalde im Landkreis Görlitz sowie das Wolfsgrüner Schlösschen im Erzgebirgskreis sollen in seine Pläne zur Errichtung von „Gemeinwohldörfern“ seines „Königreich Deutschland“ einbezogen werden.[6] Aktivitäten seiner Anhänger sind auch in NRW zu verzeichnen. Bei einer Durchsuchung in Menden (zeit­gleich in Wittenberg und Dresden) wurde im Februar 2023 mit der „Gemeinwohl­kasse“ ein illegaler Bankbetrieb des „Königreich Deutschlands“ geschlossen.[7] Im August 2022 wurde die Schließung eines Kölner Restaurants gerichtlich bestätigt. Die Wirtin empfand sich mit Ihrem Restaurant als Teil des Königreiches und dokumentierte dies auch auf der Internet­seite: „Verantwortlich für den Inhalt dieser Webseite ist: L´arcangelo Bistrorante, Unternehmen im KRD, Hauptsitz: Petersplatz 6, zu Lutherstadt Wittenberg, Königreich Deutschland.”[8] Die im Juli 2020 eröffnete Gaststätte sollte als „Zweckbetrieb“ des „Königreich Deutschlands“ in Form eines Vereinslokals ohne gaststättenrechtliche Erlaubnis nur für „Staatsangehörige und Zugehörige“ des “Königreichs“ und ohne die geltenden Hygie­nevorschriften geöffnet sein. Der Betrieb wurde einen Tag nach Eröffnung geschlossen.[9]

Auch der Leiter eines Kampfsportstudios in Düsseldorf macht über Schriften im Schaufenster und im Impressum seiner Webseite seine Zugehörigkeit zum „Königreich Deutschland“ deut­lich: „Wir weisen darauf hin, daß Sie für die Dauer der Interaktion/Geschäftsbeziehung (…) eine temporäre Zugehörigkeit zum Königreich Deutsch­land (KRD) besitzen. Sie nutzen damit die Verfassung, die Gesetze und die Gerichtsbarkeit des KRD, die Sie bei rechtlichen Streitig­keiten erstrangig zu wählen haben.“[10]

In einem Bottroper Hotel fand ein Seminar mit einem Akteur dieser Szene zur „Germanischen Neuen Medizin“ statt. Eine für dieses Jahr geplante Seminarreihe zum „Sys­temausstieg“ aus der BRD und Einstieg ins „Königreich Deutschland“ wurde nach der Aufklä­rungsarbeit einer antifaschistischen Gruppe abgesagt.[11]

Ein Teil der restlichen Beratungen in dieser Kategorie bezog sich auf verschiedene Coaching-Angebote (48). Dieser Bereich hat gegenüber dem Vorjahr (27) deutlich zugenommen. Besonders jüngere Menschen haben im letzten Jahr Coaching-Angebote genutzt. Es gibt eine Vielzahl von Angeboten, die auf die Bedürfnisse dieser Zielgruppe abgestimmt sind. Mit Angeboten „Raus aus der Opferrolle“ oder „Nie wieder scheitern“ werben selbsternannte Per­sönlichkeitstrainer um junge Menschen, ohne über eine qualifizierte Ausbildung oder ein wissenschaftlich fundiertes Angebot zu verfügen. Zu dieser Entwicklung hat sicherlich auch die Coronazeit beigetragen. In den Beratungsgesprächen mit Betroffenen und Angehörigen hören wir oft, dass die Beschäftigung mit Online-Coaching-Angeboten in dieser Zeit begonnen wurde. Langeweile, Einsamkeit und Sorgen führten bei vielen jungen Menschen in dieser Zeit zu der Sehnsucht nach einem sorgenfreien und glücklichen Leben, das im Netz von vielen Coaches versprochen wird.

Coaching-Angebote sind oft kostspielig und halten nicht immer, was sie versprechen. Beson­dere Vorsicht ist geboten, wenn bei den Verträgen eine Art „Geheimhaltungs-Codex“ unter­schrieben werden muss. Ein der Beratungsstelle bekannter Coach, der bei YouTube und Instagram in eigenen Videos Beziehungstipps verbreitete und intensiven Beratungsbedarf ver­ursachte, wurde im November 2022 verhaftet und in einer psychiatrischen Klinik mit Unter­brin­gungsbefehl eingewiesen. Gegen ihn wird wegen des Verdachts der „Geiselnahme in Tatein­heit mit schwerer Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung“ ermittelt. Vor diesem Hintergrund wirkt sein berufliches Leben wie eine perfide Tarnung.

Menschen, die ein Coaching-Angebot in Anspruch nehmen wollen, sollten sich gründlich informieren. Der Sekten-Info NRW e.V. machte bereits in mehreren Fachartikeln auf die damit verbundenen Gefahren aufmerksam.[12] Auch der Flyer unserer Beratungsstelle mit einer Checkliste zur Beurteilung von Coaching-Angeboten kann hilfreich sein und auf unserer Webseite abgerufen werden. Zusätzlich gibt es einen neuen aktuellen Fachartikel zum Thema, Uta Bange: Unseriöse (Online-) Coaching-Angebote für junge Menschen - Vorsicht vor Scharlatanen!.

An zweiter Stelle stehen die Anfragen und Beratungsfälle zu den fundamentalistischen Gruppen (205). Beratungsfälle (98) und Anfragen (107) sind hier gleichermaßen hoch. Zwei Drittel der Beratungsfälle stehen im Zusammenhang mit dem christlichen Fundamentalis­mus. Sie verteilen sich auf 30 verschiedene freikirchliche Gemeinden. Besonders häufig ging es um Brüdergemeinden oder Pfingstgemeinden.

Am häufigsten klagen Menschen, die mit diesem Erfahrungshintergrund zu uns kommen, darüber, dass sie sich in ihrer Lebensführung eingeschränkt gefühlt und unter massiven Ängs­ten gelitten hätten. (vgl. Erfahrungsbericht: Gott hat gesagt, sagten sie.).

Weitere Konflikte können entstehen, wenn diese Gemeinden Heilungsgottesdienste anbieten, bei denen Gläubige von Krankheiten und Süchten befreit werden sollen, für die allein Dämo­nen verantwortlich gemacht werden. Ebenfalls zu Problemen können Konversionstherapien führen, die in einigen fundamentalistischen Gemeinden befürwortet werden. Diese Therapien sollen Homosexuellen angeblich helfen, ihre sexuelle Neigung zu verändern, da sie nicht „Gott gewollt“ sei. Diese Glaubensvorstellungen können zu schweren Schuld- oder Minderwertig­keitsgefühlen beim Einzelnen führen, was die Entstehung einer depressiven Erkrankung begünstigen kann. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass Therapien zur vermeintlichen Heilung von Homosexualität bei Minderjährigen inzwischen verboten sind. Darüber hinaus ist auch die Werbung für solche Therapien nicht erlaubt.

Ebenso gefährlich sind die Verschwörungsbotschaften, die die „Organische Christus Genera­tion“ (OCG) seit Jahren über ihre Internetplattform „Klagemauer-TV“ verbreitet. Von der Falschinformation über die herkömmlichen Medien bis zur Totalverweigerung jeglicher Corona- oder Masern Impfung. Lesenswert ist in diesem Zusammenhang der Aufruf des ältesten Sohnes des Gründers Ivo Sasek. Simon Sasek hat die Organisation im August 2016 verlassen und wendet sich mit seinem Aufruf „Wagst du den Neuanfang?“ sechs Jahre später an heutige OCG-Mitglieder. Schonungslos berichtet er von seiner Zeit bei der OCG, in der er erle­ben musste, dass Freiheit und Individualität Teufelswerk wären und deshalb nicht gelebt werden durften. Statt ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen, seien ukrainische Mitglie­der aus der OCG ausgeschlossen worden, weil die OCG aktuell klar auf der Seite Russlands stünde, auf der Seite eines Diktators der Liberalität ablehnt und sein Nachbarland überfallen hat. Der Lebensweg von Simon Sasek ist beeindruckend. Nach seinem Ausstieg stand er vor dem Nichts und hat als Umzugshelfer sein Geld verdient. Nebenher hat er seinen Schulab­schluss nachgeholt und sein Jurastudium an der Universität St. Gallen begonnen. Er bietet den jetzi­gen Mitgliedern der OCG seine Unterstützung an, wenn sie aussteigen möchten. Vielleicht ist dies eine wertvolle Chance für einige der ca. 2500 Mitglieder, sich von dieser Organisa­tion zu lösen.[13]    

Unabhängig von der Corona-Pandemie hat die Piusbruderschaft Beratungsbedarf ausgelöst. Die Priester dieser Organisation dürfen innerhalb der Katholischen Kirche keine priesterlichen Dienste ausführen. Die Bruderschaft darf ihre Veranstaltungen und Einrichtungen laut Erzbis­tum Köln auch nicht als römisch-katholisch bezeichnen, damit grenzt das Erzbistum sich deut­lich von dieser Organisation ab. Als problematisch wird angesehen, dass die Piusbrüder einen strengen fundamentalistischen Glauben vertreten, die Ökumene grundsätzlich ablehnen und eine intolerante Einstellung gegenüber anderen Religionen haben.

An dritter Stelle stehen die Anfragen und Beratungsfälle aus dem Bereich der Esoterik (135). Hier hat sich auch die Tendenz des Vorjahres fortgesetzt, esoterische Beratungsfälle sind zurückgegangen, ein Teil der Gläubigen aus dieser Szene gehört inzwischen zum Netzwerk der Querdenker. Pia Lamberty, Doktorandin im Fach Sozialpsychologie an der Universität Mainz, kommt in ihrem Buch “Fake Facts“ aufgrund empirischer Untersuchungen zu dem Schluss, dass der Glaube an Verschwörungstheorien und Esoterik eng beieinander liegen. Auch Dr. Matthias Pöhlmann, Weltanschauungsbeauftragter der Ev. Kirche in Bayern betont, dass es Analogien zwischen Esoterikern und Verschwörungsgläubigen gibt. Beide Positionen wollen Antworten auf die Frage nach dem tieferen Sinn des Weltgeschehens geben, und ihr Verhältnis zur Welt ist distanziert und von Misstrauen geprägt. Er zeigt aber auch einen wesentlichen Unterschied auf. “Während Esoteriker von höheren Mächten, Energien und Kräf­ten ausgehen, die man mit individueller spiritueller Bewusstseinsarbeit im kosmischen Prozess zu steuern meint, messen Verschwörungsgläubige innerweltlichen Akteuren übermenschliche Kräfte zu, deren Macht durch Erkenntnis ihrer dunklen Machenschaften eingedämmt oder ganz genommen werden kann.“[14]

Diese Unterscheidung stimmt auch mit den Erfahrungen der Berater*innen in unserer Einrich­tung überein, so dass man vorsichtig behaupten kann, dass der Glaube an Esoterik einen Nährboden für Verschwörungstheorien darstellt. Auch die deutliche Ablehnung gegenüber Impfungen hat zu einem großen Teil ihren Ursprung in anthroposophischen/esoterischen Lehren. Ein Grundsatz des anthroposophischen Glaubens ist der Glaube an Karma und Rein­karnation. Krankheiten sind in diesem Zusammenhang als Schicksal zu verstehen, sie haben ihre Ursache in Verfehlungen in früheren Leben. Um diese Schuld zu tilgen, muss der Mensch eine Krankheit durchleben; nur dann kann die Höherentwicklung der Menschheit als spirituelle Wesen gelingen. Wenn ein Mensch den leichten Weg geht, indem er durch Impfun­gen Krank­heiten verhindert, dann verspielt er die Chance, im nächsten Leben ein höher ent­wickelter Mensch zu werden.

Waldorfschulen fallen seit Jahrzehnten durch deutlich geringere Impfquoten (Masernimpfun­gen) gegenüber Regelschulen auf. Auch in der Corona Pandemie zeigte sich, dass die Skepsis gegenüber Impfungen und Masken an Waldorfschulen besonders hoch war. Ein angeblich hellsichtiger Waldorflehrer veröffentlichte seine Warnung vor dem Covid-19 Impf­stoff, indem er behauptete, dass die Impfung nicht nur schädlich für den einzelnen Körper sei, sondern sie gefährde die gesamte Menschheitsentwicklung. Grund seien Wassergeister im Impfstoff, eine überirdische Zutat und ein böser Dämon.[15]

Die Ablehnung von Impfungen ist Ausdruck einer in Teilen der anthroposophischen Szene verbreiteten grundlegenden Skepsis gegenüber der evidenzbasierten Medizin. Das „natür­liche“, medikamentenlose Überstehen von gefährlichen Krankheiten, wie Masern, Mumps, Röteln, Scharlach und Windpocken wird als wichtig für die erfolgreiche Anpassung der rein­karnierten Seele des Kindes an seinen neuen Körper angesehen.[16]

Ähnliche Argumente verwenden auch viele esoterische Wunder- und Geistheiler, um ihre Dienstleistungen zu bewerben. Sie behaupten, chemisch hergestellte Medikamente seien künstlich, unnatürlich und deshalb schädlich. Die Medizin würde nur die Symptome, nicht die Ursachen behandeln, und Pharmakonzerne hätten kein Interesse daran, Menschen tatsäch­lich gesund zu machen, da sie dann weniger Geld an ihnen verdienen würden.

Im Gegensatz dazu verfügen Geistheiler angeblich über bessere Möglichkeiten der Heilung. So verspricht zum Beispiel der Geistheiler Sananda auf seiner Webseite, dass er mit Licht­geschwindigkeit ins All reise, wo er ein Doppel-Ich des kranken Menschen aufsuche und per Gedankenkraft heile. Kostenpunkt 150 Euro pro Person, persönlicher Kontakt sei nicht nötig, die Behandlung erfolgt aus der Ferne. Auf seiner Webseite erfährt man außerdem, dass er ein inkarniertes höchstes Lichtwesen aus der 15. Dimension, ein göttlicher Avatar sei. Die Zahlen der Follower gehen in die Zehntausende. Wissenschaftliche Nachweise für seine Heilungen gibt es nicht, dafür aber Konflikte im menschlichen Zusammenleben.[17]

Es gibt in der Kategorie Esoterik nach wie vor deutlich mehr Beratungsfälle (116) als Anfragen (19). Das hat sich gegenüber den Vorjahren nicht verändert und liegt daran, dass esoterische Angebote in ihrer Gefährlichkeit schwer einzuschätzen sind. Man schließt sich meistens oder zumindest zunächst keiner neuen Gruppe an, sondern konsumiert nur ein Angebot, z.B. eine Beratung von einem Medium, ein Heilungsangebot durch Handauflegen oder eine Zukunfts­deutung. Die konfliktträchtigen Auswirkungen werden oft erst sehr spät erkannt.

Grundsätzlich sollte jeder Mensch bei der Wahl eines Hilfsangebotes berücksichtigen, dass eine Lebensberatung aus fachlicher Sicht nur dann gelungen ist, wenn der Hilfesuchende mit Unterstützung des Angebotes Verhaltensweisen und Erlebnisse, die er als belastend oder störend erlebt, klären, verarbeiten und verändern kann. Dabei sollte er nach einer gewissen Zeit in der Lage sein, die erlernten Strategien zur Problembewältigung alleine und eigen­stän­dig anwenden zu können. Das bedeutet, dass keine längerfristigen Abhängigkeiten vom Berater oder der Methode entstehen sollten, wie dies in der Esoterik häufig der Fall ist. Die 116 Beratungsfälle verteilen sich auf 57 verschiedene Anbieter.        

In einzelnen Fällen kann es auch innerhalb der Esoterik zu einer engen Gruppenbildung mit gravierenden Folgen, wie körperliche und seelische Misshandlungen, für die einzelnen Mitglie­der kommen. Im Jahr 2021 wurde in den Medien mit großem Interesse die Tat des selbster­nannten Propheten der Glaubensgemeinschaft „Orde de Transformanten“ thematisiert. Der Prophet wurde am 30.12.2021 vom Klever Landgericht wegen des schweren sexuellen Miss­brauchs von Kindern in 19 Fällen sowie des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der selbst­er­nannte Prophet ein weibliches Mitglied der Glaubensgemeinschaft im Alter von 13 Jahren das erste Mal und danach an unterschiedlichen Orten immer wieder missbraucht habe. Die Staats­anwaltschaft hatte acht Jahre Haft gefordert. Die drei Verteidiger des Propheten hatten auf Freispruch plädiert. Der Vorsitzende Richter betonte bei der Urteilsverkündigung, dass die junge Frau als glaubwürdig einzuschätzen sei, sie habe ihre Erlebnisse glaubhaft und wider­spruchsfrei erzählt. Sie lebte mit ihren Eltern in der Gemeinschaft und soll die Regeln der Gemeinschaft als Wort Gottes respektiert haben. Die Verteidiger des Angeklagten sind in Revision gegangen. Die veranlasste Überprüfung des Urteils hat jedoch keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben. Das Urteil ist somit seit dem 22. Februar 2023 rechtskräftig.[18]

An vierter Stelle stehen die Anfragen (54) und Beratungsfälle (62) zu den synkretistischen Neureligionen. Die Hälfte der Beratungsfälle in dieser Kategorie beziehen sich auf die Glau­bensgemeinschaft der Zeugen Jehovas (31) und zeigen einen gleichbleibend hohen Bera­tungsbedarf. Unter den 30 Informationsanfragen zu Zeugen Jehovas waren auch Fragen von Jugendämtern, schulpsychologischen Diensten und Psychotherapeut*innen. Zehn Perso­nen erwogen einen „Ausstieg“ aus der Gemeinschaft oder hatten diesen bereits vollzogen und suchten Unterstützung. Bei den weiteren Fällen ging es um Angehörige. Die besprochenen Problemsituationen betrafen insgesamt 21 Kinder und Jugendliche. Beratungsthemen waren u.a. die erschwerte oder abgebrochene Kommunikation zu Familienangehörigen, die der Gemeinschaft weiter angehören. Betroffene sprechen dabei von einer regelrechten sozialen Ächtung, welche unterschiedlich konsequent ausgeübt wird und entsprechend viel Leid aus­löst. Dieser soziale Kontaktabbruch gehe meist automatisch mit der öffentlich bekanntgege­benen religiösen Ablösung einher. Eine akzeptierende Toleranz gegenüber ehemaligen Gläu­bigen („Abtrünnigen“) unter Beibehaltung sozialer Bezüge werde ideologisch begründet abge­lehnt. Die norwegische Regierung hat 2022 festgestellt, dass die Zeugen Jehovas als Religi­ons­gemeinschaft das Recht ihrer Mitglieder auf freie Meinungsäußerung verletze und damit auch gegen das Recht auf Religionsfreiheit verstoße. Auch die negative soziale Kontrolle von Kin­dern verstoße gegen den Menschenrechtsschutz von Kindern. Deren Rechte verletze die Gemeinschaft, indem sie den Ausschluss von getauften Minderjährigen zulasse und dazu ermutige, diese Kinder sozial zu isolieren. Diese Verstöße würden offenbar systematisch und damit vorsätzlich begangen. Deshalb verloren die Zeugen Jehovas in Norwegen die Regist­rierung als Religionsgemeinschaft und damit auch staatliche Fördergelder.[19] Gegen diesen Beschluss werde das neugegründete „Freedom of Worship Office“ im Zweig­büro Zentraleu­ropa vorgehen, laut der „Leitenden Körperschaft“ der Zeugen Jehovas aus den USA. Von der biblisch begründeten Praxis des Gemeinschaftsentzugs werde man jedoch nicht abrücken.[20]

Hatten die Zeugen Jehovas zuletzt pandemiebedingt auf Besuche verzichtet und stattdessen vermehrt Briefe geschrieben, so wurde die Haustürmission ab Herbst 2022 wieder aufgenom­men. Dabei gilt – wie der Europäische Gerichtshof bereits 2018 feststellte - auch für die hand­schriftlichen Aufzeichnungen der Besucher über Gesprächsinhalte ebenfalls die Datenschutz­grundverordnung. Die Besuchten müssen zustimmen.[21]

Die aus Korea stammende Gemeinschaft Shinchonji[22] sorgt weiterhin mit 16 Fällen für einen unverändert hohen Beratungsbedarf. Die streng dualistische Ideologie warnt vor dem nahen­den Endgericht Gottes und verspricht den Gläubigen Rettung und letztlich Unsterblichkeit. Diese habe der über 90 Jahre alte Gründer Man-Hee Lee als angeblich bib­lisch verheißener Endzeitlehrer bereits erreicht. Der in Aussicht gestellte Schutz führte dazu, dass auch infekti­öse Gläubige weiterhin an den Versammlungen teilnahmen und dadurch 2021 zur Verbreitung des Corona-Virus in Korea beitrugen. Am 13. Januar 2021 wurde Man-Hee Lee vom Vor­wurf, gegen das Gesetz über Infektionskrankheiten verstoßen zu haben (die Anklage lautete auf Mord durch absicht­liche Verbreitung des Virus), freigesprochen. Er wurde jedoch u.a. der Unterschlagung von umgerechnet 4,2 Mio. EUR für schuldig befunden und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, zur Bewährung ausgesetzt.[23]

Öffentliche, organisierte Blutspendeaktionen sollten wohl danach ihr Bild in der Öffentlichkeit positiv beeinflussen. Während die Gemeinschaft einerseits verdeckt – ohne Namensnennung – in Fußgängerzonen und auf christlichen Internetportalen missioniert, tritt sie seit letztem Jahr zusätzlich verstärkt offen an Gemeinden und Pastor*innen der großen Kirchen sowie an Frei­kirchen heran. Man lädt unter Hinweis auf große missionarische Erfolge zu Online-Seminaren ein und wirbt um Unterschrift unter ein „Memorandum of Understanding“ (MoU). Die Ideologie von Shincheonji sieht jedoch keine ökumenische Verständigung vor, Gläubige und ganze Gemeinden sollen für Shincheonji geworben werden.

Ehemalige Gemeindemitglieder und Bibelkursteilnehmende berichten von hohem Druck und psychischen Belastungen. Die zeitliche Beanspruchung führte zur Isolation von Familie und Freundeskreis, teils auch zur Vernachlässigung oder zum Abbruch der Ausbildung.

Bei den Heilergruppen (36 Beratungsfälle) verursachten hauptsächlich zwei Organisationen Sorgen und Probleme, der Bruno-Gröning-Freundeskreis (4) und die Germanische Neue Medizin (6). Die Lehre des Bruno-Gröning-Freundeskreises besagt, es gäbe kein unheilbar. Nur wer vom göttlichen Weg abkomme, der werde krank. Man müsse den Willen zur Gesund­heit haben, dann werde man auch gesund, egal unter welcher Erkrankung man leiden würde, Krebs, Querschnittslähmung, Blindheit. Zweifel seien nicht erlaubt, auch Angehörige dürften keine Zweifel haben, das verhindere die Heilung. Man dürfe auch nicht an seine Erkrankung denken. Geworben wird nach wie vor über den Verein „Kreis für natürliche Lebenshilfe“. Hier sind überwiegend ältere Menschen betroffen. Es melden sich die besorgten Angehörigen oder Freunde, wenn sie bemerken, dass trotz einer gefährlichen Erkrankung, lebensnotwendige Medikamente abgesetzt werden.

Die Germanische Neue Medizin wurde im letzten Jahr sehr häufig von Verschwörungs­gläu­bigen, Querdenkern und rechten Esoterikern beworben. Auch der der Scientology-Orga­nisa­tion nahestehende Sabine Hinz-Verlag hat mehrfach in seiner Kent-Depesche für die Germa­nische Neue Medizin und dessen Gründer Ryke Geerd Hamer geworben. Die Anhänger glau­ben sinngemäß, dass Krebs durch ein Schockerlebnis ent­steht und nur durch dessen Verar­beitung geheilt werden kann. Chemotherapie oder operative Eingriffe werden strikt abgelehnt.[24]

2022 gab es erneut eine Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) zur Germanischen Neuen Medizin. In der heißt es abschließend: „Bei der sog. „Germanischen Neuen Medizin“ von Herrn Hamer handelt es sich um eine in der Biographie und Träumen von Herrn Hamer begründete Theorie ohne wissenschaftliche oder empirische Begründung. Nach heutigem Erkenntnisstand ist die zugrundliegende Grundhypothese widerlegt. Das Vertrauen auf die Heilungskräfte der Germa­nischen Neuen Medizin® verhindert, dass Patienten eine für sie angemessene je nach Tumor­situation kurative oder palliative Therapie bekommen. Für Patienten mit einer heilbaren Erkrankung wird damit die Chance auf Heilung vergeben. Für Patienten in einer palliativen Therapiesituation wird die Option der Lebensverlängerung und v.a.. die Option auf die moder­nen Möglichkeiten der Symptomkontrolle vergeben, da Herr Hamer z.B. Schmerzen als eine notwendige und normale Phase in der Heilung ansieht. Deshalb ist die „Germanische Neue Medizin“ mit allem Nachdruck als gefährlich und unethisch zurückzuweisen.“ (Stellungnahme Neue Germanische Medizin AGPRIO 2022, 2022)

Bei den guruistischen Gruppierungen gab es im Vergleich zum überraschenden Anstieg vor zwei Jahren wieder eine rückläufige Tendenz, 17 Anfragen und 34 Beratungsfälle, die sich auf zwölf verschiedene Gruppen verteilen. Konflikte entstanden hier bei kleineren Yogagruppen, die von einer männlichen charismatischen Führungspersönlichkeit geleitet werden. In diesem Setting kam zu sehr persönlichen, aber durchaus missbräuchlichen Beziehungen, die dann Thema der Beratungsgespräche waren.

In einem ausführlichen Podcast der Hessenschau, der im Januar und Februar 2022 veröffent­licht wurde, kamen ehemalige Mitglieder des Bhakti Marga Ashrams zu Wort und haben schwere Vorwürfe gegen die Guru-Bewegung erhoben. Es war die Rede von Reliquien­dieb­stahl durch den Guru und einem nicht angemessenen Umgang mit Mitgliedern, die unter psychischen Problemen gelitten hätten. Allgemein ist die Gefahr in Gruppierungen, in denen die Führungsperson gottgleich verehrt wird, sehr groß, dass es auch zu missbräuchlichen Handlungen kommen kann.[25]

Außerdem hat eine kleine Meditationsgruppe erneut Beratungsbedarf ausgelöst. Betroffene beschreiben ihre Erfahrungen nach dem Ausstieg so, dass ihnen bewusst geworden sei, dass sie durch den Glauben an den Meister und die geforderte Hingabe, unfähig geworden seien, eigene Lebensentscheidungen zu treffen. Ein Beispiel hierfür ist der Erfahrungsbericht, den wir im letzten Jahr veröffentlicht hatten.[26]

Bei der Thematik Satanismus/ Okkultismus gibt es einen deutlichen Anstieg zu verzeichnen, 37 Beratungsfälle und 11 Anfragen. Inhaltlich hat sich dieser Bereich kaum verändert. Bei 30 der 37 Fälle stand das Thema „Rituelle Gewalt und Mind Control Theorie“ im Fokus der Beratung.

Am 14. Dezember 2021 strahlte das SRF-Online Format rec. eine kritische Dokumentation[27] zu diesem Thema aus, die eine breite, mediale Aufarbeitung im Jahr 2022 zur Folge hatte. Durch diesen Beitrag und die fortgesetzte, engagierte Arbeit der verantwortlichen Journalisten meldeten sich verschiedene Personen beim Amt für Gesundheit des Kantons Thurgau und es wurde eine aufsichtsrechtliche Abklärung beauftragt. Der Untersuchungsbericht[28] ging der Frage nach, ob „die Verschwörungserzählung „rituelle Gewalt/Mind Control“ in die Trauma­therapie-Stationen der Klinik Einzug gehalten hat.“

In dem Fazit wurde zusammengefasst, „dass das in den Traumatherapie-Stationen praktizierte methodische Vorgehen bei den Pati­ent*innen der untersuchten Stichprobe fachlich nicht korrekt und vermutlich sogar krank­heits­fördernd war. […].“

Zu einer ebenso kritischen Beurteilung der Therapie nach der „rituellen Gewalt und Mind Control Theorie“ kommt ein großer Dachverband aus der Schweiz. Die Swiss Mental Health Care (SMHC) als gesamtschweizerische Vertreterin der psychiatrischen Kliniken und Dienste führt in der Stellungnahme „Psychische Traumatisierung durch angebliche „rituelle“ Gewalt“ aus, dass es keine wissenschaftlich erhärteten Hinweise für die Möglichkeit einer gezielten Aufspaltung und Fremdsteuerung der Persönlichkeit durch Mind Control-Techniken gebe. Sie weist vielmehr daraufhin, dass während einer Therapie induzierte Scheinerinnerungen ihrer­seits zu Traumatisierungen führen können und schwerwiegende psychosoziale Folgen für die betroffenen Personen wie auch für ihr Umfeld haben können. Sie kritisiert deutlich Thera­peut*innen, die „ihren Patienten und Patient*innen mit der Vermutung begegnen, dass sie Opfer ritueller Traumatisierungen geworden seien und man mittels therapeutischer Techniken bis dahin nicht Erinnertes dem Bewusstsein zugänglich machen könne.“

Die Journalisten der ersten Reportage aus 2021 haben neben einer medialen Aufarbeitung aller Fragen (Q&A) zur ersten Sendung[29] am 17.05.2022 die Dokumentation „Gehirnwäsche in der Psychiatrie? | «Satanic Panic 2»“ veröffentlicht[30]. Auch in diesem Beitrag geht es um die kritische Aufarbeitung der Fehlbehandlungen in schweizerischen Kliniken.

In Deutschland wurde am 14.07.2022 durch das Y-Kollektiv, einem Gemeinschaftsangebot der ARD und des ZDF, eine Reportage mit dem Titel „Rituelle Gewalt und Scheinerinnerun­gen“[31] veröffentlicht. Es ist erfreulich, dass die kritische Aufarbeitung - auch durch diesen Beitrag – nun auch in Deutschland angekommen ist und man sich mutig den kontroversen Diskussionen stellt. Dabei ist es entscheidend, nicht zu polarisieren, sondern den Opfern von schädigenden Therapien zur Seite zu stehen und präventiv vor künftigen Fehlbehandlungen zu schützen.

Bei den restlichen Beratungsfällen ging es um außergewöhnliche Erfahrungen, z.B. um die Beseitigung eines vermeintlichen „Fluches“ oder einer gefühlten „Besessenheit“. Manche Menschen können sich nicht vorstellen, dass die derzeitige Pechsträhne, die sie gerade durch­leiden, nur Zufall sein soll. Sie ziehen einen Fluch als Erklärung in Erwägung und überlegen, wie sie diesen loswerden können. Es gibt Wahrsager, die für viel Geld auch die Beseitigung von Flüchen anbieten. Diese Angebote sind nicht erfolgsversprechend, die Klienten verlieren viel Geld, ohne dass sich eine Besserung einstellt, und wenden sich dann an unsere Bera­tungs­stelle. In vielen Kulturen wird der Fluch als Bestrafung für ein geschehenes Unrecht geglaubt. Manchmal verunsichert dieser Glaube Menschen so sehr, dass sie alle Misserfolge im Leben auf diese Weise deuten oder sich sogar schuldig fühlen. Gelingt es, diese Schuld­gefühle aufzuarbeiten und das Konzept der selbsterfüllenden Prophezeiung zu erklären, ist die Wahr­scheinlichkeit, dass die Auswirkungen des geglaubten Fluches oder der gefühlten Besessen­heit verschwinden sehr hoch.

Die Anfragen und Beratungsfälle zur Scientology-Organisation sind nicht mehr so hoch wie in früheren Jahren und nehmen in unserer Statistik momentan nur noch Platz acht ein. Es darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich die 18 Anfragen und 16 Beratungsfälle auf nur eine Gruppierung beziehen, während die anderen Kategorien mehrere Gruppen umfassen, so dass die Scientology-Organisation immer noch ein großes Konfliktpotential beinhaltet.

Bezüglich des Konfliktpotentials der Organisation gab es interessante Neuigkeiten aus den USA. Der heutige Leiter der Scientology-Organisation David Miscavige ist verschwunden. Er wird in den USA aufgrund einer Klage u. a. wegen Kinderarbeit gesucht. Geklagt hatten drei ehemalige Mitglieder der „Sea Org“, einer Elite-Einheit der Organisation.

Laut Anklage seien sie bereits als Kinder zum Beitritt gezwungen worden und hätten teilweise ohne Lohn auf dem Scientology-eigenen Kreuzfahrtschiff „Freewinds“ arbeiten müssen. Ihre Eltern gehörten zu dem Zeitpunkt der Scientology-Organisation an. Sie wären im Alter von 6 Jahren von ihren Eltern getrennt worden, diese hätten das Sorgerecht an die Sea Org abgeben müssen und Familienbesuche seien auf einmal pro Woche begrenzt worden. Die Kinder seien wie Erwachsene behandelt worden und hätten harte Arbeiten verrichten müssen. Miscavige habe damit seinen luxuriösen Lebensstil finanziert und er sei sich der Kinderarbeit bewusst gewesen.[32]

Diese Vorwürfe verdeutlichen, wie schwierig es für Kinder ist, aufgrund der fehlenden Schul­ausbildung als Erwachsener die Organisation zu verlassen, und ein eigenes selbstbestimmtes Leben zu führen. Sie sind auch nicht neu, sie wurden bereits 2013 von der Nichte des Religi­onsführers Jenna Miscavige Hill in ihrem Buch „Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht“ erhoben. In ihrem Buch berichtet sie, dass sie im Alter von 6 Jahren von ihren Eltern getrennt wurde und in ein Erziehungscamp mit 80 anderen Kindern kam. Dort musste sie 40 Stunden die Woche körperliche Schwerstarbeit leisten, erhielt aber keine aner­kannte Schulbildung, keine Ausbildung und keinen Lohn. Es wurden Häuser gebaut, Gärten bepflanzt und die Bücher von L.R. Hubbard studiert. Aber es gab kaum medizinische Versor­gung, die Kinder mussten sich untereinander selbst helfen. Da Jenna M. keinen Kontakt zu Menschen außerhalb der Organisation hatte, dachte sie, sie muss ihr Leid ertragen, schließlich sei es für einen guten Zweck, um anderen Menschen zu helfen. Nach weiteren Jahren voller Demütigungen und Unterdrückungen entschließt sie sich auszusteigen (Jenna Miscavige-Hill, Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht, München 2013).[33]

In Deutschland wird die Scientology-Organisation weiterhin vom Verfassungsschutz beobach­tet, da sie nach wie vor das Ziel ihres Gründers L.R. Hubbard verfolgt, eine scientologische Gesellschaft weltweit zu etablieren. Bereits 1950 veröffentlichte Hubbard das Buch „Dianetik“. Darin entwickelte er eine Methode, mit der sich die Anwendenden selbst von jeglichen psychi­schen und physischen Belastungen befreien können. Ziel dieser Methode ist die Erschaffung des perfekten Menschen, dessen Seele („Thetan“) „Clear“ werden muss. Den Menschen, die nicht zu den „Clears“ gehören, sollen die Grundrechte abgesprochen werden.[34] Die Scientology-Organisation sieht sich selbst als Elite, die durch die Anwendung der Lehren Hubbards als einzige Gruppe den Rest der Menschheit regieren sollte. Nach außen stellt die Organisation sich als unpolitische Religionsgemeinschaft dar und betont, ihr sei eine Verschmelzung von Wissenschaft und Religion gelungen.

Der im Juni 2022 veröffentlichte Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums weist darauf hin, dass die Mitgliederzahlen wieder leicht gestiegen sind, von 3.500 auf 3.600 Personen bundesweit. Die Organisation verfolgt weiterhin die Strategie, durch Werbe-Aktio­nen ihrer Tarnorganisationen, Menschen anzuwerben.[35]

Das entspricht auch den Erfahrungen unserer Beratungsstelle. Im letzten Jahr wurde haupt­sächlich mit Hilfe der Broschüre “Der Weg zum Glücklichsein“ versucht, Passanten in NRW auf der Straße anzusprechen oder die Hefte in Geschäften sowie in privaten Briefkästen zu verteilen. In der Broschüre werden eher sehr allgemeine Vorschläge und Anleitungen zum Glücklich sein dargestellt. Aber sie soll helfen, Menschen bewusst zu machen, dass sie gerade nicht glücklich sind und es die Möglichkeit gäbe, dies mit Hilfe von Scientology zu ändern.

In Ergänzung hierzu wurden erstmals speziell auf Kinder ausgerichtete Formate verbreitet. Die Broschüre „Wie man gute Entscheidungen trifft“ als kindgerechtes Äquivalent zur Broschüre „Der Weg zum Glücklichsein“ sowie der Podcast „Tierische Abenteuer von Amandas Bauern­hof“ zeigen die Bemühungen der Scientology-Organisation, auch auf Kinder Einfluss nehmen zu wollen. In dem Podcast für Kinder erleben die Mäusegeschwister Murkelino und Murkelin­chen viele Abenteuer und teilweise lebensgefährliche Situationen auf einem Bauern­hof. Die Inhalte sind nicht immer kindgerecht. Das 25-teilige Hörspiel wurde von einer langjäh­rigen Scientologin produziert.

Ein weiteres Beispiel für diese Strategie ist der von Scientolog*innen angebotene Nachhilfe­unterricht. Am 05.02.22 wurde im „ZDF-Länderspiegel“ über das Thema Nachhilfe berichtet. In diesem Beitrag wurde unter anderem auch das „Lernparadies“ in Düsseldorf erwähnt. Die Leiterin Birgit K. ist langjährige Scientologin. Das Besondere dieser Einrichtung ist, dass die Lehrer*innen Nachhilfeunterricht zu Hause in der Privatwohnung des jeweiligen Kindes anbie­ten. Genau das birgt aber auch die Gefahr, dass bei bestehenden Konflikten das Lösungskon­zept der Scientology-Organisation sowohl den Eltern als auch den Jugendlichen angeboten werden kann.

In Nordrhein-Westfalen gibt es zwei Zentren, eine „Org“ und ein „Celebrity Center“, beide befinden sich in Düsseldorf. Das „Celebrity Center“ ist prominenten Persönlichkeiten der Öffentlichkeit vorbehalten. Aufgrund der durch die Coronapandemie eingeschränkten Kontakt­möglichkeiten erweiterte die Scientology-Organisation ihr Kursangebot durch viele Online­ver­anstaltungen umfassend. Besonders der unwissenschaftliche Persönlichkeitstest wird online beworben.

Sogenannte Ehrenamtliche Geistliche der Organisation waren auch bei Hilfs- und Aufräum­aktionen in dem von der Flutkatastrophe betroffenen Ahrtal aktiv. Ziel solcher Aktionen ist einerseits der Aufbau von Kontakten zu Einzelpersonen und zu staatlichen Organisationen auf kommunaler Ebene, andererseits die Verbreitung scientologischer Inhalte. Zudem gehört die positive Darstellung der Organisation in der Öffentlichkeit zu ihrer PR-Strategie.[36]

Viele Betroffene verlassen die Organisation nach kurzer Zeit wieder. Aber etliche Aussteiger, die uns in unserer Beratungsstelle um Hilfe bitten, beklagen, dass sie sich vorwerfen, selbst in der kurzen Zeit der Organisation zu viel anvertraut oder zu viel Geld gegeben zu haben.

Bei der letzten Kategorie Strukturvertriebe (13) ging es hauptsächlich um Direktvertriebs­systeme, die Nahrungsergänzungsmittel verkaufen. Sie binden ihre Mitarbeiter an sich, indem sie mit Versprechungen, dass ein schneller Erfolg verbunden mit viel Geld und einer sinnvollen Tätigkeit zu erwarten sei, Sehnsüchte der Menschen bedienen. Dies ist aber leider beides nicht der Fall. Nahrungsergänzungsmittel können durchaus gesundheitliche Schäden verur­sachen und der finanzielle Erfolg bleibt ebenfalls aus. Besonders häufig wurden wir um eine Einschätzung zu Life-plus-Produkten gebeten. Auch die Verbraucherzentralen haben sich mit diesem Angebot bereits auseinandergesetzt. Die Einschätzung kann unter https://projekte.meine-verbraucherzentrale.de/plain/lifeplus-produkte nachgelesen werden. Die Produkte sind teilweise deutlich zu hoch dosiert und zu teuer im Vergleich zu anderen Produkten, die in Drogerien und Apotheken angeboten werden. Im Zusammenhang mit Struk­turvertrieben ging es häufig auch um Kündigungsmöglichkeiten von Verträgen bzw. um Rück­gabe von bestellten Waren, so dass zusätzlich eine rechtliche Beratung erforderlich war.

Unabhängig von der jeweiligen Gruppierung kommt es in allen Bereichen immer wieder zu Kindeswohlgefährdungen. 60 Fälle wurden 2022 in unserer Beratungsstelle gezählt. Insge­samt waren bei fast einem Viertel aller Fälle (164) auch Kinder betroffen. Drei Themen standen in diesem Zusammenhang 2022 im Vordergrund: die soziale Isolation durch Schulverwei­gerung, die Unterlassung angemessener medizinischer Behandlungen und in vier Fällen kam es zum Kindesentzug verbunden mit weiteren Gefährdungen.

Exemplarisch für Kindesentzug war der Fall eines jungen Mädchens aus Essen, der von den Medien aufgegriffen wurde, und zu einem guten Ende kam. Einen ausführlichen Bericht findet man im Spiegel in der Ausgabe 22 vom 28.05.2022. Der Vater reiste ohne Wissen der Mutter mit seiner Tochter und seiner neuen Partnerin, sowie deren Tochter von Deutschland nach Paraguay, weil er glaubte, dass er nur so das Leben seiner Tochter retten könnte. Verschie­dene Briefe, die er an seine Ex- Partnerin und Mutter seiner Tochter geschrieben hat, belegen den Realitätsverlust, unter dem der Vater aufgrund von Verschwörungstheorien gelitten hat. Er glaubte unter anderem, dass es in Deutschland bald zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen mit Blackouts und Nahrungsmittelknappheit kommen würde. Auch den neuen mRNA-Impf­stoffen traute er nicht, sie würden Krebs verursachen, dahinter stünden Geschäftsinteressen der Pharmaindustrie. Schon im Herbst 2020 hält er das Tragen eines Mund-Nase Schutzes und das Testen mit Wattestäbchen in der Nase für gesundheitsschädigend und unzumutbar für seine Tochter. Nachdem das Amtsgericht Essen im April 2021 verfügt hatte, dass über alle Maßnahmen zur Pandemie, die die Tochter betreffen, die Mutter entscheiden soll, hat der Vater vermutlich den Plan gefasst, seine Tochter nach Paraguay zu entführen, um sie ver­meintlich in Sicherheit zu bringen. Er ließ völlig unberücksichtigt, was das für die Zukunft seiner Tochter bedeuten und ob sie unter dem Verlust ihrer Mutter und ihres Umfeldes leiden würde. Die erzwungene soziale Isolation und der aus irrationalen Ängsten bestehende Verschwö­rungsglaube hätte die Entwicklung des jungen Mädchens massiv beeinträchtigen können. Da deutsche Kommunen in Paraguay mit impfkritischen Aussagen, fehlenden Infektionsschutz­maßnahmen und Steuer­erleichterungen geworben hatten, folgte eine regelrechte Ausreise­welle und weitere Kinder waren betroffen. Die Behörden in Paraguay bremsten schließlich die Zuwanderung von Unge­impften durch eine Nachweispflicht der Impfung.[37]

Aber nicht nur durch eine Auswanderung nach Paraguay, auch innerhalb von Deutschland gab es Eltern, die trotz Schulpflicht ihre Kinder isoliert haben. Sie nahmen angesichts der ver­pflichtenden Test- und Maskenpflicht ihre Kinder von der Schule, um sie vor den angeblich damit verbundenen Gefahren zu schützen. Die Webseiten einiger in der Szene beworbener Online-Schulangebote weisen argumentativ eine Nähe zur Querdenker- und auch zur Reichs­bürger-Szene auf. Insgesamt ist eine besorgniserregende Tendenz zu beobachten, dass es Bestrebungen der Querdenkerszene gibt, eigene Siedlungen oder Höfe zu gründen, um ein naturnahes Leben unter Gleichgesinnten zu ermöglichen, ohne staatliche Einmischung. Das ARD-Politmagazin „Report Mainz“ hat am 07.06.22 das Thema aufgegriffen.[38]

Neben der sozialen Isolation und den mangelhaften Ausbildungsmöglichkeiten ist die Gefahr einer mangelnden medizinischen Versorgung von Kindern in diesen Milieus sehr groß. Da Impfgegner Impfungen für gefährlicher halten als die Krankheiten selbst, besteht die Gefahr, dass Kinder durch eine Mumps-Erkrankung taub werden, oder sogar an einer Polio- oder Masern-Infektion sterben. Die gleiche Gefahr gilt auch für einen Teil der gläubigen Anhänger*innen der anthroposophischen Szene, auch hier werden schwere Infektionskrank-heiten als „Kinder­krankheiten“ verharmlost. Erkrankungen werden ideologisch gedeutet, sie seien wichtig für die karmische Weiterentwicklung. In einem Fall, der unserer Beratungsstelle bekannt geworden ist, ist ein kleiner Junge aufgrund dieser Einstellung auf einem Ohr taub. Zusätzlich steigt durch die soziale Isolation in solchen Lebensgemeinschaften die Gefahr der Kinderarbeit.

Aber auch ohne gemeinschaftliches Zusammenleben kann es zu einer zeitlichen und emotio­nalen Überbeanspruchung von Kindern innerhalb einer Glaubensgemeinschaft kommen. Zum Beispiel, wenn Kinder ihre ganze Freizeit am Wochenende damit verbringen müssten, Texte auswendig zu lernen und stundenlange Proben durchzustehen, damit für die Gemeinschaft genutzte Musicalfilme oder Theateraufführungen entstehen können. Wer mögliche Gefahren im Kontext neuer Glaubensgemeinschaften tabuisiert, duldet unter Umständen erhebliche Grenzverletzungen gegenüber Kindern.

Aus diesem Grund wurde eine Publikation in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz Nordrhein-Westfalen erstellt, sie enthält eine Dokumentation gerichtlicher Entscheidungen, aus der zu ersehen ist, wie die Gerichte im konkreten Einzelfall entschieden haben. Unter dem Titel „Glaubensfreiheit versus Kindeswohl“ ist die Publikation beim Sekten-Info Nordrhein-Westfalen erhältlich

Unabhängig von der jeweiligen Gruppierung, die den Beratungsbedarf ausgelöst hat, ist es interessant zu fragen, wer die Beratungsstelle mit der Bitte um Hilfe aufgesucht hat, Menschen, die selbst betroffen sind, oder Freunde und Angehörige? Im letzten Jahr betrug der Anteil der Betroffenen, die für sich selbst eine Hilfestellung erwartet haben, 28%. Weitere 37% verteilten sich auf nahe Angehörige oder den Partner. Hier ist im Gegensatz zu den Vor­jahren eine Verschiebung von den Menschen, die selbst betroffen sind, hin zu den besorgten Angehörigen zu erkennen. Im Zusammenhang mit dem Glauben an Verschwörungstheorien gab es fast niemanden, der aus eigenem Antrieb eine Beratung in Anspruch nehmen wollte, umso verzweifelter waren die Angehörigen der Verschwörungsgläubigen. Noch einmal 18% baten uns im Rahmen eines institutio­nellen Arbeitsauftrages um Hilfe (z.B. Polizei, Schule, Hochschule, Beratungsstellen, Jugendhilfe, Psychiatrien). Der Rest verteilte sich auf Anfra­gen, die sich auf Bekannte und Kollegen, sowie die Presse (6%) beziehen. (vgl. Diagramm 2).

Art der Betroffenheit

Diagramm 2: Informationsanfragen und Beratungsfälle aufgeteilt nach Art der Betroffenheit

 

Informationsanfragen Fünfjahresvergleich

Diagramm 3: Informationsanfragen im Vergleich der letzten fünf Jahre

 

Beratung im Fünfjahresvergleich 

Diagramm 4: Beratungsfälle im Vergleich der letzten fünf Jahre

 

 

Rechtsberatung 2022

Seit Januar 2004 ist der Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. in der Lage, ergänzend zur psychosozialen Beratung, kostenlos eine fundierte Rechtsberatung anbieten zu können. Von den 684 Klienten im Jahr 2022 haben 100 diese Möglichkeit in Anspruch genommen. Die Tabelle zeigt den Bedarf an Rechtsberatung, unterteilt in die auch sonst üblichen zehn Kate­gorien (vgl. Diagramm 5).

 

 Rechtsberatung

Diagramm 5: Rechtsberatung

Der größte Teil der Rechtsberatung befasste sich 2022 mit Fragestellungen zu Coaching-Angeboten. Die Angebote versprechen oftmals nichts Geringeres als Reichtum und Erfolg sowie den „Durchbruch“ in sämtlichen Lebensbereichen. Häufig berichteten uns die Ratsuchenden, dass sie sich in einer schwierigen Lebenssituation befanden und - geleitet durch die überzo­genen Versprechungen der Anbieter - vorschnell auf ein Angebot einließen. Einige hatten dem Coaching-Vertrag per Telefon zugestimmt. Andere wurden über Social Media Plattformen wiederholt von den Coaches oder deren Mitarbeitern angeschrieben und schlossen den Ver­trag „online“. Im Nachhinein fühlten sich viele überrumpelt und berichteten, dass sie in einer anderen Lebenssituation oder mit mehr Bedenkzeit den jeweiligen Vertrag nicht abgeschlos­sen hätten.

Das Hauptproblem, welches sich nach Beginn des Coachings zeigte, war vor allem, dass die

Leistung des Coaches häufig nicht den Erwartungen der Teilnehmenden entsprach. Gleich­zeitig wurden dafür jedoch hohe Geldbeträge in Rechnung gestellt. Die uns erreichenden Anfragen offenbaren, dass Coaching-Angebote recht kostspielig sein können – in der Regel geht es um mehrere Tausend Euro, teilweise wurden sogar vierstellige Summen verlangt. Eine häufige Frage, die im Rahmen der Rechtsberatung an uns herangetragen wird, ist daher, ob ein solcher Vertrag juristisch angreifbar ist. Dies hängt vom Einzelfall ab.

Grundsätzlich lässt sich aber festhalten, dass es durchaus aussichtsreiche rechtliche Möglich­keiten gibt, sich aus einem dubiosen Coaching-Vertrag zu befreien. Zunächst gilt es zu über­prüfen, ob das gesetzliche Widerrufsrecht greift. Wurde der Coaching-Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen, z.B. online oder am Telefon, können Verbraucher den Vertrag innerhalb von14 Tagen nach Vertragsschluss widerrufen. Aber auch nach Ablauf der Wider­spruchsfrist, besteht unter Umständen die Möglichkeit zur fristlosen Kündigung nach der Spezialvorschrift § 627 BGB, sofern eine besondere Vertrauensstellung des Coaches besteht.

Sehr teure Coaching-Angebote können überdies als „sittenwidrig“ im Sinne von § 138 BGB eingestuft werden. Dies hat zur Folge, dass der zugrunde liegende Coaching-Vertrag als nich­tig anzusehen ist und eine Zahlungspflicht für den Kunden entfällt. Erst kürzlich erging dazu ein interessantes Urteil des Landgerichts Stade.[39] In dem zugrundeliegenden Fall hatte eine Frau ein Online-Coaching-Programm mit einer Laufzeit von 12 Monaten gebucht. Das Programm beinhaltete u.a. folgende Leistungen: sieben wöchentliche Livecalls, 1:1 Calls auf Abruf, WhatsAppSupport sowie Inhalte, aus dem Bereich Unternehmensberatung („Frauen im Verkauf + Positionierung, Optimierung und Skalierung, Mitarbeiter Recruiting und Führung“). Die Kosten für das Coaching betrugen 30.000 € und sollten in zwölf Raten gezahlt werden. Nach Beginn des Programms merkte die Kundin, dass die Leistungen nicht ihren Erwartungen entsprachen und weigerte sich, die monatlichen Raten zu zahlen.

Das Landgericht Stade gab ihr Recht und stufte den Vertrag als wucherähnliches Geschäft ein. Nach juristischer Ansicht ist ein gegenseitiger Vertrag als wucherähnliches Geschäft sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und eine „verwerfliche Gesinnung“ des Begünstigten hinzukommt.

Im vorliegenden Fall wurde ein besonders grobes auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung des Coaches und geforderten Gegenleistung in Höhe von 30.000 € festgestellt. Als Vergleichs­maßstab zog das Gericht andere Anbieter aus dem Bereich der Wissensvermittlung, wie Fernuniversitäten, heran und stellte fest, dass hier lediglich 500 € bis maximal 3000 € Kosten pro Jahr üblich sind. Selbst wenn man den höchst möglichen Marktpreis von 3000 € annehme, überschreite die vereinbarte Gegenleistung in Höhe von 30.000 € die angebotene Leistung um das 10-fache. Es gäbe auch keine Anhaltspunkte, die ein solches Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung rechtfertigen würden. So sei es nicht ersichtlich, dass dem Kläger für seine angebotenen Leistungen besonders hohe Kosten durch Personalaufwand oder Miet­zahlungen entstehen. Vielmehr scheine der finanzielle Aufwand bewusst gering gehalten zu werden, da Kommunikationsmittel wie Facebook, Instagram und WhatsApp für den Kontakt genutzt würden, für die keine Kosten anfallen. Überdies sei die Qualifikation des Klägers keine Rechtfertigung für die außergewöhnlich hohe Vergütung. Er könne nicht auf einen staatlich anerkannten akademischen oder beruflichen Abschluss sowie langjähriger Berufserfahrung in dem jeweiligen Bereich zurückgreifen, wie beispielsweise Dozenten an Fernuniversitäten.

Mit in die Bewertungen einbezogen wurde auch, dass der Vertrag telefonisch geschlossen wurde. Dies spreche dafür, dass eine Überrumpelungssituation auf Seiten der Kundin ausge­nutzt worden sei. Denn es sei im Bereich von Kleinunternehmen unüblich, dass Verträge mit einem Auftragsvolumen von 30.000 € telefonisch vereinbart werden, ohne dass die Vertrags­parteien die Möglichkeit bekommen, das Angebot zu prüfen. Dies offenbare eine „verwerfliche Gesinnung“ des Coaching-Anbieters. Im Ergebnis wurde daher eine Zahlungspflicht der Frau für das Coaching-Programm verneint.

Aufgrund dieser Rechtsprechung sollten sich Betroffene nicht scheuen, gegen überteuerte Coaching-Verträge vorzugehen.

Ein weiteres Problem, mit welchem wir im letzten Jahr wiederholt konfrontiert wurden, sind Grenzüberschreitungen einzelner Coaches in Richtung unerlaubter Heilkundeausübung. Es ist als höchst problematisch anzusehen, wenn psychologisch nicht qualifizierte Anbieter, Hei­lung von psychischen Erkrankungen, wie Depressionen, Essstörungen oder Traumata in Aus­sicht stellen. Die Ausübung von Heilkunde ist in Deutschland nur Ärzten, Heilpraktikern und Psychotherapeuten erlaubt. Sofern ein Coach die Heilung von Erkrankungen anbietet, ohne über die erforderliche Qualifikation zu verfügen, besteht die große Gefahr, dass sich Krank­heitsbilder verschlechtern oder verfestigen. Im letzten Jahr wurden wir auf einige An-gebote aufmerksam, bei denen diese rechtliche Grenze nicht eingehalten wurde. In einem Fall haben wir auf Wunsch der Klient*innen das zuständige Ordnungsamt informiert.

Der übrige Teil der Rechtsberatung hatte, wie in den Jahren zuvor, eine sorge- und umgangs­rechtliche Problematik zum Inhalt. Dabei ging es des Öfteren auch um Elternteile, die sich der Reichsbürgerszene zugehörig fühlten und den Schulbesuch ihrer Kinder ablehnten, was große Konflikte mit dem anderen Elternteil und der Schule nach sich zog. Eine interessante Rechts­frage, die im letzten Jahr von Lehrern und Schulsozialarbeitern an uns herangetragen wurde, ist auch, ob und inwieweit Eltern aus Glaubensgründen bestimmte Unterrichtsinhalte oder Klassenfahrten ablehnen dürfen. Hier gibt es eine Reihe gerichtlicher Entscheidungen, in denen jeweils das Recht der Eltern auf religiöse Kindererziehung aus Art. 6 GG i.V. mit Art. 4 GG mit dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 7 GG abgewogen werden muss. Die Tendenz in der Rechtsprechung geht aber grundsätzlich dahin, dass eine Befreiung vom Unterricht aus Glaubensgründen als Ausnahme anzusehen ist und auf das für den Grund­rechtsschutz unerlässliche Maß beschränkt bleiben soll.

 

Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit

Aufklärungsarbeit über die Gefahren konfliktträchtiger weltanschaulicher Angebote ist angesichts eines wachsenden Marktes von Weltanschauungsangeboten besonders wichtig. Von Januar bis Dezember 2022 wurden 22 Präventionsveranstaltungen durchgeführt, teilweise digital, teilweise wieder in Präsenz. Einige Teilnehmer*innen haben es begrüßt, dass wieder Seminare in direktem Kontakt stattfinden konnten. Andere wiederum haben eine digitale Schulung bevorzugt, weil ihnen das vom Zeitaufwand attraktiver erschien. Insgesamt nahmen 455 Menschen an den Schulungen des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. teil. Diese Schulungen waren Fachtagungen für Mitarbeiter*innen anderer Beratungsstellen (7), für Mitarbeiter*innen des ASD (3) und für Fachkräfte an Schulen (1). Ergänzend zu diesem Angebot erstreckte sich die Aufklärungsarbeit des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. auf weitere Vorträge in der Erwachsenenbildung (Volkshochschulen, Gemeinden, Elternkreise) (6) und auf Präventionsveranstaltungen mit Schüler*innen (5). Thematisch ging es im letzten Jahr immer um das Thema Verschwörungstheorien und mögliche Hilfen im Umgang mit betroffenen Menschen. Zusätzlich fanden acht begleitete Treffen einer Selbsthilfegruppe von Angehörigen verschwörungsgläubiger Menschen statt.

Außerdem wurde wie im Jahr zuvor eine intensive Öffentlichkeitsarbeit geleistet. Um dem Informationsbedürfnis der Bürger*innen in aktueller Weise gerecht zu werden, wurden die Recherchearbeiten der Presse und der Medien in 70 Fällen unterstützt. In 28 Fällen wurde durch eine direkte Mitwirkung in einem Radio/Fernsehbeitrag oder Zeitungsartikel auf die Gefahren von Verschwörungstheorien, Reichsbürgern, unseriösen Coaching-Angeboten und neuen religiösen Glaubensgemeinschaften hingewiesen.

Der Filmemacher Michael Hage hat im Rahmen des Projektes “Steele TV“ eine informative Dokumentation über die Arbeit unserer Beratungsstelle produziert, in der drei Mitarbeiter*innen als Experten zu Wort kommen. In der Sendung „Hier und heute“ des WDR-Fernsehens wurde Frau Riede live als Expertin zu den Gefahren der Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit dem Kindesentzug zweier Mädchen nach Paraguay befragt. Ebenso nutze auch die ARD in dem Magazin Fakt zum Thema „Germanische Neue Medizin“ und der WDR in der Lokalzeit Ruhr, sowie in der Aktuellen Stunde ihre Expertise zum Thema Verschwörungstheorien. Frau Liebrand wurde zweimal in der ARD als Expertin zu den Auswirkungen fehlerhafter Therapien interviewt.

Neben mehreren Radiointerviews (Radio Essen, WDR, Domradio Köln, Hessischer Rundfunk) wurden die Mitarbeiter der Beratungsstelle in Veröffentlichungen der Zeitschrift Spiegel, der FAZ, der Zeit, der WAZ, der NRZ, der Rheinischen Post und der Neuen Westfälischen Zeitung zu den unterschiedlichsten Themenbereichen zitiert. Am häufigsten ging es um die Problematik der Verschwörungstheorien, aber auch um unseriöse Coaching-Angebote, Esoterik, Scientology und allgemeine Entwicklungen der weltanschaulichen Szene. Ein ausführliches Interview mit Frau Riede zum Thema sog. Sekten in der Beratungsarbeit ist in der empfehlenswerten neuen Publikation „Gefährlicher Glaube“ von Katharina Nocun und Pia Lamberty zu finden. Einige der Interviews sind auf unserer Webseite verlinkt. Zusätzlich wirkten die Mitarbeiter*innen auch bei verschiedenen Podcasts mit.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Mitarbeiter*innen des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. Lehrern gern Informationsmaterial für die Aufklärungsarbeit im Unterricht zur Verfügung stellen. Dafür haben wir auf unserer Homepage eine Spalte „Material Präventionsarbeit“ eingerichtet. Hier können Lehrer*innen zu den verschiedensten Themen unserer Beratungsstelle sowohl Infomaterial für den Unterricht als auch Fallberichte und Hintergrundinformationen erhalten. Das Material zum Thema Verschwörungsglauben wurde gerade aktualisiert (Vgl. Rezensionen und Materialempfehlungen zur Prävention von Verschwörungsglauben). Selbstverständlich beraten wir Lehrer*innen auch gern telefonisch. Leider ist es aufgrund des ständig sich erweiternden und wachsenden Beratungsbedarfes in unserer Einrichtung nicht mehr möglich, allgemeine Informationsveranstaltungen an Schulen durchzuführen, sondern nur, wenn unsere Unterstützung im Rahmen eines konkreten Vorfalles an der Schule benötigt wird. Inzwischen bieten wir hier verstärkt Einzelgespräche in Zusammenarbeit mit Schulsozialarbeiter*innen an.

 

Gremienarbeit

Der Informationsaustausch über Trends in der aktuellen Sektenszene fand wie in den Jahren vor der Corona-Pandemie wieder in zahlreichen Workshops mit anderen Sektenberatungs-stellen, kirchlichen Sektenbeauftragten und Betroffeneninitiativen statt. Allerdings zeigte sich hier eine neue Tendenz, viele Teilnehmer begrüßten eine Mischung aus digitalen Informationsangeboten und Seminaren in Präsenz. Diesem Wunsch sind wir gerne nachgekommen, denn es bot den Vorteil, Experten zum Thema „Weltanschauung“ aus Berlin, Freiburg, München und sogar aus Wien in die Workshops miteinzubeziehen und sich noch besser als bisher zu vernetzen.

Auch nehmen die Mitarbeiter*innen des Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. regelmäßig an Fachgesprächen im Landtag teil. Auf Landesebene ist der Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V. im „Arbeitskreis Beratungsstellen“ des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands integriert. Bundesweit ist die Beratungsstelle mit verschiedenen Experten zum Thema Verschwö­rungserzählungen vernetzt. Trotz der großen zeitlichen Belastung konnten die Mitar­beiter*innen insgesamt an 24 Gremiensitzungen und weiteren sechs Einzelgesprächen teil­nehmen. Zusätzlich haben die Mitarbeiter*innen sich im Rahmen verschiedener Fortbildungs­veranstal­tungen digital weitergebildet.



[1] Nocun, Katharina, and Pia Lamberty. "Fake Facts." Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen.
S. 14 / S. 22

[2] https://www.fraenkischertag.de/lokales/hoechstadt-herzogenaurach/politik/bussgeld-gegen-hauptverantwortliche-der-illegale-schule-art-195455, abgerufen am 28.03.2023  

[3] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/querdenker-eltern-unterricht-kinder-lerngruppen-100.html, abgerufen am 28.03.2023

[4] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Giftnotrufe-wegen-Chlordioxid-Gabe-Kinderschutzbund-besorgt,vergiftungen114.html, vom 13.05.2022

[5] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/razzia-reichsbuerger-polizisten-101.html, vom 22.03.2023

[6] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/reichsbuerger-fitzek-koenig-deutschland-sachsen-114.html, abgerufen am 28.03.2023

[7] https://www.rtl.de/cms/razzia-bei-gemeinwohlkasse-der-reichsbuerger-szene-c4bbba89-2945-59e5-ae68-eb56138a1464.html, abgerufen am 28.03.2023

[8] https://www.express.de/koeln/reichsbuerger-in-koeln-holweide-lokal-l-arcangelo-wird-geschlossen-58668, abgerufen am 28.03.2023

[9] https://www.zeit.de/news/2022-08/23/stadt-koeln-durfte-koenigreich-deutschland-lokal-dichtmachen, abgerufen am 28.03.2023

[10] Webseite bekannt, abgerufen am 27.02.2023

[11] https://www.waz.de/staedte/bottrop/bottroper-hotelchefin-kuendigt-dem-koenigreich-deutschland-id237860277.html, abgerufen am 28.03.2023

[12] Gollan 2015, Bange 2013 und Nachbar 2009.

[13] Vgl. Simon Sasek, https://www.jesterton.ch/post/wagst-du-den-neuanfang, abgerufen am 03.03.2023

[14] Matthias Pöhlmann, Im Sog der „PLANdemie“, EZW-TexteNr.268/2020, S.152

[15] https://anthroposophie.blog/2021/09/08/die-wassergeister-im-corona-impfstoff/, abgerufen am 28.03.2023

[16] https://waldorfsalat.letscast.fm/episode/2-mit-natalie-grams-anthroposophische-medizin/, abgerufen am 28.03.2023

[17] https://www.geistheiler-sananda.net/heiler-sananda/, abgerufen am 28.03.2023

[18] https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/ 2023045.html?nn=10690868, abgerufen am 28.03.2023

[19] https://jz.help/norwegen-zeugen-jehovas-verlieren-staatliche-unterstuetzung/; https://www.statsforvalteren.no/ nb/oslo-og-viken/folk-og-samfunn/tros--og-livssynssamfunn/jehovas-vitner-taper-registrering-som-trossamfunn/, abgerufen am 28.03.2023, abgerufen am 28.03.2023

[20] https://www.jw.org/en/news/jw/region/global/2022-Governing-Body-Update-8/ abgerufen am 28.03.2023

[21] https://www.spiegel.de/netzwelt/web/zeugen-jehovas-muessen-sich-laut-eugh-an-datenschutz-halten-a-1217622.html, abgerufen am 28.03.2023

[22] Auch Shincheonji – „neuer Himmel und Erde“, „Gemeinde Jesu, der Tempel der Hütte des Zeugnisses“.

[23] https://www.bbc.com/news/world-asia-55642653, abgerufen am 17.03.2023

[24] vgl. hierzu Christoph Grotepass, Die "Germanische Neue Medizin" von Ryke Geerd Hamer.

[25] https://www.hessenschau.de/podcasts/just-love/podcast-just-love---bhakti-margas-guru-und-sein-geheimnis,just-love-podcast-102.html, abgerufen am 28.03.2023

[26] vgl. Anonym, Auf der Suche nach Heilung – Ein Erfahrungsbericht Meine Suche nach der Wahrheit.

[27] https://www.youtube.com/watch?v=dF7XJ5OZn44, abgerufen am 03.03.2023

[28] https://www.tg.ch/public/upload/assets/137238/Untersuchungsbericht.pdf?fp=1&fbclid= IwAR3AITxdmpbYpHHLx64DwmZohuxAliB1gfajT2eUxy_Y8cbtjvPkG28y-qw, abgerufen am 03.03.2023

[29] https://www.youtube.com/watch?v=Y0WUiuvWV6E, abgerufen am 03.03.2023

[30] https://www.youtube.com/watch?v=4GK0DETWYPQ, abgerufen am 03.03.2023

[31] https://www.youtube.com/watch?v=o8AD5hz3s0Q, abgerufen am 06.03.2023

[32] vgl. https://www.rnd.de/panorama/scientology-aussteiger-verklagen-kirchenfuehrer-david-miscavige-W4DOYEQWW5E7RPPK53VTJZEUOE.html vom 06.05.2022

[34] L. Ron Hubbard, „Dianetik – Der Leitfaden für den menschlichen Verstand“, 3. überarbeitete Ausgabe, Kopenhagen, 2007, S. 483

[35] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/verfassungsschutzberichte/2022-06-07-verfassungsschutzbericht-2021.html, S.315

[36] s.o. Bundes­verfassungsschutzbericht, S.316

[37] https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/corona-pandemie-warum-ein-deutscher-impfgegner-seine-tochter-nach-paraguay-schaffte-a-affc6499-9474-4db1-af81-d7a542d, abgerufen am 28.03.2023

[38] http://swr.li/report-mainz-wohnprojekte-corona-protest-szene, abgerufen am 28.03.2023

[39] LG Stade, Urteil vom 18.08.21 - 3 O 5/22.